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Geschichten

Die Fee der Nacht -3-

Manni und ich halte es erstaunlich lange aus, die Geschichte immer wieder zu erzählen. Natürlich bleibt es nicht aus, daß wir das Ganze noch etwas dramatischer erzählen und die ohnehin etwas unheimliche Stimmung in der Villa noch etwas spannender schildern.
Sandy will es alles ganz genau wissen und Antonia besteht natürlich darauf, daß wir die ganze Geschichte auch ihr noch einmal exklusiv erzählen.
Wir sind aufgekratzt, bei der Müdigkeit längst über den toten Punkt hinweg und der viele Kaffee macht uns hibbelig und geschwätzig.

Aber eins tun wir nicht, wir erfinden nichts dazu und könnten eigentlich die ganze Geschichte in nur einem einzigen Satz wiedergeben:

„Wir wurden nachts zu einem Sterbefall gerufen, dort von der dünn bekleideten Dame des Hauses eingelassen und fanden dann im Wohnzimmer eine blutige Leiche vor.“ Punkt.

Irgendwann kommt dann doch der Zeitpunkt, an dem ich es merke, wie hinter der Stirn dieser seltsame Kopfschmerz aufsteigt, der mir immer signalisiert, daß ich viel zu lange wach bin.
Komisch, früher bin ich morgens um 3 mit Kommilitonen in der Kneipe gestanden, hatte mich schon mit dem Gürtel am Tresen festgeschnallt, bin dann noch Zeitungen austragen gegangen und saß um 8.30 Uhr in der Uni. Einmal länger ausschlafen und alles war wieder im Lot.
Und heute? Da ist man kaum mal 40 oder 50 und bleibt nur eine Nacht mal länger auf und schon hängt einem das ’ne ganze Woche nach.
Ich will nicht jammern, man wird halt älter und das hat auch viel Schönes.
Das Schlimmste allerdings am Alter ist es, daß man sich selbst retrospektiv mit Fremdschämen über sich selbst betrachtet, finde ich.

Der Kopfschmerz drückt mir von innen fast die Augen zu, auch Manni guckt aus der Wäsche wie ein Molch oder Maulwurf, ganz kleine, rote Augen, es steht fest, wir müssen ins Bett!

Ich liege nicht lange wach, falle gleich in einen tiefen aber unruhigen Schlaf und träume wovon? Natürlich von der schönen Frau im beinahe durchsichtigen Nachthemd. Es ist kein erotischer Traum, ich sehe sie mit einer Schrotflinte in der Hand, wie sie diesen Mann im Overall erschießt. Immer wieder die gleiche Szene.
Als ich aufwache, empfinde ich es drückend heiß im Schlafzimmer und bin naßgeschwitzt.
Es ist erst früher Abend und meine Frau schaut im Wohnzimmer einen Tatort-Krimi. „Nee, lass mal“, lehne ich ihre Aufforderung doch mitzugucken ab: „Ich hatte heute genug Tatort.“

In den Regionalnachrichten finde ich nichts über den Fall, auch das Internet gibt noch nichts her.
Manni ruft an und wir unterhalten uns nochmals vorwärts und rückwärts über den Fall.

Erst am anderen Morgen finde ich eine kleine Notiz in der Zeitung.
Eine klitzekleine Notiz zwischen der Blumenschau der Gärtnersfrauen und einem entlaufenen Hängebauchschwein.
In der Südstadt habe es einen kriminalpolizeilichen Einsatz gegeben. Ein Mann sei ums Leben gekommen, die Polizei untersuche derzeit, ob es sich um einen Suizid oder eine Beziehungstat gehandelt habe.
Fertig.

Normalerweise macht unsere Tageszeitung recht groß mit solchen Meldungen auf.
Gut, Suizid kommt neuerdings gar nicht mehr vor, aber dann schreiben sie etwas verbrämt von „noch zu klärender Todesursache“.
Aber das da nur so ein Zweizeiler erscheint? Merkwürdig.

Am Nachmittag ruft dann ein Polizeiobermeister an und bestellt Manni und mich zu einer weiteren Vernehmung in die örtliche Polizeiwache. Ich sage erst mal zu, überlege es mir dann aber anders und rufe beim Staatsanwalt an, denn ich habe keine Lust auf diese Polizisten hier vor Ort, die dem Bürger mit so einer merkwürdigen Mischung aus abgebrühter Gleichgültigkeit und arrogantem Obrigkeitsverhalten begegnen.
Nein, das sei doch kein Problem, ich könne auch direkt ins Präsidium kommen und mit Manni bei der Kripo aussagen, es sei ja eh nur eine Formsache, wegen der Unterschriften und so.

Im Präsidium werden wir durch ewig lange Gänge bis zu einem Büro aus der Kaiserzeit geführt, wo sich einer der Kripobeamten vom Vorabend durch einen unglaublichen Stapel roter Aktendeckel arbeitet.
Mit polizeitypischem Zweifingersuchsystem tippt er erst Mannis und dann meine Aussage in den Computer und muss dann den Ausdruck sechs Zimmer weiter abholen.
Das Ganze ist eine höchst langweilige Veranstaltung, aber es ist ein Nebensatz, der mich aufhorchen lässt.
Nathalie Brockhagen, so heißt sie mit vollständigem Namen, sei die Tochter eines Landesministers und der Tote sei ihr Mann, ein Innenarchitekt, namens Roland Brockhagen.

Die Tochter eines Ministers! Na, kein Wunder, daß die das auf kleiner Flamme kochen, bloß kein Skandal!


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. September 2012 | Peter Wilhelm 3. September 2012

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Anonym
11 Jahre zuvor

Nachtigall, ick hör dir trappsen… 😀

Tom, ist das ein absichtliches Timing zur NRW-Wahl, dass die Tochter eines Ministers verwickelt ist?

Big Al
11 Jahre zuvor

Da trappst nix, da tropft nur das Blut.
B. A.

Winnie
11 Jahre zuvor

Ist doch ne feine Sache um einen Politiker los zu werden.
Die Amis haben doch auch wieder so 40 bis fast 50 Jahre ausgegraben um dem Kandidaten einen reinzuwürgen.

Smilla
11 Jahre zuvor

Das Schlimme ist ja, man sieht nach so einer Nacht auch so aus, wie man sich fühlt.

Ich habe theoretisch noch 3 Stunden…..

Designierter Komposti
11 Jahre zuvor

[quote]
Das Schlimmste allerdings am Alter ist es, daß man sich selbst retrospektiv mit Fremdschämen über sich selbst betrachtet, finde ich.
[/quote]

Schöner Satz. Und wieder eine schön erzählte Geschichte.




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