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Trampolin

Trampoline habe ich vor hunderten von Jahren in meiner Kindheit in der Schweiz kennengelernt. Ich bin ja in einer Zeit groß geworden, in der noch nicht alle Kinder jedwedes Spielzeug daheim hatten. Deshalb gab es für uns Kinder auch ab und zu etwas Neues zu sehen.

Aber das alles erzähle ich nur am Rande, denn es geht in diesem Bericht gar nicht um das Sportgerät, welches ja auch den bestimmten Artikel ‚das‘ bekommen würde, sondern um die Trampolin. Und dabei handelt es sich um nichts anderes als um eine ehemalige Bewohnerin eines osteuropäischen Landes, die tagtäglich mehrfach mit der Straßenbahn, also mit der Tram fährt, eben die Trampolin.

Das Wort haben die Einwohner des Ortes geprägt und wenn man von der Trampolin sprach, wusste jeder wen man meint.

Ich muß ganz oft mit dem Auto in den Nachbarort, wo wir eine Filiale haben und komme immer an einem großen Platz vorbei, an dem so ziemlich alle Straßenbahnlinien unserer Stadt sich kreuzen. Und eben dort sehe ich sie jeden Tag mehrfach stehen oder hinlaufen, die Trampolin. Klein, dick, immer ein paar Kleidungsstücke zuviel an und sommers wie winters in Stiefeln mit Fellbesatz. In der warmen Jahreszeit trägt sie Kopftuch und in der kalten Zeit eine dicke Fellmütze mit Ohrenklappen. Unabdingbar gehören vier Tüten einer bekannten Supermarktkette zu ihrer Ausstattung, zwei in jeder Hand.
So wackelt sie zur Tram, steht an der Haltestelle und seit Jahren warte ich darauf, daß die Ampel an dieser Stelle mal Rot zeigt, damit ich wenigstens einmal sehen kann, wie die dermaßen beladene Trampolin mit ihren Tüten in die Straßenbahn steigt.

Gestern Abend ist die Trampolin verstorben und obwohl ich mit polnischen Namen ganz gut zurecht komme, hatte ich Schwierigkeiten, mir diesen Konsonantensteinbruch zu notieren. Sie heißt Christina Czyczkolwyczynsky (sprich: Schischkolwischinski) und ihr Mann meinte es besonders gut und buchstabierte mir die polnische Schreibweise gleich mehrmals. Da das Wort nahezu gänzlich ohne Vokale auskommt und ungeheuer viele Z und Y bunt aneinander reiht, habe ich mich beim Aufschreiben verhauen und es stand dann CZYYYZCYZZCYW auf meinem Zettel. Später werde ich das berichtigen, dachte ich und sagte zu dem Mann: „Sehr viele Konsonanten“ und fragte nach der Adresse. Er sagte „Postweg, auch nur zwei Vokale.“ Da hatte er Recht.

76 Jahre ist sie alt geworden und gestern Abend hat sie Suppe gekocht, den Tisch im Wohnzimmer gedeckt, die Suppe auf die Teller geschöpft und ist noch einmal in die Küche gegangen, um Brot zu holen. Von dort ist sie nicht mehr zurückgekommen, hat sich einfach auf den Hocker neben dem Ofen gesetzt und ist gestorben. Nachdem der Arzt den Herztod festgestellt hatte, haben unsere Fahrer die Frau abgeholt.

„Machen Sie sich auf was gefasst, die Familie ist sehr groß und die trauern etwas laut“, hatte mir einer der Fahrer gesagt.

Heute Mittag kommt die Familie zu mir und ich bin gespannt.

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Lesezeit ca.: 3 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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rae
16 Jahre zuvor

Das ist aber eher die Ausnahme. Meiner Erfahrung nach sind solche „Originale“ meist eher einsam.

Man sieht sie jeden Tag auf der Strasse und irgendwann sind sie einfach „weg“… Manchmal geistert Wochen spaeter ein Geruecht durch den Ort, welches die naeheren Lebens- und/oder Todesumstaende erlaeutern soll, und das wars – von der Bildflaeche verschwunden und nur in den Koepfen weniger noch praesent, die sich fragen, wer dieser Mensch wohl war, was mit ihm geschehen ist und warum er so war, wie er war.

mirkomarquardt.com > Fischstäbchen! » Beitrag » Trampolin
16 Jahre zuvor

[…] via Bestatterweblog:
http://www.bestatterweblog.de/trampolin/1019/ […]

Requiem
16 Jahre zuvor

…“Er sagte “Postweg, auch nur zwei Vokale.” Da hatte er Recht.“

Suuuper! :-))

Jan
16 Jahre zuvor

Halle, was mich wundert, ist die Schreibweise mit Y am Ende, was mehr auf einen tschechichen Ursprung hindeutet.
In der Regel werden die polnichen …ski´s mit i am Wortende geschrieben.
Gruss

16 Jahre zuvor

@rae

Das kenn ich…hier im Ort haben wir „die Kofferfrau“, die seit Jahr und Tag mit einem Koffer, mehreren Taschen und einem recht eigenwilligen Kleidungsstil unterwegs ist.
Naja, zumindest hat sie sich vor 2 Jahren oder so nen Trolley zugelegt, weil es wahrscheinlich bequemer ist.

Nun hab ich sie aber auch schon ziemlich lange Zeit nicht mehr gesehen (wir saßen oft im selben Bus) und da mach ich mir schon so meine Gedanken, wo sie wohl steckt.

Leroy
16 Jahre zuvor

So will ich auch mal… Einfach hinsetzten und sterben. Kein langer „Kampf“ wie bei meinem Großvater.

Matthias
16 Jahre zuvor

„sprich: Schischkolwischinski“

Nö. Ich als Originalpole muss da eindeutig widersprechen, aber es stimmt schon, die Laute kann man im Deutschen nicht umschreiben 😀

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Die Familien, die morgens „etwas“ laut trauern haben es bis zum Nachmittag soweit verarbeitet, dass die weitere Trauer nun still stattfindet. Wenn alles regulär läuft, wird es ein ruhiges, sachliches Gespräch.

stephen
16 Jahre zuvor

Die Trampolin hat doch der Willy Astor erfunden?

undertaker
16 Jahre zuvor

@Stephen: Mag ja sein. Aber unter jede Geschichte von mir schreibt irgendeiner drunter, das habe er so ähnlich schon mal bei Hallervorden gehört, bei Kishon gelesen oder käme in diesem oder jenem Fernsehfilm, einer Trickfilmreihe oder auf der Homepage der tibetanischen Befreiungsarmee vor. Wäre es wirklich so, daß ich mich bei Astor und den Tibetanern & Co. bedienen würde, käme ich den ganzen Tag zu nichts anderem, als fernzusehen… 🙂

16 Jahre zuvor

Und da sage nochmal einer, ICH hätte einen komplizierten Nachnamen!

undertaker
16 Jahre zuvor

Cartoontomb ist doch nun wirklich nicht schwer.

undertaker
16 Jahre zuvor

…wobei ich neulich eine E-Mail bekam, in der ich als „Sehr geehrter Herr Thomas Undertaker“ angesprochen wurde.

Peroy
16 Jahre zuvor

„Aber das alles erzähle ich nur am Rande, denn es geht in diesem Bericht gar nicht um das Sportgerät, welches ja auch den bestimmten Artikel ‘das’ bekommen würde, sondern um die Trampolin. Und dabei handelt es sich um nichts anderes als um eine ehemalige Bewohnerin eines osteuropäischen Landes, die tagtäglich mehrfach mit der Straßenbahn, also mit der Tram fährt, eben die Trampolin.“

5€ in die Wortspielkasse…

nadar
16 Jahre zuvor

@ Matthias: Könntest du bitte „oschdschwischtschie“ in die richtige Schreibweise transliterieren? Ich glaube, das heißt soviel wie „natürlich“ oder „kein Problem“. Habe mir leider nicht die genaue Bedeutung des deutschen bzw die richtige Schreibweise des polnischen Wortes gemerkt. Ich glaube, letztere war auch ganz nett. 😉

Jander
16 Jahre zuvor

CZYYYZCYZZCYW, ja nee, is klar – Hier jonglierst du mit Buchstaben wie ein Profi und im Geschäft ist dir das alles abhanden gekommen? Sag bloß, du bist Lähgarsteniker und das hier ist alles dein PR-Team. *lach*

Gibt es eigentlich einen Totengräber-Verband, der sich um so innovative Werbung wie Virals und Blogs kümmert? Bei dem würdest doch mit Kusshand genommen werden *augenzwinker*

Mercy
16 Jahre zuvor

Jander, ich will ein Kind mit Dir!

gruftigirl
16 Jahre zuvor

Kommt mir bekannt vor… 🙂
In meiner Nachbarschaft bin ich für die Kinder immer „die komische schwarze Frau mit dem Leichengeruch“ (Patchouly)…

Jander
16 Jahre zuvor

@gruftigirl
„die komische, schwarze Frau mit dem Leichengeruch“ ist fast so lustig wie Trampolin.




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