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Geschichten

Das Seil

Manni hegt und pflegt ’seinen‘ Bestattungswagen wie ein Heiligtum. Das Auto steht immer da, so als ob er gerade frisch aus dem Laden gekommen wäre. Der Mercedes hat eine dunkelgrüne Chamäleonlackierung, bei der sich das Auge nicht entscheiden kann, ob es Grün oder Schwarz ist. Das sieht edel aus. Die ehemaligen weißen Gardinentafeln hat er durch dunkelgrau bespannte Tafeln ausgetauscht, die er und seine italienische Ehefrau gemeinsam selbst hergestellt haben.
Und obwohl das Auto sehr oft gewaschen und poliert wird, sieht man nicht die geringsten Spuren. Man kennt ja diese kleinen kreisförmigen Microkratzer, die sich durch nicht fachgerechtes Polieren schnell mal bilden; nicht bei Manni!

Einmal mußte er den Wagen für zwei Stunden in einer Allee abstellen, die von Linden flankiert war; und Linden haben die Eigenschaft, über ihre Blätter ein klebriges Sekret abzugeben. Fluchend hat er das Auto mit warmem Wasser von dem pappigen Überzug befreit. „Nie wieder fahr ich in die Schloßsteinstraße! Wenn wir nochmal da hin müssen, nehmen wir den alten grauen Wagen!“

Eines Tages war Manni mit seinem geliebten Benz auf dem Waldfriedhof, um ein paar Kränze zu liefern. Während er noch mit dem Handbesen die letzten Nadeln und Blätter vom Boden des Laderaumes fegt, kommt ein kleiner Italiener herbeigehüpft und bittet ihn um einen Gefallen. „Bin ich die Gärtner von Firma Legemann. Habbe Panne hinten bei Feld 8 und an die Machina.“

„Was is‘ los?“

„Vehicolo kaputte!“

„Ach was!“

„Kannste mir mitte kleine Auto abschleppe? Muss nur in Firma komme, Cheffe schon ganz Theater!“

„Ja klar, ich kann Dich abschleppen, kein Problem.“

Vorsichtig schipperte Manni mit dem großen Mercedes über die engen Friedhofswege. Als er mit dem Italiener am besagten Feld ankommt, steht da ein dreirädriger Piaggio-Karren, so ein Motorroller mit Kabine und kleiner Ladefläche, eins von den Autos, in die nur Japaner oder Italiener hineinpassen.

„Und wo soll ich da das Seil festmachen? Der hat ja gar keine Öse!“

„Nix Problema, ich mache‘!“ rief der Italiener und befestigte das Abschleppseil unter Zuhilfenahme eines Stricks vorne an der Gabel des Vorderrads. „Dasse mache wir immere ßo!“

„Na, ob das hält? Wenn ich da einmal zuviel Gas gebe, dann reiße ich Dir die ganze Vordergabel raus!“

„Minchia! Habbe das schon ofte gemacht, funzinierte ssehr gutt!“

„Okay, auf Deine Verantwortung!“

Nachdem das Seil an der Abschleppöse des Mercedes festgemacht war, fuhr Manni behutsam los. Das Gespann setzte sich langsam in Bewegung und der kleine Piaggio-Laster folgte seinem Zugwagen auch willig.

„Das ging besser als ich dachte“, sagte Manni später zu mir.

Wenig später hatte sie den Friedhof verlassen, fuhren die Bornemann-Allee hinunter auf die Quellstraße zu. Dort mußte Manni an einer roten Ampel halten und schaute besorgt in den Außenspiegel. „Hoffentlich bremst der auch!“, dachte er.
Doch der Piaggio kam immer näher und näher und näher…. Aus dem offenen Fenster brüllte Manni: „Bremsen! Brems doch, Du Nudeltunker!“
Und der Italiener tat erschrocken, wie ihm geheißen und trat auf die Bremse.
Manni wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und schaute wieder auf die Ampel. Das gelbe Licht ging an, dann wurde es Grün und Manni fuhr los.
Und der Italiener? Na, der machte genau das, was Manni ihm zugerufen hatte: Er stand mit beiden Füßen auf der Bremse!
Manni sah im Rückspiegel nur, daß das Piaggio-Gefährt im folgte und nur wer die Szene von außerhalb betrachtete, konnte sehen, daß der Piaggio mit stehenden und qualmenden Reifen hinter dem Benz hin und her wedelte.

Nein, das italienische Gefährt ist nicht auseinandergebrochen, die Reifen sind nicht geplatzt, aber der Italiener meinte noch: „So wie ihr Deutsche abschleppt, dass isse sehr anstregend! Immer nur bremse, mio mio mio!“
Sprachs und streichelte das kleine rote Gefährt mit den qualmenden Reifen. „Isse eben gutte Qualität von bella Italia, weisst Du, wir mache auch die Ferrari!“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 26. November 2014

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Rumpel
9 Jahre zuvor

Lieber Untertaker,
ich möchte dir raten, einmal eine Runde mit der APE zu drehen.

Reply to  Rumpel
9 Jahre zuvor

Oh, ich bin da schon oft mit gefahren, genauergesagt mitgefahren.
In Indien hinten als Fahrgast, hier in Deutschland zusammengekauert mit den Knien neben den Ohren vorne drin.

MiniMoppel
Reply to  Peter Wilhelm
9 Jahre zuvor

Jau, letzteres kann ich mir sehr gut bildlich vorstellen. 🙂

Rumpel
Reply to  Peter Wilhelm
9 Jahre zuvor

Nicht mitfahren, selbst fahren! Das fetzt 🙂 Indien, hhmm kann es sein, dass du APE mit einem TucTuc verwechselst?
Bei diesen Fahrzeugen zählt das selbstfahren, wobei es da die unterschiedlichsten Ausstattungen gibt. Mit Lenkrad oder Lenker, wie im Auto mit Gaspedal oder Handgas usw.
Die deutsche „Ausgabe“ eines solchen Fahrzeugs nennt sich übrigens DUO und die sind in der ehemaligen DDR rumgefahren. Teilweise sieht man sie noch heute. Da wirds richtig abenteuerlich, gebremst werden alle drei Räder indem man den Lenker nach unten drückt. Vorm losfahren dann natürlich Lenker wieder hochziehen. War ich zu doof für, aber das Fahren selbst (Kupplung mit der Hand, Handschaltung, Gas auch mit der Hand)ist ein echtes Abenteuer 🙂

Reply to  Rumpel
9 Jahre zuvor

Nein, in Indien werden auch APE gebaut. In einer solchen habe ich gesessen. Da gibt es auch TukTuks, aber die die ich meine sind keine TukTuks. Ich meine TukTuks kennt man m.W. mehr in Thailand oder so.

Rumpel
Reply to  Peter Wilhelm
9 Jahre zuvor

Ja, die APE wird in Indien gebaut. Trotzdem fahren dort mehr TukTuks (hab grad gelesen, dass die sich mit K schreiben) rum, als APEs.
„“Was dem Italiener die Vespa und dem Holländer das Fahrrad, das ist dem Inder das Tuk-Tuk. Ohne es ginge in Städten wie Delhi gar nichts: Die Autorikscha ist das Rückgrat des indischen Personennahverkehrs. Für Touristen ein wunderbares Abenteuer.““
http://www.focus.de/auto/news/tuk-tuk-taxi-in-indien-die-bollywood-schaukel_aid_719712.html

Ich hatte ja auch nur gefragt, ob du dort wirklich in einer APE mit dringesessen bist.
Alles ist hübsch, alles ist gut 🙂

Rumpel
Reply to  Peter Wilhelm
9 Jahre zuvor

Unfassbar! http://www.rollerladen.com/de/Roller/gebrauchte-Roller/Ape-Fahrzeuge/Ape-150-Tuktuk.html
Sind APEs TukTuks? Gibts gar keinen Unterschied? Weiss das jemand, ich möchte das jetzt wissen!

Lochkartenstanzer
Reply to  Rumpel
9 Jahre zuvor

Als Tuktuk bezeichnet man in Südostasien die Dreirädrigen Taxis, die es von verschiedenen Herstellern gibt.

APE ist die „Biene“ von Piaggio, die es auch als „Lizenzbau“ in Indien gibt.

Tuktuk und APE ist so wie Taxi und Daimler, um es mit einem unpassenden Autovergleich auszudrücken. 🙂

Rumpel
Reply to  Lochkartenstanzer
9 Jahre zuvor

Demnach kann eine APE auch ein TukTuk sein, wenn sie als Taxi gefahren wird.
Danke !

Reply to  Lochkartenstanzer
9 Jahre zuvor

Ich habe viele asiatische Länder besucht und war von den TukTuks schon vor mehr als 30 Jahren fasziniert. In den meisten Fällen handelte es sich aber um Fahrzeuge, die von irgendwelchen Werkstätten aus Motorrollern umgebaut worden waren. Diese Selbstbauten waren überreich geschmückt und oft sehr abenteuerlich konstruiert. Da heben sich APEs wohltuend ab.

Erdmöbeltischler
Reply to  Rumpel
9 Jahre zuvor

Das DDR-Duo war ein Behinderten(Versehrten)fahrzeug auf der Basis des Mopeds ‚Schwalbe‘.
Also zunächst mal definitiv kein APE und auch überhaupt kein Kleintransporter, wenn man mal davon absieht, das die Besitzer ihre Kartoffeln und ihr Bier damit transportiert haben.

Die Fahrerlaubnis für ein Duo war zu DDR-Zeiten unter vereinfachten Bedingungen erhältlich, eben für Leute mit körperlichen Einschränkungen.
Angetrieben wurde nur eins der beiden Hinterräder, die gesamte Konstruktion war auf Handbedienung ausgelegt und ansonsten DDR-typisch etwas ‚zurückgeblieben‘.

turtle of doom
9 Jahre zuvor

Ja, von den Italien-Ferien sind mir die Dreiräder immer noch ein Begriff! Ahh, wie sie hinten riechen! Und mitgefahren bin ich mit diesen Dingern auch schon. 🙂




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