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Geschichten

Günther XXXV

Günther stellte wie in Zeitlupe seine Blechtasse auf den Tisch und fast synchron nahmen Gräbert und Koslowski nun ihrerseits ihre Tassen an sich und während sie tranken, schlug Günther die Hände vor sein Gesicht und begann zu weinen. Es war als ob ein Wolf heulte. Der bärtige Mann wurde von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt, immer wieder hob er die Hände, schaute ohne Blick in den Himmel, schüttelte wieder und wieder den Kopf. Die ganze Last der letzten Monate fiel mit einem Schlag von ihm ab, endlich sah er, daß sein Hoffen und Sehnen nicht umsonst gewesen war, daß er wirklich eine Chance hatte, seine Mädchen wieder zu sich nehmen zu können.

„Wir müssen noch über einige Details…“, versuchte Herr Gräbert das Gespräch wieder aufzunehmen, doch Günther ließ ihn nicht weiter reden und fragte mit tränenerstickter Stimme: „Wann?“

Koslowski schaute auf die Uhr: „Nun, es ist noch sehr früh. Bis die Papiere drin im Amt fertig sind und Frau Ströttinger keinen Publikumsverkehr mehr hat, na ja, da wird es so kurz nach Zwölf, oder sagen wir besser kurz nach Eins. Es ist ja dann auch noch Mittagspause.“

Spontan wollte Günther etwas über Beamte, das Wort ‚Mahlzeit‘ und die Mittagspause sagen, die ihm und seinem Glück jetzt noch im Wege standen, aber er schluckte das herunter; schließlich waren die beiden Windjackenmänner mit einer überaus guten Nachricht zu ihm gekommen und viel schneller als er es je erhofft hatte, würde er seine Kinder, zumindest mal Ute und Monika in die Arme schließen können. Da war es besser, jetzt einfach die Klappe zu halten.

„Wie ist das denn mit dem anderen Jugendamt?“ erkundigte sich Günther, nachdem er mit einem sehr großen Stofftaschentuch seine Tränen halbwegs getrocknet hatte. „Ich meine, die wollten mir die Kinder doch eher für immer wegnehmen…“

Gräbert nickte verstehend und legte Günther eine Hand aufs Knie: „Machen Sie sich da keine Sorgen. Jetzt ist das beim Jugendamt dieser Stadt, dort liegen jetzt die Akten und der Bericht und das Gutachten werden in der Akte bleiben, ich kann mir nicht vorstellen, daß irgendein Jugendamt nunmehr anders entscheidet, als es jetzt der Fall ist, solange sich die Verhältnisse nicht gravierend ändern. Sagen wir es mal so: Da hatte sich jemand auf sie eingeschossen und wollte von seiner Meinung nicht ablassen. Jetzt ist das, sagen wir mal, neutraler betrachtet worden und, na sind wir mal ehrlich, auch aus Kostensicht neu bewertet worden. Wozu Pflegegeld an eine wildfremde Familie zahlen, wenn es einen Vater gibt?“

Günther hatte sich geduscht, seine vormals wirren Haare mit dem Langhaarschneider seines Rasierapparates mehr schlecht als recht über den Ohren etwas gestutzt und den Rest mit viel Wasser zu einer sauberen Frisur gescheitelt.
Etwas zu stark nach Rasierwasser riechend und in einen etwas zu engen Anzug gezwängt lief er vor seinem Bauwagen schon seit zwei Stunden, eine Zigarette nach der anderen rauchend, auf und ab. Immer wieder blickte er auf die alte Kuckucksuhr vorne an der einen Gartenlaube und konnte gar nicht glauben, wie langsam die Zeit verging. „Meine Fresse, ich sterb‘ gleich vor Nervosität“, murmelte er und dann fiel sein Blick auf seine Hände.
Vom Rauchen waren seine Finger in den letzten Wochen gelb geworden. So wollte er seinen Mädchen nicht unter die Augen treten und beeilte sich, in der Küche im Bauwagen nach etwas Brauchbarem zu suchen, mit dem er seine Finger säubern konnte.
Scheuermilch funktionierte, die Behandlung war aber mühselig und dauerte zu lange. Also griff er nach Zitronensaft. Auch das ging ganz gut benötigte aber auch viel Zeit. Dann fiel sein Blick auf eine Flasche mit Chlor und damit bekam er seine Finger in Windeseile sauber, nur Sekunden dauerte es, bis die Finger wieder hell und sauber waren, als habe er nie geraucht und als seien sie nie nikotingelb gewesen.

Da hupte es.

Nun nicht nur nach Rasierwasser, sondern auch frisch nach Schwimmbad riechend rannte der sonst doch eher gemütlich-behäbige Mann zum Gartentor, wo ein silbergrauer Opel-Kombi auf ihn wartete.
Vorne saßen Gräbert am Steuer, eine junge Frau auf dem Beifahrersitz, die sich als Frau Ströttinger vorstellte und hinten saßen bereits Dr. Koslowski und ein weiterer Mann, der von Koslowski als Herr Sack vom Jugendamt vorstellt wurde.
Für Günther wurde es etwas eng auf der Rückbank und nachdem er sich in das Auto gezwängt hatte, was ihn ins Schwitzen gebracht hatte, sagte er: „Moment mal! Der Wagen ist doch jetzt voll. Wo sollen denn Ute und Monika hin?“

Die vier anderen sahen sich vielsagend an.


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Oktober 2013 | Peter Wilhelm 16. Oktober 2013

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melancholia
10 Jahre zuvor

OMG, das ist spannender als jeder Krimi…

Danke fürs Lesefutter!

10 Jahre zuvor

Vielen Dank für das Fortführen der Geschichte. Ich hangelte mich jetzt drei Klippen weiter und fühle mich schon sehr viel sicherer. 🙂

Winnie
10 Jahre zuvor

Hurra, Günna is widda da.
Trotzdem bleibe ich ob des Verdachts auf ein gruseliges Ende skeptisch.
Aber dennoch mit aller Hoffnung auf ein gutes Ende der Tragik sinnend. 😉

melancholia
Reply to  Winnie
10 Jahre zuvor

Ja, ich habe auch einige Bedenken, ob es ein Happy End geben kann.

Karin
10 Jahre zuvor

Schön, dass es weiter geht!
Hoffentlich geht es gut aus, würde mich sehr freuen.
Ich bin immer sehr mitfühlend.

Henning
10 Jahre zuvor

Ich glaube, allein mit dieser Geschichte könnte Tom einen Kurzroman füllen…

simop
Reply to  Henning
10 Jahre zuvor

lass mal das „kurz“ vor Roman weg… 😀

Levia
10 Jahre zuvor

Es ist ja nicht so, dass ich nicht dankbar bin, aber *argh* schon wieder eine Klippe 🙂




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