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Geschichten

Günther XXVII

Zweimal waren die Damen und Herren vom Jugendamt beim Ehepaar Birnbaumer-Nüsselschweif zu Besuch gewesen. Das erste Mal war es nur ein kurzer Besuch, eine erste Nachschau, ob die Töchter von Günther dort grundsätzlich gut untergebracht seien. Der zweite Besuch war dann schon etwas länger und man schaute sich alle Räumlichkeiten ganz genau an, erfragte bei dem Ehepaar Dutzende von Antworten, die dann sorgfältig in Fragebogen eingetragen wurden und man unterhielt sich mit Ute und Monika, die in hübschen, gestärkten Kleidchen sittsam auf der Eckbank saßen und mit etwas scheuem Blick eher nur auf den Boden starrten.
Wenn die Frau vom Jugendamt einem der Mädchen eine Frage stellte, lachte die Birnbaumer-Nüsselschweif kurz auf, legte sofort ihre „mütterliche“ Hand auf die Schulter oder das Knie des betreffenden Mädchen und antwortete an ihrer Stelle.

„Sag mal, Du fühlst Dich hier wohl und möchtest auch hier bleiben, Ute?“ So lautete eine der Fragen und sofort antwortete die dicke Ersatzmutter: „Nicht wahr, Ute, Du fühlst Dich hier zum ersten Mal in Deinem Leben so richtig geborgen, das wolltest Du doch sagen?“
Und prompt nickte das Mädchen, rang sich ein Lächeln ab und wiederholte: „Ich fühle mich hier wohl und möchte hier nie wieder weg.“

„Ach, ist das nicht prima, wie sich die Kinderlein hier schon eingelebt und integriert haben?“ juchzte Frau Birnbaumer-Nüsselschweif, klatschte in die Hände und fragte in die Runde: „Apfelkuchen?“

Nun sind ja die Leute vom Jugendamt tatsächlich daran interessiert, daß es Kindern und Jugendlichen gut geht und genau solche Kinder sahen sie vor sich. Kinder, die aus einer Ehe stammten, in der der Vater zumindest zeitweilig mal verdächtigt worden war, seine Frau umgebracht zu haben und in der das Familienleben sich in einer schimmeligen, modrigen Gartenlaube abgespielt hatte. Hier bei den Birnbaumer-Nüsselschweifs hatten die Mädchen saubere, beheizte Zimmer, der Pflegevater verdiente gut und das Haus war mit wunderfeinstem Gelsenkirchener Barock von oben bis unten ordentlich eingerichtet.

Die Sachbearbeiter hatten gerade das zweite Stück Kuchen und die zweite Tasse Kaffee zu sich genommen, da klappte die Frau vom Jugendamt den Aktendeckel zu: „Da scheint ja dann alles in bester Ordnung zu sein, wir verlängern die vorläufige Pflege auf weitere sechs Monate…“
Da unterbrach Monika ihren Satz und fragte: „Und wann kommen wir wieder….“

„Monika!“ herrschte die Birnbaumer-Nüsselschweif das Mädchen an: „Du weißt doch, daß man nicht dazwischen redet, wenn Erwachsene sich unterhalten. Ich glaube, darüber müssen wir nachher noch sprechen.“

Dabei funkelten die Augen der Dicken fast schon bösartig, doch davon bekamen die Leute vom Jugendamt nichts mehr mit, Herr Birnbaumer hatte sie schon mit einem milden Lächeln auf den Lippen zur Tür gebracht und verabschiedete sie.

Die Birnbaumer-Nüsselschweif reckte den Hals, lauschte auf das Zuklappen der Haustüre und als dann auch draußen das Hoftor ins Schloß fiel, sagte sie kurz: „Monika, Keller!“

—-

Nachdem mir Günther seine Geschichte erzählt hatte, war ich voller Zorn. Die ganze Nacht hatte ich mich im Bett herumgewälzt und meinte förmlich spüren zu können, wie sich ein Magengeschwür entwickelte, daß die Form von Frau Birnenschweiß‘ Gesicht hatte und sich von innen durch meine Gedärme fraß. Ich hatte die fette Kuh nur zu gut kennen gelernt und am eigenen Leib erfahren, wie bösartig diese Frau werden konnte, wenn es darum ging, irgendein notleidendes Kind unter ihre mütterlichen Fittiche zu bekommen.
In jüngeren Jahren war Frau Birnbaumer-Nüsselschweif ja bekanntlich selbst schwanger gewesen und hatte das traurige Schicksal erleben müssen, daß dieser kleine Erdenbürger viel zu früh tot zur Welt gekommen war. Für ihren Mann und ihre Familie völlig unverständlich, hatte sie am Tag der Beisetzung des Kleinen darauf bestanden, die Urne selbst zum Grab zu tragen und war dann dort auf die Knie gefallen, als der Friedhofsarbeiter die Urne in das kleine Loch hinabließ. Mit den Händen hatte sie in der lockeren Erde gewühlt und sich die Erde in die Haare und ins Gesicht gerieben.
Obwohl alle sie drängten, sich in die Hände eines erfahrenen Therapeuten zu begeben, hatte sie sich schnoddrig, abweisend und schon fast ein wenig zu traurig gezeigt. Ihr Mann hatte alles versucht, um ihr Trost und Stütze zu sein, doch sie hatte ihn schroff abgewiesen und sich fast zwei Jahre lang nur ihrer Trauer und ihrem Schmerz gewidmet. In dieser Zeit hatte sie auch den Grundstein für ihre nicht unbeträchtliche Leibesfülle gelegt.

Danach hatte sie im Mütterkreis der Kirchengemeinde eine Funktion übernommen und seit diesem Tag war sie wie besessen von dem Gedanken, Kindern Gutes zu tun.
Das hätte sie sicherlich auch auf vielfältige Weise tun können, aber leider entschied sie sich fast immer für Kinder, die anderen gehörten und eigentlich ihrer Hilfe gar nicht bedurften.

Im Grunde eines bemitleidenswerte Person. Doch seit der Totgeburt waren sicher an die 20 Jahre oder so vergangen und wenn dann nur noch Boshaftigkeit, Neid, Intriganz und krankhafte Muttersucht übrigbleiben, dann hat man das Anrecht auf Mitgefühl irgendwann auch verspielt.
Aber Frau Birnbaumer-Nüsselschweif war eine gute Schauspielerin und die Menschen in der Stadt und in der Kirchengemeinde waren ihr rundes Gesicht aus der Zeitung gewöhnt und man dachte allenthalben, es handele sich um eine ach so gute Frau, die sich aufopfere und nur Gutes tue.
Dafür hatte sie ja auch das Bundesverdienstkreuz bekommen; ich könnte heute noch würgen, wenn ich an das entsprechende Bild in der Zeitung denke.

Und ausgerechnet die sollte jetzt quasi zur „Pflegemutter der Nation“ werden und Günthers Töchter auf unbestimmte Zeit behalten?

Natürlich erwachte in mir sofort der Wunsch, dagegen anzugehen und alles Menschenmögliche zu tun, um ihr ordentlich ans Bein zu pinkeln.
Doch als ich am nächsten Morgen mit meiner Frau darüber sprach, die zwar selbst sehr temperamentvoll sein kann, in manchen Situationen aber auch einfach ein sehr guter Gegenpol zu mir ist, mußte ich erkennen, daß sich so viele Möglichkeiten zum Birnbaumer-Anpinkeln gar nicht boten.
Was hätte ich denn tun sollen?
Die Situation war eindeutig: Günther hatte in der alten „Villa Kunterbunt“ zwar genügend Platz gehabt, aber die Bude war unbewohnbar und inzwischen abgerissen. Die kleine Ersatzwohnung bot gerade mal ihm selbst und den vielen Umzugskartons Platz und von der neuen „Villa Kunterbunt“, der Wagenburg auf dem Gartengelände am anderen Ende der Stadt wußten die Behörden nichts – und ich glaube, das war auch besser so.

Wenn man Günther hätte helfen wollen, dann hätte man ihm eine größere Wohnung besorgen müssen und eventuell einen Job, das sagte ich auch zu meiner Frau.

„ja, dann mach das doch!“ sagte sie. „Du hast doch immer diese soziale Ader, Du wirfst doch oft genug das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinaus, kaum daß da jemand auch nur ein Tränchen vergießt und kaum, daß Du das Gefühl hast, jemandem könne es schlecht gehen. Wer ist denn da immer der Hilfsbereite? Das bist doch Du! Also steck jetzt mal nicht so malerisch den Kopf in den Sand und sieh zu, daß Du dem armen Kerl da hilfst!“

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 9. März 2013

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nadar
11 Jahre zuvor

Ja, echt mal! Komm in die Pötte! Du brauchst ja eeewig!
(O-Ton-Fortsetzung der Lebensgefährterin)

Im Ernst: Danke für die nächste Folge. Nimm dir alle Zeit, die du dazu brauchst. 😉

Bert
11 Jahre zuvor

Also mein lieber Tom, das ist zwar eine schöne Geschichte (vielen Dank dafür), aber man merkt doch, dass viel Fantasie darin steckt, was ja nicht unbedingt schlecht ist.

Die Damen und Herren vom Amt treten als Einzelperson bei Pflegefamilien auf, nicht schwarmweise – ist billiger. Und diese Person unterhält sich mit den Kindern alleine, nicht in Anwesenheit der Pflegefamilie. Kenne ich jedenfalls aus eigener Erfahrung so.

Und was Günthers neue Wohnung betrifft, können wir einen Witz ‚draus machen:

Frage an Radio Eriwan:
Ist es richtig, dass Günther dank sozialistischer Fürsorge eine 2-Zimmer-Wohnung beziehen konnte, die das Amt für ihn beschafft hat?

Antwort von Radio Eriwan:
Im Prinzip ja. Nur war es keine 2-, sondern eine 1-Zimmer-Wohnung und die hat ihm das Amt auch nicht beschafft, sondern Günther musste sich selbst darum kümmern und er konnte sie auch nicht beziehen, weil das Amt nicht für die Maklercourtage aufkam und in seinem Fall auch nicht für die Kaution. Das passierte aber dank der sozialistischen Fürsorge.

Salat
Reply to  Bert
11 Jahre zuvor

Da kann ich dir nur zustimmen, Bert.

Salat

Micha I
Reply to  Salat
11 Jahre zuvor

mit mir haben die JA Herrschaften nicht alleine gesprochen. Meine Pflegemutter war mit dabei. Kommt vielleicht auch drauf an, wann und wo das ganze ablief. Bei mir in RP zwischen 1980 und 86

Bert
Reply to  Micha I
11 Jahre zuvor

Bei mir Anfang der 80er in Hamburg.

11 Jahre zuvor

Ich hab da grad das Bild eines Videos im Kopf… Der Feind sitzt in seiner Burg und ahnt nichts, während um Ihn herum die edlen Ritter mit Schwert, Schild und thermonuklearen Sprengköpfen in Stellung gehen… Das Rüsselschwein sollte besser mal den Unterrock hochziehen und die Bluse enger schnallen, Tom geht zum Angriff über…

Reply to  Sammi
11 Jahre zuvor

Glaube mir, das willst du nicht sehen wenn die Dicke ihren Unterrock hochzieht.

*beide Hände an die Ohren hält und Lalalalala Blumenwiese singt*

Draalo
Reply to  Kirstin
11 Jahre zuvor

…die arme Blumenwiese – die kann doch nix dafür!

Reply to  Draalo
11 Jahre zuvor

Kirstin, um dieses Bild aus deinem Kopf zu kriegen, stell dir bitte vor wie Angela Merkel, gepresst in Pamela Andersons Baywatch-Badeanzug, in die Fluten stürzt um Guido Westerwelle, welcher mit dem Borat-String bekleidet ist aus dem Wasser zu ziehen.

Und um DAS Bild loszuwerden wende dich an eine fachkundige Stelle. Und sag Bescheid, wenn du eine gefunden hast.

BlackBaron
Reply to  Sammi
11 Jahre zuvor

Die fachkundige Stelle nennt sich Wladimirs Trinkhalle in der Nähe von Frankfurt/Oder. Hier wird als einziges Therapeutikum selbstgebrannter Wodka mit einem garantierten Methanolgehalt von 2% geboten. Das könnte Bilder löschen, wahrscheinlich sogar den internen Bildprojektor außer Funktion setzen, die letalen Nebenwirkungen dürften in einem Bestatterforum kein Problem darstellen……..




Rechtliches


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