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Geschichten

Günther XXXIV

Am Morgen des gleichen Tages bekam Günther Besuch. Von seinem Bauwagen aus konnte er sehen, daß zwei Herren in Windjacken von dem Tor seines Gartens standen und das verhieß nichts Gutes. Männer in beigefarbenen oder grauen Windjacken sind immer von einer unangenehmen Behörde, schlimmstenfalls von der Polizei. Und ausgerechnet zur Polizei hatte Günther, seitdem man ihn unschuldig eingesperrt hatte, kein besonders gutes Verhältnis mehr.
Den Gerichtsvollzieher kannte er, der fuhr immer dienstags herum und der kam auch nie in Begleitung.

Ein paar Sekunden zögerte er und überlegte, ob er einfach nicht hingehen und aufmachen sollte, wie er es schon so oft getan hatte. Die Leute warfen dann meist einen unangenehmen Zettel ein, in dem sie ihren Besuch für den Soundsovielten ankündigten und bei Nichtöffnen dies oder das Unangenehme machen würden…

Doch einer der Männer hüpfte etwas auf und ab und konnte über das Tor blicken und rief: „Herr Salzner, machen Sie doch mal auf!“

Obwohl der Mann Günther gar nicht gesehen hatte, fühlte dieser sich entdeckt und schlurfte dann doch zum Tor und öffnete.

„Gräbert und Koslowski vom Wohlfahrtsverband“, stellte der in der grauen Jacke sich und seinen Kollegen vor. „Ich bin Berthold Gräbert, Sozialarbeiter, und das hier ist Dr. Martin Koslowski, er ist Psychologe. Dürfen wir mal kurz?“

Der in der beigefarbenen Jacke schüttelte Günther mit einem strahlenden Lachen die Hand und schon waren die beiden Wohlfahrenden am verdutzten Günther vorbei in Richtung der Hütten, Lauben und Bauwagen gegangen.

Günther schloß langsam das Tor, blickte den beiden hinterher und grummelte: „Aber selbstverständlich, herzlich willkommen, kommen Sie doch rein…“

„nee, jetzt mal im Ernst, Herr Salzner, so geht das nicht“, begann der, der sich als Gräbert vorgestellt hatte und Günther befürchtete schon Schlimmes, denn auch Dr. Koslowski schüttelte den Kopf und stimmte zu: „Das kann ja so nicht sein.“ Dabei machte er auch noch eine ausladende Handbewegung und deutete auf die Hütten und Wagen.

„Setzen Sie sich doch!“ forderte Günther die beiden auf und schob ihnen zwei Campingstühle an einen Holztisch. „Wollen’se nen Kaffee?“

„Och jo“, freute sich Gräbert und auch Koslowski nickte.

„Milch hab ich aber keine, nur Zucker“, rief Günther noch und die beiden Männer riefen unisono: „Schwarz!“

Günther machte sich sogar die Mühe und wischte ein Tablett sauber, um den Kaffee, den er in Porzellantassen mit Untertassen servierte, zu den Männern ins Freie zu bringen. Er selbst trank seinen Kaffee aus einer blau-weiß emaillierten Blechtasse.

„So, und was wollen Sie?“ fragte er gespannt und setzte sich auf einen Hocker zu den Männern in Windjacken.

„Also, wie ich schon sagte“, begann der Beige: „Wir sind vom Jugendamt eingeschaltet worden und da muß auch schon mal jemand da gewesen sein, egal, auf jeden Fall haben wir uns die Akten angeschaut und es geht ja nicht, daß hier eine Familie auseinandergerissen wurde. Sehen Sie mal, die Kinder haben gerade ihre Mutter verloren, das ist ja schon mal schlimm genug. Da brauchen die doch aber eine feste Bezugsperson, jemanden aus dem familiären Umfeld.“

Und der Graue ergänzte: „Das kann ja nur ein Verwandter sein, idealerweise der Vater. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, weshalb man die Kinder in eine Pflegefamilie gegeben hat. Das wäre eine Maßnahme für eine Woche, für ein paar Tage, ja längstens für einen Monat gewesen, bis sie sich gefestigt haben, Herr Salzner, aber doch nicht für eine so lange Zeit!“

„Ich krieg meine Kinder wieder?“ Günthers Mund stand offen und es raubte ihm fast den Atem.

Gräbert nickte: „Die Mädchen, ja, die sollen sofort wieder zu Ihnen. Sie haben hier fließendes Wasser, Sie haben hier Heizmöglichkeiten und genügend Raum. Wir schauen uns hier nochmal genau um, vielleicht können wir vom Wohlfahrtsverband da noch die eine oder andere Hilfe leisten, falls es irgendwo an irgendetwas mangelt. Dem Jugendamt sind da ja oft die Hände gebunden. Wenn Sie mich fragen: Alles Korinthenkacker! Aber die können oft gar nicht anders, die Buchstaben des Gesetzes sind da sowas von wachsweich und die haben so viel Ermessensspielraum und manchmal entscheidet eine 29jährige Alleinstehende über das Schicksal von Familien.“

„Das spielt ja jetzt keine Rolle“, unterbrach ihn Dr. Koslowski, der es offensichtlich als unangenehm empfand, daß sein Kollege so über die Behörde sprach. Und Koslowski war es, der dann die erlösenden Worte sprach: „Herr Salzner, wenn Sie wollen, fahren wir heute noch, gemeinsam mit Frau Ströttinger vom Jugendamt, zu der Pflegefamilie und holen ihre Töchter ab.“

„Und was ist mit Thomas?“ fragte Günther aufgeregt.

Die beiden Männer schauten sich an und Günther merkte sofort, daß das nichts Gutes verhieß.

„Tja, das ist so eine Sache…“, begann Gräbert und Koslowski fuhr fort: „Sie wissen doch selbst, wie schwer es ist einen autistischen Jungen von einem Umfeld ins andere zu transferieren. Jetzt hat er Fuß gefaßt in seiner Gruppe, lebt seine Rituale, hat seinen Rhythmus. Da wollen wir ihn ungern herausziehen.“

„Ungern?“ hakte Günther nach, der ja insgeheim wußte, daß die beiden Recht hatten.

„Nun ja, ungern beinhaltet nicht die Option auf irgendetwas.“

„Häh?“

„Herr Salzner, Sie sind doch ein Mann klarer Worte und so will ich auch klar und deutlich mit Ihnen sprechen“, sagte Gräbert: „Wenn Sie die Mädchen jetzt zurück haben wollen, bedeutet das, daß Thomas in seiner Gruppe bleibt. Basta. Punkt, Schluß. Aus.“

Koslowski milderte sofort etwas ab: „Vorerst mal, also bis auf weiteres, mal die nächste Zeit, so ein, zwei Jahre, dann sehen wir weiter.“


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Oktober 2013 | Peter Wilhelm 16. Oktober 2013

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