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Tischlein deck dich! -II-

Den Bruder von Frau Seipel hatten wir längst anständig unter die Erde gebracht und Frau Seipel hatte auch die Rechnung pünktlich bezahlt. Der Auftrag war abgewickelt und dennoch kam sie hin und wieder ins Bestattungshaus. Einen Grund dafür fand sie immer.

Frau Seipel gehörte zu den Kunden, die nicht von uns lassen konnten. Ja, die gibt es.
Da war ein lieber Angehöriger verstorben und wir waren die Ersten und Einzigen, die sich der trauernden Hinterbliebenen angenommen hatten. Wir kannten uns aus, wir boten die notwendige Hilfe und die Angehörigen fühlten sich bei uns gut aufgehoben und anständig behandelt. Obwohl dann irgendwann die Arbeit getan war, wollten die Leute aber oft auf die zuvorkommende Behandlung und das entgegengebrachte Verständnis nicht verzichten und benutzten die Nähe zu uns als einen Baustein ihrer Trauerarbeit.
Ja, einmal hatten wir sogar den Fall, da wollte ein Mann gar nicht mehr von uns lassen und ich mußte ziemlich grantig werden, bis er sich endlich löste, aber das ist eine andere Geschichte.

Bei Frau Seipel kam hinzu, daß sie von Herrn Stadelfinger über die Fortschritte an der Arbeit an ihrem Tischlein in Kenntnis gesetzt werden wollte.
Der hatte lange mit ihr über dieses Projekt gesprochen, einige Bücher mit entsprechenden Abbildungen mit ihr gewälzt und dann eine Skizze angefertigt.
„Machen Sie mir den Tisch und es soll Ihr Schaden nicht sein. So einen habe ich mir schon immer gewünscht und da werde ich mich nicht lumpen lassen“, hatte sie gesagt.

Nachdem sie so sechs oder sieben Mal bei uns gewesen war, sprach ich eines Tages Herrn Stadelfinger an: „Na, wie steht’s denn mit dem Tischlein deck dich?“

Er kratzte sich am Kopf und verzog das Gesicht. „Ach Chef, ich habe mir da ziemlich viel zugemutet.“

„Haben Sie sich übernommen? Kriegen Sie das nicht hin? Ist doch nicht schlimm, dann sagen wir das der Frau und gut ist’s.“

„Nein, nein, das ist es nicht. Es ist bloß unglaublich viel Arbeit. Der Mechanismus ist nicht ganz einfach zu bauen und ich muß viele Stunden jeden Abend daran bauen. Meine Frau schimpft auch schon, aber das ist nicht schlimm, die schimpft sowieso den ganzen Tag. Ich werde und werde einfach nicht fertig. Auf den Plänen sieht das alles so einfach aus, die habe ich selbst gezeichnet. Das Problem ist, daß ich genau weiß, wie das gemacht wird. Ich mache acht kleinere Platten, die unter der normalen Tischplatte liegen. Wenn man die Tischplatte dreht, kommen die anderen wie die Blätter einer Blüte seitlich heraus und nach oben und dann hat man einen schönen und riesengroßen Tisch.
Aber auf den Bildern in den Büchern ist ja die Mechanik nicht abgebildet und so habe ich das, auch noch von dem was ich von früher weiß, selbst neu entworfen. In der Theorie klappt das alles, nur in der Praxis nicht.
Ich krieg‘ das hin, ganz bestimmt sogar, aber bis jetzt habe ich schon über hundert Stunden dran gearbeitet.“

Ich verstand sein Anliegen und meinte: „Dann müssen Sie das der Frau sagen. Sagen Sie ihr klipp und klar, wie aufwendig das Ganze ist und daß es ziemlich teuer wird. Dann hören Sie ja, was sie sagt.“

Herr Stadelfinger freute sich und schöpfte Zuversicht. „Jau, Chef, so mach‘ ich das.“

Und tatsächlich, bei einem der nächsten Besuche winkte Frau Seipel ab: „Um Gottes Willen! Ich weiß doch, daß das eine komplizierte Arbeit ist. Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen. Ich war wohl etwas zu ungeduldig, aber mir ist wichtiger, daß der Tisch schön wird, als daß ich ihn morgen schon habe. Und wegen des Geldes … na hören Sie mal, wenn ich mir den nicht leisten könnte, dann hätte ich ihn nicht in Auftrag gegeben.“

Fünf oder sechs Monate gingen ins Land und ich hatte den Tisch und Frau Seipel schon fast vergessen, denn sie war in der letzten Zeit nicht mehr gekommen, da sprach mich Stadelfinger an: „Chef, ich bin fertig!“

Ich schaute auf die Uhr, es war so kurz nach halb vier, und sagte: „Ja gut, dann können Sie meinetwegen Feierabend machen.“

„Nee, nicht hier, ich mein mit dem Tisch für die Frau Seipel.“

„Ach, das Tischlein deck dich!“

„Genau! Er ist fertig. Wollen’se mal sehen, ich hab ihn unten.“

Unten in der Werkstatt stand das Tischlein, verborgen unter einem weißen Tuch.

„Sie machen es aber spannend“, sagte ich, doch Stadelfinger winkte ab: „Nein, ist nur wegen dem Staub und damit keine Kratzer drankommen. Die Deckelplatte habe ich mit Intarsien versehen und dreimal lackiert. Aber bis der Lack so hundertprozentig ausgehärtet ist, das dauert noch. Trocken ist er, aber so richtig strapazierfähig wird er erst nach ein, zwei Wochen.“

Dann lüftete er das Tuch und ich staunte nicht schlecht.
Er hatte Kirschholz verwendet, eine sehr schön gemasertes Holz in einer warmen Farbe. Der Tisch war vielleicht 70 mal 70 Zentimeter groß und ruhte auf einer gedrechselten Säule, die in einem geschnitzten Kreuz mit vier Füßen endete.

„Achtung, jetzt kommt der Moment, wo das Rasiermesser die Haut ritzt!“, rief Stadelfinger und deutete auf den Knauf einer kleinen Schublade unterhalb der Tischplatte.

„Die Schublade ist nur eine Attrappe! Die kann man nicht herausziehen, aber den Knauf schon. Und wenn man den rausgezogen hat, dann wird der Mechanismus freigegeben. Drehen Sie mal an der Tischplatte!“

Ich tat, wie mir geheißen und drehte vorsichtig.

„Nein, etwas stärker, da ist ja kein Motor drin, nur ein Federmechanismus, aber den muß man erst überwinden.“

Ich drehte weiter und anfangs ging das etwas schwer, doch dann nahm mir der Tisch die Arbeit quasi aus den Händen und drehte sich von alleine weiter. An allen die Seiten drehten sich weitere Platten heraus und rasteten dann mit einem Klicken ein.
Fast vollautomatisch war aus dem Tischlein ein Tisch geworden, der bestimmt vier bis sechs Personen Platz bot.

Ich sagte: „Das ging ja dann auf einmal fast wie von selbst.“

Stadelfinger rieb sich vor Freude die Hände und berichtete stolz: „Nächtelang habe ich wachgelegen, bis ich auf des Rätsels Lösung gekommen bin! Sie kennen doch die Türschließer, man macht eine Tür auf, geht hindurch und der Türschließer macht sie dann automatisch zu, bremst sie wieder etwas ab und drückt sie dann ins Schloß, völlig ohne Strom.
das Prinzip ist einfach, man nutzt die Tür als Hebel und investiert beim Öffnen etwas Kraft, die oben in einem Zylinder oder in einer Feder gespeichert werden. Diese Kraft wird dann wieder abgegeben und zum Schließen der Tür benutzt.
Ich drehe das Prinzip um. Erst wollte ich, daß der Tisch von alleine wieder klein wird, aber ich bin dann dahinter gekommen, daß er, wenn er ausgefahren ist, mehr Fläche und somit mehr Hebelwirkung hat. Wenn man ihn jetzt wieder zusammenfaltet, wird die Kraft in einer Feder und einem Druckzylinder gespeichert und beim nächsten Mal, wenn man ihn wieder aufklappen will, wird die Kraft unterstützend genutzt. Genau darum geht das Öffnen wie von Zauberhand.“

„Genial! Und wie geht er wieder zu? Ich meine, wie macht man ihn wieder klein?“

„Das geht ganz einfach! Man zieht an dieser Platte hier ein wenig nach außen, dadurch werden auch die anderen Platten vom Tisch weggeschoben und dann schiebt man sie einfach gegen den Uhrzeigersinn. Sehen Sie, die gehen runter und schieben sich wieder unter die eigentliche Platte.“

„Ja, ich sehe. Wunderbar! Und diese schöne Schnitzerei auf der mittleren Platte.“

„Aber Chef, das ist doch keine Schnitzerei, das sind Intarsien, eine Einlegearbeit aus Nußbaum, dunkel gebeizt.“

„Sehr, sehr schön, da wird sich Frau Seipel aber freuen.“

„Ist ja bald Weihnachten, da bring ich den kurz vor Weihnachten, dann kann sie am Heiligabend mit ihrer Familie schon an diesem Tisch essen.“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 7. Oktober 2014 | Peter Wilhelm 7. Oktober 2014

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comicfreak
9 Jahre zuvor

..Wahnsinn, das merk ich mir, und wenn ich mal reich bin, lass ich mir sowas auch bauen 😀

der_klebezettel
9 Jahre zuvor

Ich würde ja wetten, dass die gute Frau Seipel selber leider nicht mehr in den Genuss des Tisches kommen wird…

Winnie
Reply to  der_klebezettel
9 Jahre zuvor

Genau, denke ich auch. Entweder die hängt schon tot am Zaun, oder sie hat sich das mit dem Preis etwas anders vorgestellt. Dieser Tisch müsste ja den Wert eines Kleinwagens haben, wenn alles berechnet würde. Aber auch, bei nur einem Teil der Arbeitszeit, wird die Rechnung gepfeffert sein. Da bin ich mal gespannt, wie es weiter geht.

Michi
Reply to  Winnie
9 Jahre zuvor

Bestimmt! Wenn es so rund läuft…, aber ich vermute mal, dem Herrn Stadelfinger ist fast seine ganze Arbeit schon Lohn genug, da eh Unbezahlbar, für ihn so etwas wie ein Lebenswerk…
Vielleicht sitzt die Familie nicht am Heiligabend am Tisch, sondern zum Leichenschmaus…?

MiniMoppel
9 Jahre zuvor

Solche Tische gibt es sogar in rund.

http://www.youtube.com/watch?v=AsKFmQCtMQQ

Held in Ausbildung
9 Jahre zuvor

Ich vermute auch stark, dass die gute Frau den Tisch nicht mehr braucht / will… und ales für die Katz war

9 Jahre zuvor

Richtig toll, wie du diesen Tisch beschrieben hast. Da bekommt man wirklich Lust, einfach mal zu euch zu kommen und euren Tischler anzusprechen. 😀

Allerdings befürchte auch ich -wie meine Vorredner- Schlimmes.




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