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Geschichten

Dem Dietz II

Dem Dietz, ach ja, dem Dietz…
Da hatte ich angefangen zu erzählen und bin dann vor lauter Drumherum nicht dazu gekommen, weiterzumachen. Das hat mir schon so manchen liebevollen Stubser der Leser und vor allem Leserinnen eingebracht. Also gut:

Hier kann man nachlesen, wie das damals mit dem Dietz war; und so ging es weiter:

Dietz ist also gestorben und sein hochbetagter Vater hat bei uns die Beerdigung bestellt. Eine Feuerbestattung kommt für die Familie Böckling nicht in Frage. Das Verbrennen hat so etwas Zerstörerisches und wenn man einen behinderten Sohn so viele Jahrzehnte aufgezogen und betreut hat, kann man sich wohl nicht leicht mit dem Gedanken anfreunden, daß er verbrannt wird und dann weg sein soll. Nein, ein Grab soll er bekommen, in dem er liegen und seine letzte Ruhe finden kann.

Herr Böckling streicht mit seinen alten Händen nicht existierende Falten aus dem vor ihm liegenden Schriftstück. Schlanke Hände, faltig, Altersflecken und etwas zu lange, aber durchaus gepflegte Fingernägel. Er tut das wiederholt und ich merke daran, daß er noch etwas auf dem Herzen hat. So erkundige ich mich, ob es noch irgendetwas zu beachten gebe oder ob er noch besondere Wünsche habe.

Er nickt und seine wasserblauen Augen leuchten feucht: „Sie schneiden dem Dietz doch nicht auf, oder?“
Ich schüttele den Kopf: „Nein, das tun wir ganz bestimmt nicht.“
Herr Böckling schließt kurz die Augen und atmet erleichtert tief durch. Es ist erstaunlich, wie wenig die Menschen von der Tätigkeit eines Bestatters wissen. Ich bin manchmal regelrecht schockiert, wenn ich höre oder lese, was die Menschen alles annehmen, daß ein Bestatter tut oder nicht tut. Da existiert viel Unwissen, Desinformation und unnötige Scheu und Angst. Bestatter sollten dringend etwas daran setzen, ihre Arbeit transparenter zu machen. Nach meiner persönlichen Erfahrung ist die beste Methode immer noch, daß man mit den Leuten redet, ihnen erzählt, was nun mit dem Verstorbenen alles gemacht wird. Die Leute trauen sich oft nicht, zu fragen. Sie denken vielleicht, daß sei eine Art Pietätsgeheimnis und man wolle davon nichts verraten. Andere denken, da könnten Dinge geschehen, die abscheulich oder abstoßend seien und haben Angst davor, zu erfahren, was im Einzelnen gemacht wird.
Als Bestatter kann man natürlich nicht wissen, was von unserer Tätigkeit von uns als völlig normal und von den Angehörigen vielleicht als abstoßend empfunden wird. Aber Fakt ist doch, daß die Leute Ängste haben und das Unbekannte fürchten. Diese Distanz kann man durch Information abbauen. Man muß nur mit ihnen reden.

Langsam und ausführlich erkläre ich Herrn Böckling, was mit seinem Sohn alles gemacht werden wird und ich kann wieder einmal feststellen, daß ein Angehöriger erleichtert und dankbar ist, weil er erfährt was passiert.
Das ist auch mit ein Grund, warum ich dieses Weblog schreibe.

„Es ist da aber noch was…“

„Was denn?“

„Der Bulli.“

„Der Bulli?“

„Der Bulli ist Dietz‘ Teddybär.“

Ich weiß was kommt und sage nur: „Her damit!“

Herr Böckling strahlt und Dankbarkeit liegt in seinem Blick. Na, das ist doch wirklich eine Kleinigkeit, dem Dietz sein geliebtes Kuscheltier mit in den Sarg zu legen. Aber da sieht man es doch wieder, selbst solche Kleinigkeiten halten die Leute für problematisch und trauen sich vielleicht gar nicht den Bestatter darauf anzusprechen.
Es bleibt noch viel zu tun, bis das Tabu gebrochen und über das Thema Trauer und Tod überall so unbefangen gesprochen wird, wie ich es hier tue und wie es die Leser in ihren Kommentaren hier tun.

Der Tod gehört zum Leben. Unausweichlich. Früher oder später wird man davon betroffen sein. Sei es durch den Tod eines nahestehenden Menschen oder ganz sicher eines Tages selbst. Wir wissen nicht, was da im Jenseitigen mit uns geschieht, ob es so etwas wie das Jenseitige überhaupt gibt, ob wirklich dieser Funken Energie, den wir Seele nennen, irgendwohin geht oder einfach nur verpufft. Das wissen wir nicht und vielleicht werden wir es hier im Diesseits nie erfahren.
Aber das was mit unserem Körper geschieht, wie der behandelt werden wird, das kann man erfahren und darum muß man kein undurchdringliches Dunkel aufbauen.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 7. Januar 2015 | Peter Wilhelm 7. Januar 2015

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Bernd das Brot
14 Jahre zuvor

Mein erster Gedanke dazu: „Hätte sich der alte Tom doch lieber mal angehört, was mit dem Teddy wirklich geschehen soll…“
Nicht das sich der Vater hinterher beklagt, weil er den als Erinnerung eigentlich behalten wollte und lediglich fragen wollte, ob der bei der Trauerfeier auf dem Sarg stehen darf oder sowas.

Wobei ich mir schon denken kann, dass man durch Erfahrung instinktiv weiß, was die Menschen fragen wollen – nur ist man da wirklich vor solchen „Unwägbarkeiten“ und Missverständnissen gefeit?

Du schreibst ja selber immer wieder, dass das, was die Angehörigen sagen, oft anders aufgefasst wird oder untergeht, weil man gerade in Gedanken ist.

Thomas R.
14 Jahre zuvor

Die Verstorbenen neigen ja dazu, nicht urplötzlich und unerwartet samt Sarg in der Erde zu verschwinden, die sich dann, kaum dass man sich versieht, wieder über ihnen verschließt, also ließe sich ein solches Missverständnis sicher noch korrigieren.

14 Jahre zuvor

Wie einfach es doch sein kann, einem Hinterbliebenen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern, bzw. echte Erleichterung zu verschaffen.
Erfahrung kann halt doch viel bewirken.

McDuck
14 Jahre zuvor

Na, nicht dass das ein 2 m großer Kirmesbär ist 😉

Salat
14 Jahre zuvor

Time to heul… again.

Salat

Jörg
14 Jahre zuvor

@McDuck: Sowas in der Art hab ich mir grade auch überlegt 🙂

14 Jahre zuvor

Mir geht nicht aus dem Kopf, was dem Vater alles an den Kopf geworfen wurde.
Ich hab als Jugendliche mal in einr Werkstätte ausgeholfen. Und meine Erfahrung war: Die Kinder mit Down-Syndrom hatten alle keine innere Distanz *g*
Dafür waren sie kuschlig, lieb, absolut direkt und vollkommen ungefiltert in ihrem Ausdruck.

Wen sie mochten, mochten sie. Wen sie nicht mochten, mochten sie nicht. Und der hats dann auch gemerkt. Hat man sie verarscht haben sie nicht gelacht, sondern sind sauer geworden.

Ich frag mich in der Rückschau manchmal, WER jetzt normal ist. Wir, mit unserer zivilisatorischen Tünche. Oder die Trisomie-Kinder.

Anonym
14 Jahre zuvor

Ich habe selber einen jetzt fast 12-jährigen „Downie“ im Bekanntenkreis.
Diese Menschen sind echt die liebsten, die ich bisher kennengelernt habe.

Klar, gerade mit einem oft einhergehenden ADHS können diese Menschen (wie alle Hyperaktiven (mich mit eingeschlossen! :D)) durchaus oft anstrengend sein.
Aber gerade die von dir beschriebene Wahrhaftigkeit und Unverstelltheit macht sie für mich zu Menschen, die meist mehr Respekt verdienen, als viele andere – auch, wenn es vielleicht nicht „Absicht“ sondern behinderungsbedingt ist, dass sie sich (der Ansicht diverser Spießer nach) nicht in unsere gesellschaftlichen Normen fügen können und oft durch Direktheit unhöflich erscheinen.

Bernd das Brot
14 Jahre zuvor

Kommentar #8 ist von mir, hatte vergessen, meine Daten einzutragen, bevor ich abgesendet habe…

14 Jahre zuvor

Mein Neffe Paul ist jetzt drei. Als er geboren wurde und mein Bruder am Telefon durchgab, dass er Down-Syndrom hat, waren wir zuerst mal alle pappfertig und einige haben geheult. Das war abends um halb acht. Am nächsten Morgen war alles klar, da hatten wir das verdaut und haben uns drangemacht, dem Kleenen die beste Familie zu geben, die er sich wünschen kann.

Und da es ja immer so war mit Paul, ist es selbstverständlich für uns und wir lieben ihn über alles. Er ist jetzt gerade in den Kindergarten gekommen, ist dort das einzige behinderte Kind und liebt es, dort zu sein. Und er ist überall dabei, wo seine Eltern sind.

Diese Bemerkungen allerdings, und die Blicke – die kriegen mein Bruder und seine Frau oft genug ab.

Erdmöbeltischler
14 Jahre zuvor

Ein großes Dankeschön an Tom für ‚Dem Dietz I + II‘.

Wegen solcher Artikel liebe ich das Bestatterweblog – die anderen Artikel finde ich interessant, schön oder lustig – aber hier gibt es ein (natürlich nur klitzekleines ;-)) Wässerchen in den Augenwinkeln.

ich
14 Jahre zuvor

TOM Danke as du diesen blog schreibst.
Grad weil viele nicht wissen was ein Bestatter macht und was alles zu seinen Aufgaben gehört.
Oder auch die Möglichkeit zB einen Teddy mit in den Sarg zu legen.

14 Jahre zuvor

Der Zwang, Bemerkungen über Menschen mit vom Durchschnitt abweichenden Verhaltenmustern oder körperlichen Möglicheiten machen zu müssen, ist meiner Auffassung nach eine Form geistiger Einschränkung.

Ob Trisomie-Kinder normal sind?
Sicher ebenso normal wie jeder andere Mensch, nur eben nicht Durchschnitt.
Sind wir nicht alle ein bischen flora?

der Glöckner
14 Jahre zuvor

Und überhaupt: ich habe das Gefühl, dass Leute mit Down-Syndrom oft wesentlich glücklicher sind in ihrem Leben als wir „Normalen“…

Herr T.
14 Jahre zuvor

Mir fällt dazu (außer einem Dank an Tom) nur ein Satz ein:
Es ist normal, anders zu sein.




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