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Koma -8-

Leise klang die schon etwas zittrige und beim Singen sehr hoch und mädchenhaft klingende Stimme der alten Nonne durch den Raum. Klack, klack, machte das Beatmungsgerät, alle paar Minuten gab eines der vielen Geräte an die Saskia angeschlossen war, einen leisen Piepton von sich.
Die Brust der schwangeren Frau hob und senkte sich regelmäßig, ab und zu zuckte einer ihrer Finger. Ihre Augenlider waren mit jeweils einem schmalen Streifen Pflaster geschlossen.

Für die alte Ordensfrau lag da aber keine Frau mit nur Restfunktionen des Gehirns, sondern ein Mädchen, das ihre Hilfe und Fürsorge brauchte. Ohne diese Fürsorge, da darf man sicher sein, wäre es dem Ungeborenen in Saskias Bauch nicht so gut gegangen.
In einer Nacht schrillten plötzlich die Alarmsignale in Saskias Zimmer und in der Pflegezentrale und es verging keine Minute, da war die erste Schwester bei Saskia.

Von der Nonne gab es keine Spur.

In aller Eile kam der diensthabende Arzt ins Zimmer, man sah ihm an, daß er aus tiefstem Schlaf gerissen worden war. „Eine 36-Stunden-Schicht“, sagte er entschuldigend zur Nachtschwester und widmete sich den Kontrollgeräten neben Saskias Bett.
Nach einer kurzen Untersuchung meinte er: „Wie es aussieht, hat die Frau wohl eine Wehe gehabt. Zeit, das Kind zu holen. Rufen Sie unten an, damit die alles vorbereiten. Viel Zeit haben wir nicht.“

Inzwischen waren zwei Schwestern und ein Pfleger im Zimmer und hängten die Geräte um. Einige konnten abgestöpselt werden, andere wurden ans Bett gehängt und dann schob man Saskia hinaus.

„Sollen wir Dr. Winter anrufen?“, fragte eine der Schwestern den Arzt und der hob erstaunt die Augenbrauen. Im ersten Moment hatte er geglaubt, man wolle ihm die Kompetenz absprechen, doch dann fiel ihm wieder ein, wie wichtig dieser Fall Dr. Winter war und wie sehr das Schicksal der Frau seinem Kollegen am Herzen lag. „Ja, machen Sie das!“

Zwei Stunden später hatte der kleine Max das Licht der Welt erblickt. Nicht ohne Komplikationen war seine Geburt verlaufen. Wahrscheinlich durch das Koma seiner Mutter verursacht, hatte sich der kleine Wurm noch in eine mentoposteriore Gesichtslage gedreht, wobei er quasi mit dem Gesicht voran in Richtung des Geburtskanals lag. Doch die Wehen waren zu unregelmäßig, zu schwach und ein Kaiserschnitt war ohnehin geplant. Doch auf einmal hatte alles ganz schnell gehen müssen und so war es rund um Saskia noch einmal zu großer Hektik gekommen. Doch alle Griffe hatten exakt gesessen, das OP-Team wußte genau, was zu tun war. Trotz aller Eile war die operierende Ärztin, Frau Dr. Kugler, eine Dame von gut fünfzig Jahren, die Ruhe selbst geblieben.
Doch um 3.41 Uhr tönte der erste Schrei des neuen Weltenbürgers durch den Operationssaal und es gab keinen, der nicht ein Lächeln auf den Lippen hatte.

Dr. Winter war rechtzeitig eingetroffen, hatte sich aber zurück gehalten. Nun, da der kleine Max offenbar gesund auf der Welt war, hielt den Mediziner aber nichts mehr. Er eilte sofort zu Saskia und wich nicht von ihrem Bett, bis sie auf der Intensivstation angekommen war.

Natürlich hatte der kleine Max noch keinen wirklichen Namen, aber irgendjemand hatte direkt nach seiner Geburt gesagt: „Da ist er ja, der kleine Max“ und so hatte der Junge diesen Namen erst mal weg.

„Was wird denn jetzt aus dem Kind?“, fragte Frau Dr. Kugler ihren Kollegen Dr. Winter.

„Nun, es gibt da Großeltern und Saskia hat eine Schwester in Südafrika…“

„Sie rechnen also nicht damit, daß Saskia…?“

„Nein, unmöglich.“

„Unmöglich?“

„Ja, unmöglich!“

„Wie lange wissen Sie das schon?“

„Bei den Hirnschädigungen ist alles andere nur eine Frage der Zeit.“

„Schlimm, sowas.“

„Sie sagen es, Frau Kollegin.“

„Und der Vater?“

Dr. Winter konnte nichts anderes tun, als langsam den Kopf zu schütteln. „Man muß Geduld haben, wir haben alles getan, was man tun kann, jetzt liegt alles in den Händen einer höheren Macht.“

„Einer höheren Macht?“

„Nennen Sie es, wie Sie wollen, Schicksal, Universum, Gott, ich weiß es doch auch nicht. Aber irgendwer muß sich doch was dabei gedacht haben, diesen Wurm auf diese Erde zu stupsen und ihm schon vorher Vater und Mutter zu nehmen.“

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Juni 2015 | Peter Wilhelm 16. Juni 2015

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8 Jahre zuvor

Wieso fühle ich mich gerade an „Frauenarzt Dr. Markus Merthin“ erinnert?

M.
8 Jahre zuvor

Danke!

8 Jahre zuvor

Ich mag noch nicht anfangen zu lesen bei Teil 1 in der Angst das ich doch wieder nen Cliffhänger habe.
Ist Teil 8 der letzte Teil?
Oder magst den letzten Teil deutlich machen wenn du ihn einstellst ?

8 Jahre zuvor

Moin,

irgendwie sind bei den Teilen 4,5 und 7 die Shortcodes in der Internetadresse im Eimer, die Sortierung in der Episodenliste stimmt auch nicht.

*auf den nächsten Teil war*

Reply to  Die Barschlampe
8 Jahre zuvor

Was stimmt denn da nicht? Wenn Du Teil 1 klickst, kommt dann nicht Teil 1? Oder wenn Du Teil 2 klickst, kommt dann nicht Teil 2? u.s.w.
Oder legst Du Wert darauf, daß die Permalink-URL ein anderes Format hätte? Auf die achtet normalerweise niemand, weil die für das Auffinden der Texte durch die Leser keinerlei Bedeutung hat.
In der Tat ist die Sortierung in der Episodenliste nicht ganz in der richtigen Reihenfolge. Das ist aber ohne Belang, weil alle Links funktionieren.
Ändern kann man das nicht.
Das Phänomen kommt durch die Kapitelaufteilung zustande, bei der die vorherigen URLs erhalten bleiben müssen, damit die Zugriffszählung für die Leseauswertung erhalten bleiben kann.

Reply to  Peter Wilhelm
8 Jahre zuvor

@Peter Wilhelm: Ja, genau die Permalinks meinte ich. Ich hab die Geschichte nämlich in 8 Tabs geöffnet und mich gewundert, wieso das durcheinander ist und so…




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