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Geschichten

Warnung vor dem Spanner

Ich sitze in Mannheim am Paradeplatz in einem Café und träume vor mich hin. Ich kann das. Einfach nur so da sitzen. Meine Tochter nennt das: „Der Papa ist im Energiesparmodus.“
Und es ist wirklich so, ich entspanne mich, vor allem durch die Einsparungen von Bewegungen jeder Art, die über das Heben der Augenlider oder der Kaffeetasse hinausgehen.
In meinem Kopf arbeitet es auch weiter, aber ansonsten bewege ich mich nicht. Ich nehme Eindrücke wahr und folge meinem schriftstellerischen Prinzip: „Hinsetzen, zuschauen, aufschreiben.“ So entstehen die meisten meiner Geschichten. Dem Volk aufs Maul geschaut, dem Volk einfach zugesehen.
Doch heute soll es anders kommen. Das herzallerliebste Töchterlein schickt mir eine SMS. Das tut das mittlerweile zur jungen Frau gewordene Kind oft. Meist kämpfe ich mich durch einen Wust von jugendsprachlichen Neuwörtern und Abkürzungen, auf die ich im Traum nicht gekommen wäre.

HDL beispielsweise ist keine „Haftpflicht der Landwirtschaft“, sondern wenn Josie das schreibt, meint sie „Hab Dich lieb“. Und ich habe brav gelernt, daß ich darauf mit dem Namen, der mir völlig unbekannten IDA antworten muß.
Oft schreibe ich unter die eingegangene Litanei an Abkürzungen als Antwort einfach nur HDL IDA drunter, in der Hoffnung, daß das eine adäquate Antwort auf GHDSL mim MUMBA ILY sein könnte.
Manchmal gehen meine Nachrichten aber auch in die Hose. Sie ist bei ihrer Freundin Eva, ich möchte ihr mitteilen, daß sie sich bald auf den Weg machen kann, denn ich will Brathähnchen für uns machen:

Doch heute schickt mir das Kind eine lesbare Nachricht:

Wenn Du schon in der Stadt bist, guck doch mal nach Schuhen für mich.
Ich muß doch da auf diesen Ball.
HDL Kussi, Kussi, Kussi.

Welcher Vater könnte bei 3 x Kussi schon nein sagen? Welcher?

Ich stehe kurz darauf in einem Geschäft, in dem Frauenklamotten und Schuhe verkauft werden. Ich persönlich habe auch einige Paar Schuhe. Zwei Paar handgemachte aus Pferdeleder, ein Paar gefährlich aussehende Biker-Stiefel, ein Paar Sportschuhe (wie neu) und die grünen, die ich immer bei Auftritten anziehe. Mehr braucht man(n) nicht. Und ich habe mir sagen lassen, daß ich damit schon drei Paar mehr habe als der gewöhnliche Durchschnittsmann.

Das Schlimme an diesem Geschäft sind die Verkäuferinnen. Die drei jungen Frauen sehen aus, als seien Sie bei „Deutschland sucht den Superstar“ durchgefallen und versuchten nun, durch übertriebene Kosmetik irgendetwas wett zu machen.
„Kann man Ihnen was helfen“, fragt mich eine und in mir keimt unwillkürlich die Frage auf, wie ein Mensch mit so kleinen Füßen und so großen Brüsten überhaupt aufrecht gehen kann. Ich schüttele nur den Kopf und grunze in der mir eigenen Art etwas Unverständliches. Das tue ich immer, wenn Frauen etwas von mir wollen, das ich nicht erfüllen kann, oder zu dessen Erfüllung ich momentan nicht bereit bin. Es ist ja sowieso egal, was man sagt, es wäre ja sowieso verkehrt. Also reicht es, wenn ich nur brumme oder „Klabammbraduli“ sage, die mich auffordernde Frau erwartet gar keine verständliche Antwort. Sie erwartet EINE Antwort, egal welche. Denn welche Schlüsse sie aus meiner Antwort ziehen wird und welche Reaktion sie an den Tag legen wird, steht weiblicherseits ja sowieso schon vor dem Stellen der Frage fest.

Die Vornübergewichtige zieht ihre dick aufgemalten Augenbrauen etwas hoch und trollt sich. Abermals stelle ich mir die Frage, weshalb junge Frauen sich ihre gottgegebenen Augenbrauen wegzupfen oder abrasieren und stattdessen einen getünchten Balken aus kosmetisch veredelten Erdölrückständen über ihre Augen malen. Das haben früher nur alte Frauen gemacht, bei denen die Augenbrauen nach jahrzehntelangem Zupfen dünn und spärlich geworden waren. Als damals Raumschiff Enterprise rauskam, fand meine Mutter die winkelig aufgemalten Augenbrauen von Mr. Spock ganz seltsam. Heute spocken sich alle jungen Frauen solche Winkel in die Visage, seltsam.

Ich wende mich den wohlfeilgebotenen Damenschuhen zu. Was mag das Kind wohl haben wollen? Sind es diese hier mit dem hohen Absatz und den feinen goldenen Riemchen? Oder könnten es jene sein, mit den kleinen Perlen an der Schnalle? oder die Roten mit der Schleife?
Vor meinem geistigen Auge stelle ich mir vor, wie meine Tochter so läuft…
Nun gut, sie ist ein hübsches Mädchen, gereift zur jungen Frau, und manchmal, ganz selten, sogar zu einer jungen Dame. Aber sagen wir es mal so: Was das Laufen anbetrifft, hat sie nicht die geradezu grazile ostpreußische Eleganz ihres Vaters geerbt, sondern mehr dieses Brachiale mütterlicherseits.
Könnte dieses Kind wirklich Spaß an dünnsohligen Damenschuhen mit Riemchen, Perlen und hohen Absätzen haben? Mein Blick fällt durch das Schaufenster auf den Laden gegenüber. Dort wird handfeste Arbeitskleidung verkauft, da gibt es auch derbe Lederschuhe mit Stollenprofil und Stahlkappen…

„Okay“, sage ich zu mir selbst: „Du willst ja nix verkehrt machen, also mach Fotos von verschiedenen Schuhen, sende sie Deiner Tochter und lasse sie selbst eine Wahl treffen!“

So an die 13 Paar Schuhe habe ich schon fotografiert, da spricht mich die zweite Verkäuferin an: „Na, was machen wir denn da?“
„Wir?“, frage ich: „Ich wüßte jetzt nicht, was wir machen.“
Und mir fällt auch tatsächlich nichts ein, was ich mit dieser jungen Frau anatolischer Abstammung machen möchte. Gut, ich bin in einem Alter, in dem man uns Männern nachsagt, wir würden unsere Augen und Gedanken an alles heften, was Arsch und Titten hat; und beides hat die Anatolin im Überfluß. „Ayshe Sürtümboglu“ steht auf ihrem Namensschild.
Aber die junge Frau schielt mich aus linksradikal verdrehten Augen unter ihren Tuschbalken-Augenbrauen an, sodaß ich mir nicht so ganz sicher bin, ob sie tatsächlich mich meint. Ich drehe mich vorsichtshalber kurz um, aber da ist außer mir niemand. Sie zeigt auf mein Handy: „Spanner oder Fußfetischist?“

„Nein, nein, nein“, beeile ich mich zu sagen: „Ich mache Fotos von Schuhen, wegen Josie.“

Frau Sürtüboglu grinst vielsagend, tippt sich an die Stirn und geht weg.
Endlich vibriert das Handy. Meine Tochter hat sich entschieden, meine Auswahl muß also gut gewesen sein.

Spinnst Du, was soll ich denn mit den Nutten-Pantoffeln?

Hilflosigkeit macht sich in mir breit. Nein, kein Zorn.
Der Zorn kommt erst, als die Kleine mir schreibt:

Bleib, wo Du bist, ich bin gleich bei Dir
Ich bin bei Starbucks!

Mit anderen Worten: Dieses unerzogene, soeben enterbte Kind seiner Mutter schickt mich in ein feminines Geschäft, obwohl sie nur zwei Blocks weiter in einer amerikanischen Pappbecher-Kaffeebude sitzt!
Ich werde sie töten! Dieses Recht ist mir biblisch zugesichert, ich bin mir sicher!

Und dann steht sie acht Minuten vor mir, schaut mich aus ihren riesengroßen braunen Kulleraugen an und sagt mitleidsvoll: „Och, Papa!“

Niemals könnte ich diesem Mädchen was antun, niemals. Ich bekomme eine Kuss und beschließe, sie in meinem Testament in ganz besonderer Weise zu bedenken.

Eine Stunde später hat sich die Kleine für drei Paar Nike-Turnschuhe entschieden. Sie nennt diese Dinger Sneaker. „Aber Du machst doch gar keinen Sport“, wende ich ein. Ein vorwurfsvolles: „Aber Papa!“ ist die Reaktion. Und in diesen beiden Worten schwingt die Botschaft mit: „Werter Vater, Du hast nicht die geringste Ahnung, was die Frucht Deiner Lenden für einen Schuhgeschmack hat, Du alter Mann Du!“

Man kann das auch übersetzen in die Worte: „Du bist ein Schuhkaufversager, und deshalb kaufst Du mir jetzt noch Unterwäsche!“

Ich meine, was gibt es Demütigenderes für einen Mann, als mit einer Frau Unterwäsche kaufen zu gehen? Ich kenne das. Ich bin insgesamt 33 Jahre verheiratet und habe das schon mehrmals durchgemacht. Es läuft doch so: Du siehst in der Lingerie-Abteilung die geilsten Slips, Hemdchen und BHs und stellst Dir unter Anschwellung des Pürzels vor, wie Deine Frau darin aussehen könnte. Und wenn Du auch nur im Entferntesten den Vorschlag machst, Deine Frau solle doch das mal in Erwägung ziehen, trifft Dich die Strafe Gottes. Deine Frau wird Dich für absolut verrückt erklären, Dich eventuell sogar beschimpfen, und dann wird sie irgendetwas kaufen, das Du allenfalls Deiner Mutter oder Oma Anneliese zugetraut hättest.

Nun ist mir angesichts meiner Tochter ja jede Pürzelschwellung vollkommen abhold. Doch immerhin versetzt mich das Kind in großes männliches Erstaunen, als sie auf eben genau jene kaum sichtbaren, erotischen Unaussprechlichkeiten zusteuert und eben diese Unterwäsche, die ich für anregend halte, auswählt.
Ich werde jeden Kerl, der meine Tochter in diese Wäsche jemals sehen wird, auf der Stelle… Sie wissen ja, ich bin bibelfest!

Zehn Minuten später stehe ich vor einer Umkleidekabine und halte 14 kleine durchsichtige Plastikkleiderbügel in der Hand, an denen noch durchsichtigere Quadratzentimeter Stoff an ganz dünnen Trägerchen und Riemchen hängen. Ich will diese absurde Situation im Foto festhalten und nehme mein Handy zu Hand, um sein Selfie zu machen. Damit das Bild nicht verwackelt ist, mache ich den 10 Sekunden-Selbstauslöser an.

„Da ist er!“, tönt es an mein Ohr.

Frau Sürtümboglu und zwei uniformierte Polizisten kommen auf mich zu. „Na, Bürschchen, haben wir dich!“ ruft mir der eine Beamte zu, während der andere auf meinem Rücken kniet. Frau Sürtümboglu triumphiert: „Erst hat er die Frauenschuhe fotografiert, dann dieses junge hübsche Mädchen angesprochen und jetzt lauert der vor ihrer Kabine rum und befummelt Damenunterwäsche!“

Und genau in dem Moment kommt meine Tochter, extremst leicht bekleidet aus der Kabine, die Handykamera blitzt und der auf mir Kniende ruft: „Du Schwein!“

„Papa, was machst Du denn schon wieder!“

Es war das eine Wort „Papa“, das mich aus der Situation rettete.
Meinem Rücken geht es inzwischen wieder besser, ich habe immer noch Hausverbot in diesem Geschäft und ich bin immer noch entschlossen, jenen jungen Kerl zu verbibeln, der meine Tochter im unsichtbaren Unaussprechlichen sehen will.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 17. Januar 2017 | Peter Wilhelm 17. Januar 2017

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Thomas
7 Jahre zuvor

Hausverbot im Wäscheladen? Ein Traum !

7 Jahre zuvor

ich kann ja kaum glauben,was ich lese, aber clever die junge Frau:Vater sucht aus,bezahlt,sie meckert herum..Merke gerade,ich lebte bisher in sehr altmodischen Beziehungen,denn ich möchte schon selbst meine Schuhe und auch die Unterwäsche aussuchen,meinen männlichen Freund belästige ich höchstens mit der Bitte um Fahrt zu den Geschäften und ja:er darf schon ja sagen,wenn ich mir Schuhe aussuche.Vielleicht verwöhnst du deine Tochter zu sehr? Aber dann fällt mir ein:das ICH muß ja nicht immer das richtige ICH sein,oder? Geschichten haben es so an sich:man schreibt zwar in der ICH Form,aber dieser ICH ist dann jemand völlig anderer…Tolle Story! Der arme Vater..

Reply to  Peter Wilhelm
7 Jahre zuvor

@Peter Wilhelm: Hallöchen,lieber Peter,wenn ich so schreiben darf..
Ja,ist einer meiner großen Probleme, was ich so allgemein bei der Schreiberei habe. Wie es in den Sinn hinein kommt,so „muß“ es per Tastatur hier hinein. Mir fällt das ja leider nicht so auf,ich schreibe und lese da nix per Handy,geht alles nur am Labtop. Ich versuche dann mal ordentlicher zu schreiben,bedanke mich aber schon mal für die Anmerkung. Soll heißen,ich bemühe mich,deiner Bitte nachzukommen. Hoffe mal,meine Angewohnheit hat sich bei mir noch nicht so „eingefressen“…(liebe Mesie reicht völlig aus,bin weiblich. Habe mir dem Sächlichen auch mal Facebook so sehr „geärgert“,dass man mich kurzerhand entfernte,bin also leider nicht auf Facebook,wo du ja auch was hast..)

Reply to  mesie
7 Jahre zuvor

@mesie: Nun hatte sich auch noch ein Tippfehler eingeschlichen,muß so heißen:habe mit dem Sächlichen…

Josef
7 Jahre zuvor

Du bist ja ein ganz schlimmer!! Erst im Hotel das Gemächt zeigen, und nun sowas!!! 🙂

der kleine Tierfreund
7 Jahre zuvor

…hahahaha,ganz großes (Kopf) Kino !
Eingebrannt hat sich jetzt für alle Zeiten der bebelfeste Pürzel – vielen Dank auch dafür !
🙂

der kleine Tierfreund
Reply to  der kleine Tierfreund
7 Jahre zuvor

@der kleine Tierfreund: bibelfest natürlich.Mein Tipp-Ex ist leer…

7 Jahre zuvor

Tja, ich kann mich nur anschließen: Großes Kopfkino!
Peter, vielen Dank für den amüsanten Nachmittag!

Henning
7 Jahre zuvor

Was bin ich doch froh, daß mein Sohn dank Altersunterschied und geologischer Entfernung nie in den Genuß des Anblicks Deiner leichtbekleideten Tochter kommen wird 🙂
Mal sehen, wie es sich dann hier in so bummelig 10 Jahren darstellen wird, wenn das Interesse an leichtbekleideten Töchtern spürbar anschwillt bzw. anschwellen läßt… *hüstl*

7 Jahre zuvor

Tja, in den Geschäften, die ich kenne, fliegt man schon raus, wenn man die einzig vorrätigen drei Wijuh-Spiele handypfotokraviehrt, um dem kranken Sohnemann zuhause die Frage zu stellen, welches davon er haben will. Weil Handypfotokraviehren in Geschäften tun ja nur böse Leute, die dann bei Amazon kaufen wollen. Das darf man also nicht, sagt die Geschäftsleitung.
Von daher käme ich gar nicht soweit, Schuhe oder Unterwäsche handyzupfotokraviehren 🙂
(Und habe keine Töchter, wie praktisch!)

Reply to  Peter Wilhelm
7 Jahre zuvor

@Peter Wilhelm: LOL, das waren dann bestimmt die, wo man eh‘ nur die Bilder anschaut 😀 😀 😀

Der Boandlkramer
7 Jahre zuvor

Also, wenn die Geschichte wirklich so stimmt, wie Du sie erzählst Peter, dann hätte ich mir unter viel Aua, Aua erstmal vom Orthopäden ein Attest ausstellen lassen, weil der Rücken ja sooo kaputt ist und dann durch den Anwalt Schmerzensgeld von den Freunden in Grün erstritten, denn die Maßnahme war unverhältnismäßig. Den Laden hätte ich zudem wegen böswilliger Unterstellung ebenfalls auf dem Zivilrechtsweg verklagt. Das hätte dann noch mal ein paar Scheinchen gebracht. Davon mach dann lieber schön Erholungsurlaub mit Deiner Familie.




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