Geschichten

Adventskalender

Mein erster Adventskalender war aus schwarzem Karton und wenn man eines der Türchen geöffnet hatte, kam ein weihnachtliches Motiv auf Transparentpapier zum Vorschein. Genauergesagt zum Durchschein, denn wenn von hinten Licht durch die Fensterchen fiel, sah das sehr hübsch aus.

Kalender, die mit Schokolade gefüllt waren, kamen entweder erst später in Mode oder wir kannten sie erst nicht. Jedenfalls war ich sicher schon in der Schule, als ich den ersten Adventskalender mit Schokofüllung bekam. Das war etwas ganz Besonderes.

Zum Weihnachtsfest habe ich ein etwas seltsames und gespanntes Verhältnis. Es ist nicht leicht, mir etwas zu schenken. Das kommt so:

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Es war sicherlich keine finanzielle Not und es war auch nicht so, daß sie mir nicht genug Liebe entgegengebracht hätte, aber meine Mutter bevorzugte es, mir zu Weihnachten Sachen zum Anziehen zu schenken; gerne auch mal was Selbstgestricktes und als Steigerung: etwas Selbstgestricktes aus Garn, das sie vorher aus einem anderen, abgelegten Kleidungsstück von mir „aufgeribbelt“ und aufgewickelt hatte…

Sie strickte gerne und gut, aber wenn andere Kinder schon Jeans und Parka tragen und man selbst mit gestrickten Klamotten und der verhassten Astronautenmütze herumlaufen muss, dann ist es schwer, das vierte Gebot zu halten!

Man stelle sich vor, es ist 1965 und ich war noch ganz klein. Draußen regnete es, der geplante Samstags-Ausflug in den Wald war vom Vater abgesagt worden und Mutter hatte Langeweile. Was tat diese Frau? Sie ribbelte schon wieder einen Pullover auf! Katastrophenalarm!
Meine Mutter machte das immer so. Wenn mir irgendwas zu klein geworden war oder kaputt zu gehen drohte, dann ribbelte sie das selbstgestrickte Teil auf. Erst gab das dann ein dickes Knäuel, dann wurde die Wolle um die Lehne eines Stuhls gewickelt und befeuchtet, damit sie wieder glatt wurde und wenn sie dann glatt und trocken war, wurde sie zum zweiten Mal als Knäuel aufgewickelt.
Danach konnte man dann wieder etwas Neues daraus stricken.

Wolle hat ja viele sehr angenehme Eigenschaften, jedoch haben sich mir diese nie wirklich erschlossen. Für mich zeichnet sich Wolle seit jeher vor allem dadurch aus, daß sie kratzt. Und sie kratzt noch tausend Mal mehr, wenn sie immer wieder aufgeribbelt und um den Stuhl gewickelt wird.

Wie ich das hasste! Wie oft hatte sie mich gerufen und auf einen Stuhl gestellt, damit sie irgendein halbfertiges Produkt der klappernden Nadeln zum Anprobieren und Maßnehmen an meinen Körper heften konnte, gerne auch mal im Beisein des versammelten Kaffeekränzchens.

Heute weiß ja keiner mehr, was ein Kaffeekränzchen ist. Das ist nämlich nicht, wie mein Sohn meint, ein rundes Gebäck, welches man zum Kaffee verzehrt, sondern eine Freizeitgruppe. Heute würde man sagen Coffeinjunkies im Seniorenalter, die abchillen und abtalken.
Damals war das so, daß sich rund ein halbes Dutzend Frauen zu gelegentlichem gemeinsamen Kaffeetrinken und Kuchenessen verabredeten, was dann reihum mal bei dieser, mal bei jener Teilnehmerin stattfand. Wichtigstes Utensil: Eine Kaffeekanne mit Kaffeemütze. Das kennt auch keiner mehr. Eine Kaffeemütze war ein Teil aus dickem, oft wattiertem Stoff, welches man über die Kaffeekanne stülpen konnte, damit das braune Gesöff schön heiß blieb. Zweitwichtigstes Utensil: Der Tropfschutz. Aber auch den kennt heute kaum noch einer. Ein Tropfschutz war ein kleines Schaumstoffröllchen mit einem Gummibändchen, welches man vorne an die Tülle der Kaffeekanne schnallte, damit auch ja kein Tröpfchen der braunen Brühe auf die gestärkte Tischdecke tropfen konnte.
Wichtigste Aussage, mehrfach wiederholt, an einem solchen Kaffeekränzchennachmittag: „Der ist mit guter Butter gebacken!“
Ansonsten verliefen die Kränzchennachmittage genauso, wie das heute auch noch ist, wenn sich Frauen treffen: Man hetzte über die die nicht da waren, hechelte alle Krankheiten durch und tratschte, was das Zeug hielt.

Die größten Unterschiede waren, daß man den Frauensport Nummer 1, das Nordic Walking, noch nicht kannte und daß man gewöhnt war, daß alle Segnungen der Medizin in 12monatigem Abstand wie selbstverständlich immer neu in Anspruch genommen werden konnten. Ja, das gab es mal! Die fuhren jedes Jahr in Kur, bekamen alle zwei Jahre kostenlos eine neue Brille und neue Zähne, Brücken, Kronen gab es auch regelmäßig von der Kasse geschenkt. Kein Wunder, daß die Kassen leer sind!

Da meine Mutter die große Strickkünstlerin war, mußte ich also immer herhalten, durfte dann vor den dicken, alten Tanten auf dem Stuhl stehen und mich mit halbfertigen Nadelprodukten behängen lassen.

Die Pullover und die Jacken gingen ja noch, aber absolut grauenvoll waren die Nebenprodukte, die meine Mutter immer dann fertigte, wenn das Aufgeribbelte nicht mehr für was Größeres reichte. Solche Nebenprodukte waren beispielsweise Mützen, Schals und Handschuhe. Die Schals lasse ich ja noch durchgehen, aber die Mützen und Handschuhe habe ich gehasst.

Fingerhandschuhe konnte meine Mutter auch stricken, aber das war ihr immer zu kompliziert, deshalb fertigte sie vorzugsweise Fäustlinge. Fäustlinge sind vor allem deshalb absolute Scheiße, weil sie zwar vorzüglich die Hände wärmen, man sie aber bei allem was man machen will ausziehen muß. Ja und damit das Kind, die Dinger nicht verliert, weil es die ja ständig auszieht, wurden die Fäustlinge mit einer langen Wollkordel miteinander verbunden. Da lief also von der linken Hand eine Wollschnur durch den Ärmel, hinter den Schultern vorbei, durch den anderen Ärmel wieder hinunter bis zur rechten Hand. So konnte man die Dinger nicht verlieren.
Praktisch für die Mütter, unpraktisch für die Kinder.

Ich führe meine mittlerweile leicht gebeugte Körperhaltung vor allem darauf zurück, daß diese Fäustlings-Verbindungskordeln damals spätestens nach 3 Monaten viel zu kurz waren, weil ich als Kind die unangenehme Eigenschaft hatte immer zu wachsen.
Das war ja auch der Grund, warum meine Mutter immer alles aufribbeln mußte, um was Neues daraus zu stricken.

„Kaputt kriegt man das ja nicht, aber der wächst ja so schnell!“

Ich sprach ja schon die Mützen an. Solange meine Mutter Pudelmützen strickte, war das ja noch in Ordnung. Die waren ganz witzig, warm und lustig, weil man so schön mit dem Bommel wackeln konnte. Aber als die doofen Russen 1961 den ersten Kosmonauten ins All schossen, folgten ja wenig später die nicht weniger doofen amerikanischen Astronauten und das bescherte uns Kindern die Astronautenmütze!
Wer nicht weiß, was eine Astronautenmütze ist, stelle sich den Rollkragen eines Pullovers mit einer angestrickten Kapuze vor.
Diese Mützen umschlossen den ganzen Kopf und den Hals und ließen nur ein Loch für das Gesicht. Genauergesagt hatte das Ding zwei Löcher, eins fürs Gesicht und eins für den Hals. In etwa sehen heute die Feuerschutzhauben der Formel-Eins-Rennfahrer so aus. Nur waren unsere Astronautenmützen damals nicht aus atmungsaktivem Weltraumstoff, sondern… genau: aus aufgeribbelter Kratzwolle.

Was haben es unsere Kinder doch heute gut, oder? Dafür nehme ich sogar den kastriert klingenden Comic-Clown oder Verona (wie heißt die heute?) in der Fernsehwerbung von KiK in Kauf. Bei C&A, KiK und Konsorten bekommt man wunderbare, kratzfreie Kinderbekleidung, die man –wenn sie kaputt oder zu klein ist‑ nicht aufribbeln kann, sondern abgibt oder einfach in die Altkleidertonne wirft.

Neulich sagte die meine Frau: „Eigentlich könnte ich mal wieder was stricken.“
Ich hab bloß gesagt: „Ich stelle mich aber keinesfalls auf den Stuhl.“

Das hat sie nicht verstanden. Frauen!

Astronautenmützen, Schals, verkordelte Fäustlinge und vor allem Pullover waren also die bevorzugten Weihnachtsgeschenke meiner Mutter. Gerne ging sie aber auch im Schlussverkauf mit mir in die Stadt und versah mich dann mit allerlei Kleidungsstücken, die mir zwar nie gefielen, von denen der Verkäufer aber behauptet hatte: „Das tragen die jungen Leute heute so.“
Ja und kurz vor Heiligabend verschwanden diese Sachen dann aus meinem Schrank, um dann im Zuge der Bescherung, in schönstes -seit Jahren immer wieder aufgebügeltes- Weihnachtspapier gehüllt auf dem Gabentisch wieder aufzutauchen.

Andere Kinder bekamen einen Cassettenrekorder oder Bonanza-Figuren…

Seitdem ich halbwegs auf eigenen Beinen stehe, läuft einjeder, der mir zu Weihnachten etwas kleidungsähnliches schenken will, Gefahr, sofort den in mir schlummernden Werwolf zu wecken und der Zerreissung seiner textilen Gaben beiwohnen zu dürfen.
Ich will zu Weihnachten Blechroboter, Metallbaukästen, Spielzeug in allen Varianten, meinetwegen auch Bücher -obwohl ich mir die ja selbst schreiben könnte-, gerne auch was Süßes und was Elektronisches, aber KEINESFALLS irgendetwas was man anziehen kann.

Doch zurück zum Adventskalender:

Seit ich denken kann, habe ich jedes Jahr einen Adventskalender. Meistens sind es die ganz normalen, die mit den Schokoladendingern drin. Und damit es nicht so doof aussieht wenn ein so großer, kräftiger Mann einen Adventskalender da hängen hat, kaufe ich immer für jeden Mitarbeiter und jedes Familienmitglied einen. Da hängt bei uns unten im Gang also eine ganze Batterie von Adventskalendern nebeneinander und bis jetzt ist mir noch keiner begegnet, der nicht seinen Spaß daran gehabt hätte.
Frau Büser hat einen von „merci“, Sandy einen von einem bekannten Gummibärchenhersteller und die meisten anderen verschiedene Ausführungen mit Schokolade.
Ich habe in diesem Jahr einen mit Überraschungseiern, leider sind da nur ganz doofe Sachen drin. Aber egal, die Schokolade außen drum ist sowieso das Beste!

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(©si)