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Die Fee der Nacht -14-

Klaus Petermann fuhr zu Connys Currybude und holte sich eine doppelte Portion der seiner Meinung nach besten Currywurst der Welt und eine Flasche Bier.
Er trank sonst nur selten Bier, aber an diesem Tag war ihm es ihm danach, die Kombination Currywurst mit Bier an einem von Connys Stehtischen einzunehmen.

Ein Pennbruder quatschte ihn wegen etwas Kleingeld für ’ne kleine Mahlzeit an und Petermann kramte einen Fünfeuroschein aus der Jackentasche. Dadurch fühlte der Wohnsitzlose sich dazu verpflichtet den Kriminalhauptkommissar zu bespaßen und stellte sich mit der Flasche Bier, die er sofort von dem Geld gekauft hatte, neben Petermann und stank dem Polizisten die Nase voll.
Doch Petermann ließ den alten Mann gewähren und hörte sich sein Geplapper über Lottogewinne, Fußballergebnisse und die neuesten Schlagzeilen aus der BILD-Zeitung geduldig an.

Er war kein Menschenfreund und hielt sich im Großen und Ganzen lieber von allen anderen fern. Aber manchmal suchte er ganz bewußt den Kontakt zu anderen Menschen, um sich selbst wieder auf den Boden herunter zu holen.

Seiner Meinung nach hatten die meisten Polizisten innerhalb ihrer eigenen Kaste zu völliger Betriebsblindheit abgehoben und kreisten auf einer Wahrnehmungsebene, die ihnen den Blick für das Wesentliche vernebelte.
Er selbst hatte aus belanglosen Gesprächen mit einem Taxifahrer oder einer alten Frau an der Bushaltestelle oft schon mehr Erkenntnisse gewonnen, als durch stundenlange Dienstbesprechungen.

Der Alte kaute alle Skandalthemen der letzten Zeit durch, regte sich über den König von Mallorca auf, bedauerte, daß dieser oder jener Star gestorben sei und schimpfte auf die Regierung und die Obrigkeit.
Auch auf die Polizei war er nicht gut zu sprechen und wußte über die Ermittlungspannen im Fall der rechtsradikalen Terrorzelle erstaunlich gut Bescheid und ritt auch auf der jahrelangen ergebnislosen Suche nach dem Phantom ausgiebig herum. Sogar die alte Geschichte mit dem österreichischen Fall von Natascha Kampbusch, die jahrelang eingesperrt und von der Polizei nicht gefunden worden war, war ihm geläufig. Am meisten aber erregte er sich über die vielen Kinderschänder und Kindermörder, für die der Pennbruder kategorisch ‚Pimmel und Finger ab und auf die Stirn schreiben, was sie gemacht haben‘ forderte.

Petermann hörte sich das alles kauend und schweigend an, nickte nur hin und wieder oder hob auch mal skeptisch die Augenbrauen und als der Alte so gar nicht aufhören wollte und am Ende sogar noch eine alte, verbeulte Mundharmonika aus der Manteltasche zog um Petermann ein paar Lieder vorzuspielen, gab ihm der Kommissar noch ein paar Eurostücke und verabschiedete sich.

Als der Kommissar seinen Wagen durch den dichten Verkehr steuerte, fiel sein Blick auf die Platiktüte auf dem Beifahrersitz. Er schaute auf die Armbanduhr und ihm wurde bewusst, wie spät es schon geworden war. Wenn er den Overall noch ins kriminaltechnische Labor bringen wollte, dann musste er sich beeilen.

Den Einlieferungszettel für zu untersuchende Aservate und Beweisstücke füllte Petermann sorgfältig aus und in den Unterschriftsfeldern unterschrieb er einmal leserlich mit Petermann und einmal mit einer unleserlichen, langgezogenen Unterschrift; er wollte keinesfalls Kriminaloberrat Klotzhaug oder einen seiner Kollegen mit in die Sache einbeziehen.

Für ihn war es ganz eindeutig so, daß in der Villa Brockhagen etwas geschehen war, das nun auf gar keinen Fall an die Öffentlichkeit dringen sollte und bei dem der werte Herr Minister alle seine Beziehungen hatte spielen lassen um zu verhindern, daß der Fall durchermittelt werden konnte.

„Nicht mir mir“, brummte Petermann und schob dem Kollegen hinterm Tresen die Tüte, zwei ordentlich beschriftete Etiketten und das Formular rüber.
„Morgen früh, aber erst nach 11 Uhr kannst kommen, oder sollen wir Dir das in den Umlauf tun?“

„Nee, nee, ich hol‘ mir das Zeug schon selbst ab.“

Eigentlich hätte Petermann nach Hause fahren können, doch er fand keine Ruhe, es wollte sich keine Feierabendstimmung einstellen und so kurvte er ziellos durch die Stadt und ließ seine Gedanken fliegen.
Der Fall ließ ihm keine Ruhe und vor allem wurmte es ihn, daß er bis dahin noch nicht ein einziges Mal zu Nathalie Brockhagen hatte vordringen können.
„Moment mal“, dachte er, „den Bestatter hatte die junge Frau ja auch abends zu sich bestellt und der war dann völlig problemlos zu ihr gelangt, obwohl auch der am Nachmittag erst abgewiesen worden war.“

An der nächsten Ampel bog Petermann verbotenerweise links ab, was die Autofahrer hinter ihm mit lautem Hupen quittierten. „Arschlöcher!“ schimpfte der Kriminalhauptkommissar und ärgerte sich über diese hup- und meldeeifrigen Zeitgenossen. Nicht einen von ihnen hatte er durch sein Manöver behindert, niemanden gefährdet und auch sonst keinen gestört. Und dennoch mussten diese Oberlehrer hupen. Sie hupten nicht, um eine Gefahr abzuwenden, sondern um anzuzeigen, daß sie es richtig machten und daß sie erkannt hatten, daß er einen Fehler machte und um ihn durch ihr Hupen quasi dafür zu bestrafen, daß er sich einen kleinen Vorteil verschafft hatte, den sie durch ihr korrektes Verhalten nicht in Anspruch genommen hatten.

Aber so konnte er ein großes Stück abkürzen und mußte nicht über die um diese Zeit stets verstopfte Umgehungsstraße fahren um in das Viertel zu gelangen, in dem die Villa Brockhagen stand.

Kriminalhauptkommissar Klaus Petermann war fest entschlossen, es an diesem Abend noch einmal zu versuchen, mit Nathalie zu sprechen.


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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8 Kommentare
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simop
11 Jahre zuvor

Faulen euch auch langsam die Finger ab, hier an dieser nassen, zugigen Klippe? 😉

11 Jahre zuvor

Welche Finger? 😉

11 Jahre zuvor

Ich halte mich nur noch mit dem Gebiss fest.

Winnie
11 Jahre zuvor

Ne, ich bin in Lethargie verfallen (bzgl. dieser Geschichte) und harre der Dinge die noch kommen, oder eben halt nicht.

Kommt noch ein Teil, lese ich, wenn nicht, lese ich nicht.

Pffft.

11 Jahre zuvor

Wieso Finger? Als geübter Bestatterweblog-Leser hat man doch immer einen Bootsmannstuhl dabei… 😉

Gray
11 Jahre zuvor

Jo, simop, der Punkt geht fürchte ich in der Tat an Carsten… ich glaube, so lange wie diesmal war’s aber auch noch nie. Aber immerhin ist die Artikelfrequenz erträglich genug, um nicht an der Geschichte zu verzweifeln 🙂

11 Jahre zuvor

Bootsmannstuhl? Hochalpinen Klettergurt braucht man da inzwischen!

Wolfram
11 Jahre zuvor

Guck an, Petermann ist Dittsche begegnet!




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