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Der Blonde mit dem irren Blick -9-

Ja wirklich, was Lizzy Hiller und Heiner Falk da aufführten, war wirklich toll!
Nach einigen Wochen hatte ich mich nämlich wirklich breitschlagen lassen und war mit zu einer ihrer Aufführungen gegangen.
Diese fanden in Gemeindehäusern, Altenheimen, Gaststätten und Sälen von Kulturvereinen statt.

Das Programm war immer ähnlich und so wie Herr Falk das beschrieben hatte. Er trägt die vorgeblich tote Lizzy auf seinen Händen herein, Licht aus, Lizzy steht auf einmal wieder quicklebendig auf der Bühne und los geht das Spektakel aus Musik, Gesang und Lesung.
Die musikalische Umrahmung kam größtenteils vom Band, aber es waren immer auch Musiker auf der Bühne. Mal eine Dreimann-Jazzcombo, mal ein Kirchenchor und wieder ein anderes Mal der hauseigene Flötenverein.

Ich war erstaunt, wie gut die beiden zusammen singen konnten und wie unterhaltsam das Ganze dargebracht wurde. Vorzugsweise spielten die beiden das Stück von Frau Ruckdäschl und den Grabkerzen und drei Stücke mit ernsterem Hintergrund aus dem Bestatterweblog.
Zu dieser Zeit 1 erschien das Blog aber noch anonym, ohne daß jemand wußte, wie ich wirklich hieß. Auf dem bereits erschienenen Buch stand als Autor einfach Tom und ebenso, nämlich Undertaker Tom, nannte ich mich im Blog.

So bedauerten die beiden Künstler nach ihrem Auftritt es auch ganz besonders, daß sie mich an diesem Abend nicht als den Autor der Texte auf die Bühne bitten oder sonstwie würdigen hatten können.

Die beiden waren ja so aufgedreht nach dem Auftritt, man kann es sich kaum vorstellen. Und irgendwie sprang dieser Funke auf mich über.
Man mag es der geschmeichelten Eitelkeit zuordnen, jedenfalls waren von diesem Zeitpunkt an alle meine Bedenken gegen die kleine quirlige Frau mit der Frisur, die immer aussah, als habe da eben ein Vogel drin genistet, und der großen Blonden mit den seitlich und hintenrum ganz kurz gestutzten Haaren, völlig verflogen.

Die Allerliebste sah das mit Genugtuung. Das etwas überkandidelte Gehabe sei vielleicht nur der Ausdruck ihrer künstlerischen Seelen.

Ich zählte ja bereits auf, wo Lizzy und Heiner für gewöhnlich auftraten. Ich muß aber noch erklären bzw. hinzufügen, daß es nicht so war, daß jede Woche ein Auftritt war, sondern diese insgesamt vielleicht sieben Auftritte zogen sich fast über ein ganzes Jahr hin.

Die ersten Verwirrungen um Herrn Falk und die ersten Besuche seiner Lizzy waren also längst vergessen und die Sache mit dem irren Blick hatte ich auch längst verdrängt und dachte nicht mehr daran.

Im alltäglichen Leben zeigte Falk gute Leistungen und Lizzy ließ uns weitestgehend in Ruhe. Es gab auch keine nächtlichen Vorkommnisse mehr.

Doch dann kam der Tag, als es mich nach sauren Nieren gelüstete. Ein Gericht, das nicht jedermanns Sache ist, das mir aber sehr gut schmeckt. Nur können die meisten keine guten Nieren braten und deshalb esse ich diese leckere Speise nur sehr selten, was mein Arzt sehr begrüßt, denn solcherlei Innereien stehen auf meiner ärztlichen roten Liste.
Nun hatte aber der dicke Gastwirt Schulz vom Dorfkrug ein Schild nach draußen gestellt, auf dem er ungelenk mit Kreide aufgeschrieben hatte:

„Heute Schlachtag“

Schweinebraten von der Sau
Leberknöddel
saure Niehrschen
Schnuffel und Schwanz

Die Schreibfehler sind echt! Er bot also an seinem Schlachttag einen Schweinebraten an, der -man höre und staune- tatsächlich von der Sau gemacht wurde, wobei man sich nun fragen konnte, ob da die Sau als Zutat diente oder ob der Braten von der Sau gemacht worden war. Die restlichen Schreibfehler ergeben sich vermutlich aus der Tatsache, daß der dicke Mann versucht hat, dialektfreies Deutsch zu schreiben. Schnuffel ist übrigens der Rüssel, also die Nase des Schweins und es sieht für mich immer sehr verwunderlich aus, wenn Leute sich das bestellen und dann steckdosenartige Scheiben von der Schweinenase abschneiden. Mir ist Fleisch lieber, das nicht mehr ganz so aussieht, wie der zugrundeliegende Kadaver.

Die kleingeschnittenen Nierchen servierte der Chef selbst, wie immer in einem blaukarierten Hemd und blauweiß gestreiften Metzgerhosen.
„Ich habe heute auch Leberknödel“, sagte er beim Servieren und ich sagte: „Ja, ich weiß.“

„Und Rotkraut hab ich auch.“

„Ja, ich weiß.“

„Sauerkraut gibt’s auch.“

„Ja, ich weiß.“

„Vielleicht habe ich auch noch Blutwurst, dicke fette Blutwurst.“

„Ich weiß.“

„Ja woher willsch’n Du des wiss‘, hä? Des meiste schdeht doch gar net uff der Kart‘!“

Ich hätte jetzt sagen können: „Meister, alles was Sie jemals gekocht haben, hat sich in deutlich sichtbaren Spuren auf ihrem Hemd und auf ihrer Hose verewigt. Man müßte die Kleidungsstücke nur einmal auskochen und könnte mit der dabei entstehenden Brühe monatelang die ganze Erdbevölkerung verköstigen.“

Aber das habe ich nicht gesagt, denn ich wollte den Dicken nicht verärgern, außerdem schaute er so aus der Wäsche, als ob im Zweifelsfall mit ihm nicht gut Kirschenessen sei.
Deshalb stopfte ich mir gleich was in den Mund, knurrte nur ein begeistertes: „Hm, lecker!“ und aß weiter. Er trollte sich dann mit einem „Gude!“
(Übersetzung: Gude = Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit, mein Herr, möge diese Speise Ihnen munden und zu ihrem Wohlbefinden beitragen).

Kaum hatte ich fertig gegessen, stand der Man in der schmierigen Metzgerskostümierung auch schon wieder neben mir und sagte: „Kumme Sie auch am Samstag?“

„Ich? Wohin?“

„Na do her.“

„Hier hin? Warum?“

„Do hawwe mir do zwä Bläser, die blase Mussick!“

„Da kommen also zwei Bläser, die hier aufspielen?“

„Jo.“

„Ah, leider habe ich am Samstag schon was vor. Wo spielen die denn?“

Auf diese Frage hin zeigte mir der Wirt seinen Nebenraum und ich war überrascht, daß der Dorfkrug tatsächlich einen ziemlich großen Saal mit einer richtigen Bühne hatte.

So, und genau von der Bühne erzählte ich der Allerliebsten, die erzählte es Lizzy und schon zwei Tage später standen Lizzy und Heiner vor mir und Lizzy sagte mit einem jubelnden Ton in der Stimme:

„Das finde ich ja soooo geil, daß wir auf der Bühne im Dorfkrug auftreten dürfen.“

Ich guckte nur völlig perplex. Davon war überhaupt nicht die Rede gewesen. Doch die beiden hatten schon konkrete Vorstellungen! Heiner meinte: „Ja, wenn Sie das selbst in die Hand nehmen, dann können wir ja ganz anders planen, mit Plakaten, mit Werbung, mit Eintritt und so!“

„Moment mal, davon kann ja keine Rede sein, ich habe lediglich erzählt, daß es im Dorfkrug eine Bühne gibt, aber von einer Vorstellung dort war nie die Rede.“

Enttäuschung machte sich auf den Gesichtern breit.
Aber dieses etwas Betretene hielt nicht lange an. Nur etwa 20 Sekunden dauerte es, bis Lizzy urplötzlich einen hochroten Kopf bekam und während ihr Kopf immer vor und zurück schnalzte, wie bei einer liebeskranken Taube, schimpfte sie:

„So kann man das nicht machen! Wir sind ja schließlich auch Menschen, wir sind Künstler! Mit uns kann man das nicht machen! Wir haben uns schon Gedanken und so gemacht und überhaupt und alles! Also das ist ja eine bodenlose Unverschämtheit. Wir planen, tun und machen, und dann heißt es auf einmal, davon könne gar keine Rede sein! Also wirklich! Nein, das ist der Hammer, der absolute Oberhammer!“

„Mooooooment!“ rief ich. „Oberhammer“ Das ist genau das richtig Stichwort. Es gibt hier im Ort einen Kulturverein unter der Leitung von Frau Oberhammer. Lieslotte Oberhammer. Zu der könnt Ihr gehen und mit ihr alles besprechen, vielleicht macht die mit Euch da einen Auftritt.“

Damit hatte ich der Zerzausten den Wind aus den Segeln genommen, diktierte ihr noch Frau Oberhammers Handynummer und dann war Ruh‘.

Hätte ich bloß meinen Mund gehalten!

1 Hier gibt es eine kleine zeitliche Inkonsistenz, die aber aus erzählerischen Gründen wichtig ist.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

keine vorhanden

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 24. Februar 2014 | Peter Wilhelm 24. Februar 2014

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leises_kindchen
10 Jahre zuvor

Och, wie gemein… noch etwas, dass Du nicht hättest tun sollen. Aber ich weiß ja noch nicht mal, warum dass mit den Minisärgen ein Problem war 🙁

Lochkartenstanzer
10 Jahre zuvor

Nunja. der Schweinebraten hätte ja auch vom Eber sein können. 🙂

Reply to  Lochkartenstanzer
10 Jahre zuvor

Schmeckt aber zu streng…

Aber in Zeiten von „Rinderbraten vom Schwein“ ist es vielleicht gar nicht so falsch, zu betonen, daß der Schweinebraten wirklich von der Sau ist – und nicht etwa vom Koch! 😀

10 Jahre zuvor

Ich vermute, beim Kulturverein hat Peter seitdem verschärftes Hausverbot und die Dame eine neue Handynummer…

„Wir sind ja schließlich auch Menschen, wir sind Künstler!“

Sie meinte wohl, „wir sind zwar Künstler, aber trotzdem noch Menschen…“ ;o)

Nane
10 Jahre zuvor

Irgendwie erinnert mich das alles an etwas… Ärger mit einer Gruppe, die Stücke von dir aufführten? Unmut mit Schlüsselanhängern in Sargform? Ist das Zufall oder Aufarbeitung?
Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es weitergeht… 🙂

Christina
Reply to  Nane
10 Jahre zuvor

Ach neee – ist doch bestimmt alles nur Satire 😀 😀 😀

10 Jahre zuvor

„Man müßte die Kleidungsstücke nur einmal auskochen und könnte mit der dabei entstehenden Brühe monatelang die ganze Erdbevölkerung verköstigen.”

Oh bitte bitte, mehr davon *japs*

Klaus
10 Jahre zuvor

Genial.




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