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Das Schwein -X-

orgel

„Ihr müsste die da sofort wegholen, datt is‘ eure Beerdigung, sonst ruf ich die Polizei und dann habt ihr den ganzen Ärger!“ schnauft der dicke Friedhofswärter, den alle nur „die Qualle“ nennen, ins Telefon und man hört seiner Stimme an, daß er wirklich sehr aufgebracht ist.

Herr Röttger hat offenbar alle anderen Ereignisse fertigdemonstriert und steht vor dem Friedhof mit seinem Pappschild „Gott, wo warst Du? Kinderschänder hinter Gitter!“ und unterstützt wird er von einer der Nüsselschweif-Damen mit einem Schild am Besenstiel „Das Schwein muss weg!“.

Also, damit haben wir als Bestatter wirklich nichts mehr zu tun. Ich bin im ersten Moment eigentlich nur froh, dass die woanders stehen und nicht vor unserem Haus und fühle mich eher entspannt. Das ist so eine Sache, die völlig neben uns her passiert und die Trauerfeier ist ja nun auch vorbei, wir werden jetzt die Rechnung schreiben und die Urnenbeisetzung abwarten und dann ist die Sache erledigt.
Wenn dann noch irgendwas herauskommt oder sich irgendetwas ergibt, dann werde ich das mit Interesse in der Zeitung verfolgen, aber wie gesagt, das betrifft uns nicht direkt.

Das sieht die zickige Leiterin der Ortspolizeibehörde anders. Nochmals zur Erklärung: Wir haben hier in Deutschland ganz verschiedene Polizeien. Zu viele, wenn man mich fragt, und wenn man es mal nüchtern sieht, haben wir fast schon amerikanische Zustände.
Die „normale“ Polizei ist Ländersache und darüberhinaus gibt es u.a. noch die Polizei, die z.B. das Rauchen und offenes Feuer in Garagen polizeilich verbietet, nämlich die Ortspolizeibehörde, die für die ordnungsrechtlichen Fragen einer Gemeinde zuständig ist. Uniformierte Beamte hat diese Behörde in den seltensten Fällen, nur größere Kommunen leisten sich kommunale Ordnungsdienste die im weitesten Sinne Ortspolizei sind und eng umrissene Aufgaben (etwa die Überwachung des ruhenden Verkehrs) übernehmen.
Unsere Ortspolizeibehörde hat eine Beamtin direkt im Friedhofsamt platziert und die überwacht z.B. die Ausstellung von Leichenpässen, ordnet amtsweise die Bestattung von Wohnsitzlosen und Unbekannten an und erfüllt auch eine durchaus wichtige Aufgabe.
Nur tut sie das einerseits in einem Ton, der sie für die Lagerleitung eines russischen Frauengefängnisses qualifizieren würde und andererseits mit einem besonderen Augenmerk auf die ihr verhassten Bestatter.

Derzeit heißt die Dame, nach der x-ten Eheschließung und Scheidung, durch die ich nicht mehr durchblicke, wieder mit ihrem Mädchennamen (oder dem Mädchennamen ihrer Mutter?) Zippe.

Und genau diese Frau Zippe sieht das also ganz anders. Sie ist der Auffassung, daß ein Bestatter, der einen Sterbefall bei der Behörde anmeldet und die öffentlichen Einrichtungen für die Durchführung seiner Geschäfte, sprich für die Abwicklung eines Sterbefalls, nutzen möchte, auch dafür verantwortlich ist, daß währenddessen und hinterher alles wieder rein und sauber ist.
Das ist so, als wenn ein Turnverein eine Schulsporthalle für seine Übungsstunden anmietet und der Kittelträger mit dem Schlüsselbund hinterher aber mal so ganz genau nachschaut, ob die auch alles, insbesondere die Toiletten, sauber und ordentlich hinterlassen haben.
Und nach Ansicht von Frau Zippe haben wir eben den Friedhof nicht ordentlich hinterlassen sondern „unsere Krawallmacher“ da gelassen, die wir gefälligst schnellstmöglich zu beseitigen haben. „Sonst machen Sie auf unseren Friedhöfen demnächst keine Beerdigungen mehr!“
Seltsame Frau, seltsame Rechtsauffassung!
Denn was soll ich jetzt tun? Soll ich den selbsternannten Berufsdemonstranten bei den Haaren packen und wegschleifen?
Und um den geht es in erster Linie, denn die halbgreise, stellvertretend betroffene Kirchenmutter aus dem Mütterkreis der Birnbaumer-Nüsselschweif bin ich schnell losgeworden, indem ich ihr, quasi im Vorbeigehen, mein kleines Schweizer Offizierstaschenmesser gezeigt habe; ob sie auch so etwas habe, denn so etwas müsse man ja gerade hier in Friedhofsnähe dabei haben, es gehe ja seit Wochen wieder ein ganz besonders notgeiler Unhold um, der wehrlose Frauen zu ganz absonderlichen Dingen zwinge und wie man so munkele, gehöre zu diesen ganz absonderlichen Dingen sogar Sex.
Als ich auf dem Friedhof fertig bin und wieder dorthin komme, steht Herr Röttger alleine da und beschwert sich, daß ich seine Mitstreiterin vertrieben habe. Die Frau habe nämlich ihr Schild genommen und sich dann verabschiedet.
So sind sie, diese Weiber. Erst andere als Hexen verbrennen wollen und beim kleinsten Rascheln im Laub selbst Angst bekommen…
Ich versuche meine Nummer mit dem klitzekleinen Taschenmesser auch bei ihm, aber mir scheint es, daß ihn die Aussicht, von einem Unhold heimgesucht zu werden, keineswegs schreckt sondern eher ermutigt. Hm, vielleicht wartet der seit Jahren ja nur auf so ein multisexuelles Erlebnis, wer weiß?

Das Haus der Hartmanns ist nach wie vor verwaist, obwohl dort keine Presse mehr lauert. In der hiesigen Tageszeitung kommt der Fall überhaupt nicht mehr vor und in der Boulevard-Presse waren noch zwei kleiner werdende Artikel und jetzt haben andere Themen den Fall Melanie ganz verschwinden lassen.
Diesen Mann haben sie fertiggemacht, diesem Mann haben sie seinen Ruf ruiniert, der Rest interessiert jetzt nicht mehr so dolle, denn da war ja wahrscheinlich gar nichts dran und bevor man sich näher damit beschäftigt und eventuell eingestehen müsste, dass man zu weit gegangen ist, wendet man sich lieber anderen noch viel schlimmeren Geschichten zu, es gibt ja noch genug katholische Priester, denen man was unterstellen kann.

Die Sache mit dem Handy, das Isolde mir gezeigt hatte, hatte ich nicht wirklich ernst genommen. Ich weiß gar nicht, was ich hinterher eigentlich gedacht habe. Irgendwie kam mir die ganze Szene sehr surreal vor. Dieses Handy hätte auch von Isolde selbst sein können, die Kurznachrichten waren ja aus dem Zusammenhang gerissen und man wusste doch gar nicht ob sie echt waren und was sie insgesamt zu bedeuten hatten.

Ich habe mit meiner Frau ein paar Mal darüber gesprochen und auch sie war eher der Meinung, daß Isolde da einem Hirngespinst hinterher renne und sich wichtig machen wolle.

Die ganze Sache nimmt erst wieder eine Wendung, als ich morgens im Radio höre, daß Klaus und Monika Hartmann festgenommen worden und in Untersuchungshaft gekommen sind.

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 30. Mai 2012 | Peter Wilhelm 30. Mai 2012

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17 Kommentare
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Stefan Kuhlmei
12 Jahre zuvor

Festgenommen, Verdächtigt, Angeklagt = Noch nicht Schuldig aber von vielen so behandelt. Da bin ich echt mal gespannt was da noch so alles rauskommt ^^

Kirstin
12 Jahre zuvor

War da nicht einmal so ein ähnlicher Fall im Ausland gewesen? Ich meine da haben die Eltern auch alles abgestritten wehement und nach Außen hin waren sie auch „gute“ Bürger wie alle sagten. Niemand sagte etwas schlimmes von denen. Und dann wurden die Leute einfach festgenommen weil sie einen Pädophilenring betrieben haben im großen Stil.
Aber nun ja, abwarten was bei den Hartmanns ist.

Jan
12 Jahre zuvor

du wartest jetzt aber nicht erst bis Montag mit Part XI?!Oder

Naya
12 Jahre zuvor

Egal, was dort rauskommt – ein normales Leben haben die nachher nichtmehr.

Astrid
12 Jahre zuvor

*trippel*

Mona
12 Jahre zuvor

Hallo,
bisher war ich „nur“ eine stille Mitleserin, aber ich möchte mich nun doch zu Wort melden.
„Das Schwein“ ist ja wirklich spannender als jeder Tatort und auch mich würde interessieren, wie der „Fall“ ausgeht.
Ansonsten ein dickes Lob für den tollen Blog, ich habe schon einiges lernen können – man beschäftigt sich ja nicht jeden Tag mit dem Thema Tod und Bestattung (also wir auf jeden Fall nicht).
Liebe Grüße,
Mona

Pilzkopf
12 Jahre zuvor

Hoi, U-Haft ist schon ein ganz anderes Kaliber als Klatschmohnpresse…
Bin ja echt mal gespannt was da noch so bei rumkommt

whiskey
12 Jahre zuvor

*hibbelig an den fingernägeln rumkau*

teil 11, wo bist duuuuuu

Ich
12 Jahre zuvor

warum sind hier eigentlich alle davon ueberzeugt, dass ers nicht war? klar, klatschpresse ist immer so ne sache, aber wenn die beiden in u-haft kommen, heisst das, dass ein dringender verdacht und fluchtgefahr besteht. und ich glaube nicht, dass sich viele richter von der bild beeinflussen lassen

12 Jahre zuvor

„und ich glaube nicht, dass sich viele richter von der bild beeinflussen lassen“

Ähm ja, ganz sicher nicht 😉

… und auch Staatsanwälte nicht, bestimmt nicht

Wenn das tatsächlich wahr wäre, wäre kaum ein Befangenheitsantrag berechtigt bzw. erfolgreich, die Praxis aber sieht anders aus.

Arno Nühm
12 Jahre zuvor

[quote]aber wenn die beiden in u-haft kommen, heisst das, dass ein dringender verdacht und fluchtgefahr besteht.[/quote]

Auf dem Papier. Es gibt schon mal sehr abenteuerliche Begründungen für so was. Es ist schon Fluchtgefahr aus der Tatsache abgeleitet worden, daß der Täter [sic] uneinsichtig war und die Tat leugnete.

12 Jahre zuvor

Boah, nun habe ich alle Berichte davon nachgeholt, bin so schlau wie zuvor. OBWOHL – dein letzter Satz lässt also doch was vermuten. Nämlich, dass der Titel der Story nicht von ungefähr enstanden ist….

Naya
12 Jahre zuvor

@ Ich (9) Nun wie ich schon in einem Kommentar geschrieben habe, weil zumindest auf dem Papier in Deutschland immernoch „Im Zweifel für den Angeklagten“ gilt. Auch ein dringender Verdacht ist kein Beweis, und wie Arno Nühm schon schreibt, du weiß nicht, was genau der Grund für die U-Haft ist. Selbst ein Urteil in erster Instanz heißt leider nicht, daß jemand wirklich schuldig ist, im aktuellen „Spiegel“ ist gerade wieder ein Fall beschrieben, wo es durchaus sein kann, daß jemand als Mörder verurteilt wurde, obwohl es ein Unfall gewesen sein kann (in der Boulevardpresse war der Fall als der „Badewannenmord“ bekannt) – als das vermutete Motiv Habgier nicht mehr haltbar war, wurde scheinbar gar nicht gefragt, ob derjenige nicht vielleicht doch unschuldig war, sondern einfach ein neues Motiv konstruiert, und auch wenn solche Fälle zum Glück selten vorkommen, es gibt sie. In diesem Fall hier kenne ich einfach zu wenig Details, um jetzt schon zu urteilen, weder bin ich mir sicher, daß der Vater schuldig ist, noch bin ich mir sicher, daß dort gar nichts… Weiterlesen »

Held in Ausbildung
12 Jahre zuvor

Hängt den Cliff Hänger 😀

Ich
12 Jahre zuvor

@Naya: ich hab ja auch nicht gesagt, dass der vater auf jeden fal schuldig ist und der grundsatz in dubio pro reo ist mir durchaus bekannt, nur nervt mich einfach dieses staendige „der arme, der wars bestimmt nicht, blabla, wir sind ja so gute menschen“-getue. weiss halt (noch) keiner was wirklich passiert ist.

12 Jahre zuvor

Solche Wendungen gibt es nur bei Tom! Oder eben doch im wahren Leben?! *ungeduldigauffortsetzungwart*

Sidonia
12 Jahre zuvor

Und da ist er wieder: der berühmte Tom Cliffhanger!

Moah, ich bin so gespannt wie´s weitergeht.




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