Sie sind alle barfuß, ein betäubender Geruch von Weihrauch erschwert das Atmen und die Tür öffnet ein nackter Mann.
Was mit einem ganz normalen Anruf begann, endet als Abenteuerausflug in eine völlig fremde Kultur.
Das Telefon klingelt. Und das Ding klingelt immer, wenn Du gerade Dein Spielhöschen angezogen hast, die Füße in Pantoffeln stecken und neben Dir ein Fläschchen Bier und eine Schale mit Erdnüssen stehen. Immer dann! Und besonders gern am Wochenende, an Weihnachten oder an Deinem Geburtstag. Und als Bestatter weißt Du dann, dass anderswo ein Mensch gestorben ist, was diesem selbst nach allem, was wir wissen, nichts mehr ausmacht, die Menschen, die ihn lieben, aber vor größere Probleme und Fragen stellt. Da muss man dann hin, muss diesen Leuten helfen, sie beraten, trösten und Beistand leisten, und nicht zuletzt: den Toten da abholen.
Für Dich ist das ein Fall von vielen, für die Betroffenen ist es aber oft das Wichtigste auf der ganzen Welt. Aber auch, wenn Du das schon oft erlebt hast und auch dieses Mal professionell abwickeln wirst, ist es niemals eine Abfertigung nach Schema F, sondern immer ein rücksichtsvoller und sehr individueller Prozess. Als Bestatter musst Du dem Umstand Respekt zollen, dass die Hinterbliebenen große Trauer empfinden und nahezu ausschließlich fern der Ratio von Gefühlen geleitet werden. Das macht sie anhänglich, hilflos oder manchmal auch bissig und unverschämt. Bevor Du bei ihnen bist, weißt Du das aber nicht, weshalb man immer auch ein wenig Anspannung empfindet, wenn man zu den Leuten hinfährt.
Was wird Dich dort erwarten? Ein Suizidopfer, viel Polizei und hektische Aufregung? Ein kleines Mütterchen, friedlich nachts entschlafen? Oder ein Vierzentnermann, der passiv alles tun wird, um sein Bett nicht zu verlassen?
Und werden es liebe Angehörige sein? Solche, die hilflos und dankbar für Deine Arbeit sind, oder solche, die im Netz schon alles gelesen haben und es damit besser wissen, als der erfahrene Bestatter?
Die Informationen aus diesem Telefonat waren spärlich. Die Frau am Telefon hatte sehr undeutlich gesprochen, sodass das einzig Verlässliche die Adresse war.
Ein Mehrfamilienhaus in Ludwigshafen, keine noble Gegend, aber auch nichts Schlimmes. Leider immer viele Treppen, und da hoffst Du, dass Bruder Hein diesmal ziemlich weit unten zugeschlagen hat.
Bruder Hein hält sich raus und hat sich für den zweiten Stock entschieden. Naja, geht noch.
Viel weiß ich nicht, nur den Namen der Verstorbenen, den Frau Büser, die Telefondienst hat, mir durchgegeben hat: Amanda Rehohr.
Die Wohnungstür im zweiten Stock steht offen, uns kommt ein nackter, junger Mann, der nur einen Lendenschurz trägt, entgegen. Er beachtet uns nicht. Manni und ich betreten die Wohnung. Uns schlägt ein Geruch entgegen, der mich sofort an meine Asienreisen erinnert. Es ist diese Mischung aus fernöstlichen Gewürzen, stark parfümierter Seife, Mottenkugeln und irgendwas zwischen Jasmin und Füßen. Der Geruch ist genau derselbe, wie damals, als ich in Karachi aus dem Flugzeug stieg und mein Reisepass sich aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit verbog, wie eine weiche belgische Waffel, auf die jemand zu viel Sirup gemacht hat.
Nach ein paar Tagen in Asien hast Du Dich an diesen Geruch gewöhnt, der wie ein dickes, nebelgleiches Tuch über allem zu liegen scheint. Doch hier in Ludwigshafen, in einer Mietwohnung im zweiten Stock, raubt der Dunst Dir geradezu den Atem.
Der erste Raum vorne links ist das Bad. Durch die offene Tür sehen wir, wie sich fünf oder sechs halbnackte Männer dort waschen. Der nächste Raum ist die Küche, wo ungefähr zehn Frauen in bunten, langen Kleidern damit beschäftigt sind, Tee oder Suppe zu kochen.
Ein asiatischer Mann in einem rötlichen Mönchsgewand kommt uns entgegen, begrüßt uns und fragt, wer wir sind. Dann deutet er auf unsere Füße und bittet uns, die Schuhe auszuziehen. Das machen wir und legen die Schuhe zu den etwa fünfzig anderen Schuhen, die im Flur auf einem Haufen liegen. Er spricht leise und in gutem Deutsch mit starkem Akzent. Ich kann nicht genau einordnen, ob das ein indischer Akzent ist.
Wir werden ins Wohnzimmer geführt. Auf dem großen Wohnzimmertisch hat man ein Podest errichtet und mit Tüchern verhüllt. Obendrauf liegt in einem Meer aus orangefarbenen Blüten ein etwa 40-jähriger Mann. Der Mönch, wie ich ihn mal nennen will, überreicht uns mit einer theatralischen Geste und großer Verbeugung die Leichenschaupapiere und die Todesbescheinigung. Ich lese den Namen des Verstorbenen, der nicht Amanda Rehohr heißt, sondern Ananda Rhenor.
Zwei Frauen bringen uns kleine Tontassen mit Tee. Dann verlassen sie den Raum und die eben noch halbnackten Männer kommen, in weiße Sachen gekleidet, herein. Weite, weiße Pluderhosen und lange Hemden mit Stehkragen. Irgendwo in der Wohnung läutet jemand ein Glöckchen, es wird ein Gesang angestimmt, der eigentlich nur aus den Geräuschen „Hmmmm muuuuum Hmmmmm“ besteht. Die ungefähr acht Männer beginnen stumm und ehrfürchtig, den Verstorbenen zu entkleiden, und waschen ihn mit kleinen gelben Schwämmchen, die sie immer wieder in eine bronzene Schüssel tauchen.
Ich schätze, dass zwischen 25 und 30 Personen in der Dreizimmerwohnung sind, und alle reden durcheinander, und trotzdem ist es nicht laut, sondern es liegt eine ehrfurchtsvolle, fast schon heilige Stimmung über allem.
Nach ungefähr zwanzig Minuten sind die Herren fertig und Ananda Rhenor ist in eine lange, weiße Tunika gekleidet und liegt wieder inmitten des kleinen Blütenmeeres. Der Mönch bittet uns, dass Ananda die Chivara, so heißt wohl das Gewand, nicht mehr ausgezogen bekommt.
Ich frage ihn, wie es denn nun weitergehe, und ob wir mal nebenan alles Weitere besprechen können. Er winkt beschwichtigend ab. Wir möchten den Verstorbenen bitte in den einfachsten Sarg legen, den wir haben, dann zum Krematorium bringen. Um alles andere kümmere man sich selbst. Da müsse jemand zur Botschaft nach Frankfurt fahren, das sei alles sehr kompliziert. Und dann komme ein Bestatter, der die Urne abhole und zum Tempel bringe. Ich frage, welche Nationalität der Verstorbene hat, und bekomme zur Antwort: „Ja, genau.“ Und als ich frage, welcher Religion er angehört, lächelt der Mönch, faltet die Hände, wie zum Gebet, verneigt sich ein bißchen und meint: „Der Frieden und das Glück.“
Normalerweise läuft das anders. Da übergeben uns die Angehörigen die notwendigen Papiere und wir kümmern uns um Termine, Ämter und die gesamte Planung. Aber hier ist das anders. Diese Leute haben ihren Bestatter, der sich mit den Abläufen dieser Kultur auskennt und nach der Kremierung alles Weitere übernehmen wird. Also bleibt für uns die Lieferung des Einäscherungssarges und der Transport des Verstorbenen. Im Wagen haben wir eine Leichentrage und einen Einäscherungssarg, den wollen wir nun holen, doch der Mönch sagt: „Nein, wir bring‘ dem Mann.“
Irgendwo in der Wohnung ertönt ein Gong und die Frauen stellen sich im Flur auf. Jede von ihnen hat ein Messingschälchen in der Hand, aus dem Weihrauch seinen betörenden Duft verströmt. Gleichzeitig schlagen sie mit kleinen Klöppeln an die Schalen.
Es kommen noch mehr Leute, und während wir unsere Schuhe wieder anziehen, werfen die neuen Trauergäste buchstäblich eimerweise Blüten auf den Fußboden und auf die Treppenstufen. Schon nach kurzer Zeit ist ein Teppich aus Blumen entstanden.
Ein halbes Dutzend der Weißgekleideten haben inzwischen das Brett, auf dem der Verstorbene ruht, auf die Schultern genommen und tragen ihn mit wiegenden Schritten aus dem Wohnzimmer. Die engen Türen machen ihnen zwar zu schaffen, aber sie bringen es fertig, auch diese Engstellen würdevoll zu passieren. Ebenso im Treppenhaus. Nicht einen Moment liegt Ananda schräg.
Unten auf der Straße haben sich an die 40 Personen versammelt; wir laden den Sarg aus und schon eilen drei Männer herbei und entfernen den Deckel, noch bevor wir es tun können. Eine Frau bewegt eines der Räuchergefäße durch den leeren Sarg und dann legt eine andere ein gelbes Tuch in den Sarg.
Manni und ich sind nur Zaungäste, wir müssen nichts tun, wir geben uns ganz dem fremden Zeremoniell hin und lassen die Leute gewähren. Ich habe selten etwas so Würdevolles und Harmonisches erlebt.
Wenig später knien die Leute auf dem Asphalt der Straße und streuen immer noch Blütenblätter. Die Männer mit dem Verstorbenen kommen. Über allem liegt ein leiser, fast gemurmelter Gesang, das leise Klingen eines Glöckchens und der Duft des Weihrauchs.
Wie auf ein geheimes Zeichen erheben sich alle und Männer und Frauen bilden einen Kreis um den Sarg. Wenige Sekunden später liegt Ananda im Sarg und die Männer legen nach einem letzten Blick auf den Toten den Deckel auf.
Ein wenig unpassend, wie ich finde, kommt der Mönch und hat Geldscheine in der Hand. Er will uns bezahlen. Offenbar hat er mit sehr hohen Kosten gerechnet, denn er hält mir wenigstens 1.000 Euro hin.
Ich nehme ihn beiseite und führe ihn zur Motorhaube des Bestattungswagens. Zumindest eine Vollmacht muss er mir unterschreiben und mir einen Ausweis zeigen. Manni fotografiert den Personalausweis des Mannes, der Kiran Dalori heißt, aber in Koblenz geboren wurde.
Wieder hält er mir das Geld hin. Ich muss nicht viel rechnen. Beim Sarghändler aus Polen hat mich der Sarg 50 Euro gekostet und Manni bekommt 80 Euro für einen solchen Abendeinsatz. Doch hinter dem Rücken des Mönchs winkt Manni ab und ich zupfe einen Hunderter aus dem Geldbündel des Mönchs. Er blickt mich erstaunt an. „Das letzte Mal in dem Heidelberg hat der Bestattungsmann über 1.000 Euro verlangt.“
„Schon in Ordnung so“, sage ich, „es war uns eine Ehre, dass wir dabei sein durften.“
Bildquellen:
- ananda2: ki Peter Wilhelm
- ananda: KI
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