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Die wilde Fahrt auf dem Rummel

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Frau Moembris war vor etwa drei Jahren bei uns im Bestattungshaus gewesen und hatte eine Vorsorge abgeschlossen. Ich war erstaunt, als sie mir während des Beratungsgesprächs mitteilte, sie sei an Alzheimer erkrankt. Man hat ja keine Ahnung und kennt sich mit dieser Krankheit nur insofern aus, wie es die Witze die man so macht hergeben. So war mir gar nicht in den Sinn gekommen, daß es ja nicht nur die alles vergessenden Alten gibt, die sozusagen dem Tode geweiht sind, sondern daß es ja auch Menschen gibt, die noch vollkommen Herr ihrer Sinne sind und nach der Diagnose Alzheimer miterleben müssen wie nach und nach die kognitiven Fähigkeiten schwinden. Ich stelle mir vor, daß das ein sehr schweres Schicksal sein muß.

Jedenfalls war Frau Moembris noch ganz klar als sie die Verfügungen für ihren letzten Weg bei uns getroffen und eine Sterbegeldversicherung abgeschlossen hat. Das sei ihr der angenehmste Weg der Finanzierung, so erklärte sie, denn sie brauche jetzt ihr ganzes Erspartes um sich in einem guten Heim einkaufen zu können.
Die Vorsorge dieser alten Dame, die in ihrer aktiven Zeit einmal Lehrerin für Musik, Religion und Deutsch gewesen ist, war deshalb auch etwas ganz Besonderes für unser Unternehmen, weil es die erste Vorsorgeberatung war, die Antonia mit meiner Unterstützung durchgeführt hatte.

So an und für sich sind ja Vorsorgen und Kundengespräche nicht so Antonias Ding, denn sie wurschtelt lieber so ganz für sich alleine aber durchaus hartnäckig und stur ihre Akten durch und erledigt erstaunlich souverän allerlei Telefonate mit Behörden.
Es ist gar nicht so einfach, Antonias Charakter zu beschreiben. Dieser liebenswürdige Troll bringt es fertig überaus sinnvolle Kommentare zur politischen Lage abzugeben und bringt dann am Ende noch eine Schote wie: „…ja und dann hat der sich wie eine Spinne ins gemachte Netz gesetzt.“
Überhaupt sind die ganzen Schoten die die junge Frau so von sich gegeben hat und die ich hier immer mal wieder als kleine Antonia-Geschichten einfließen lasse, allesamt verbürgt und echt.
Ich sagte ja schon einmal, daß Antonia inzwischen zu einer erwachsenen Ehefrau und Mutter entwickelt hat und ich sage nichts Verkehrtes, wenn ich erwähne, daß sie sich nicht vom kleinen Entlein (um das Wort häßlich zu vermeiden, denn das trifft es nicht) zu einem wunderschönen Schwan entwickelt hat. Antonia ist Antonia, sie ist manchmal tumb und watschelig, auch heute noch, und trotzdem eine Person die man einfach gerne haben muß und bei der es mir eine große Ehre ist, sie zu kennen und von ihr geliebt und geschätzt zu werden, obwohl (oder weil?) sie hier mitliest und sich über das, was ich von dem Gewesenen alles noch weiß und von dem sie manches schon vergessen hatte, so lustig zu berichten weiß.

Diese Vorsorge bei Frau Moembris hat Antonia ganz ordentlich gemacht und es war das Ende einer Reihe von Beratungen und Kundengesprächen, zu denen ich sie mit herangezogen hatte, Nur die Vorsorge hatte noch gefehlt. Mir war es darum gegangen, daß auch Antonia das alles einmal gemacht hatte, damit sie, wenn wirklich mal Not am Mann sein sollte, in allen Bereichen einspringen konnte.
Sie hatte immer schon mal Kundengespräche geführt, aber das war dann doch eher nur so das Notwendigste und wir mußten viel nacharbeiten.

Zu Frau Moembris hatte Antonia aber einen guten Draht, wie man so sagt, das konnte man gleich merken, die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb.
Das hat sicherlich dazu beigetragen, daß Antonia bei dem Vorsorgegespräch so gut voran gekommen war.

Es sind seinerzeit bestimmt ein oder zwei Jahre ins Land gegangen und ich hatte Frau Moembris schon fast wieder vergessen, da saß ich so gemütlich vor meiner Lieblingseisdiele und aß mein Lieblingseis, nämlich ein Spaghettieis ohne Kokosstreusel.
Das Eiscafé liegt an der Hauptstraße und man kann schön den Leuten zugucken, das mache ich sehr gerne.
Wenn man die Hauptstraße entlang sah, konnte man kurz vor der Kurve das Altenheim St. Marien sehen und auf einmal sah ich, wie jemand einen Rollstuhl mit einer gebrechlichen, gekrümmten alten Frau von der Einfahrt auf die Straße schob und dann anfing zu rennen.
Der Rollstuhl wurde immer schneller und schneller und die alte Dame richtete sich auf, lachte und juchzte und klatschte vor lauter Freude in die Hände.
Erst als die beiden Personen näher gekommen waren, sah ich, daß es sich bei der alten Frau um eben jene Frau Moembris handelte und daß die Person die sie schwitzend und schnaufend mit „Vollgas“ über die Straße schob, unsere Antonia war.
Antonia scheint mich nicht gesehen zu haben, denn als sie noch etwas entfernt waren, drehte sie, rannt den Rollstuhl schiebend wieder in die andere Richtung und ich hörte wie sie der alten Dame zurief: „Und weiter geht wie wilde Fahrt auf unserem tollen Rummelplatz!“

„Ja ja, isse die Dicke, die kommte jede Woch und macht Spasse mit die alte Frau“, sagte Silvio der Eisitaliener und fügt hinzu: „Kommte schon seit 2 Jahre die dicke Mädche‘. Machte immer Spasse mit die Frau, geht oft auch spaziere mitti Alte.“

Ich habe Antonia nie darauf angesprochen, sie hatte ja in der Firma auch nie etwas davon erzählt.
Aber ich hoffe, daß ich auch eines Tages jemanden habe, der so Sachen sagt wie „das mache ich schon garein garaus so“ oder der die Märchenfigur Rumpelblitzchen nennt und der mich auch ein wenig durch die Gegend schiebt, wenn ich mal gaga geworden bin…
Die Welt braucht einfach mehr Antonias, dann wäre es friedlich und schön und es gäbe in jedem Geschäft Puddingkrapfen.

Mitarbeiter / Firma

Hier erzähle ich Geschichten aus meinem Bestattungshaus und insbesondere über meine fabelhaften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Namen sind verändert. Manchmal wurde auch mehrere Personen zu einer Erzählfigur zusammengefasst.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 11. Januar 2016 | Peter Wilhelm 11. Januar 2016

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27 Kommentare
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11 Jahre zuvor

Lass dich knuddeln. Und gib Antonia mal einen dicken Knuddler ab. Verdient habts ihr beide den.

Antonia, weil sie ist wie sie ist (Schönheit von außen ist Fassade. Von innen hingegen wertvoll), und du, weil du auch der bist der du bist.

Bleibt beide so. Bitte.

simop
Reply to  Tante Jay
11 Jahre zuvor

Liebe Tante, besser kann man es mal wieder nicht formulieren!

Ja, bitte unbedingt so bleiben. OK, etwas mehr Gesundheit könnte sein, aber sonst… 🙂

Uli-mit-Hut
Reply to  Tante Jay
11 Jahre zuvor

mir aus dem Herz gesprochen …

Elke ( Fännin )
Reply to  Tante Jay
11 Jahre zuvor

Liebe Tante Jay!

Absolut erste Sahne, Kein Kommentar, sonst wein ich.
LG Elke.

alexkid
11 Jahre zuvor

*leicht schnief* Wunderschön erzählt, wirklich. Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass eine meiner Großmütter auch Alzheimer hatte und wir ihr da leider nicht soviel helfen konnten, wie es notwendig gewesen wäre. Der Großvater einer Freundin leidet ebenfalls darunter und ich war mal dabei, als sie ihn besucht hat. Er hat sie mit einer ihrer Cousinen verwechselt, was sie tief getroffen hat.. Und trotzdem kümmert sie sich noch immer um ihn, so oft sie kann..

11 Jahre zuvor

wieder mal eine der eintraege in dennen wirklich alles vorhanden ist. lacher, nachdenkliches und einfach schoenes.
man lernt schnell und einfach eine seite von antonia kennen die man in all den jahren nicht mal erahnt haette
hach
eine tolle gesichte.

Winnie
11 Jahre zuvor

Ja, man unterschätzt gelegentlich seine Mitmenschen, selbst wenn man meint sie noch so gut zu kennen.
Meine Tochter hat damals häufig die alten Leute im Altersheim besucht, das habe ich auch nur durch Zufall erfahren. Sie hatte Spass daran und die „Alten“ haben sich immer gefreut.

11 Jahre zuvor

Jetzt hab ich Tränen in den Augen. Danke Antonia!

Larentia
Reply to  Blogolade
11 Jahre zuvor

Dem schliesse ich mich kommetarlos an!

Gunilla
11 Jahre zuvor

Einfach nur schön und …: bitte, bitte mehr Antonias auf der Welt!!

Nates
11 Jahre zuvor

Sehr schöne Geschichte!

Ein sehr gutes Buch zum Thema Alzheimer ist der Roman „Mein Leben ohne Gestern“. Er erzählt zwei Jahre aus dem Leben und aus der Sicht einer 50-jährigen Havard-Professorin, die an Alzheimer erkrankt.
(siehe auch Beschreibung und Rezensionen bei Ama*). Ich kann das Buch nur jeden empfehlen.

Elke ( Fännin )
Reply to  Nates
11 Jahre zuvor

@Nates

Ein super gutes Buch!!! Sehr empfehlendswert.

Claudia
11 Jahre zuvor

Ohja „Mein Leben ohne Gestern“ – absolut empfehlenswert!! Ein tolles Buch.

Es gibt schon viele Antonias, wir sehen sie nur nicht in unserem Trott. Und es liegt an uns allen, das es nicht weniger werden 😉 Es sind manchmal nur Kleinigkeiten, die einem den Tag zu einem guten Tag machen. Ein Lächeln, eine aufgehaltene Tür, ein ehrliches „wie geht es dir?“ mit den 5 Min. Zeit dahinter um auch die Antwort hören zu können, …

Tinchen
11 Jahre zuvor

Ach ich hab grad Kopfkino. Die liebenswerte Antonia wie stutzt beim Lesen, dann lacht, gerührt und mit feuchten Äuglein und dann bebt der Boden, Tom hält seinen Kaffee-Eimer auf dem Tisch fest, der drohnt Richtung Absturz zu vibrieren, plötzlich fliegt die Bürotüre auf und Antonia fliegt waagerecht, ohne weiteren Bodenkontakt, die letzten 4 Meter von Türe bis zielgenau an Toms Hals.

Danke fürs Aufschreiben und danke für Frau Moembris Vergügen.

secret-ary
11 Jahre zuvor

Ich möchte hier eine Geschichte teilen, die einfach wahnsinnig gut hierher passt. Es geht um kleine Momente, die den einen nix kosten und für den anderen die Welt verbessern. Oder in anderen Worten: Für die Welt bist du irgendjemand, aber für irgendjemand bist du die Welt.

http://affrocke.blogspot.de/2012/08/nur-geduld.html
weitere Quellen: http://lmgtfy.com/?q=Taxifahrer+Pillbox+Geschirr+Hospiz+Tanzbein+Gl%C3%BCck

11 Jahre zuvor

Als Angehöriger eines Demenzkranken ist man um jeden von außerhalb froh, der sich Zeit nimmt, liebevoll mit den Kranken umzugehen, ob das eine Antonia ist, eine Kindergartengruppe, die ins Heim kommt, jemand, der Volkslieder singt oder ein Hundehalter mit dem Therapiehund ..
Und für diejenigen, die keine Angehörigen haben, hat das dann einen besonderen Stellenwert.

11 Jahre zuvor

Einfach schön. Gäb es doch mehr Antonias auf dieser Welt…
Ich tu ja was ich kann, aber allen kann ich nicht helfen. Das kanan keiner. Aber wenn jeder etwas tut, dann ist allen geholfen.
Danke, TOM, für diese schöne, berührende Geschichte!

11 Jahre zuvor

Eine sehr schöne Geschichte 🙂

11 Jahre zuvor

Eine sehr schöne Geschichte 🙂
geht mir iwie ans Herz.

11 Jahre zuvor

Eine sehr schöne Geschichte
geht mir iwie ans Herz.
lg
dennis

Lux
11 Jahre zuvor

Du weißt aber schon, dass das auf dem Spaghetti-Eis (zumindest auf dem Classic) keine Kokos-Streusel sind sondern weiße Schokolade?
Ist mein Lieblingseis und ich hasse Kokos, das wüsste ich, wenn das da drauf wäre!

Kantor
Reply to  Lux
11 Jahre zuvor

Die Eisdiele Fontanella in Mannheim ist als die Eisdiele bekannt, die das Spaghettieis erfunden hat und die tun da Kokosstreusel drauf. So kriegt man das fast überall. Die weisse Schokolade ist nur eine Variante.

Reply to  Kantor
11 Jahre zuvor

Nein, Fontanella macht weiße Schokolade drauf. Da war ich erst neulich.
Aber Du hast Recht, fast überall bekommt man Kokosflocken und die mag ich nicht. Nicht wegen des Geschmacks, sondern weil sie wie Sägespäne überall im Mund herumhängen.

Big Al
Reply to  Undertaker_TOM
11 Jahre zuvor

Ich kenne es auch nur mit weißer Schokolade. Werde nachher mal Eis essen gehen mit unserer „Kleinen“.
Schönes Wochenende

Lachgas
Reply to  Kantor
11 Jahre zuvor

Wir hatten im Fontanella definitiv weiße Schokolade drauf – ich mag Kokosflocken so gar nicht und das wäre mir aufgefallen 🙂

TickleMeNot
11 Jahre zuvor

Ach schön!

Llu
8 Jahre zuvor

[Eine Freude, die von außen kommt, wird uns auch wieder verlassen. Jene Werte aber, die im Innern wurzeln, sind zuverlässig und dauernd.]

Lucius Annaeus Seneca




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