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Der Blonde mit dem irren Blick -25-

Hammer! Ein Faustschlag mit der Wucht von Thors Hammer! Er sauste direkt auf die Allerliebste nieder, die sektbedampft tief und fest schlief, der aber die im Sekt befindlichen Bläschen, die ja auch sonst, wie Sekt überhaupt, zu nichts nutze sind, quasi einen inneren Thorhammerschlagsensor verursacht hatten, was dazu führte, dass meine Frau just als das Zischen, meiner durch die Luft sausenden Faust entstand, im Bruchteil einer Quäkosekunde vom Kissen hochsauste und mich angaffte, wie eine neugeborene Antilope, wenn sie das erste Mal ein Erdferkel sieht.

Mit anderen, kürzeren, aber längst nicht so schönen Worten: Die Frau schnellte hoch, mein Faustschlag donnerte ins leere Kissen.

Nun empfinde ich kein besonderes Vergnügen daran, Kopfkissen zu verprügeln und deshalb entschied ich mich, doch noch eine Runde zu schlafen, nicht jedoch ohne zuvor das grüne Ungetier mittels einer Zeitung aus dem Fenster geschubst zu haben.

Der nächste Morgen ereilte uns schneller als gedacht. Die Allerliebste lachte mich mich die ganze Zeit aus, sie fand Thors Hammer, den Angriff der grünen Bestie und meinen Schrecken einfach nur köstlich amüsant.
So gut gelaunt begaben wir uns zum Frühstück in die Schwarze Mühle.

Dort warteten auch schon einige der Gäste, die ebenfalls in der Stadt oder in der Schwarzen Mühle übernachtet hatten. Der Schweizer Schildkrötenforscher hatte wohl gerade eine besonders witzige Anekdote zum Besten gegeben, jedenfalls war die Stimmung am reichlich gedeckten Frühstückstisch gut. Andy Frosch, der am Vorabend ja die Betreuung des Wirtes übernommen hatte, klopfte mir jovial auf die Schulter und meinte leise: „Ich glaub‘ des gibt noch Ärscher hier“ (Ärscher im Sinne von Ärger).
Auch Simone traf mit ihrem Opel ein, sie war extra nochmal gekommen und auch der nette Horst war noch einmal gekommen.
Und Horst war ein etwas rundlicher Mann mit gutem Appetit, das hatten wir am Vorabend schon bemerkt. Von Heiner und Lizzy keine Spur.

So begannen wir das Mahl ohne die beiden und weil der Brötchenkorb vor uns gleich leer war, fragte ich ans andere Ende vom Tisch, ob ich vielleicht von dort ein Brötchen bekommen könnte.
„Hier ist nur noch eine Scheibe Brot, Brötchen hatten wir gar keine“, hieß es von dort.
Und wenn ich mich so recht umsah, war auch das Angebot an Wurst und Käse eher in solchen Dimensionen vorhanden, wie man sie magenkranken Patienten im Krankenhaus und Lufthansa-Passagieren zu verabreichen pflegt.
Als eine der Kellnerinnen kam, um noch einmal Kaffee nachzuschenken, erkundigte sich Horst: „Wie sieht’s denn mit Rührei aus, kann man da was bekommen?“
„Für mich auch bitte!“ rief der Schildkrötenforscher und auch die übrigen Leute nickten.

Die Kellnerin schaute bloß hilflos, muß aber unseren Wunsch in die Küche getragen haben, denn dort zerbarst wenig später unter unverständlichem Geschrei ein Teller an der Wand.

Au, au, aua, da hatte sich aber jemand in Rage gebracht oder bringen lassen.

„Hallo, hallo!“ tönte es von der Eingangstür und siehe da, auch Heiner und Lizzy waren gekommen. Und wie nicht anders zu erwarten, strahlten sie wie Tschernobyl und waren gut gelaunt, wie ein Trupp Rentner auf dem Hinweg zu einer Kaffeefahrt.

Ich wollte nur eben meinen Mund leer essen und ihn dann mit etwas Kaffee frei spülen, bevor ich die beiden begrüßte, da waren sie aber auch schon wieder weg. Johnny war aus der Küche gekommen, hatte sich den beiden in den Weg gestellt, es hatte einen ebenso saftigen wie kurzen und unverständlichen Wortwechsel gegeben und damit waren Heiner und Lizzy auch schon wieder draußen.

Ich lief ihnen hinterher und draußen traf ich auf zwei völlig aufgelöste und erboste Künstler, wie Rentner auf der Heimreise von einer Kaffeefahrt.

„Das lasse ich mir nicht gefallen!“ zischte Lizzy mich an.

„Der hat uns rausgeschmissen!“ schimpfte Heiner.

„Klar, hat er das“, sagte ich: „Ihr seid ja auch gestern nicht aufgetreten! Ihr habt ein paar hundert Euro kassiert und habt nichts gemacht, außer einen Film von DVD abzuspielen. Ist doch klar, daß der sauer ist. Nur ist es so, daß wir alle das zu spüren bekommen. Wir haben auch nur ein minimales Frühstück bekommen“, sagte ich und mein Blick fiel auf eine Tafel, die vor der Schwarzen Mühle stand: „Gute, reichhaltige Küche“. Reichhaltig!

„Jetzt ist hier Schluß mit den Faxen“, rief Heiner: „Der kann froh sein, daß ich nicht da rein gehe und dem die Fresse poliere!“

„Bloß nicht“, wehrte ich ab: „Mir ist das alles sowieso schon peinlich, ich will keinen Ärger. Laßt es gut sein, geht ins Hotel zurück, eßt dort was zum Frühstück und wir treffen uns dort später. Horst und ein paar andere wollen noch die Brunzburg des Grafen von Miegenstrumpf besichtigen, da soll es sehr schön sein. Kommt doch auch mit dahin, vielleicht beruhigen wir uns alle ein bißchen.“

Heiner schüttelte noch ein paar Mal die Faust in Richtung der Schwarzen Mühle und stieß Flüche und Verwünschungen aus, dann aber gingen die beiden zurück ins Hotel.

Mittlerweile waren noch einige der Gäste herausgekommen und verstanden gar nicht worum es ging.
Im Lokal hatte sich herumgesprochen, daß der Wirt Lizzy und Heiner rausgeworfen hatte.
Und erst an den Reaktionen, die ich drinnen am Tisch beim restlichen Kaffeetrinken mitbekam, konnte ich ablesen, daß es -ja nach der Sitzposition am Vorabend, also je nachdem wer näher bei der Lizzy-Heiner-Fraktion gesessen hatte oder wer näher bei Andy Frosch und Johnny gesessen hatte- völlig unterschiedliche Sichtweisen gab.

Die einen schimpften auf den Wirt, der die beiden Künstler den weiten Weg hatte machen lassen und ihnen dann durch sein unfreundliches Verhalten die Laune auf einen guten Auftritt versaut hatte. Außerdem sei der geizig, man sei ja hungrig geblieben und überhaupt.

Die anderen tippten sich schon bei der Nennung von Heiners und Lizzys Namen an die Stirn und meinten, die beiden seien doch absolut durchgeknallt, hätten den armen Wirt viel Geld bezahlen und dann hängen lassen.

Da fiel mir erst wieder ein, daß die beiden ja tatsächlich 1.200 Euro genommen hatten. Das war irgendwie im Trubel des letzten Abends ganz untergegangen. Mist!

Doch ich kam gar nicht mehr dazu, weiter darüber nachzudenken, denn mein Handy klingelte. Lizzy schrie völlig überdreht und hysterisch aus dem Hörer: „Sofort… Polizei… umbringen… kann den Heiner nur mit Mühe davon abhalten! Du musst kommen!“

„Was ist denn los?“ wollte der Schildkrötenforscher wissen und ich sagte nur kopfschüttelnd: „Irgendwas mit: Der Heiner will die Polizei umbringen oder so“.

Ich fuhr die paar Meter zum Hotel sogar mit dem Auto. Vor dem Hotel tigerte Heiner zwischen dem Gepäck auf dem Gehweg auf und ab, saugte nervös an einer Zigarette und glotzte mich mit hochrotem Kopf und dem berüchtigten irren Blick an.
Lizzy stand völlig unter Strom. Mit spitzer Stimme schrie sie mir zu: „So, der Arsch hat hier angerufen und dem Hotelier gesagt, daß der unsere Hotelrechnung nicht bezahlt. Ich habe so viel Geld nicht dabei. Wir haben ja schließlich auch Spritkosten an der Backe und so und jetzt sollen wir auch noch unser Zimmer und den Verzehr hier selbst bezahlen, das sehe ich ja gar nicht ein. Ich gehe jetzt zur Polizei. Das wollen wir ja mal sehen, das lasse ich jetzt durch die Polizei klären und dann kriegt der ne Anzeige und eine Klage an den Hals, dass es sich gewaschen hat!“

Ich schloß die Augen, atmete ein paar Mal tief durch und ließ die zwei einfach stehen. Dem Hotelier schob ich einfach meine Kreditkarte rüber und sagte: „Machen Sie mir bitte die Rechnung, auch für die zwei Typen da draußen.“

Ritsch-Ratsch, ruckzuck war die Rechnung bezahlt.

„Ich schwör, das kriegst Du wieder, das Geld!“ rief Lizzy: „Nein, das will ich einfach nicht annehmen. Du bist ja so gut!“

Sie heulte vor Freude, daß ich so ein guter Mensch war, und Heiner hatte vor Zorn auf Johnny Keller Wasser in den wirr flackernden Augen.

Und nu‘?“ fragte er.

„Nun hole ich eben unsere Sachen aus dem Zimmer, dann hole ich meine Frau in der Schwarzen Mühle ab, und dann fahren wir zur Brunzburg des Grafen von Miegenstrumpf um uns dort die hostorische Nachttopfsammlung und das Folterverließ anzuschauen. Ihr könnt ja auch da hin kommen.“

In kurzen Worten erklärte ich den beiden den Weg zu Burg.

„Das überlegen wir uns noch!“ rief Lizzy: „Ich geh zur Polizei!“

„Nein, das tust Du nicht!“ sagte ich bestimmt, „Ich habe schon genug Ärger und ich will nicht auch noch die Polizei und so dabei haben!“

„Wir sehen uns!“ rief ich den beiden zu und stieg wieder in den Wagen. „Das mach‘ ich Dir wieder gut!“ rief Lizzy noch und beide winkten mir hinterher.

Ich mußte mit Johnny sprechen, da führte kein Weg dran vorbei. Die Situation mußte geklärt werden.
Doch im Eingangsbereich des Lokals traf ich nur auf Johnnys Frau, die mir erklärte, daß es besser sei, jetzt nicht mit ihrem Mann zu sprechen, der stehe kurz vor einem Herzklabaster und könne die Aufregung gar nicht vertragen.
Johnny selbst lehnte hinter der Theke an der Durchreiche zur Küche und machte wirklich einen desolaten Zustand. Als ich meine Zeche bezahlte, sprach er mich an. Das alles sei nicht so gelaufen, wie er sich das vorgestellt habe und noch nie habe jemand sein Lokal hungrig verlassen.

Wir einigten uns darauf, uns zu gegebener Zeit mal in Ruhe über alles zu unterhalten.
Die anderen Gäste, die ja das vorangegangene Theater mitbekommen hatten, waren gierig auf Neuigkeiten und wollten wissen, was denn mit Heiner, Lizzy, dem Hotel und der Polizei gewesen sei.
Sie alle hatten sich mit mir solidarisch erklärt und bezahlten und verließen die Schwarze Mühle; nur wußte ich nicht mit was genau sie sich da solidarisierten und was da alles gesprochen worden war, als ich weg war.

Vor der Schwarzen Mühle hielten wir Kriegsrat. Den meisten langte es, ein Teil der Leute wollte zu McDonalds, einige wollten mit mir zur Brunzburg fahren.

Also gut, wir machten uns mit den Autos auf den Weg.

Wie heißt es so schön: Die Oper ist immer erst vorbei, wenn die dicke Dame ihr Lied gesungen hat!


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 12 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 6. März 2014

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comicfreak
10 Jahre zuvor

*steeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeerrb*

Reply to  comicfreak
10 Jahre zuvor

Und das auf dem Bestatterweblog! 😀

simop
Reply to  comicfreak
10 Jahre zuvor

Lieber nicht, wer weiß mit welchem Auto du abgeholt wirst… 😀

Wolf Dieter
10 Jahre zuvor

Mist, wenn da heute nicht noch die Auflösung kommt, bin ich verratzt, ich hab‘ das ganze Wochenende kein Internet 🙁

StillerLeser
10 Jahre zuvor

Ich finds schön, dass man sich bei der (erfundenen) Geschichte doch noch mit Jonny einigen konnte. Gibt ja Gerüchte, dass er aktiv mitliest und kommentiert. Wenn auch unter anderem Namen und soweit das einer erfundenen Person möglich ist. 😀

simop
Reply to  StillerLeser
10 Jahre zuvor

Wer weiß, vielleicht gibt es ja mehr erfundene Personen, die sich meinen wiederzuerkennen…

Christina
10 Jahre zuvor

… ich hab immer noch nicht verstanden, warum der Wirt seinen (verständlichen) Ärger und Frust über die „Künstler“ an seinen zahlenden Gästen ausgelassen hat … ???

Reply to  Christina
10 Jahre zuvor

Das verstehe ich allerdings auch nicht. Glücklicherweise sind das hier alles erfundene Personen. Gäbe es diese Menschen „in Echt“, das wäre ja nicht auszuhalten.

Roichi
Reply to  Christina
10 Jahre zuvor

Ganz einfach. Er kennt nur Teile der Story.
Als Leser wissen wir natürlich viel mehr davon. Wie bei Columbo.

Reply to  Christina
10 Jahre zuvor

Er ist auch nur ein Mensch. Wie wir alle.
Wüsste ich nicht, dass das alles nur erfunden ist, es käme mir wie gestern vor.

10 Jahre zuvor

Cool, eine Burg mit Folterkeller. Da kommen mir böse Ideen – gut, das ein Bestatter anwesend ist!

Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

also wenn ich mir mal was zusammenreimen darf: Ich glaub im letzten Teil (Auftritt jetzt bei Gastwirt) geht es langsam wieder in die Realität. Glaub das war vor einigen Jahren das erste Treffen! Schade, dass ich nicht dabei war

Christina
Reply to  Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

Beim ersten Treffen war ich dabei – da war kein Theater, alles gut.

Beim zweiten Treffen haben mir allerdings dann die Bandscheiben einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht, und mich immer darüber geärgert, dass ich da nicht dabei sein konnte … 🙁

simop
Reply to  Christina
10 Jahre zuvor

Ja, das erste Treffen war toll… 🙂
Und mir kommt es auch so vor, als hätte Peter so die eine oder andere Idee von diesem – echt toll harmonischen! – Treffen eingebaut… 🙂

melancholia
Reply to  Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

Zwar ist das alles – wie wir wissen – nur frei erfunden, aber es gibt im Archiv (September 2011) Einträge über das zweite Treffen, die ganz entfernte Ähnlichkeiten mit dieser Geschichte aufweisen…

Yukari
10 Jahre zuvor

Lizzy hat nicht genug Geld dabei, um zwei Übernachtungen mit Verzehr zu bezahlen?
Wer hat denn am Vorabend 1200 Euronen kassiert?

Ich hoffe nur, das saubere Pärchen kriegt am Ende eine Quittung für sein Verhalten…




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