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Geschichten

Zypern oder Lappland? Herr Mubatai

Diese Geschichte stammt aus dem irgendwann erscheinenden Satireband „Du mich auch!“.
Die Texte in diesen Satirebüchern haben nichts mit dem Bestatteralltag zu tun, sondern schildern die Zeit meiner schriftstellerischen Arbeit, nachdem ich mein Unternehmen aufgegeben habe.
Wir wohnten damals vorübergehend zur Miete. Die wichtigsten Personen, die man in dem Buch in eigenen Geschichten vorgestellt bekommt, sind „Kalle, der Schrauber“, der eine eher unkonventionelle Autowerkstatt betreibt und Frau Ruckdäschl.
Frau Ruckdäschl wohnt im Parterre zwischen der immer einen spaltbreit geöffneten Wohnungstür und dem, zur Straße weisenden, Balkon. So ist sie omnipräsent für die Überwachung der übrigen Hausbewohner als selbsternannte Concierge tätig.
Ihre besondere Zuneigung gilt ihren kräftig blühenden Geranien, die sie in ihrem manchmal noch durchdringenden heimischen, norddeutschen Dialekt „Scherohnien“ nennt. Ansonsten spricht auch Frau Ruckdäschl, wie fast alle handelnden Personen breitesten badisch-kurpfälzischen Dialekt. Indes, die Bezeichnung Scherohnie ist inzwischen auf sie selbst übergegangen, wir zumindest nennen sie oft so.
Die übrigen erwähnten Personen sind alles Nachbarn.

Zum Verständnis der folgenden Geschichte muß man noch wissen, daß wir Wochen zuvor unseren Nachbarn, Herrn Kleiber, sehr kostenschonend und nachbarschaftlich unter die Erde gebracht hatten. Nun war ihm auch seine Frau in die ewigen Jagdgründe gefolgt:

Nachdem wir auch Frau Kleiberle einen wunderschönen Platz in der ‚Friedensoase’ verschafft haben, machen sich Herr Ofenloch und Costas daran, ihre Wohnung auszuräumen. Da sich niemand an dem Hab und Gut der Kleiberles bereichern will, kommt das meiste auf den Sperrmüll. Nur wenige ausgesuchte Stücke nehmen sich die Nachbarn, mehr so als Andenken an die Kleiberles. Wir bekommen die Waschmaschine und die Auslegeware und auch über Herrn Kleiberles Angelausrüstung freue ich mich sehr. Anke nimmt noch das ganze Geschirr und die Tischwäsche, wir wollen ja im Grunde nichts. Kalle bekommt den Fernseher und die Wohnzimmereinrichtung und Costas kann so ziemlich alles aus der Küche gut gebrauchen. Herr und Frau Muschelknautz finden das Gästezimmer ganz schön und nehmen die Möbel und die Garderobe von Frau Kleiberle. Frau Ruckdäschl, die alte Scherohnie will weder Möbel, noch Teppiche. Ihr genügt eine Kiste mit alten Briefen und Fotos. „Man will doch schließlich wissen, was das für Leute waren!“
Mit dem Ausräumen müssen wir uns beeilen, die Wohnung soll nämlich schon nächste Woche wieder vermietet werden.

Die neuen Leute heißen Mubatai. Das Ehepaar ist etwa 50 Jahre alt und keiner im Haus weiß, woher sie stammen. Deutsche sind es jedenfalls nicht. Mir ist das zunächst gar nicht aufgefallen. Ich habe Herrn Mubatai ein paar Mal im Treppenhaus getroffen und mich stets angeregt mit ihm unterhalten. Aber bei mir ist das ja so, dass ich die Eingeborenen hier in Nordbaden ohnehin nur sehr selten verstehe und deshalb immer nur freundlich nicke und ganz unverbindliche Sachen sage, wenn ich angesprochen werde. Erst als Frau Ruckdäschl mir erzählte, dass sie Herrn Mubatai auch nicht verstehe, erkannte ich, dass der wohl keinen badisch-kurpfälzischen Dialekt spricht, sondern irgendeine unbekannte andere Sprache dieser Welt.
Also wenn ich ehrlich bin, mein Verhältnis zu Herrn Mubatai hat darunter nicht gelitten.

Wir stehen oft beieinander und erzählen uns was. Er hat so freundliche braune Augen und lacht immer herzlich, wenn ich ihm die neuesten Geschichten von den Kindern erzähle. Er hingegen hat mir meistens etwas von Gullamago und Schiptipingo zu erzählen und sagt zwischendurch immer wieder ein Wort, das so ähnlich klingt wie Brotzel. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon er spricht, aber wenn laut zu lachen beginnt, lache ich auch, und wenn er ein aufgeregtes Gesicht macht, dann beschwichtige ich ihn. So mache ich das ja auch mit den anderen Hausbewohnern.

Frau Ruckdäschl kommt mit der Situation nicht klar. „Sie, wir müssen was unternehmen“, sagt sie zu mir.

„Was sollen wir unternehmen?“

„Wegen dem Mubatai!“

„Was ist mit Herrn Mubatai?“

„Wir müssen herausfinden was das für einer ist.“

„Das ist ein sehr netter Mann, mehr muss man gar nicht wissen.“

„Man muss doch wissen, was das für einer ist. Das könnte doch alles Mögliche sein, ein Jude, ein Araber oder am Ende sogar ein Neger!“

„Aber Frau Ruckdäschl! Ein Neger ist das bestimmt nicht, der ist doch gar nicht schwarz.“

„Er muss ja nicht aus Schwarzafrika kommen! Howard Carpendale kommt auch aus Afrika und ist der etwa schwarz!“

„Howard Carpendale kommt ja auch aus Südafrika!“

„Jetzt geben sie es doch selber zu, dass es in Afrika auch weiße Neger gibt!“

„Howard Carpendale ist doch kein Neger!“

„Wenn er doch aber aus Afrika kommt …“

Wir kommen dennoch überein, dass es sich bei Herrn Mubatai um keinen Neger handelt. Ich persönlich halte ihn für einen Ungarn. Deshalb spreche ich auch meine Frau darauf an. Anke hat ja Wurzeln, die tief bis in den Balkan reichen. Doch wieder einmal zeigt sie sich eher unkooperativ.

„Du glaubst doch wohl kaum, dass ich jetzt jede Sprache vom Balkan spreche, nur weil du deinen Lesern immer erzählst, einer meiner Vorfahren sei ein Zigeunerbaron gewesen.“

„Also erstens erzähle ich nicht, dass das ein Zigeunerbaron war, sondern ich schreibe immer, das sei ein Teufelsgeiger gewesen und zweitens könntest du es ja wenigstens versuchen.“

„Auf jeden Fall gehe ich nicht da rauf und spreche mit irgendwelchen Leuten, die ich nicht verstehe.“

„Ich kann mich sehr gut mit Herrn Mubatai unterhalten!“, lege ich vorsichtig Protest ein.
Aber auch hierauf hat die Allerliebste eine Antwort parat: „Ihr seid ja auch beides Dreibeine!“


(Beim Wort Dreibeine ist eine kleine Erklärung notwendig. Anke teilt die Welt in zwei Lager auf: Es ist dies einmal das Lager der Menschen, der gottgeschaffenen Wesen, die keinen Schniedel haben und mithin Frauen sind. Das andere Lager sind die primitiven, kaum über der Amöbe stehenden Männer. Und wenn sie sich mal wieder um eine, ihrer Ansicht nach, typisch männlichen Eigenheiten lustig macht, dann streckt sie drei Finger ihrer rechten Hand nach unten, macht mit den beiden äußeren so eine Laufbewegung nach und sagt: „Typisch Dreibein!“. Es bleibt der Phantasie des Lesers überlassen, was sie mit dem dritten Bein meint.)

Ja klar, jetzt hat sie es wieder auf ihr Lieblingsthema reduziert. Dabei erinnere ich mich sehr gut daran, als mein Cousin Otto, der in Spanien lebt, mit seiner Frau Marisa bei uns zu Besuch weilte. Marisa spricht kein einziges Wort Deutsch und Anke kann außer Olé und Torero nachweislich kein Spanisch. Das weiß ich deshalb so genau, weil wir mal in einem brasilianischen Restaurant waren und sie sich von der Speisenkarte als Hauptgericht etwas Spanisches bestellt hat, dass sich aber als sauer eingelegte, rohe Hühnerfüße entpuppte. Ach, was habe ich mich über ihre Spanischkenntnisse lustig gemacht! Selbstgefällig, wie das so ihre Art sein kann, lehnte sie sich zurück und verkündete grinsend: „Weißt du was? Du bist ein Kretin! In Brasilien wird Portugiesisch gesprochen!
Gut, da mag sie Recht haben, aber muss sie ihre Überlegenheit immer so zur Schau tragen? Jedenfalls steht fest, dass sie kein Spanisch kann – und auch kein Portugiesisch.

Das hat sie aber überhaupt nicht gestört, als Marisa bei uns zu Besuch war, die ausschließlich Spanisch spricht und das auch noch sehr schnell und sehr laut. SEHR LAUT!

Anke und Marisa haben stundenlang gemeinsam im Bad diese vielen kleinen Frauenfläschchen ausprobiert. Was haben Frauen bloß in diesen vielen Fläschchen? Ich habe nichts Dergleichen, was ich meinem Cousin Otto zeigen könnte. Ehrlich gesagt, käme ich mir auch lächerlich vor, stünde ich ewig lange mit einem anderen Mann im Badezimmer, um kleine Kristallflaschen anzuschauen. Genauso geht es mir übrigens mit meinen Klamotten.

Anke und Marisa, die sich ja bekanntlich überhaupt nicht verständigen konnten, verschwanden im Schlafzimmer und wenig später lag das ganze Bett voll mit Ankes Kleidern. Marisa probierte dieses und jenes an und die beiden schwatzten die ganze Zeit.
Also, eines weiß ich ganz genau: Wenn ich Otto mal besuche, werde ich nicht mit ihm im Schlafzimmer verschwinden und seine Hosen anprobieren! Ich will Otto nicht in Unterhosen sehen und ich möchte auch nicht, dass er meine Unterwäsche sieht.

Da kann Anke ruhig ‚Dreibein’ sagen und diese typische Handbewegung dazu machen, mir ist das egal. Ich werde mit Otto lieber eine Zigarre rauchen oder ihm meinen neuen Werkzeugkasten oder meine niegelnagelneue Angelausrüstung zeigen, jedenfalls ziehe ich keine seiner Hosen an!
Ich meine, mir ist es egal, ob Anke Gefallen daran findet, die Kleidung anderer Frauen anzuprobieren und ihre Garderobe zum kurzfristigen Vergnügen anderen Frauen zur Verfügung zu stellen. Frauen machen so was eben! Was mir allerdings nicht egal ist, ist ihre innere Einstellung zu dem allen! Ich als Mann muss dieses Klamottentauschen und Fläschchenriechen akzeptieren und gut finden. Es wäre mein Tod, würde ich mich auch nur im Geringsten darüber lustig machen! Dabei möchte ich aber auf der anderen Seite gar nichts wissen, wie die Allerliebste reagieren würde, wenn ich Ottos Beinkleider anziehe oder ihn ein bisschen am Motorenöl in der Garage riechen ließe.
Da würde sie mich wieder in diskriminierender Weise als Dreibein beschimpfen. Ist doch ungerecht, so was!

Ich kann ja auch nur ganz wenig Spanisch, aber immerhin soviel, dass ich weiß, dass Herr Mubatai weder Spanisch, noch Portugiesisch spricht.
Er steht vor mir, ist freundlich wie immer und ich frage einfach mal alle Länder ab:

„Ungarn?“

Herr Mubatai nickt. Aha, ich bin auf dem richtigen Weg und erkundige mich vorsichtshalber:

„Budapest?“

Er zuckt mit den Schultern. Hmm, dann war das mit Ungarn wohl doch nichts. Ich versuche es weiter:

„Rumänien, Romania?“

Er nickt wieder und lächelt. Aber dieses Mal falle ich nicht darauf herein, außerdem ist er für einen Rumänen viel zu groß! Ich kenne sonst nur noch einen Menschen aus Rumänien und das ist Peter Maffay und der ist eben nicht besonders groß, Einszwanzig oder so…

„Ukraine?“

Er nickt und freut sich, aber ich sehe an seinem Gesicht, dass er nicht das Geringste versteht. Auch auf Tschechien, Bulgarien und Albanien reagiert er nur freundlich nickend. Es macht, wie immer, sehr viel Spaß, sich mit ihm zu unterhalten, aber ich komme zu keinem Ergebnis.

Frau Mubatai konnte man bislang nicht fragen. Man weiß nicht genau wie, aber Frau Ruckdäschl hat in Erfahrung gebracht, dass sie den ganzen Tag irgendwo arbeitet, vermutlich in einem Restaurant, und erst sehr spät abends nach Hause kommt.

Herr Muschelknautz will heimlich im Rathaus nachfragen, woher die Mubatais stammen. Mehrere Nachbarn können nämlich inzwischen nachts nicht mehr schlafen. So eine offene Frage MUSS geklärt werden, soviel steht fest! Man kann sich ja sonstwas ins Haus geholt haben!
Unter einem Vorwand wird Muschelknautz auf dem Rathaus vorstellig und verwickelt die Verwaltungstante in ein raffiniertes Gespräch. Dabei bekommt er heraus, dass die Mubatais aus Emmendingen kommen. Na gut, wir wissen also jetzt, wo die vorher gewohnt haben, womit aber die Frage unbeantwortet bleibt, welche Sprache sie sprechen.
Bislang wissen wir nur, dass sie keine Schwarzafrikaner sind und mal in Emmendingen gewohnt haben.

Die Scherohnie, unsere Frau Ruckdäschl von unten, meint, man müsse einfach mal in deren Wohnung. Da könne man dann doch an der Einrichtung sehen, wo die herkommen. Kalle, der Schrauber, hat eine andere Idee: „Es heißt doch, Frau Mubatai arbeite in einem Restaurant. Man kennt das doch. Solche Ausländer arbeiten doch meistens bei Landsleuten. Griechen arbeiten immer in einem griechischen Restaurant und Chinesen immer im China-Imbiss.“

Frau Ruckdäschl unterbricht ihn: „Bei McDonalds arbeitet sogar ein Neger!“

Ich weiß zwar nicht genau, was sie damit sagen will, aber es steht zu vermuten, dass sie glaubt, McDonalds müsse deswegen zwangsläufig ein afrikanisches Restaurant sein.

Kalle lässt sich aber von der Alten nicht beirren und fährt fort: „Deshalb müssen wir nur alle ausländischen Restaurants in der Nähe besuchen und schauen, wo die arbeitet. Dann wissen wir auch wo die herkommen!“

Es ist im Grunde genommen eine Frechheit, aber die versammelte Nachbarschaft schaut mich an, als es darum geht einen Testesser auszusuchen. Die Scherohnie kann es sich sogar nicht verkneifen, mir auf den Bauch zu starren.

Ja, ist ja gut! Ich habe etwas Übergewicht, aber bin ich deshalb ein Vielfraß?
Ich will gerade lautstark Protest einlegen, da sagt Kalle: „Wir legen einfach zusammen! Das können wir ihm und Anke nicht zumuten, dass sie das Essen immer selbst bezahlen.“

Das wirft natürlich ein ganz anderes Licht auf die Sache! Mir schwebt vor, wie ich von nun an jeden Abend mit Anke ein anderes fremdländisches Lokal aufsuche, um dort zu speisen und Ausschau nach Frau Mubatai zu halten.

Herr Muschelknautz macht sich höchst unbeliebt, als er einwendet: „Das könnte ich doch aber auch ganz gut machen!“

Ich klopfe nur leicht auf meinen wohl gerundeten Bauch, schüttele mein üppiges Haupthaar etwas und sage mit der Überlegenheit des Hochdeutschen: „Na, lassen sie mal, ich opfere mich gerne!“

Es bedarf ja wohl keiner besonderen Erwähnung, dass die Allerliebste mir dieses Mal nicht in den Rücken fällt. Schließlich geht es um einige gute Abendessen auf Kosten der Nachbarschaft.

Ich will zuerst ins China-Restaurant ‚Shanghai’, doch auf gewisse Weise hat Anke Recht, als sie mich darauf hinweist, Frau Mubatai sehe gewiss nicht wie eine Chinesin aus. Aus diesem Grund scheiden auch der Koreaner und der Vietnamese aus. Eigentlich schade!
Unsere Wahl fällt auf das russische Restaurant „Zur Krim“ und wir gehen noch am selben Abend dorthin.

Es eröffnet sich uns ein wunderbarer Einblick in die russische Küche und wir genießen den Abend sehr. Leider gibt es keine Spur von Frau Mubatai. Die Allerliebste verschafft sich unter einem Vorwand sogar Zutritt zur Küche, um dort nach ihr zu sehen, in so etwas ist meine Frau unschlagbar.
Vielleicht finden wir Frau Mubatai am nächsten Tag. Da gehen wir nämlich in das bulgarische Restaurant „Zur Hühnerhütte“. Zwar deutet der Name auf alles andere hin, als auf ein bulgarisches Restaurant, aber Kalle hat uns den Tip gegeben, dass dort seit einigen Monaten ein Bulgare der Wirt ist.
Zwar ist der Wirt kein Bulgare, sondern ein Bajuware und kommt aus München, aber er kocht sehr gut. Frau Mubatai ist aber auch dort nicht zu finden.

Nach drei Wochen kommt erste Unruhe in der Nachbarschaft auf. Muschelknautz, der alte Grantler, ist der Erste, der anfängt zu meckern. „Ich weiß nicht, ob es nicht auf Dauer zu teuer wird, wenn sie jeden Abend großartig essen gehen. Würde es denn nicht ausreichen, wenn sie erstens alleine gehen und zweitens nur ein Glas stilles Wasser trinken?“
Erstaunlicherweise erhält er viel Zustimmung für seinen Vorschlag und die alte Ruckdäschl erdreistet sich, zu sagen: „Ich finde, der ist auch schon viel dicker geworden.“

Eine Frechheit! So etwas muss ich mir nicht bieten lassen und trete deshalb mit sofortiger Wirkung vom Posten des Frau-Mubatai-Suchers zurück.

Daraus ergibt sich aber ein neues Problem. Es findet sich niemand, der bereit wäre jeden Abend durch die Gegend zu fahren und in ausländischen Restaurants jeweils nur ein Glas stilles Wasser zu trinken.

Kalle, der Schrauber, schlägt einen Kompromiß vor: „Wenn wir uns auf vier Gläser Bier einigen könnten, würde ich das übernehmen.“

Muschelknautz protestiert: „Wenn du anfängst, bleibt es niemals bei vier Gläsern. Das werden dann vier Fässer und das kommt uns so teuer, dass wir gleich den Dicken durchfüttern können.“

Er kann von Glück sagen, dass ich das mit dem Dicken gar nicht auf mich beziehe. Als Anke mir das später erklärt, ist es zu spät, um ihm die Gurgel durchzuschneiden.

Nach einigem Hin und Her kommt man überein, einen Kompromiß zu schließen. Kalle wird der Mubatai-Sucher und kann in jedem Lokal zwei Glas Bier trinken, dafür darf er aber auch zwei Lokale am Abend besuchen.

Es dauert sechs Wochen und kostet über 200 Euro Nachbarschaftsgeld, bis Kalle endlich fündig wird. In einem Gasthof, der von einem Mann aus Lappland bewirtschaftet wird, sieht er Frau Mubatai durch die halboffene Küchentür. Er winkt ihr zu und Frau Mubatai winkt auch zurück. Der Wirt erkundigt sich bei Kalle: „Ach, sie kennen die Frau Mubatai?“

Kalle sieht sich am Ziel seiner Suche und nickt heftig: „Ja, ja, die wohnt sogar bei mir im Haus!“

Der Wirt nimmt sich einen Stuhl und setzt sich zu Kalle, dann legt er ihm eine Hand auf den Arm und sagt mit leiser Stimme: „Es ist gut, dass mal jemand kommt, der die Frau Mubatai kennt. Vielleicht können sie mir ja sagen, wo die eigentlich herkommt!“

Kalle ist sprachlos, damit hat er nicht gerechnet; fast schon glaubte er sich sicher sein zu können, dass Frau Mubatai auch aus Lappland kommt und nun zerplatzt seine Hoffnung, wie eine Seifenblase.

Der Lappländer erzählt ihm, dass er selbst ja schon 23 Jahre in Deutschland lebe und Frau Mubatai gerne als Küchenhilfe eingestellt habe. Die sei sehr fleißig, aber leider verstehe kein Mensch was sie sage.

Soweit war Kalle, der Schrauber, vorher auch schon. Unverrichteter Dinge kehrt er in unsere Siedlung zurück. Kurzfristig überlegt er noch, ob er überhaupt etwas von seinem Erlebnis erzählen soll, denn würde er jetzt davon berichten, versiegte seine allabendliche Bierquelle sofort. Er wischt diese Gedanken aber beiseite, denn ihm fällt ein, dass die Scherohnie über eine Fragetechnik verfügt, von der die STASI noch etwas hätte lernen können. Schon deshalb entscheidet er sich dafür, die Wahrheit zu sagen.

Die Nachbarn sind enttäuscht. „So kann es jedenfalls nicht weitergehen!“, verkündet Frau Ofenloch. „Niemals hat hier irgendjemand gewohnt, den wir nicht verstanden haben. So was ist doch geradezu unanständig!“
Am Liebsten hätte ich ihr gesagt, dass ich auch mindestens die Hälfte von dem was sie sagt, nicht verstehe, aber Anke zupft mir am Hemd und ich schweige lieber.

Den Nachbarn fällt nichts mehr ein, wie man sonst noch herausfinden könnte was die Mubatais für Landsleute sind. Ist es verwunderlich, dass sie jetzt ausgerechnet mich auswählen, um einen letzten Vorstoß zu unternehmen?

Aber, war ich nicht noch vor kurzem der ‚Dicke’, der ‚Vielfraß’?
Man beschließt folgende Strategie. Ich soll abends mit der Allerliebsten zu Herrn Mubatai hinaufgehen und ihm einen Besuch abstatten. Anlässlich dieses Besuches soll Anke dann, abgeschirmt durch mich, eine verdeckte Hausdurchsuchung durchführen.

Herr Mubatai freut sich sehr, als Anke und ich etwas später bei ihm klingeln. Wir wissen zwar nicht welchem Volk er angehört, jedenfalls muss es ein sehr gastfreundliches Volk sein, denn er lässt uns sofort ein. Unablässig plappernd deutet er auf zwei bequeme Sessel und schenkt uns sofort zwei Tassen schwarzen Mokka ein. Aha! Das deutet auf irgendeine arabische Herkunft. Mokka wird ja vor allem in arabischen Ländern getrunken. Als Herr Mubatai mal kurz in der Küche verschwindet, deutet Anke aber auf ein Bild an der Wand. Es zeigt den segnenden Papst Benedikt XVI. in Technicolor. Durch Dutzende kleiner Glühbirnchen leuchtet dem Papst ein blinkender Heiligenschein. Ich verstehe Ankes Blick, denn kein Araber dieser Welt hat einen Blink-Papst. Damit sind wir also auch nicht weiter als zuvor.

Mubatai kommt mit kleinen Häppchen aus der Küche zurück. Es sind Fleischbällchen, die mit Paprika überzogen sind. Das kann doch nur eines bedeuten: Er kommt zweifelsfrei irgendwo aus der Heimat der Allerliebsten! Paprika ist ja wohl ein eindeutiger Beweis dafür.

Ich mache eine Handbewegung in Richtung der Allerliebste, die ‚Hopp, Hopp’ bedeuten soll. Doch meine Frau wirft mir nur einen hilflosen Blick zu. Eigentlich hat sie ja Recht, denn ihre Herkunft merkt man ihr zwar auf Schritt und Tritt an, aber sie spricht ja nun wirklich keine Sprache vom Balkan und schon gar nicht Ungarisch.
Herr Mubatai sitzt uns gegenüber und lächelt freundlich. Wir probieren seine Fleischbällchen und müssen feststellen, dass sie sehr gut sind. Er nickt und sagt: „Kalamu! Kalamu!“, und deutet auf die Bällchen. Ich sage: „Sehr gut!“
Er freut sich und springt auf, um uns etwas zu trinken zu holen. Als er zurückkommt, hat er drei Gläser und eine Flasche in der Hand. Das ist bestimmt eine sehr gute Gelegenheit. Auf dem Etikett der Flasche wird es sicher einen Hinweis geben, der uns verraten könnte wo Herr Mubatai herstammt.

Das Etikett ist über und über bedruckt, doch es sind alles Wörter die ich nicht kenne. Einzig die Jahreszahl 1999 deutet darauf hin, dass es möglicherweise ein Wein aus diesem Jahrgang ist. Vielleicht ist das Getränk aber auch in diesem Jahr abgelaufen, wer weiß?
Aber es ist tatsächlich Wein und er ist einfach fabelhaft!
Doch so kommen wir auch nicht weiter. Da habe ich plötzlich eine Idee! Ich mache mit den Händen die Bewegung des Fotografierens nach und sage: „Klick, Klick!“ Herr Mubatai begreift sofort und plappert wie wild drauf los, als er zum Wohnzimmerschrank geht und ein Fotoalbum herausholt. Er schiebt seinen Hocker zwischen uns und legt sich das Album auf die Knie.

Anke und ich schauen uns erwartungsvoll an. In wenigen Augenblicken wird Herr Mubatai das Album aufschlagen und uns Bilder aus seiner Heimat zeigen und endlich werden wir wissen, wo er herkommt.
Insgeheim überlege ich schon, ob ich es den anderen Nachbarn gleich erzählen soll, oder ob ich sie erst ein wenig zappeln lasse. Aber dann fällt mir ein, dass ich ja eine Frau dabei habe, da ist es sowieso nix mit der Geheimhaltung.

Mubatai schlägt das Album auf und plappert in seiner Sprache vor sich hin. Offenbar erklärt er uns, was wir auf dem Bild sehen können. Es zeigt ihn und seine Frau vor dem Eifelturm. Nun, in diesem speziellen Fall handelt es sich wohl um ein Urlaubsbild, denn ein Franzose ist Mubatai gewiss nicht. Anke, die Frau Mubatai bisher nur zwei Mal ganz kurz gesehen hat, fällt natürlich sofort auf, dass Frau Mubatai früher einmal dicker gewesen ist. Ich werfe ihr einen ärgerlichen Blick zu und sage: „Das ist ja wohl jetzt völlig egal, oder!“

„Warum? Stimmt doch, was ich sage.“

„Frauen interessieren sich immer für die unwesentlichen Sachen.“

„Stimmt doch überhaupt nicht. Dreibeine sind Spezialisten für das Unwesentliche.“

So geht es eine Weile hin und her und Herr Mubatai hängt freundlich lächelnd wie gebannt an unseren Lippen. Aber man sieht es ihm an, dass er uns genau so wenig versteht, wie wir ihn.

Auch die zweite Seite des Albums ist nicht besonders ergiebig. Sie zeigt das Ehepaar Mubatai vor dem Petersdom in Rom. Auf dem nächsten Foto stehen die beiden vor dem Riesenrad im Wiener Prater und auf Foto Nummer vier sieht man Frau Mubatai neben einem Londoner Polizisten.

Auf diese Weise zeigt uns Herr Mubatai Blatt um Blatt und Foto um Foto. Als er das Album wieder zuklappt, ist uns nur klar geworden, dass die Mubatais viel herumgekommen sind, aber wir haben nicht den geringsten Hinweis auf ihre Herkunft entdecken können.
Hauptsache, Herr Mubatai hat seinen Spaß. Er redet unablässig und man sieht es ihm an, wie sehr er sich freut, dass wir gekommen sind.

Ich würde ja am liebsten wieder gehen, aber Anke ist ja so ein polyglottes Wunder und kann sich mit jedem unterhalten. Ich erinnere nur an die eingeheiratete spanische Cousine Marisa! Die Allerliebste redet inzwischen mit Herrn Mubatai, er antwortet in der uns unbekannten Sprache und beide nicken ab und zu heftig. Wahrscheinlich liegt dieses Wunder der Verständigung auch darin begründet, dass Herr Mubatai schon die dritte Flasche von dem 1999er aufgemacht hat. Jedenfalls ist klar, dass die beiden zwar ihren Spaß haben, sich aber im Grunde überhaupt nicht verständigen können.

Es wird Zeit, dass wir zu Plan B übergehen. Schließlich erwarten die Nachbarn, dass wir mit Ergebnissen aufwarten können und nicht mit leeren Händen kommen.

Plan B sieht vor, dass ich Herrn Mubatai ablenken soll, damit die Allerliebste Gelegenheit erhält, die anderen Zimmer der Wohnung zu inspizieren. Ich hatte zwar ursprünglich vorgeschlagen, dass wir es umgekehrt machen, aber Frau Ruckdäschl hatte nur abschätzig gemeint: „Dann schmeißen sie ja doch nur wieder alles um!“

Im ersten Moment hatte ich mich über so viel Geringschätzung geärgert, dann überwog aber der Aspekt, dass ich im Zweifelsfall in der Lage wäre, Herrn Mubatai auch einfach ein bißchen festzuhalten, während Anke sucht.

Ich mache mit dem Kopf eine bestimmte Bewegung, die Anke und ich vorher als Signal ausgemacht haben. Jetzt sollte sie ihre Suche beginnen. Aber ist ihnen das schon einmal aufgefallen? Ich meine, wenn ein Mann mit einer Frau ein geheimes Zeichen verabredet, dass die Frau niemals darauf reagiert!

Es ist immer dasselbe. Ich gebe Zeichen, wie verrückt und die Allerliebste kuckt mich nur an und ihr Blick sagt: „Lass mich in Frieden, du Depp.“

Einmal hatte ich eine Überraschung für unseren Sohn Rouven vorbereitet. Zum richtigen Zeitpunkt gehe ich in die Küche und hole die Überraschung. Eine brennende Kerze ziert das Geschenk und ich stehe in der Tür, das brennende Etwas hinter meinem Rücken verborgen. Verabredungsgemäß hat die Allerliebste den Kleinen in ein unverfängliches Gespräch verwickelt. Ich gebe das verabredete Zeichen. In diesem Fall bestand das verabredete Zeichen darin, dass ich einmal kurz mit der Zunge schnalze.

Bei der Verabredung des Zeichens hatten wir unberücksichtigt gelassen, dass unser fast 40 Kilo schwerer Labrador-Rüde Tibor auch auf Zungenschnalzen reagiert.

So stehe ich in der Tür, habe hinter meinem Rücken ein Päckchen mit einer brennenden Kerze und schnalze mit der Zunge. Der große, schwere Hund ist der Einzige der sich für mein Zungenschnalzen interessiert. Zunächst sitzt er nur gespannt vor mir, dann beginnt er an mir zu schnuppern und als ich weiterschnalze hüpft er mich mit seinen 40 Kilogramm an. Mit einer Hand halte ich das Geschenk mitsamt brennender Kerze hinter dem Rücken, mit der anderen wehre ich meinen Hund ab, der inzwischen gar nicht mehr versteht, warum ich ihn herbeischnalze und dann gar nichts von ihm will und Anke schaut mich mit einem absolut ignoranten Blick an.

Ich sehe an ihren Augen, an ihrer Mimik, dass sie mein Zeichen genau erkennt, aber aus ihrem Blickwinkel ist der richtige Zeitpunkt offenbar doch noch nicht gekommen und sie schwatzt einfach weiter.
Das wäre ja an und für sich kein Problem, würde mich vorne nicht der Hund vollsabbern und hinten mein Hemd brennen!

Soviel zum Thema ‚verabredete Zeichen’.

Dieses Mal haben wir als Zeichen ausgemacht, dass ich mit dem Kopf eine Bewegung mache, als würde ich mein üppiges Haupthaar schütteln. Ich schüttele jetzt schon fünf Minuten und Herrn Mubatais Gesicht entnehme ich, dass er anfängt, sich ernsthafte Sorgen um meinen Gemütszustand zu machen. Vermutlich denkt er, ich leide unter einer geheimnisvollen Nervenkrankheit, die mich nach Einbruch der Dunkelheit in einen zuckenden Halbidioten verwandelt.

Ich zucke und schüttele und die Allerliebste ignoriert mich vollkommen. Na prima! Gerade schon will ich meine Bemühungen aufgeben, da erhebt sich meine Frau und gibt vor, auf die Toilette zu müssen. Na endlich! Sie verschwindet und ich bin mit Mubatai alleine. Es ist nun an mir, ihn in ein Gespräch zu verwickeln und dieses aufrecht zu erhalten. Das geht unter Männern am Besten, wenn man sich über technische Sachen unterhält. Deshalb zeige ich ihm meinen Taschenrechner und zwar den der auf Esperanto die Ergebnisse singen kann. Herr Mubatai ist begeistert!

Im Hintergrund sehe ich, wie die Allerliebste durch die dunkle Diele von Zimmer zu Zimmer huscht. Ich hätte nie gedacht, dass diese Frau sich so lautlos bewegen kann! Doch die Situation macht sie zu einer zweiten Mata Hari. Während der Taschenrechner das Ergebnis von Wurzel aus 341 singt und Herr Mubatai vor Vergnügen in die Hände klatscht, hält die Allerliebste in der Diele verschiedene Gegenstände hoch und deutet darauf. Ich bin mir in diesem Moment nicht ganz sicher, ob sie den Sinn und Zweck unserer Übung verstanden hat. Wir wollen die Mubatais ausspionieren und nicht berauben! Hoffentlich räumt sie denen nicht die ganze Bude aus. Ich bin aber schon ganz froh, wenn sie es fertig bringt, nicht alles Mögliche kaputt zu machen.

Gerade schwenkt sie in Siegerpose ein Buch oder so etwas ähnliches, da will sich Mubatai umdrehen. Es muss ihm aufgefallen sein, dass ich mehrfach an ihm vorbei geschaut habe. Nur durch sofortiges Auslösen eines Rechnerliedes auf Esperanto gelingt es mir, seine Aufmerksamkeit wieder zu fesseln. Anke vollführt hinter seinem Rücken einen lautlosen Tanz. Offenbar hat sie etwas Entscheidendes gefunden, irgendetwas, das uns Aufschluss über die Herkunft der Mubatais geben kann. Das ist der Durchbruch!

Eine halbe Stunde lang findet Herr Mubatai Spaß daran, den Rechner immer wieder zum Singen zu bringen, doch dann beginnt er sich Sorgen um die Allerliebste zu machen. So lange braucht kein Mensch auf dem Klo, auch keine Frau.

Anke huscht immer noch hin und her und Mubatai wird nervös. Immer wieder will er sich umdrehen und mir gehen langsam die Rechenaufgaben aus. Ich bin kurz davor, eine der 1999er-Flaschen umzuwerfen, um seine Aufmerksamkeit weiter bei mir zu behalten, da begreift Anke endlich, was meine erneut einsetzenden Kopfzuckungen zu bedeuten haben. Sie beendet ihre Suche und kehrt zu uns zurück, so als ob nichts gewesen sei.

Es ist nun an der Zeit, Herrn Mubatai wieder zu verlassen. Schließlich brenne ich nun darauf, zu erfahren, was die Allerliebste alles ausgekundschaftet hat.

Doch Mubatai denkt gar nicht daran, uns wieder gehen zu lassen. Er öffnet noch eine 1999er und Anke freut sich, das Suchen hat sie durstig gemacht.

Jetzt ist das mit dem Alkohol und meiner Frau so eine Sache. Die beiden haben ein ambivalentes Verhältnis zueinander. Abends geben sie sich oft als Freunde aus und können nicht voneinander lassen, doch am anderen Morgen herrscht bittere Feindschaft zwischen ihnen.

In der Zeit dazwischen ist aus meiner Frau nichts herauszubekommen, zumindest nichts Sinnvolles.

Ich muss es also schaffen, die Allerliebste von der Flasche loszueisen, bevor sich der Alkohol in ihr verbeißt, oder umgekehrt.

Unten im Haus sitzen sicher die Nachbarn beisammen und können es gar nicht mehr erwarten, bis wir mit einem Bericht zu ihnen kommen.

Es wäre fatal, wenn Anke die gewonnenen Erkenntnisse wegen des 1999ers nicht an mich weitergeben könnte. Ich schaue sie an, mache ein ärgerliches Gesicht und zucke ein wenig mit dem Kopf. Sie grinst mich nur an und nippt an ihrem Glas. Begreift sie nicht, was ich von ihr will, oder will sie mich wieder nur auf den Arm nehmen? Sie plappert munter auf Herrn Mubatai ein und der plappert zurück. Da auch er dem 1999er zugesprochen hat, fällt es beiden überhaupt nicht schwer, ein sehr interessantes Gespräch zu führen.

Als ich schon beinahe anfallsartige Zuckungen vollführe, scheint die Allerliebste endlich Mitleid mit mir zu haben und sagt: „So, nur noch das Gläschen hier, dann gehen wir.“

Na, endlich!

Ich kenne diese Situation nur zu gut und weiß, dass das mit dem letzten Gläschen oder der letzten Zigarette so eine Sache ist. Bei ihr kann sich das ziehen!

Doch heute überwiegt offenbar das Mitleid mit ihrem zuckenden Mann und sie trinkt tatsächlich aus. Wir wollen uns gerade von Herrn Mubatai verabschieden, da kommt seine Frau von der Arbeit. Es wäre höchst unhöflich, wenn wir jetzt sofort gehen würden. Einen ganz kleinen Augenblick müssen wir noch bleiben, soviel steht fest.

Frau Mubatai schimpft mit ihrem Mann und deutet auf die Sachen auf dem Tisch. Ganz augenscheinlich ist sie mit seiner Form der Gastfreundschaft nicht einverstanden. Sie verschwindet schimpfend in der Küche und schon bald brutzelt es hörbar und ein herrlicher Duft zieht durch die Wohnung. Kurz darauf erscheint sie mit leckeren Fleischspießchen und einer großen Schüssel Salat. Zwar ist es mittlerweile schon nach Mitternacht, doch scheint man in dem Land, aus dem die Mubatais stammen, sehr spät zu essen. Zum Essen macht Herr Mubatai noch eine Flasche des 1999er auf, doch seine Frau wehrt lautstark ab. Sie holt aus der Küche eine große, grüne Flasche ohne Etikett. Das lässt mich Schlimmes ahnen. Denn große, grüne Flaschen ohne Etikett enthalten immer irgendetwas Selbstgebranntes aus der Heimat und das ist immer sehr, sehr stark.

So ist es auch in diesem Fall! Man weiß nicht genau, was es ist, aber es hat eine absolut schlagartig einsetzende Wirkung. Es sind ungefähr drei kleine Gläser aus der großen, grünen Flasche, die ich brauche, um das Ehepaar Mubatai zu verstehen. Anke versteht sie schon längst und redet unablässig. Ich meine, sie redet ja sonst auch nicht gerade wenig, aber in solchen Situationen überschlägt sich ihre Zunge förmlich und das Ungewöhnliche an dieser Situation ist ja die Tatsache, dass die Mubatais unsere Sprache weder sprechen, noch verstehen.

Je mehr ich aber von der grünen Flasche bekomme, umso besser klappt auch bei mir die Verständigung. Ich verstehe auf einmal nicht nur die Mubatais, sondern ich verstehe auf einmal auch meine Frau!

Es ist mir am nächsten Morgen allerdings nicht mehr möglich, wiederzugeben, worüber wir uns unterhalten haben. Mein Kopf muss über Nacht gewachsen sein, jedenfalls habe ich das Gefühl, ich würde überall mit ihm anstoßen. Meine Frau liegt im Koma. Die große, grüne Flasche, die sie mitgenommen hat, ist zwar inzwischen leer, aber die Allerliebste hält sie eng umschlungen. Ich lasse die beiden noch etwas schlafen.

In meinem Kopf hämmert es und ich brauche mehr als fünf Minuten bis mir klar wird, dass das Hämmern von der Wohnungstür kommt. Wer könnte das anders sein, als Frau Ruckdäschl? Die Scherohnie ist als offizielle Sprecherin der Nachbarn zu uns gekommen und will nur mal eben hören, was unsere nächtliche Spionagetour ergeben hat.

Es tut mir leid, dass ich die alte Frau vertrösten muss. Ich selbst weiß gar nichts und muss erst abwarten, bis die Allerliebste aus dem Reich der grünen Flaschen zurückkommt. Frau Ruckdäschl schlägt vor, man könne es doch versuchen, Anke aufzuwecken. Da ich aber meine Frau und ihren festen Schlaf kenne, muss ich unsere Concierge davon überzeugen, dass das keinen Zweck hat. Sie schlägt vor, man müsse meiner Frau nur eine Tasse voll Wasser ins Ohr schütten, dann wache jeder auf, aber ich halte sie davon ab. Mir ist klar, dass ich hinterher als Urheber dieser Wasserfolter gelten muss und ich ahne schon, wie die Allerliebste mich bestrafen wird. Da ich aber vor dem Eintritt ins lustlose Lebensalter noch einige Bedürfnisse haben werde, muss ich die Scherohnie von dieserlei Ideen abbringen.

Sie kenne da noch eine Methode mit Eiswürfeln, meint sie, aber ich lehne kategorisch ab. „Nein, wir warten ab, bis sie ganz von alleine aufwacht!“

Frau Ruckdäschl ist enttäuscht und geht nur widerwillig weg. Mir ist das aber ganz recht, denn ich brauche auch noch etwas Zeit, um wieder richtig zu mir zu kommen.
Erst gegen Mittag rührt sich meine Frau das erste Mal und es dauert nicht weniger als zwei Stunden, bis sie sich aufsetzt und Anstalten macht, das Bett zu verlassen. Mir geht es inzwischen schon etwas besser und ich überfalle sie mit der Frage: „Und, was hast du herausgefunden?“

Es ist ohnehin gefährlich meine Frau kurz nach dem Aufstehen anzusprechen, aber an diesem Tag ist es so, als würde man mit einem brennenden Streichholz an einem Dynamitfass herumspielen.

Sie schaut mich an und ihr Blick könnte einen Eisberg zum Schmelzen bringen. Es bleibt mir aber nichts anderes übrig, als sie erneut zu fragen, denn ich muss damit rechnen, dass in Kürze Frau Ruckdäschl wieder auf der Matte steht.

„Los, sag schon, was hast du gestern herausgefunden!“

„Wie, gestern?“, fragt sie widerwillig.

„Bei den Mubatais?“

„Mubatais, was ist das?“

„Schatz, wir waren gestern Abend bei den Mubatais, um herauszufinden, wo die herkommen.“

„Ich war nirgendwo!“, lautet ihre Auskunft und mit diesen Worten verschwindet sie im Bad.

Ich ahne Schlimmes! Vermutlich ist es so, wie es meistens nach dem Eingehen einer engeren Beziehung zu einer großen, grünen Flasche ist. Sie wird sich an nichts erinnern.
Es ist ja so, dass ich mich auch nicht an sonderlich viel erinnere. Nur dass Frau Mubatai bis in den frühen Morgen immer neue Spezialitäten aufgetischt hat und die eine große, grüne Flasche nicht allein geblieben ist. Anders ist es zumindest nicht zu erklären, dass auch in meinem Bett eine solche liegt.

Gegen 16 Uhr hat sich der Zustand meiner Frau soweit gefestigt, dass ich es erneut wagen kann, das Wort an sie zu richten. Zumindest reagiert sie nicht, indem sie mich schlachtet oder vierteilt.

„Was ist denn nun?“, erkundige ich mich. „Was hast du herausgefunden?“

„Ich weiß gar nicht, was du von mir willst.“, gibt die Allerliebste zurück. „Mir ist zwar eingefallen, wer oder was die Mubatais sind, aber sonst …“

„Wie, aber sonst?“

„Nichts sonst!“

„Soll das heißen, dass du dich nicht erinnerst?“

„Ja!“

Da haben wir es wieder! Es ist genau so gekommen, wie ich es befürchtet habe. Was soll ich nur tun? Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis einer der Nachbarn an der Tür klopft, um endlich das Ergebnis unserer Bemühungen abzufragen.
Irgendetwas MUSS geschehen! Wir wissen bislang aber nur, dass die Mubatais keine Neger sind, in Emmendingen gewohnt haben, vermutlich katholisch sind und aus keinem Land kommen, das wir kennen.
Ihre Sprache erinnert an keine der mir bekannten Sprachen, sie klingt weder slawisch, noch romanisch und schon gar nicht germanisch. Nichts deutet in irgendeiner Weise auf die Herkunft hin.

Während ich noch in diesen Überlegungen verweile, klopft es an der Tür. Dieses Mal ist es Kalle, der Schrauber. Wortlos nimmt er meinen Arm und zieht mich ins Treppenhaus. Zwar bin ich ihm körperlich überlegen, aber ich unterlasse es, mich zu wehren, denn in gewisser Weise verstehe ich das Bedürfnis der Nachbarn, nun endlich zu erfahren, was wir wissen.

Einmal mehr befinde ich mich in einem Dilemma. Was soll ich den gespannt im Wohnzimmer von Frau Ruckdäschl sitzenden Nachbarn sagen? Mir ist klar, dass sie keine Ruhe geben würden und ich die Sache zum Abschluss bringen muss. Ansonsten wäre ich bis ans Ende meiner Tage dazu verdammt, herauszufinden wo der Ursprung der Mubatais liegt. Vielleicht würde es mir sogar gelingen, eines Tages, dieses Rätsel zu lösen, aber dann wäre ich vermutlich schon ganz alt und hätte sehr viel von meinem Leben verpasst.

Es steht also fest, dass ich ihnen eine Lösung anbieten muss, nur welche?

In diesem Moment fängt in meiner Hemdentasche mein singender Taschenrechner an, ein Lied auf Esperanto zu singen. Genau das bringt mich auf eine glänzende Idee! „Liebe Nachbarn,“ beginne ich meine kurze Ansprache, „das Raten hat ein Ende, wir wissen jetzt wo die Mubatais herkommen!“

Gespanntes Schweigen herrscht im Wohnzimmer der Scherohnie als ich fortfahre: „Meine Frau und ich haben keine Mühe gescheut und gestern Abend endlich in Erfahrung gebracht, was wir alle wissen wollen. Die Mubatais kommen aus Esperanto!“

„Das habe ich mir gleich gedacht!“, ruft Frau Muschelknautz.

„Da waren die Kleiberles vor ein paar Jahren in Urlaub.“, weiß Kalle, der Schrauber.

Die Scherohnie ist als Einzige etwas skeptisch und will wissen, wo denn dieses Esperanto eigentlich genau liegt. Ich sage: „Das ist doch ganz einfach, es liegt so auf halber Strecke nach Lappland, südöstlich von Madagaskar.“

Das genügt ihr als Antwort und sie nickt selbstgefällig und sagt: „Wenigstens sind es keine Araber!“

Die Mubatais haben keine Ahnung, welchen Gefallen ich ihnen getan habe, denn von diesem Tag an gelten sie nicht mehr als vertreibungswürdige Exoten sondern als anerkannte Mitglieder der häuslichen Gemeinschaft. Auf einmal interessiert sich niemand mehr weiter für ihre Herkunft und es stört auch keinen, dass man sie nicht versteht.

Frau Ruckdäschl macht mir etwas Sorgen. Sie spart seit einigen Monaten auf eine Reise. Sie will unbedingt mal nach Esperanto. Mal sehen, wie ich ihr das wieder austreibe.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 45 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 1. Juli 2015

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Hajo
8 Jahre zuvor

eine köstliche ( 😀 ) Geschichte!
danke, lieber Peter.
aber glaubst Du, dass Frauen diese Kristallfläschchen wirklich nur betrachten? 😉
Herzliche gRüsse
Hajo

Rumpel
Reply to  Hajo
8 Jahre zuvor

*k@Hajo: kristallfläschchenwerf*

Albert
8 Jahre zuvor

Schöne Geschichte, herzlichen Dank! In dem Zusammenhang zum Dreibein fällt mir eine Geschichte aus feministischer Sicht ein, zwar auf Englisch, aber unschlagbar: One day in the Garden of Eden, Eve calls out to God… „Lord, I have a problem!“ „What’s the problem, Eve?“ „Lord, I know you’ve created me and have provided this beautiful garden and all of these wonderful animals, and that hilarious comedic snake, but I’m just not happy.“ „Why is that, Eve?“ came the reply from above. „Lord, I am lonely. And I’m sick to death of apples.“ „Well, Eve, in that case, I have a solution. I shall create a man for you.“ „What’s a ‚man,‘ Lord?“ „This man will be a flawed creature, with many bad traits. He’ll lie, cheat, and be vainglorious; all in all, he’ll give you a hard time. But, he’ll be bigger, faster, and will like to hunt and kill things. He will look silly aroused, but since you’ve been complaining, I’ll create him in such in a way that he will satisfy your ah, physical… Weiterlesen »

Red Baron
Reply to  Albert
8 Jahre zuvor

@Albert: Ja,ja….. Also Gott den Mann schuf, übte sie nur.

sarc
8 Jahre zuvor

Schöne Geschichte! Bitte Bescheid geben, wenn das Buch draußen ist! 🙂

Lochkartenstanzer
8 Jahre zuvor

Eine eigene Kristallfläschcensammlung, vorzugsweise mit 1l oder mehr Inhalt und gefüllt mit diversen Single Malts würde sich auch unter Dreibeinern vorzeigewürdig erweisen. Allerdings würde ich die dann nicht im Bad aufbewahren.

Hajo
Reply to  Lochkartenstanzer
8 Jahre zuvor

@Lochkartenstanzer:
warum nicht im Bad aufheben?
ein kühles Bad (in diesen Tagen, in kühleren Zeiten halt warm) und ein guter Schluck .. 😉

Beatrix
Reply to  Lochkartenstanzer
8 Jahre zuvor

@Lochkartenstanzer:
Genau, so eine Sammlung, allerdings durchaus auch mit kleinen Fläschchen, hat mein Mann und führt sie gern männlichen Besuchern vor 😉

Henning
8 Jahre zuvor

Mich würde ja viel eher interessieren, ob sich die Herkunft der Mubatais jemals aufgeklärt hat …

Lochkartenstanzer
Reply to  Henning
8 Jahre zuvor

@Henning:

Stand doch im Text: Aus Emmendingen. 🙂




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