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Der Anzug

Wie oft schrieb ich schon über die Männer, die mit dem Tod ihrer Frau überhaupt nicht zurecht kommen?
Herr Buresch ist so ein Mann. Er kam am Donnerstag vor 14 Tagen zu uns, hatte schon das Stammbuch und die Rentenpapiere seiner Frau dabei, obwohl diese noch gar nicht gestorben war.

Sie so krank da liegen zu sehen, sie so leiden zu sehen, das weckte in ihm nicht gerade den Wunsch, daß sie bald sterben möge, aber doch das Bestreben, irgendetwas tun zu müssen, einfach nicht nur tatenlos herumzusitzen und auf das Unausweichliche warten zu müssen.

„Ich will mal alles vorbesprechen, damit wir dann nicht so eine Lauferei haben, wenn es soweit ist.“

Ich beriet ihn, erklärte ihm die verschiedenen Bestattungs- und Grabformen und versuchte, ihn etwas zu beruhigen, ihm Trost zuzusprechen und entließ ihn in dem Gefühl, ihn doch ein Stück wieder aufgebaut zu haben.

Als Herr Buresch bei mir war, steckte er in einem dunkelbraunen Anzug, trug ein gebügeltes Hemd und geputzte Schuhe.
Ein paar Tage später kam er erneut zu mir, hatte sich für dieses und jenes entschieden und wollte mir das unbedingt mitteilen. In Wirklichkeit, so wußte ich, suchte er die Nähe von Menschen, die ihn verstehen, sich mit der gleichen Thematik beschäftigen und vor allem: die ihm zuhören.
Und ich glaube, das ist das Wichtigste überhaupt! Manchmal lese ich in den Kommentaren, daß meine Leser finden, ich bzw. wir würden uns in besonderer Weise um die uns Anvertrauten kümmern. Wir sehen da gar nicht so etwas Besonderes, wir hören in erster Linie einfach nur zu.

Zurück zu Herrn Buresch:
Bei seinem zweiten Besuch fiel mir auf, daß sein Hemd ungebügelt und an den Manschetten verfleckt war. Der leichte Popelinemantel machte den Eindruck, als habe er darin geschlafen und zwar am hintersten Ende des Güterbahnhofs im Freien.

Wir hatten solche Fälle ja schon, ich schrieb hier im Weblog darüber. Aber in diesen Fällen war es immer so, daß da einem Mann, der sich mit solchen Sachen nicht auskannte, die putzende, waschende und bügelnde Hausfrau weggestorben war.
Hier war das ja anders. Frau Buresch lag bestimmt schon ein Dreivierteljahr todsterbenskrank danieder und hat sich kaum um die Pflege der Garderobe ihres Gatten kümmern können.
Das muß Herr Buresch selbst gemacht haben und hat das jetzt, angesichts der Tatsache, daß der Tod seiner Frau unmittelbar bevorstand, einfach eingestellt. Er hat es „schleifen lassen“, wie man so sagt.

Stoppeln am Kinn, die Haare etwas wirr und ungekämmt, ein Fleckchen Zahnpasta am Mundwinkel, so wäre er bestimmt noch vor wenigen Wochen nicht aus dem Haus gegangen. Jetzt ist aber die Beschäftigung mit dem Sterben seiner Emma das Wichtigste für ihn geworden, hinter dem alles andere Unwichtige hintanstehen muß.

Frau Buresch ist am Dienstag Abend friedlich eingeschlafen, Herr Buresch hat sie noch bis Mittwochmorgen bei sich zu Hause behalten und zusammen mit einer Frau vom Pflegedienst hat er sie gewaschen und ihr ein hellgraues Kleid angezogen.
Er selbst präsentierte sich uns in der gleichen Kleidung wie Tage zuvor.

Am Freitag war die Beerdigung. Verwandte haben die Bureschs nicht, nur ein paar Nachbarn würden kommen und so fragte Herr Buresch uns, wie man das denn so macht bei einer Beerdigung. Ich bot ihm an, eine halbe Stunde vor der Zeit zu uns zu kommen und ihn durch die traurige Prozedur zu begleiten.

„Das würden Sie wirklich machen?“ fragte er erstaunt und ich nickte. „Klar, ich würde sowieso mit zum Friedhof gehen, warum also sollen wir nicht einfach zusammen gehen?“
Er streichelt mir dankbar über die Hand und verdrückt ein paar Tränen.

Am Freitag kommt er dann schon kurz vor Acht, die Beerdigung ist erst um Neun…
„Damit man noch was besprechen kann, falls was vergessen wurde…“

Ich bringe ihm Kaffee, nötige ihn, ein paar Kekse zu stippen, etwas Nahrung macht das Blut dicker und beruhigt, wie man so sagt. Wieder streichelt er mir über die Hand und diese Geste der Vertraulichkeit nutze ich, um ihn auf sein Äußeres anzusprechen. Der Bartwuchs stoppelt sich inzwischen dergestalt über sein Kinn, daß Herr Buresch ziemlich verwegen aussieht und immer noch steckt er in denselben Klamotten wie Tage zuvor, nur eine verknitterte, sehr blaue Hose hat er irgendwo ausgegraben, die so gar nicht zum braunen Rest seiner Kleidung passen will.

Verwundert streicht er sich übers Kinn: „Sie haben Recht, aber irgendwie steht mir gerade nicht der Sinn danach…“
Einwegrasierer haben wir genug, also ist es kein Problem, daß Herr Buresch sich noch etwas frisch machen kann und Frau Büser schafft es sogar, einem Aushilfsfahrer seine Dienstklamotten leihweise abzuschwatzen. Normalerweise tragen unsere Herren einheitliche sehr dunkelgrüne Anzüge, davon hat jeder zwei bekommen, erlaubt ist aber auch der klassische schwarze Anzug. Und genau so einen schwarzen Anzug hat der Fahrer unten hängen, rückt ihn gerne heraus und nachdem wir den Hosenbund mit dem Gürtel etwas gerafft haben, passt er Herrn Buresch sogar.

Gestern kam Herr Buresch, brachte uns den Anzug wieder und bedankte sich: „Ich habe einfach nicht mehr darauf geachtet wie ich herumlaufe, mir ist das gar nicht aufgefallen. Meine Güte, wie hätte das denn ausgesehen.“

Ich bin davon überzeugt, daß er sich wieder fangen wird, der schafft das. Bei ihm war es nur eine vorübergehende Phase.
Wollen wir hoffen, daß es so ist.


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Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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15 Jahre zuvor

Schön. Erinnert mich ein bisschen an „About Schmidt“.

Yeti
15 Jahre zuvor

Ihr habt Einwegrasierer? Ist vielleicht ne blöde Frage, aber mal angenommen man wird als Frau in einem, sagen wir mal knielangem, Kleid beerdigt und hat sich krankheitsbedingt vor dem Tod nicht noch mal die Beine rasieren können, bringt ihr das dann auch in (haarlose) Form?

jemand
15 Jahre zuvor

@Yeti
Warum nicht?
Aber die Beine sieht man meistens doch sowieso nicht…

15 Jahre zuvor

@Yeti
Die Einwegrasierer sind wohl in erster Linie für die Gesichtsbehaarung männlicher Verstorbener gedacht. Verstorbene ältere Frauen wird man wohl meist im knöchellangen Kleid begraben, aber ansonsten, wie schon Jemand sagte, warum nicht?

Der Schnüffler
15 Jahre zuvor

Wirklich sehr anständig, Tom!

AnimaSola
15 Jahre zuvor

Dunkelgrüne Anzüge?
Das ist mal ne geile Idee, bei uns ist anthrazit die Farbe der Liebe :/

MacKaber
15 Jahre zuvor

Schön, Ihr habt jemandem geholfen sein Gesicht zu wahren.




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