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Geschichten

Koma -11-

Es trafen so viele Blumen, Kränze und Schalen bei uns ein, daß wir einen Nebenraum neben den Aufbahrungszellen nur dafür zur Verfügung stellen mußten. Das bedeutete, daß wir, immer wenn sich Besuch angekündigt hatte, einen Teil der Blumen aus diesem Raum holen und damit den Raum von Saskia schmücken mußten.
Jede unserer Aufbahrungszellen war mit einem Kühlaggregat ausgestattet und die Blumen wären in der Kälte und Dunkelheit schnell vergangen.

Zwar war jeder Aufbahrungsraum fast so groß wie eine Garage, aber manchmal war das Gedränge dort so groß, daß Sandy den Zugang zu unseren Aufbahrungsräumen sperren mußte und die Leute nur in geordneter Formation durchlassen konnte.
Ehemalige Arbeitskollegen, frühere Mitschüler und jede Menge Leute aus verschiedenen Vereinen, Gruppen und der Nachbarschaft.
Saskia war offensichtlich sehr beliebt.

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Unter den weiblichen Angestellten war die Freude immer groß, wenn die Großeltern Böntjes mit dem kleinen Max kamen. Irgendwie schien der Name nun auch festgelegt zu sein, der Junge hieß jetzt einfach Max.
So ein kleiner Wurm erfreut aber nicht nur Frauenherzen, sondern auch ich freute mich immer, Max zu sehen. Mich faszinieren immer diese kleinen Hände und Füße und der absolut unschuldige und neugierige Blick von so kleinen Babys.

„Heute kommt Anja!“, teilte uns Herr Böntjes stolz mit: „Ich muß nachher nach Frankfurt zum Flughafen und meine Tochter abholen. Wir haben sie schon vier Jahre nicht gesehen.“

Von Anja hatte ich, nach allem was mir im Krankenhaus erzählt worden war, eigentlich kein gutes Bild. Das war doch die Schwester von Saskia, die es abgelehnt hatte, das Baby zu sich zu nehmen. Eine mehr oder weniger wohlhabende Frau, die in Südafrika ein sorgloses Leben zu führen schien.
Nun, ich hatte Verständnis für die Frau. Man kann nicht eben mal so im Vorbeigehen ein Kind annehmen. Aber auf der anderen Seite konnte man doch so einen kleinen Erdenbürger nicht einfach seinem Schicksal überlassen.
Die Großeltern würden das sicherlich wunderbar machen und sich bestimmt vorbildlich um das Kind kümmern. Da sie noch nicht so alt waren, hätten sie und Max auch eine sehr gute Chance, sich ausreichend lang zu haben.
Aber wenn Kinder junge Eltern haben, die auch eher bereit sind, viele gemeinsame Freizeitaktivitäten mit ihnen zu unternehmen, so finde ich das besser.

Das waren ja alles nur Gedanken, die einem durch den Kopf gingen, eher ins Unreine gedacht. Aber ich fand, daß Max noch so klein war, daß er es gar nicht mitbekommen hätte, nun mit nach Südafrika genommen zu werden.
Ich mochte die Böntjes, nette Leute und unheimlich engagiert. Aber ich bin selbst ein Nachkömmling und weiß, was es bedeutet, wenn der Papa schon Mitte Fünfzig ist, und die Mitschüler alle Väter haben, die Anfang Dreißig sind.

Aber gut, Anja hatte sich erklärt, ihr war die Karriere wichtiger.

„Quatsch!“, unterbrach die Allerliebste meine Gedankengänge. „Die hat den kleinen Max doch noch gar nicht gesehen.“

„Ja und? Meinst Du, die ändert ihre Meinung, wenn sie das Kind sieht?“

„Aber sicher doch! Der ist ja soooo süüüühüüüüß, da kann die gar nicht anders, wetten?“

Ich wette nie mit meiner Frau! Nie, nie, nie! Denn wenn sie gewinnt, bekomme ich das über Jahre hinweg aufs Brot geschmiert, und wenn ich gewinne, dann ist sie beleidigt – auch über Jahre hinweg!

Und dann kam Anja.

Irgendwie scheint die Saskias Schwester kurz zuvor einen alten Film mit der trauernden Ingrid Bergmann gesehen zu haben, jedenfalls trug sie ein schwarzes Kostüm, einen schwarzen Hut und einen ebensolchen Schleier vor dem Gesicht.
Hollywood!

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 25. Juni 2015

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9 Kommentare
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Rena
8 Jahre zuvor

Solange nicht die Bi-Nü auf der Bildfläche auftaucht ist alles gut. *g*

Christian
Reply to  Rena
8 Jahre zuvor

@Rena:

Rena, warum musst du Tom auf solche Gedanken bringen?! Eine Möglichkeit mehr, noooccchhhh mehr Cliffhanger einzubauen 😉

Reply to  Rena
6 Jahre zuvor

You’re the gresetat! JMHO

pastoerle
8 Jahre zuvor

Die Bi-Nü war doch schon da – oder wer war die Frau, der die Tapete im Kinderzimmer nicht gefiel?!?!

Bella
8 Jahre zuvor

Ich würde mal sagen… der gute Peter muss bald einen zweiten Planeten anbauen für die ganzen Cliffs an die er uns immer hängt.

sakasiru
8 Jahre zuvor

Es gibt einfach Menschen, die wollen keine Kinder. Und dann ist es für beide Seiten sicherlich das beste, wenn man sie nicht dazu überredet. Max hat Großeltern, die sich gerne um ihn kümmern, das ist doch hundertmal besser als eine Tante, die ihn vielleicht als Belastung empfinden würde. Nur weil sie jünger ist heißt das doch nicht, dann sie mit ihm über die Wiesen toben wird, wenn das einfach nicht ihrer Art und ihren Interessen entspricht. Ich finde es gut, dass sie so ehrlich ist und sagt, sie kann sich das nicht vorstellen, anstatt aus familiärem Pflichtgefühl das Kind anzunehmen und sich dann vielleicht nicht ausreichend kümmern zu können (oder zu wollen).

Anna
8 Jahre zuvor

ich vermisse hier einen Teil Deiner ansonsten sehr anschaulichen, bildhaften Beschreibungen.
Wie sah die liebe Saskia bei ihrer Aufbahrung aus, wenn ich fragen darf ?

Rita Eva Neeser
8 Jahre zuvor

Lieber ( ich darf doch so sagen?) Herr Wilhelm, ich bin nicht mehr die Jüngste. Im Alter muss man doch mit allem rechnen, nicht wahr? Es ist auch sehr heiss, da kommt der Gevatter schon mal unverhofft.

Wenn ich daran denke, von dieser Welt zu scheiden, ohne diese Geschichte zusende gelesen zu haben, dann weiss ich heute schon, dass ich keine Ruhe finden werde und Ihnen wahrscheinlich nächtens erscheinen werde.

Schönen Tag

Leopoldine
8 Jahre zuvor

Wann geht’s weiter???

Das (arbeitstechnische) Sommerloch will gefüllt werden..;o)

Danke + Gruß, die Leo.




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