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Geschichten

Newton ist an allem Schuld

wolkenhimmel

Es ist ja allgemein bekannt, daß Sir Isaak Newton die Schwerkraft erfunden hat.
Wenn ich mich recht an die Erzählungen unseres Physiklehrers Herrn Witthoff erinnere, war diese Erfindung bahnbrechend und für den Fortbestand der Menschheit und des Universums geradezu essentiell.
Ich habe keine Vorstellung davon, wie es vorher auf der Erde ausgesehen haben mag, aber dank Isaak Newtons Erfindung fielen Äpfel seitdem von den Bäumen auf den Boden, was ja bekanntlich immer nahe des Stammes passiert. Vermutlich fielen sie bis dahin nach oben, entfleuchten also heliuminös gen Firmament.
Praktischerweise wirkt sich Newtons Erfindung auch auf alle möglichen anderen Bereiche unseres täglichen Lebens aus. Wie günstig ist es beispielsweise, daß Stühle dank der Schwerkraft auf dem Boden stehen bleiben.
Auch daß wir Menschen auf der Erdkugel stehen können, ist eine direkte Folge dieser höchst tollen Erfindung. Wahrscheinlich hat sich der Nutzen dieser klugen Neuerung damals bis nach Australien nicht herumgesprochen, denn bekanntlich hängen die Australier ja verkehrt herum mit dem Kopf nach unten am Erdball.

Nur leider sind ja Frauen erwiesenermaßen inkompatibel zu Männern. Und daraus wiederum ergibt sich die logische Schlußfolgerung, daß Frauen auch inkompatibel zu männlichen Erfindungen sind.

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Nehmen wir jetzt mal beispielsweise die Haarbürste. Die ist ja anno dazumal vom sächsischen Bürstenbinder Hugo Blotzsch erfunden worden. Ursprünglich diente sie zur Entfernung von Motten, Läusen und anderem Getier aus Fellmänteln. Aber rasch hatten die Damen dieses nützliche Utensil auch für die Pflege ihres Haupthaares adaptiert, ja man möchte fast sagen annektiert.

Ich persönlich mache ja von der Haarbürste an sich, aus Gründen, die ich hier nicht näher darlegen möchte, insgesamt eher weniger Gebrauch. Aber meine Frau, die Allerliebste. Sie bürstet ihr Haar.
Nun kollidieren mehrere Dinge in einem System von Inkompatibilitäten, einem höchst instabilen System also.
Da haben wir einerseits die Frau an sich. Desweiteren spielt in diesem System die Haarbürste eine Rolle. Aber nun kommt noch Newtons Schwerkraft hinzu und so wird das alles zu einem Problem.

Die Allerliebste ist ja eher von der grobmotorischen Art. Das heißt, alles Filigrane, das haptische Feingefühl und die Gelenkigkeit an sich sind ihr abhold. Sie verfügt einfach über keine wie auch immer geartete Koordination, was Bewegungen anbetrifft.
Das fängt schon beim Öffnen von Türen an. Für Frauen wurden ja diese Schilder mit „Ziehen“ und „Drücken“ an den Türen angebracht.
Nur gibt es auf dieser Welt keine einzige Frau, die diese leicht zu verstehenden Anweisungen auch befolgen würde. Man stelle sich nur mal eine Viertelstunde hier vors Rathaus. 20 von 10 Frauen drücken an der Tür, obwohl da deutlich „Ziehen“ steht.
Von innen betrachtet ist es übrigens genau umgekehrt.

Die Augen sehen „Ziehen“, der Kopf verarbeitet diese Information zu „ich muß jetzt an der Tür ziehen, damit sie aufgeht“. Aus diesem langen Erkenntniswurm erzeugt das Gehirn nun einen superschnellen elektrischen Nervenimpuls an die Hand. Diese hebt sich, greift den Griff – ja und dann kommt die eben beschriebene Fehlkoordination zum Zuge und die Hand macht etwas völlig anderes, als eben noch gesehen, gedacht und befohlen – sie drückt!

So liegt also die Blotzsch’sche Erfindung auf einem kleinen Regal neben dem Spiegel im Flur. Die Allerliebste steht vor diesem Spiegel und schaut hinein. Dann greift ihre Hand nach der links liegenden Bürste. Die Finger erreichen den Bürstengriff und umschließen ihn.
Einer ordentlichen Durchbürstung meiner Frau stünde also nun überhaupt nichts mehr im Wege. Es ist alles da: Die Frau, das Haar, der Spiegel, die Hand, die Bürste.
Nur befindet sich eben all das in jenem instabilen newtonschen System der Fehlkoordination und Schwerkraft.

Sie hat die Bürste ergriffen. Die Distanz zum Haupthaar mag noch 60 cm betragen – da löst sich der bis dahin sehr nützliche feste Griff ihrer Finger vom ebensolchen der Bürste. Und was tut die Bürste? Sie ist männlich, eindeutig, müßte eigentlich „der Bürst“ heißen, und tut das, was Newton ihr befohlen hat, sie fällt zu Boden.

Bumms.

So. Und gleich dieser Bürste fallen an diesem Tag noch: eine Kaffeetasse, ein Spültuch, eine Birne, zwei Salatgurken, ein Küchenmesser usw. Insgesamt bringt es meine Allerliebste auf durchschnittlich 27 Gegenstände, die im Laufe eines ganzen Tages zu Boden fallen.
Das bedeutet: 9.855 mal im Jahr muß sie sich bücken, um irgendetwas aufzuheben, das sie Sekunden vorher hat fallen lassen.
Wenn Sie dafür jedes mal nur 10 Sekunden benötigt, ist sie gut einen Tag pro Jahr nur damit beschäftigt, Sachen aufzuheben.
Das summiert sich im Laufe eines Lebens und gemeinsam mit der Zeit, die Frauen beim Einparken mehr benötigen und plus der Zeit, die sie durch das unnötige Wiederholen von eben Gesagtem vertun, ergibt das genau diese 5-10 Jahre, die der liebe Gott ihnen mehr an Lebensspanne zugedenkt.

Infolge der täglichen Bodenberührung aus ca. 120 Zentimetern Höhe hat sich zwischen dem Stiel der Bürste und dem Bürstenkopf wohl im Laufe der Zeit ein Haarriß gebildet. Es muß ein Haarriß sein, denn alles andere wäre ja aufgrund der Bezeichnung Haarbürste geradezu absurd.

Ja und gestern fiel diese Bürste dann erneut zu Boden. Und wie immer war die Allerliebste ungeheuer überrascht, daß ausgerechnet ihr so etwas passiert.
Und was macht die Bürste? Sie trennt sich vom Stiel. So. Entzwei. Auseinander. Kaputt.

„Duhu, Schahatz?“

Wenn die Allerliebste etwas möchte, neigt sie zur nordischen Vokalverdoppelung.

„Kann man die kleben?“

Ich schaue müde des Lebens von meiner Lektüre hoch, betrachte die beiden Bürstenhälften in den Händen meiner Frau und knurre: „Man kann alles kleben.“
Das sagt mein Mund. Mein Hirn denkt: „Schmeiß das olle Ding in den Eimer!“

Und als ob sie meine Gedanken lesen könne, sagt die ungarische Steppentänzerin: „Supi! Die hat zwar nur einen Euro gekostet, aber die mag ich soooo gerne. Klebst Du die?“

„Ja, leg sie hin, ich mach das später.“

„Och, nicht jetzt?“

„Nee, jetzt ist Sonntag, ich sitze gerade so gemütlich und habe keine Lust.“

Das sage ich, weil ich weiß, daß sich im Bad noch 47 andere, ganz ähnliche Bürsten befinden.

„Schahatz, ich will die aber jetzt nehmen.“

„Nimm doch eine von den vielen anderen.“

Entrüstung! Wie kann dieser unwissende Mann bloß so dumm und so wenig an den Nöten und Sorgen einer Frau interessiert sein? „Die sind doch ganz anders, die kann ich dafür nicht nehmen. Du mußt mir die Bürste kleben. Egal wie, das muß auch nicht super schön aussehen. Hauptsache, der Stiel ist wieder dran. Och komm, sei doch so lieb.“

Ich wäge ab. Sind ihre Kochkünste so überragend, daß ich nicht doch darauf verzichten könnte? Wie steht es um ihre Fertigkeiten im Bereich der Wäschepflege? So an die 5-6 dieser ehelichen Vorteile werfe ich in die Waagschale. Bei keinem komme ich auch nur im Geringsten in Versuchung, mich aus dem Sessel zu erheben. Dann fällt mir die eheliche geschlechtliche Gemeinsamkeit ein und drei Minuten später stehe ich im Keller an der Werkbank.

Ein schöner glatter Bruch. Das wäre doch genau das Richtige für Sekundenkleber.
Gut, die erste Tube ist komplett eingetrocknet. Die zweite Tube enthält etwas von diesem Superkleber, aber die Tülle ist total verknistert und verkleistert, es kommt kein Tropfen heraus.
Also beschließe ich eine neue Tube des Superklebers zu öffnen. Dazu muß man den Deckel abschrauben und mit dem daran angebrachten Dorn den Aluverschluß der Tube durchstoßen.
Bei allen diesen Arbeiten, das muß ich jetzt einfach mal sagen, fällt mir auch nicht ein einziger Gegenstand zu Boden!

Na ja, das Durchstoßen der Membran ist so eine Sache. Der Dorn ist nicht besonders spitz und die Membran so zäh wie das Hymen einer Grizzlybärin. Ich brauche eine halbe Stunde, um die verklebten Finger wieder auseinander zu bekommen.
Zuerst gehen Ring- und Mittelfinger wieder getrennte Wege, ich kann auf einmal den Gruß der Vulkanier!

Endlich habe ich etwas vom Sekundenkleber auf die Bruchstelle aufgetragen, füge die beiden Teile zusammen und warte nicht nur eine, sondern mehrere Sekunden. Wunderbar! Meine Hand klebt nun am Griff der Bürste fest – nur die beiden Bruchhälften kleben nicht aneinander.

Um ehrlich zu sein, kaufe ich immer mal wieder Sekundenkleber. In der Werbung kleben die damit ja ein Auto an die Decke.. Nur bei mir will das einfach nicht funktionieren. Zumindest hat es noch nie bei irgendwas funktioniert.
Wenn überhaupt, haben immer nur die Finger geklebt.
Vielleicht sollte ich es wirklich mal versuchen, mein Auto in der Garage an die Decke zu kleben.

Aber wahrscheinlich ist es einfacher, wenn wir Männer einfach mal beim Schicksal oder beim Universum beantragen, daß die Schwerkraft einfach wieder abgeschafft wird. Dann hätten wir diese Probleme mit unseren Frauen nicht mehr und das Auto würde von alleine an der Garagendecke hängen.

Was hatte die Allerliebste gesagt? „Egal wie! Hauptsache, der Stiel ist wieder dran.“
Gut, das kann sie haben!

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 27. März 2017 | Peter Wilhelm 27. März 2017

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15 Kommentare
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Alle Kommentare anzeigen
Georg
6 Jahre zuvor

Ein kluger Ehemann hätte auf „Kann man die kleben?“ mit „keine Ahnung bzw.“weiss ich nicht „geantwortet,wäre für eine Zigarettenlänge in den Bastelkeller verschwunden und hätte dann gesagt „das Material ist zu spröde und kann nicht geklebt werden“.

Wird in so Norddeutschland schon seit Adam und Eva erfolgreich gehandhabt……….

Dominik
6 Jahre zuvor

Satire vom Feinsten! Klasse!

Erica
6 Jahre zuvor

Prust :-)))))

Bernd
6 Jahre zuvor

Das wirklich schlimme und erschreckende ist, dass die meisten Männer solche Erlebnisse kennen.

Christina
6 Jahre zuvor

Ein GANZ kluger Ehemann hätte – so wir wir Frauen – statt Sekundenkleber sofort zweikomponentigen Epoxidharzkleber (Marke: größte Eulenart PLUS) verwendet 🙂 Damit schaffen es angeblich sogar viele Männer, (nicht nur) Haarbürsten zu kleben 🙂

McDuck
6 Jahre zuvor

Kann man eh nicht nur kleben. Zu hohes Biegemoment unter Last bei Benutzung. Hält nicht vernünftig. Niemals nicht. Muss man beidseitig ausbohren und mit einem eingesetzten zentralen Dübel, am besten Stahlstift, verkleben. Oder die Enden mittels Hitze verschmelzen. Oder die Bruchstelle nach dem Verkleben schienen, mittels Metallhülse o.ä. Kleben alleine is nix. Nee, nee, auf gar keinen Fall, nur Pfusch. Und sinnlos. Also sinnloser Pfusch. Ich würde das Universalwerkzeug für hoffnungslose Fälle empfehlen, Deckel auf, Bürste rein, Deckel zu, fertig. Aber zur Tarnung was draufpacken. Wichtig, damit sie auch weg bleibt.

Henning
6 Jahre zuvor

Loriot hätte es nicht besser zu Papier bringen können (auch wenn dieses hier nicht hzu Papier kommt, sondern zu Monitor).
Meine Frau ist da recht gut in der Feinmotorik, aber mein kleienr Sohn ist geradezu professionell im Entzweien von Dingen – die sich oftmals nicht kleben lassen, weil die Industrie offenbar klebstoffabstoßende Kunststoffe verwendet; Sekundenkleber hält dann ähnlich gut wie erwärmtes Kerzenwachs…

Llu
6 Jahre zuvor

😆 …wieher

Hymen einer Grizzlybärin! 😆
Woher bloß weißt du so etwas?

Sybille
6 Jahre zuvor

Großartig! Beste Humoristenqualität. Kleinigkeiten aus dem Alltag gekonnt als Geschichte aufbereitet. Erste Sahne!
Interessant übrigens, daß sich die Hälfte der Kommentare hier um die Klebetechnik dreht. Männer!

hajo
6 Jahre zuvor

zum Thema Schwerkraft: wenn es diese überragende „Erfindung“ nicht gäbe, müssten wir permanent mit Leitern herumlaufen. Das gilt aber nur in Räumen, im Freien wird’s brenzlig 😉

Christina
6 Jahre zuvor

Noch einmal zum Thema Kleben (@ Sybille – ich repräsentiere die andere Hälfte der Menschheit > Frauen, die auch nicht immer NUR linke Hände haben!!!):
@ McDuck: ich habe vor ca. 30 (!!!) Jahren den abgebrochenen Metallgriff einer Schublade eines extrem schweren Eichenholz-Schreibtisches meiner Großeltern mit genau dem oben genanntem Zweikomponentenkleber repariert. Die (entsprechend schwere) Schublade wurde seitdem fast täglich (!!!) geöffnet/geschlossen: und der Griff hält noch immer!!! Und NEIN, ich bin (leider !!! 🙁 …) keine Vertreterin der Firma, finde das Zeug einfach nur überwältigend gigantisch und repariere damit so gut wie alles !!!
Und wir Frauen sind vielleicht nicht immer NUR doof … ICH würde auch Haarbürsten reparieren, weil mich unsere Wegwerfgesellschaft zum Rückwärtsessen motiviert. Ich lasse Dinger wie Haarbürsten allerdings auch selten fallen und repariere Gegenstände im Ernstfall IMMER ziemlich erfolgreich selbst …

6 Jahre zuvor

Super!

Ich hatte heute das erste Mal gelacht:
über den Beitrag, DANKE!Bleibt mir hoffentlich im Gedächtnis, denn manche Beiträge sind so gut, die liest man gern doppelt oder zeigt sie Mitmenschen, die es nicht so mit „bestatterweblog.de“ haben, weil sie denken:“Huch, nein, da geht es gewiß nur um Tote usw…“

Hab ich auch gedacht und bin erleichtert, das dem nicht so ist…

Regi
6 Jahre zuvor

Pfft. Deine Texte finde ich normalerweise super, aber da wurde echt kein Klischee ausgelassen. Ich habe eine Bohrmaschine und eine Stichsäge zu Hause, die ich auch regelmässig benutze. Manchmal teste ich sie an einem Macho aus, um dem örtlichen Bestatter etwas Arbeit zu verschaffen… 😉

Deto
Reply to  Regi
6 Jahre zuvor

@Regi: ich sehe das anders. ich glaube Peter hat der Welt ganz schön intensiv auf den Mund und die Finger geschaut. Ich lese seine Geschichten gerne im Freundeskreis vor. Da gefällt jedes Mal, dass die Leute sich sehr stark Wiedererkennen. Er hält uns einen Spiegel vor. Wer da ein Klischee sieht, hat etwas vorbeigeschaut.

Kaedder
Reply to  Deto
6 Jahre zuvor

@Deto: Hmmm…. Henne oder Ei?




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