DIREKTKONTAKT

Allgemein

Melanie III

Am Samstagnachmittag haben Ramona und Markus Abschied von ihrer Tochter genommen.
Es wäre zu persönlich, die näheren Umstände zu schildern.

Sandy und ich haben uns am späten Vormittag in die unteren Gemächer unseres Hauses zurückgezogen. Ich gestehe ohne Umschweife, daß wir uns etwas Mut angetrunken haben. Ich liebe meinen Beruf und kann da auch für Sandy sprechen, aber das mit Melanie ging uns an die Nieren. Da hilft einem auch keine Professionalität, keine Routine und kein dickes Fell.
Sandy will ja immer Leberkleister Jägermeister, ich zog ein Glas Cognac vor. Das mußte heute sein.

Unten haben wir einen Sinnspruch an der Wand hängen: „Ihr müßt ja diesen Leib verwandeln“ und wir verwandelten diese kleine leblose Puppe in einen Engel, so wie die Mutter es sich gewünscht hatte.

Als die Kleine dann in ihrem Sarg lag und wir sie in den Aufbahrungsraum geschoben hatten, nahm Sandy mich in den Arm, legte ihren Kopf auf meine Schulter und ich erwiderte die Umarmung recht vorsichtig, dann wollte ich mich wieder lösen, doch Sandy hielt mich noch fest. Ich merkte was los war.

„Weinst Du?“

„Chef! Ich doch nicht!“, schnief, Nase hochzieh‘, „Ich doch nicht!“

Dann saßen wir da in meinem Büro, tranken schwarzen, heißen Kaffee, Sandy wie immer rotzfrech die Füße an der Tischkante meines Schreibtisches und schwiegen uns eine ganze Weile an. Ich war froh, als Sandy das Wort ergriff und von einem völlig anderen Thema anfing. Sie hatte einen unserer früheren Mitarbeiter wieder getroffen, eine Lusche und ein Lahmarsch, den wir fast schon vergessen hatten und über den es sich vortrefflich abhetzen ließ, das hat gut getan.

Melanies Eltern kamen um 14 Uhr, ich hatte schon Kopfweh, soviel hatten wir gepafft, wir waren halt nervös.

Ganz ruhig war es im Aufbahrungsraum, Sandy und ich schauten abwechselnd alle paar Minuten nach. Etwa eine Dreiviertelstunde hat’s gedauert, dann führte Markus seine Frau hinaus. Es dauerte mit Sicherheit nochmal so lange, bis sich die beiden aus dem eben Erlebten lösen konnten.

Markus bedankte sich bei uns, hielt lange meine Hand und dann druckste er herum, kam nicht richtig zur Sache, sagte dann aber doch: „Meine Frau hätte da noch eine Frage.“

Ich sah Ramona fragend an, sie nestelte an ihrem Papiertaschentuch, das schon so zerfleddert war, daß kleine weiße Flocken zu Boden fielen und sie fragte mich: „Ja, ich will Sie mal fragen, wegen der Schildkröte.“

„Wegen der Schildkröte?“

„Ja, da draußen vor dem Haus am Seiteneingang, da steht eine Schildkröte.“

Man schlage mir dreimal hinten aufs Haupt, ich habe bis zu dieser Stunde diese Schildkröte nie bemerkt und vielleicht stimmt es ja, was meine Frau immer sagt, daß ich mit Scheuklappen durch den Alltag stolpere. Wir gingen vor das Haus, schauten nach und Ramona deutete auf eine kleine Schildkröte aus Ton, die tatsächlich neben dem Haus in einem Blumenbeet stand.
Meine Frau muß sie gekauft haben, da seitlich am Haus, wo es zu unserem privaten Eingang geht, pflanzt sie immer Blumen und dekoriert alles recht schön.
Aber dieses Krötenvieh war mir bis dahin wirklich entgangen.

„Ja, und was ist mit dieser Schildkröte?“ wollte ich von Ramona wissen.

„Verkaufen Sie uns die? Die will ich oben auf dem Grabstein haben. Melanie liebte doch Schildkröten so arg.“

Scheiße, ich muß beinahe heulen, schlucke heftig, nicke nur, gehe weg und höre wie Sandy zu den beiden sagt: „Die schenkt er ihnen…“



Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

Allgemein

Die Artikel in diesem Weblog sind in Rubriken / Kategorien einsortiert, um bestimmte Themenbereiche zusammenzufassen.

Da das Bestatterweblog schon über 20 Jahre existiert, wurde die Blogsoftware zwei-, dreimal gewechselt. Dabei sind oft die bereits vorgenommenen Kategorisierungen meist verlorengegangen.

Deshalb stehen über 4.000 Artikel in dieser Rubrik hier. Nach und nach, so wie ich die Zeit finde, räume ich hier auf.

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 10. April 2016 | Peter Wilhelm 10. April 2016

Lesen Sie bitte auch:


Abonnieren
Benachrichtige mich bei
15 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Melly
15 Jahre zuvor

*tränen in den augen hab*
ich geh jetzt besser ins bett…

SmachThePony
15 Jahre zuvor

Ich stell mir einen gestandenen Mann vor der Gefühle zeigt. Hammer Tom!

Sensenmann
15 Jahre zuvor

Großartig geschrieben! Wirklich mitreißend.

Volkert
15 Jahre zuvor

warum tu ich mir diese website eigentlich um diese Zeit noch an?
immer dieser Zwiespalt zwischen „das könnt dir genau so passieren“ bzw. genau deine Wellenlänge und hoffentlich geht so ein Kelch an dir vorüber

Athalfain
15 Jahre zuvor

Besser kann man das Thema Tod nicht präsentieren.
Meine Hochachtung!

Stefan
15 Jahre zuvor

Mannomann.

Da stehen mir nur vom Lesen schon die Tränen in den Augen.

15 Jahre zuvor

Ich bewundere dich für diese Stärke…..meinen Respekt euch allen, die ihr diesen harten Job macht.
Licht und Liebe
Sabrina

babs
15 Jahre zuvor

Das geht ans Herz.
Einfach wunderbar, wie Ihr auf die Betroffenen eingeht.
Meine Hochachtung!

jemand
15 Jahre zuvor

Auch wenn dieser Text schrecklich genug ist. Aber das musst du mir erklären:
Melanies Eltern kamen um 14 Uhr, ich hatte schon Kopfweh, soviel hatten wir gepafft, wir waren halt nervös.

Zeitungsleser
15 Jahre zuvor

Ich kann nur aus eigenem Erleben berichten, dass solcher Grabschmuck gerne auch mal geklaut wird. Erst vor kurzem geschehen, als eine handgefertigte Keramik-Figur vom Grab meiner Mutter gestohlen wurde.

hajo
15 Jahre zuvor

Zeitungsleser
wer Gräber versorgt wird schnell mit solchen Verbrechern konfrontiert (nein, nicht direkt, denn sie sind hinterhältig und gemein)
Tote zu bestehlen ist für mich so ziemlich das Verabscheuungswürdigste was es gibt (Mord und Verbrechen an Kindern und Schwachen steht natürlich an erster Stelle)
Tom, ich hatte schon beim zweiten Artikel Tränen in den Augen, aber jetzt ..
liebe Grüsse
Hajo

Mac Kaber
15 Jahre zuvor

@Jemand: Wenn eine Zigarette sonst 6 Minuten dauert, dann ist sie bei Stress in 3-4 Minuten am Filter. Wenn man dann noch eine an der anderen anzündet, zwei Raucher eine Stunde in einem Raum sind, und auch nicht gelüftet wird, das erklärt das Kopfweh doch – oder? Gedanklich ist man so abgelenkt, dass es einem erst auffällt, wenns weh tut.

Chris
15 Jahre zuvor

Meine Güte, ich verkrafte ja ne Menge, aber jetzt beim dritten Teil hat’s mich auch erwischt… als mein Player dann auch noch zufällig am Ende die Anfangslänge von „Youth of the nation“ (P.O.D.) gespielt hat (die hallende E-Gitarre), ist’s mir kalt den Rücken runtergelaufen. Ab ins Bett…

Forsi
15 Jahre zuvor

Wenn ich die Geschichte von Melanie lese läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Gerade weil ich selber Vater von 2 Kindern bin und nebenberuflich Sargträger.

LexAB
15 Jahre zuvor

DAS allerdings treibt auch einem „gestandenen Mann“ sturzbachartig die Tränen in die Augen. Eine ganze Armee aus Schildkröten soll über die kleine Melanie wachen…




Rechtliches


15
0
Was sind Deine Gedanken dazu? Kommentiere bittex
Skip to content