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Der Patentmann -6-

Ich hatte förmlich die Luft angehalten, als Herr Schade am Grab vorbei ging, kurz stehen blieb und ins Loch schaute. Er unterließ es, die angebotene Kinderschaufel zu nehmen und etwas Sand ins Loch zu werfen. Noch drei Leute waren vor ihm, um den beiden ganz in Schwarz gekleideten Frauen zu kondolieren. Frau Bauer hatte sich von ihrem eleganten kleinen Hütchen einen Schleier vors Gesicht gezogen und Frau Maternas trug eine riesengroße, schwarze Dolce & Gabbana-Sonnenbrille.
Ob Schleier und Brille die Tränen verbergen sollten oder eher die Tatsache, daß nicht geweint wurde, weiß ich nicht.

Noch eine alte Frau, dann war Schade an der Reihe, er blieb kurz vor den beiden stehen. Ich war mir sicher, daß sie sofort wissen würden, wer da vor ihnen steht. Seine Ähnlichkeit mit dem Mann auf dem großen Foto auf der Staffelei war unverkennbar und verblüffend. Jetzt hob Frau Maternas den Kopf…

Doch: Nichts passierte, rein gar nichts!

Herr Schade verneigte sich nur kurz, gab den beiden keine Hand und sagte wohl auch nichts, soweit ich das von meiner Position aus erkennen konnte.
Dann ging er einfach seitlich weg, kam dabei an mir vorbei, blickte mir ins Gesicht und ich sah, daß er seine Lippen fest zusammengepresst hatte.

Klar, schoß es mir durch den Kopf, die beiden Frauen hatten den Mann zuvor nie gesehen und wie oft kommt es vor, daß irgendjemand sagt, der und der sähe exakt aus wie Sean Connery oder George Clooney und kein anderer sonst teilt seine Meinung.
Jedenfalls haben die beiden Frauen keinerlei erkennbare Regung gezeigt und offenbar war dieses Gesicht unter den vielen Gesichtern, die an ihnen vorbei flanierten, einfach untergegangen.
Als Bestatter weiß man, daß die Hinterbliebenen oft gar nicht wissen, wer alles bei der Trauerfeier und am Grab war und wem sie alles die Hände geschüttelt haben.
Hinterher beim Betrachten von Fotos oder Filmen kommt dann oft das große „Ah, die war auch da?“

Deshalb sind Kondolenzbücher ja auch so wichtig. Gemeinsam mit dem Schleifenprotokoll und Fotos ermöglichen sie es, daß die Angehörigen etwas später, wenn der große Druck des Beerdigungstages von ihnen abgefallen ist, alles noch einmal Revue passieren lassen können.

Auch bei dieser Beerdigung war ein Fotograf anwesend, den wir bestellt hatten. Der hatte den Auftrag gerne übernommen, denn wunschgemäß war die Presse von der eigentlichen Trauerfeier ausgeschlossen und er, der sowieso ab und zu Bilder für die Zeitung lieferte, hoffte darauf, ein paar Bilder später noch verkaufen zu können. Dagegen hatte, soviel kann ich schon verraten, Frau Bauer auch nichts, ihr war es sogar angenehm, daß Herr Vockenroths Beerdigung auch in der Zeitung groß erwähnt wurde.
Sie wollte nur kein Blitzlichtgewitter und langhaarige Drängler in Cargohosen am Grab sehen.

Aus den Bildern, dem Schleifenprotokoll und dem schriftlichen Bericht von der Trauerfeier, ergänzt um die Manuskripte der wichtigsten Wortbeiträge, um die wir die Redner immer bitten, ließen wir quasi über Nacht bei der Buchbinderei Blatz & Söhne ein Buch binden. Die Digitaltechnik macht es möglich, so etwas in hoher Qualität und dennoch schnell herzustellen.
Es wurde ein ganz ordentlicher Wälzer.
Aber Geld war ja genug da. Frau Maternas hatte ja recht großzügig und pauschal im Voraus bezahlt.

Doch trotz des großen Aufwands kamen wir bei weitem nicht auf 10.000 Euro und mit der Gesamtabrechnung erhielt Frau Bauer einen Scheck über den Restbetrag für Frau Maternas.
Wir hatten ordentlich verdient, aber ausnutzen muß man so etwas nicht.
Klare, detaillierte Abrechnung, Punkt für Punkt, Preis für Preis und den Rest zurück…
Das schützt einen dann auch vor unerwarteten Forderungen des Kunden. Denn am Ende fällt dem noch ein, daß er für einen Pauschalbetrag auch noch dies und das erwartet hätte.

Wie würde es jetzt weiter gehen?

Ich sage es gleich, Frau Maternas und Frau Bauer habe ich nur noch einige wenige Male wieder gesehen, Herrn Schade allerdings ziemlich oft.
Und sein nächster Besuch bei uns erfolgte noch am frühen Abend des Samstags an dem diese Beisetzung stattgefunden hatte.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 18. Oktober 2012 | Peter Wilhelm 18. Oktober 2012

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6 Kommentare
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Erika Mustermann
11 Jahre zuvor

oh Mann… Immer diese Cliffhanger…

11 Jahre zuvor

Wer bitte blitzt am Grab? Echte Profis sollten sowas nicht tun. In einer Leichenhalle gibt es fast keine andere Möglichkeit, da ist es nämlich viel zu finster, auch für die modernen Digicams, deren Sensorempfindlichkeit man in früher unerreichbare Höhen schrauben kann. Aber im Freien, bei Tageslicht? Da kann man auch auf einen Aufhellblitz verzichten und das nachher am Computer erledigen, so viel Rücksicht muss sein.

Brummbär
11 Jahre zuvor

Du bist so bööööööööööööööööööööööööööööööööööööse und gehmeihein!

simop
11 Jahre zuvor

Gut, wenn man starke Finger hat – so lange wir hier immer wieder rumhängen… Kaffee? Ich hätte da noch eine Thermoskanne im Rucksack… wenn jemand rankommt?

Adriana
Reply to  simop
11 Jahre zuvor

*Holt Kaffe aus simop´s Rucksack und verteilt großzügig* Hätte da noch n Kuchen, wenn einer mag…. wir sitzen ja doch alle zur selben Zeit auf der selben Seite im unendlich weiten WWW fest um auf die Fortsetzung zu warten… 😀

Georg
Reply to  Adriana
11 Jahre zuvor

Käffchen und Kuchen schnapp….Mist vergessen mich festzuhalten….plöde Gier aber auch….




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