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Frag den Bestatter

Bestattungsriten, Sargschliessung, Abschiednahme

Lieber Tom,

in Russland gibt es die Sitte, Verstorbene im offenen Sarg zu Grabe zu tragen und erst kurz vor dem Absenken den Sarg zuzunageln. Weisst Du etwas über den Ursprung dieses Brauches? Und wäre das auch in Deutschland möglich?

Herzliche Grüße und viele gute Wünsche,

Tim

Wenn man die Bestattungsgebräuche in den verschiedenen Kulturen miteinander vergleicht, findet man immer wiederkehrende Elemente vor.

Ganz grob gesagt, haben wir zunächst einen Zeitraum, in dem man den Verstorbenen ruhen lässt. Seinen Ursprung hat das möglicherweise in der Vorstellung, daß man der Seele Zeit geben will, den Körper zu verlassen.
Es schließt sich dann die Phase an, in der der Verstorbene gereinigt, angekleidet und für „die letzte Reise“ vorbereitet wird.

Danach folgt das Zusammenkommen der „Stammesmitglieder“, die einerseits vom Verstorbenen Abschied nehmen wollen, andererseits sich aber auch davon überzeugen wollen, daß dieser Mensch wirklich tot ist.

Am Ende steht die Übergabe des Körpers an die Erde, das Feuer, das Meer, also eine sehr mit den Elementen verbundene Auflösung des irdischen Körpers.

Natürlich gibt es Kulturen in denen ganz krass von dieser Abfolge abgewichen wird und solche in denen einzelne Elemente ausgetauscht oder anders betont werden. Aber im Grunde haben wir es immer mit diesen Elementen zu tun, die heute auch nahezu alle Religionen für sich reklamieren und mit ihrer Vorstellungswelt verknüpft haben.

Tatsächlich dürften diese Riten aber teilweise oder ganz auf steinzeitliche Bestattungsriten zurückgehen, denn so viel hat sich seitdem nicht geändert.

Wie nun die einzelnen Abläufe in einer bestimmten Kultur, in einem Land oder einer Religion hervorgehoben werden, ist ganz verschieden.
Ein wichtiges Element scheint aber die Wegnahme des Körpers, das Verhüllen, Verschließen zu sein.
Wir finden es bei fast allen Bestattungsritualen wieder.
Die einen wickeln den Verstorbenen in Binden und legen ihn in einen Sarkophag, anderen genügt nur ein Tuch und bei uns hat sich die Sarglegung etabliert. Mit dem Verschließen des Deckels wird der gesamten Trauergesellschaft gezeigt, daß nun der Zeitpunkt gekommen ist, da dieser Körper den Elementen übergeben wird. „Seht her, in diesem Sarg liegt wirklich der von dem ihr es glaubt, und jetzt machen wir ihn vor aller Augen zu.“

In Deutschland werden Gründe der Hygiene nahezu überbetont. Für den Friedhofszwang und den Leichenhallenzwang, sowie nahezu alle Vorschriften, die es rund um Bestattungen gibt, lassen sich fast ausschließlich hygienische Gründe und die fast schon mittelalterliche Angst vor Leichengiften als Begründung finden.
Vieles davon hat heute noch durchaus seine Berechtigung, ja manches wird auch immer noch nicht genügend berücksichtigt, aber so allerlei ist inzwischen überholt und könnte bedenkenlos abgeschafft werden.

Wann nun die Schließung des Sarges erfolgt, ist regional unterschiedlich. In manchen Gegenden ist es so, daß der Sarg möglichst direkt im Sterbehaus verschlossen werden sollte, damit das Glück und der Schutz des Heimes mit eingeschlossen werden und keine bösen Einflüsse mehr auf den Toten einwirken können.
Alte Leute sind eine gute Quelle für die Beantwortung von Fragen zu solchen Traditionen.

In anderen Gegenden ist es wichtig, daß man noch wenigstens drei Tage lang den Sarg offen lässt, damit die Seele auch wirklich entfliehen kann oder weil man dadurch sicherstellen will, daß kein Scheintod vorliegt.

Da in Deutschland weitestgehend Trauerfeiern am offenen Sarg nicht erlaubt werden, erfolgt die Sargschließung bereits vor der Trauerfeier. Aber im Grunde ist auch hier das Element wiedererkennbar, daß bis fast zum letzten Moment jeder die Möglichkeit hat, zu schauen und von Angesicht zu Angesicht Abschied zu nehmen.

In Russland wartet man mit dem Verschließen des Sarges eben bis unmittelbar vor der Grablegung, das ist nichts Besonderes, sondern nur eine Variante.


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Ich erteile Auskünfte ausschließlich aufgrund meiner Erfahrung und erbringe keine Rechts-, Steuer- und Medizinberatung.

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Juni 2012 | Peter Wilhelm 16. Juni 2012

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Tobias
13 Jahre zuvor

Trauerfeiern am offenen Sarg werden weitestgehend nicht erlaubt? Das war mir nicht bewusst. Auch aus Hygienegründen?

Gast
13 Jahre zuvor

@1
Wo liest du das denn raus?

Gast
13 Jahre zuvor

Sorry, ignorieren bitte.

Anita
13 Jahre zuvor

Ich hab meinem besten Freund die Stirn gekuesst als er schon tot war. Haett ich nicht gemacht, wenn ich hier nicht im Blog gelesen haette, dass das voellig unproblematisch ist und von der Leiche keine schaedlichen Verwesungsprodukte ausgehen.
Mit offenem Sarg faengt die Leiche halt schneller an zu mueffeln, der Sarg haelt ja auch Gerueche drin.

murry
13 Jahre zuvor

Es stimmt schon, man hat manchmal den Eindruck als würden sich Menschen nach ihrem ableben in hochtoxischen Sondermüll verwandeln der schnellstmöglichst aus dem Haus geschafft werden muss bevor er alles kontaminiert.

13 Jahre zuvor

„Da in Deutschland weitestgehend Trauerfeiern am offenen Sarg nicht erlaubt werden, erfolgt die Sargschließung bereits vor der Trauerfeier“

Hm, war bei meinem Schwiegervater nicht so (katholisch, Ruhrgebiet). Fänd ich jetzt interessant, ob es da regionale Besonderheiten gibt. Auf welcher Ebene (Land, Kommune) wird sowas festgelegt? Wäre es denkbar mit Hinweis darauf, dass es woanders erlaubt ist, eine Trauerfeier am offenen Sarg zu fordern?

Mia
13 Jahre zuvor

Kurze Frage, lange, interessante, informative Antwort. Danke!

Ira
13 Jahre zuvor

Bei der Beerdigung meines Großvaters war der offene Sarg glücklicherweise kein Problem.
Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich erlaubt war. Meine Familie hat sich da über einige Vorschriften hinweggesetzt und u.A. das Grab selbst ausgehoben, obwohl ihnen nach langen Verhandlungen nur die ersten Spatenstiche erlaubt worden waren. Aber mein Vater + meine Onkel haben einfach weitergegraben bis sie fertig waren, obwohl der Baggerfahrer mit seinem Bagger danebenstand und auf sie eingeredet hat 😀

Ich fand den offenen Sarg sehr schön, vor der Beisetzung durfte auch jeder der wollte einen Nagel hineinschlagen. Ich fand die Beerdigung sehr schön und vor allem sehr persönlich.
Ein mehr oder weniger anonymer, geschlossener Sarg hätte es mir wesentlich schwieriger gemacht den Tod meines Großvaters zu akzeptieren. Aber durch das gemeinsame schließen des Sarges und das anschließende gemeinsame zuschaufeln des Grabes fiel es mir wirklich deutlich leichter mich zu verabschieden als z.B. bei meinem Onkel, bei dem es nur eine ziemlich unpersönliche Urnentrauerfeier gab.

ein anderer Stefan
13 Jahre zuvor

Ich denke, in dem Verhüllen/Verschließen des Toten ist noch eine „magische“ Handlung zu erkennen, mit der symbolisch betont wird, dass der Tote in einer anderen Welt ist, die den Lebenden verschlossen ist (oder so was in der Art). Ich bin kein Esoteriker, aber wenn man sich Sitten und Gebräuche mal genauer ansieht, dann liegt da oft nur eine dünne Schicht Aufklärung über alter „Magie“. Insbesondere beim Tod ist das umso erklärlicher, da er immer schon zu den großen Mysterien zählte. (Andere Beispiele für „magische“ Handlungen sind Grundsteinlegungen oder Schiffstaufen)

Big Al
13 Jahre zuvor

Schöner Ansatz, anderer Stefan.
Genauso liegt nur eine dünne Tünche Zivilisation über uns „Wilden“.
B. A.

ein anderer Stefan
13 Jahre zuvor

10 Big Al: Ja, das wird jedesmal beim Schlussverkauf wieder deutlich 🙂

Nein, im Ernst: Viele christliche Feiertage sind bewusst auf „heidnische“ Daten gelegt worden, um diese zu überschreiben, sie gewissermaßen christlich zu reinterpretieren – Ostern ist ein augenfälliges Beispiel, oder was haben Hasen und Eier mit dem Christentum zu tun? Da sind eher Reste heidnischer Fruchtbarkeitskulte zu entdecken, würde ich denken, die im Frühjahr auch folgerichtig sind. Und wenn ich mir die alemannische Fastnacht so ansehe, ist das mit christlichen Vorstellungen auch eher nicht zu erklären, sondern eher mit der Austreibung des Winters. Das Geböllere an Sylvester passt auch eher in solche Vorstellungswelten.

Tim
13 Jahre zuvor

Danke für die Beantwortung meiner Frage, Tom! Und Danke für die Komentare! 🙂

Wolfram
13 Jahre zuvor

In Frankreich bleibt der Sarg im allgemeinen bis kurz vor der Bestattung offen. Beim Schließen des Sarges muß ein Polizeibeamter anwesend sein, der an Kopf- und Fußende spezielle Schrauben auch versiegelt; dann werden die anderen Schrauben (nicht Nägel) eingedreht. Alles unter den Augen der Familie.

Was das Siegel bringen soll, wenn der Sarg zwei Stunden später eh dem Feuer übergeben wird, ist mir schleierhaft – immerhin können wenigstens die Krematoristen davon ausgehen, daß ihnen kein anderer untergeschoben wird, der womöglich noch lebt. 😀




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