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Geschichten

Der Führer ist tot

Zwergschnauzer

Und dann hätte ich da noch eine Bitte, vielleicht können Sie mir diesen Gefallen tun“, sagte die alte Dame, die mir im Beratungszimmer gegenüber sitzt und knispert mit zittrigen Fingern den Verschluß ihrer Handtasche auf.
„Hier, hier ist er, mein Paul. Ach Gott, was war er da noch schön! Können’se das vielleicht vergrößern lassen, ich meine so auf Stoff, wie’n Gemälde, mit Rahmen? Das könnte man doch bei der Beerdigung vor den Sarg stellen; wo man doch den Sarg jetzt besser zu läßt, weil der Paul doch vom Krebs so ausgemergelt aussieht. Geht das?“

ZwergschnauzerIch nehme das Bild, schaue es mir flüchtig an und nicke: „Ja klar, das geht, Sie meinen auf Leinwand, ja?“

„Genau, auf Leinwand, das wär‘ schön.“

Die Frau war mit ihrem Schwiegersohn gekommen, der die ganze Zeit das Wort geführt hatte, aber durchaus den Eindruck machte, daß er das tat, um seine Schwiegermutter zu entlasten, und nicht um sie zu bevormunden.

Später am Tag kommt Antonia kauend in mein Büro und meint: „Chef, gucken’se mal! Der sieht nicht gut aus“, und legt mir eine Vergrößerung von dem Foto hin.

Tatsächlich, der Mann sieht nicht gut aus, er sieht, um es mal ganz ehrlich zu sagen, aus wie Adolf Hitler.

„Wie kommt das denn?“ erkundige ich mich: „Das Bild war doch in Ordnung.“

„Ich hab’s auf den Scanner gelegt und digitalisiert, dann in Photoshop größer gemacht und dabei ist das rausgekommen.“

„Und der Scheitel? Und dieses Bärtchen?“

„Ja gucken Sie doch! Hier, da oben hat das Bild einen Knick, ich glaube davon kommt beim Scannen so’n Schatten, keine Ahnung ob’s davon kommt, und dieses Bärtchen ist kein Bärtchen sondern nur der Schatten von der Nase von dem Mann.“

„Von der Nase DES MANNES!“

„Nee, der hatte nur eine Nase, also jetzt wenigstens auf dem Bild.“

„So kann das nicht bleiben, Antonia, probier‘ mal, das weg zu bekommen, sonst frag mal Sandy, die kann ganz gut photoshoppen.“

Mein liebes Moppelchen nickt, hält den Kopf etwas schief, nimmt das Original und den Ausdruck wieder mit und eine ganze Weile später höre ich die Frauen im Büro lachen.

„Sind wir hier in der Firma Hesselbach, oder was?“ rufe ich rüber und sofort ist es ruhig. Das nennt man Autorität, das nennt man Respekt!

Gut, die Gickelweiber fangen zwei Sekunden später wieder an zu lachen, aber immerhin haben sie wenigstens ganz kurz den Hauch eines Anfluges von Respekt vor meiner Autorität erkennen lassen und das ist mehr als die meisten Männer zeitlebens von Frauen an Anerkennung entgegengebracht bekommen.

Nun packt mich aber die Neugierde und ich gehe rüber: „Was gibt’s denn da zu lachen?“

„Ja, der gute Paul will nicht so, wie wir das wollen“, sagt Frau Büser und deutet auf den Bildschirm an dem Sandy sitzt.
Nun muß ich sagen, daß sich Sandy wirklich gut mit Photoshop auskennt, sie kommt aus Amerika und da machen schon Kindergartenkinder mit Photoshop die tollsten Sachen, während sich deutsche Kinder noch garantiert eßbare Fingerfarbe in den Mund stopfen.

„Nee, Chef, guck hier! Das Bild hat null Kontrast, es hat keinerlei Tiefenschärfe und wenn ich den Gelbstich wegmache, hat der wieder das Hitlerbärtchen und diesen Scheitel. Mache ich jetzt das hier und das hier“, sagt Sandy und klickt ein paar Mal mit der Maus: „Dann sieht er aus wie Heino. Voll die Schatten um die Augen, als ob der eine Sonnenbrille auf hätte und die Haare werden gelb.“

„Laßt mich mal ran!“ kommandiere ich und will den Weibsleuten doch jetzt mal zeigen, zu was das überlegene technische Verständnis eines Mannes, dessen Autorität zwei Sekunden lang anerkannt wurde, in der Lage ist.

Ich öffne die passenden Filter, nutze geschickt die Kontrastverschiebung, schärfe noch etwas nach, mache eine Tonwertkorrektur und dann zum Schluß lege ich noch einen ganz leichten Weichzeichner auf das Bild und voilà, fertig ist der gute Paul!

„Wow!“ staunt Sandy: „Der sieht ja aus wie Richard Geere!“

„Nein, mich erinnert der jetzt mehr an George Clooney, also jetzt an den alten George Clooney, so in zehn, fünfzehn Jahren“, meint Frau Büser und Antonia findet, der sähe aus wie ihr ehemaliger Mathelehrer.

„Nee, muß man Dir lassen Chef, der sieht jetzt richtig gut aus“, sagt Sandy und ihre vorgeschobene Unterlippe zeugt von unverhohlener Anerkennung.

„Wer soll das denn sein?“ fragt jemand von der Tür her und wir fahren herum, es ist Manni, unser Fahrdienstleiter, der die Papiere vom Krankenhaus bringt, aus dem er den verstorbenen Paul abgeholt hat.

„Na, das ist der Paul, also der Mann, den Sie abgeholt haben“, sage ich und bin stolz auf mich.

„So sieht der aber nicht aus“, schüttelt Manni den Kopf.

„Ja, ja, ich weiß, das hat seine Frau auch schon gesagt, der sei vom Krebs so ausgemergelt, nicht wahr?“

„Nö, also eigentlich sieht der aus wie Adolf Hitler.“

„Was?“

„Ja, der sieht genau aus wie der Führer, dunkle Haare, pomadiger Scheitel rechts, den haben die Nonnen extra nochmal nachgezogen und dieses Charlie Chaplin-Bärtchen.“

„So etwa?“ frage ich und halte Antonias ersten Ausdruck hoch.

„Exakt, genau und hundertprozentig! Das isser unser aller Führer und Gröfaz!“ tönt Manni, unterdrückt das Hochreißen des rechten Arms, schlägt aber die Hacken zusammen.

Bei der Beerdigung steht eine Vergrößerung von Antonias erstem Ausdruck, gedruckt auf Leinwand, gerahmt in braunem Lack, vor dem Sarg und alle finden es sehr schön. Nach der Beerdigung kommt die Witwe zu mir, um gemeinsam mit ihrer Tochter und dem Schwiegersohn das Bild abzuholen.
„Das hängen wir jetzt im Wohnzimmer auf. Gell, der sieht darauf ein bißchen aus wie James Last, oder?“ schnieft die Witwe und ihre Tochter meint: „Aber Mama, das sieht man doch, daß Papa aussieht wie der Förster vom grünen Wald.“
„Also, wenn ihr mich fragt“, mischt sich der Schwiegersohn ein, „dann sah Opa Paul immer ein bißchen aus wie unser letzter Kaiser.“

„Ansichtssache“, sage ich, lächele unverbindlich und drücke der Witwe das Führerbild in die Hand.

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 20. Oktober 2013 | Peter Wilhelm 20. Oktober 2013

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3 Kommentare
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ugdidjz
10 Jahre zuvor

Ich weiß nicht, ob es an der Uhrzeit oder meinem Restblut im Alkohol, aber ich feier hier gerade geringfügig. Heilige Fäkalien, ist das geil 😀

Der Opa einer Freundin sah aus wie Goebbels. Irgendwann haben sie sein Portrait im Wohnzimmer etwas verdeckter hingestellt. Es hat mindestens jeder Zweite danach gefragt… Erinnert mich ein bisschen daran.

Und jetzt geh ich Katzenbilder googeln*hrhr*vielleicht finde ich ja eine, die wie James Last aussieht…

Oder um es mit Alan aus Two and a half Men zu sagen: „Erstaunlich, dass ein einzelner Mann für ewige Zeiten diese Bartfrisur versaut hat“.

10 Jahre zuvor

Mein Opa sah in seinen späteren Jahren aus wie Erich Honecker – so ähnlich, dass er, wenn er im Krankenhaus oder zur Reha (was in dem Alter ja schonmal vorkommt) war, dort immer mit „Erich“ angesprochen wurde – auch von den Pflegern. Opa war ein humorvoller Mensch und hat den Spaß mitgemacht. Auch wenn er zu Leb- und Wirkungszeiten des echten Erichs kein gutes Haar an dem gelassen hat. Ach Opa, ich vermisse dich…

Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

ich schmeiss mich weg! Danke, danke, danke!!!! *brüll* Ist das der Wahnsinn 🙂
Der Gröfaz ist auferstanden.. okay, für kurz Zeit, jetzt liegt er wieder




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