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Volltrunken in Reykjavik -II-

Ihrer Frau geht’s gut?“, erkundigte sich der Taxifahrer, als er mitbekam, dass meine Frau ein Dauergrinsen im Gesicht trug und immer wieder „schöööön“ sagte.
„Ja ja, der geht es gut, wir haben Batman geguckt und sie ist ein Fan vom Joker.“

D

as reichte dem Mann als Erklärung und er lud weiter unser Gepäck ein, während ich meine Frau im Taxi vertäute.

„Du süßer kleiner Schlumpel, du“, sagte sie zum Sicherheitsbeamten, der sie mit dem Metalldetektor abtastete. Er ignorierte das solange, bis sie ihm in die Haare griff: „Du süßer Wuschelkopf, du!“

Für einen Laugenbrezel und ein Plastikfläschchen Mineralwasser musste ich sagenhafte 7,90 Euro bezahlen. Aber soviel kostet es eben, wenn man sich erst im Wartebereich der Fluggesellschaft mit Proviant versorgt. Dabei brauchte ich eigentlich nur das Wasser. Ich schenkte einen Plastikbecher halb voll ein und dann begann ich zu rechnen. 15 Tropfen, so hatte Dr. Bern gesagt, würden die Allerliebste soweit außer Gefecht setzen, dass sie bis Toronto durchhalten würde. Ich schaute an meiner Frau so rauf und runter und beschloss, ihr doch lieber ein paar Tropfen mehr zu geben. Fünf Tropfen hatte ich ihr zu Hause schon in den Kaffee getan und wenn ich jetzt noch 15 dazugäbe, wäre das sicherlich die richtige Menge. 1, 2, 3,… 14, 15… ach was soll’s? 16, 17, 18.

„Du Schnupperhase, du!“, das war alles, was die Allerliebste dazu zu sagen hatte, dann spülte sie das Wasser die Kehle runter. Ich wertete das als Zustimmung zur Beruhigungstherapie.


Mann, war ich froh, als ich sie endlich in der Maschine hatte. Schon auf dem Zugangssteg waren nämlich ihre Knie weich geworden und sie hatte hilflos mit den Armen gerudert, so als ob sie storchengleich ihre Schwingen auf und ab schlagen würde. (Den Vergleich zum Storch wähle ich wegen ihrer langen Beine, wenngleich die Allerliebste ansonsten eher so gut fliegen kann, wie eine Badeente.)

Schon die Frage „Darf es für Sie etwas zu Trinken sein?“, konnte meine Frau nicht mehr beantworten. Nein, sie war nicht eingeschlafen, aber sie starrte mit weit aufgerissenen Augen und dem dämlichsten Grinsen diesseits des Kaukasus auf den Bildschirm vor ihr in der Rückenlehne und malte mit den Fingern Kringel in die Luft.
Die Flugbegleiterin nicke nur verstehend und brachte mir dann einen Pappbecher mit einer schnorchelartigen Trinktülle. „Wir haben öfters mal Behinderte an Bord“, meinte die nette junge Dame und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter.

„Lalla gag“, meinte die Allerliebste dazu und steckte sich einen Daumen in den Mund.

Na ja, Hauptsache, wir kommen nach Kanada.
Sie würde mir verzeihen, das war sicher. Sie hat mir solche Aktionen immer verziehen und außerdem klingen die Schmerzen und blauen Flecken, die ich vom Verzeihen immer so davontrage, ja auch schnell wieder ab.

Kommen wir zu etwas völlig anderem.

Auf dem Monitor vor mir war eine Landkarte eingeblendet. Eine eingezeichnete Linie zeigte die Route, die die Maschine auf ihrem Weg nach Toronto nehmen würde.
Darunter standen Informationen zur Flugdauer, Flughöhe und zur Außentemperatur sowie zur Geschwindigkeit. So weit, so gut.
Ich lehnte mich im loriotschen Polstersessel zurück und grinste, weil Polstersessel eben doch fliegen können.

Noch ein Blick auf die friedlich am Daumen nuckelnde Allerliebste, und während ich mich mit der Frage beschäftigte, wie ein Mensch gleichzeitig so dämlich grinsen und am Daumen lutschen kann, schlief ich ein.

Es träumte mir von Störchen, die durch grünen Nebel flogen und über dicke Polstersessel schimpften, die schwebenderweise ihren Weg kreuzten, als mich jemand an der Schulter rüttelte.
Die Flugbegleiterin: „Aufwachen, mein Herr, Sie müssen Ihre Lehne in eine aufrechte Position bringen, wir landen gleich.“

Dem Himmel sei Dank! Ich hatte den ganzen langen und langweiligen Flug nach Toronto verschlafen. Schade, das Essen hatte ich verpasst, aber immerhin war auf diese Weise der Flug nach Kanada schnell vorübergegangen.

Das sagte ich auch der Flugbegleiterin: „Boah, eben noch in Frankfurt, dann ein tiefer fester Schlaf und schon sind wir in Kanada.“

„Kanada? Nein. Haben Sie die Durchsage des Kapitäns denn nicht mitbekommen? Wir haben da nämlich ein klitzekleines technisches Problem.“

„Und das bedeutet?“

„Dass wir nicht in Kanada sind, sondern uns im Landeanflug auf Reykjavik befinden.“

„Reykjavik?“

„Ja, Island ist um diese Jahreszeit auch sehr schön. Und die Fluggesellschaft wird alles tun, dass Sie so schnell wie möglich nach Toronto weiter fliegen können.“

Oh Reykjavik, Du Stadt meiner Träume!

Ich schaute zur Allerliebste rüber und stellte fest, dass seit meinem Einschlafen keinerlei Veränderung eingetreten war. Sie grinste, nuckelte und schien sehr sehr glücklich zu sein.

Als endlich die Türen aufgingen, ließ ich erst die anderen Passagiere aussteigen. Dann krabbelte ich von meinem Sitz und stupste meine Frau an. „Los komm, wir steigen jetzt aus.“

Sie schaute mich an, nickte und alles wäre gut gewesen, hätte ihre Storchenbeine eine Art feststellbare Knie gehabt. Dann hätte ich die Allerliebste jetzt von ihrem Sitz gezogen, sie auseinandergeklappt und die Knie festgestellt. Gut ich hätte sie dann wie ein steifbeiniges Frankensteinmonster vor mir her bugsieren müssen, aber was tut man nicht alles…

Doch ihre Knie waren nicht feststellbar. Schlimmer noch, sie waren aus Pudding.

„Hatten Sie einen Rollstuhl angemeldet?“, erkundigte sich die Flugbegleiterin.

Fix reagierte ich: „Für Toronto schon, aber wir sind ja jetzt in Reykjavik!“

„Und wir stehen ganz weit draußen auf dem Rollfeld. Ist ein ziemliches Stück bis zur Abfertigungshalle. Aber wir werden eine Lösung finden.“

Gut, ganz verkehrt ist eine Sackkarre ja wirklich nicht, wenn es um den Transport mittelgroßer sperriger Güter geht. Aber ich gebe zu, dass ich mir schon ein wenig lächerlich vokam, als ich die auf eben diesem Gefäährt festgeschnallte Allerliebste über das Rollfeld schob. Doch, was soll’s? Wir kamen voran.

„Laala guggi“, meine meine Frau zustimmenderweise und freute sich riesig.

„Is your wife drunken?“, erkundigte sich ein Zollinspektor, während sei Kollege unsere Pässe kontrollierte. „No, she’s handicapped“, sagte ich und fügte hinzu: „Myxomatosis!“
Eine andere Krankheit war mir auf die Schnelle nicht eingefallen, doch meine Erklärung reichte den Beamten, sie nickten mit beileidigem Blick und ließen uns passieren.

„Laala guggu!“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 23. April 2018 | Peter Wilhelm 23. April 2018

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2 Kommentare
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Aussichtmiteinsicht
5 Jahre zuvor

Und? Weiter! Bin gespannt! 😀

Leo
5 Jahre zuvor

Ist doch klar – blaue Flecken und Würgemale..;o)
Oder: „Wie wir von Reykjavik aus mit dem Auto wieder gen Neckar fuhren“ (und irgendwann ein halbes Jahr später auch ein Teil des Gepäcks nachfolgte).




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