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Borschtsch

In dieser Geschichte wird niemand sterben. Es hätte jemand sterben können, aber dazu ist es nicht gekommen, weil die Allerliebste mir die Begründung dafür lieferte, warum es gut ist, daß ich mit ihr verheiratet bin, sie hindert mich nämlich im Falle eines Falles durchaus gekonnt am Morden.
Ich hätte sie gemordet, wirklich, – nein, nicht die Allerliebste, sondern Blaschka.
Doch die Allerliebste hinderte mich daran, drohte mir mit Sexentzug für sieben Jahre und gelobte, mir nie wieder Borschtsch1 zu kochen, wenn ich es tun würde und da ich ohne Borschtsch nicht leben kann, ließ ich auch Blaschka am Leben.
Es ist nun nicht so, daß die Allerliebste Blaschka nicht auch den Tod gewünscht hätte, da sie aber weiß, daß ich durch plumpes mit-der-Faust-einmal-auf-den-Kopf-schlagen töte, wäre die Meucheltat wahrscheinlich im vollbesetzten Theatersaal nicht unentdeckt geblieben und wir beide, die Allerliebste und ich, hätten kurzerhand sehr viel Aufmerksamkeit auf uns gezogen, was der Allerliebsten nun so gar nicht gefallen würde.
So kam es, dass die Meuchelwürdige also gestern nicht ums Leben kam und diese Geschichte mithin ohne Leiche auskommen muss.

1 Ich mag keinen Borschtsch, das Vorkommen des Borschtschs in dieser Geschichte ist knallhart erfunden, es hört sich aber gut an, also schickt mir bitte keine rote Kohlsuppe!

Blaschka? Der Leser kennt Blaschka nicht? Ich auch nicht. Blaschka kannte ich zumindest bis gestern Abend nicht. Sehr wohl kannte ich aber Blaschkas Begleiter, diesen etwas cremig-süßen Dr. Greinbrammer, Fachanwalt für Patentsachen, den ich aus einem Verein kenne, in dem ich aus Versehen Ehrenmitglied geworden bin.
Ein farbloser Dauergrinser mit feuchtwarmem wohnt-noch-bei-der-Mama-Händedruck und mit über die fortgeschrittene Glatze geklebtem Rechtslanghaar, also der so genannten Lügnerfrisur.

Man braucht ihn nicht zu kennen und wenn man ihn kennt, macht das keinen Unterschied zum Nichtkennen.
Wann und wie die osteuropäische Blaschka in sein Leben getreten ist, weiß man nicht, jedenfalls geht die Mär, sie mache ihm den Haushalt und pflege seine alte Mutter, was Dr. Greinbrammer dadurch deutlich herausstellt, daß er gestern Abend im Theaterfoyer seine rechte Hand nicht von der linken Pobacke der dreißig Jahre jüngeren Haushalts- und Altenpflegerin wegbekam.

Im Übrigen hatte Dr. Greinbrammer die sonst für ihn so typische Lügnerfrisur gestern Abend unter einem Mottenfiffi aus strähnig-jugendlich gefärbtem Kunsthaar verborgen. „Mein Gott“, sagte die Allerliebste, „wie viele Polyester dafür wohl sterben mußten?“

Nach dem Gong, der den Beginn der Aufführung ankündigte, nahmen Blaschka und Feuchthändchen ausgerechnet in der Reihe vor uns Platz, was überhaupt der Anlass für meine sich alsbald danach entwickelnden Mordgelüste sein sollte.

Vielleicht noch ein Wort zum Stück das gegeben wurde:
Es wurde nämlich keins gegeben, stattdessen gab es, als kleines Bonbon für die Inhaber eines Theaterabonnements einen Abend mit „einem Reigen bunter Melodien aus Musical und Film“. Ganz hervorragende ausländische Sänger und Tänzer zogen alle Register ihres Könnens und präsentierten populäre Film- und Musical-Klassiker und mit, dem Herrn sei es gedankt, recht wenigen Einstreuungen von Andrew Lloyd Webber, war das eine wirklich gelungene und sehr gekonnt vorgetragene Melange der Unterhaltsamkeit.

Na gut, eine Einschränkung gab es da und die hieß Fiffibrammer-Blaschka.
Während ein Sitzzwerg ja, beispielsweise hinter einem Schreibtisch sitzend, aufgrund seines kurzen Oberkörpers, den Eindruck erweckt, er sei ein eher kleiner Mensch und dann den Betrachter beim Aufstehen aufgrund seiner langen Arme und Beine mit dann doch erstaunlicher Körpergröße zu verblüffen vermag, ist der Sitzriese, und zu diesem Typus gehört eindeutig Dr. Blaschkagrabscher, eher dadurch zu typisieren, daß er im Sitzen groß und augeschossen wirkt, während sich dann aufgrund der kurzen Beinchen, beim Aufstehen daran nicht mehr viel ändert. Er bleibt gleich groß, egal ob er nun sitzt oder steht.

Hat man nun eine slawische Madame du Barry (für die weniger Geschichtsbewanderten: Marge Simpson) mit tuftig, puffigem Turmhaupthaar und einen solchen Sitzriesen vor sich, kann der Blick auf das Bühnengeschehen mitunter für die Dahintersitzenden etwas eingeschränkt sein.

Allein dass sie da saßen, das hätte mir und der Allerliebsten nichts ausgemacht, die Sitzreihen sind immer um einen halben Platz verschoben, sodaß man zwischen der Turmfrisur und dem Mottenschädel hätte hindurchschauen können, jedoch zeigten die beiden ihr rein geschäftliches Verhältnis zueinander insbesondere dadurch, daß mal sie ihren Kopf auf seine Schulter legte oder mal er seinen Schädel an ihrer Schulter parkte.
Wenn sie dann noch, Wange an Wange, ihre Sperrköpfe im Takte der Musik zu wiegen begannen, wurden die Allerliebste und ich in eine Art pobackenaufreibenden Wiegemodus versetzt und mussten nun unsererseits auch hin und her wanken.
Das veranlasste einmal sogar die ganze Reihe links und rechts von uns, sich bei uns einzuhaken und mitzuschunkeln….

Nun war die jugendliche Miss Warschau dermaßen von den mitreißenden Melodien angetan, dass es sie immer mal wieder spontan vom Sitz riss, sie mit hochgereckten Armen winkte und sich in der Hüfte wiegte und einige etwas unbeholfene Tanzschritte machte. Ob Dr. Glubbergrabsch auch aufgestanden ist, wissen wir nicht, an seiner Gipfelhöhe ändert sich ja aufgrund seiner Kurzbeinigkeit nichts. So etwas wie getanzt hat er aber, wobei nach Lage der Dinge nicht auszuschließen ist, daß er das im Sitzen getan haben könnte.
Ich war kurz davor, die Kuh und ihren Melker zu meucheln, zu gerne hätte ich doch was vom Bühnengeschehen mitbekommen.

Glücklicherweise hatte Blaschka einen, elegant am gebärfreudigen Becken aufgehängten, breiten Schritt, sodaß ich insbesondere dann, wenn sie stehend tanzte und wenn Dr. Schmierlapps Hände wieder mal auf ihrem Hintern landeten und sich dadurch ihr kurzer Lederrock etwas nach oben verschob, leicht vornübergebeugt zwischen ihren Beinen hindurch sehr ordentlich die Aufführung verfolgen konnte.

Das missfiel der Allerliebsten, sodass ich mir im Takt von „Time Warp“ mehrere Schläge auf den Hinterkopf einfing, was allerdings zunächst einmal dazu führte, daß ich mit dem Gesicht nach vorne geschleudert wurde und meine zierliche Nase flatschend zwischen Dr. Glabbergrubschens Fingern auf Blaschkas Hintern landete.
Das war dann der Anlass für die beiden, sich zu uns umzudrehen und uns wahrzunehmen. „Ach, Sie sind auch hier?“ rief mir Grubbelglubsch erfreut zu, Blaschka winkte uns tanzend zu und in der Folge führte das dazu, daß sie uns, als ja ach so gute Bekannte ihres Pflegeherrn, immer wieder in ihre Tanzvorführungen mit einbeziehen wollte.
Dazu drehte sie sich lasziv mit den Brüsten vor meinen Augen wabbelnd zu uns um und versuchte mich von meinem Platz hoch zu ziehen und in ihren Tanz zu integrieren.
Kurzfristig sah es so aus, als würde sich das Blatt wenden und nunmehr die Allerliebste Mordgelüste gegen Blaschka hegen. Auf jeden Fall zeigte sich die Allerliebste in der Pause beleidigt und behauptete, jegliche Sektaufnahme verweigernd, mit störrisch zum Zenit gerichteten Kinn, ich sei ein schwanzgesteuerter Perversling, der jedem kurzen, polnischen Rock sabbernd seine Aufwartung mache. Sie würde mich teeren, federn, häuten und vierteilen, würde ich nicht meine Nase aus der Ritze der „polnischen Kuh“ lassen.

Es war eine der wenigen glücklichen Fügungen des Schicksals, die ich je erleben durfte, daß die beiden Turteltäubchen nach der Pause ihre Plätze tauschten.
So kam die Tanzversessene vor der Allerliebsten zu sitzen und ich hatte es mit Dr. Mütze zu tun.
Da hatte ich leichtes Spiel. Ihm habe ich einfach seinen Polyesterfellhelm in einer kurzen Phase der Saaldunkelheit mit einem Ruck über die Augen bis zum Kinn gezogen, worauf das Männlein dann weit vorübergebeugt 45 Minuten lang versuchte, seinen Frontschädel aus dem Kunsthaarüberzug zu zerren.
Und die Allerliebste durfte erleben, wie es ist, wenn einem ein polnischer Arsch ständig vor dem Gesicht herumwedelt und wie es ist, wenn die zu dem Arsch gehörende Altenpflegerin sich immer wieder umdreht und einen vom Platz zerren will.

Ich hatte Mützchen versenkt, freie Sicht auf die Bühne und die Allerliebste grollte, schmollend mit verschränkten Armen und feuerte Salven tötender Blicke auf Blaschka ab.

„Du kennst vielleicht Leute! Nur wegen Dir… Den ganzen Abend hast Du mir versaut! Du musst aber auch mit jeder Schlampe anbändeln…“

Den Rest habe ich nicht mehr gehört, ab da setzte mein Ohren-auf-Durchzug-Phänomen ein, das mich immer kurzzeitig mit Taubheit schlägt.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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Christians Ex
12 Jahre zuvor

Nochn keine Kommentare? Die suchen in dem Text wohl verbissen noch nach dem, womit du uns wohl in den April schicken magst?

Big Al
12 Jahre zuvor

Spaßeshalber mal nach der du Barry gegoogelt (Marge mit ihrer Turmfrisur sagt sogar mir was :-)) und bei den Suchergebnissen über die Bezeichnung „Terrorweib“ gestolpert.
Oh-oh…wenn da nicht noch was nachkommt über den lüstern fingernden Mottenfiffidoktor. Wann wird der wohl überraschenderweise bei TOM auf dem Edelstahltisch liegen?
Und was sagen eigentlich die B.-N. und die Gemüsefrau dazu?
B. A.

Erfurter Puffbohne
12 Jahre zuvor

Diese Geschichte ist wieder mal sooo brilliant geschrieben! *Lachtränen weg wisch* … der Sonntag ist gerettet. Danke dafür!

12 Jahre zuvor

Sehr schön geschrieben, ich habe sehr gelacht. Das hat mir den Sonntag wirklich erhellt 😀

12 Jahre zuvor

Ich stimme gotsassaufeinemast uneingeschränkt zu ^_^

12 Jahre zuvor

Und das beste ist diese wundervolle Farbe des Hintergrundes. Genau passend zu meiner Brotdose, die hier auf Arbeit vor meinem Monitor liegt. ^^

Norbert
12 Jahre zuvor

Da heute der 1. April ist, gehe ich mal davon aus, dass folgende Selle ein Aprilscherz ist:

[quote]Ich mag keinen Borschtsch, das Vorkommen des Borschtschs in dieser Geschichte ist knallhart erfunden, es hört sich aber gut an, also schickt mir bitte keine rote Kohlsuppe![/quote]

Da es sich hier ganz klar um einen knallharten Aprilscherz handelt, magst Du Borschtschs. Ich habe dir deshalb eine Fünf-Tages-Portion Borschtschs zugeschickt.
Sie ist vegetarisch.
Und musste dringend weg, das aber nur nebenbei.

Nichts zu danken, gern‘ geschehen.

Ma Rode
12 Jahre zuvor

Bischen schwurbelig geschieben, aber ansonsten feines Kopfkino …

Semmerl
12 Jahre zuvor

Genial geschrieben! Sehr schöne Geschichte. Man meint es mitzu erleben. Danke dafür. Toller Schreibstil.

Britta
12 Jahre zuvor

Weltliteratur!!! 🙂




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