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Das Heimatmuseum

Herr Rödermark war Stadtverwaltungsrat, vielleicht sogar Obrverwaltungsrat, so ganz genau weiß ich das nicht. In dem entsprechenden Feld auf dem Formular, mit dem wir die Daten der Verstorbenen erfassen, steht nur „Beamter“. Daß das Leben von Beamten endlich ist, ist nichts Neues und daß Herr Rödermark mit 82 Jahren verstorben ist, wundert auch niemanden. Sein stets hochroter Kopf, seine Kurzatmigkeit und seine häufigen Besuche in der Sprechstunde von Doktor Prangel-Schmierwitz hatten es allgemein bekannt gemacht, daß er nicht ganz gesund war. Daß er überhaupt so alt geworden ist, ja genau das wundert heute eigentlich jeden. „Der war ja schon so lange krank.“

Seine Beerdigung wird eine große sein, der Oberbürgermeister hat sich angesagt und zahlreiche Vereine wollen Abordnungen schicken. Herr Rödermark war sehr bekannt und sehr beliebt.

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Seit 25 Jahren hatte Rödermark in akribischer Kleinarbeit allerlei ortsbezogene Devotionalien zusammengetragen, um die Geschichte unseres Stadtteils zu dokumentieren. In seinem zum Heimatmuseum umgebauten Anbau präsentierte er unter anderem sogar so wichtige Schaustücke wie die Schnalle vom Gürtel des Mantels, den der damalige Bürgermeister, bei der Unterzeichnung der Eingemeindungsurkunde im Jahre 1921 getragen haben soll. Die Eingemeindungsurkunde selbst liegt im Stadtarchiv und Rödermark präsentierte in seinem Museum eine selbstgefertigte Abschrift in der die Besucher lesen konnten, daß man damals der Eingemeindung nur unter den Bedingungen zustimmte, daß der trennende Feldstreifen zwischen der Stadt und unserem Ort niemals bebaut werden dürfe, zwischen unserem zum Stadtteil gewordenen Ort und der Stadt eine Straßenbahnlinie errichtet und erhalten werden muß und einmal jährlich der städtische Besamungseber allen Bauern hier vor Ort zur Verfügung gestellt werden müsse.

Mehr historische Exponate hatte das Heimatmuseum nicht aufzuweisen. Böse Zungen bemängelten dies seit Jahren, doch Rödermark ergänzte seine Ausstellung, um diese wertvollen Stücke herum, durch zahlreiche Fotografien, Zeitungsseiten und andere Schaustücke aus der Zeit. Dabei spielte es für den röhrigen Heimatkundler auch keine Rolle, daß ein Teil der zeitgenössischen Exponate aus völlig anderen Gegenden der Republik stammten.

Wenn man ehrlich ist, dann war dieses Heimatmuseum ein Schmarrn, ein vielfach hochgelobter Quatsch, das Hobby eines etwas penetranten, aber durchaus liebenswürdigen, alten Mannes.

Kaum eine Woche verging, ohne daß ein Bericht in der Zeitung auf das Heimatmuseum aufmerksam machte und bei jeder sich bietenden Gelegenheit wurde Rödermark für seine unermüdlichen Bemühungen um den Erhalt historischer Güter geehrte, benadelt und behängt. Im Laufe der Jahre bekam er zwei Bundesverdienstkreuze, einen Stadtring und wenigstens dreimal in Folge die Ehre, dem örtlichen Karnevalsumzug als „Oberster Bursche“ vorweg fahren zu dürfen.

Ich kann mich an überhaupt keine örtliche Veranstaltung erinnern, bei der der pensionierte Beamte nicht anwesend war oder wenigstens von höherer Stelle sein Fernbleiben auf das Heftigste bedauert wurde. In der Hochzeit seiner musealen Tätigkeit, schob man gar ganze Schulklassen durch sein Museum und die ohrverstöpselten kleinen Ignoranten mußten zum Teil unter Androhung empfindlichen Ungemachs zum Bestaunen besagter Gürtelschnalle förmlich gezwungen werden.

Ja und nun?
Nun ist Rödermark gestorben. Selbst längst verwitwet hinterläßt er einen Sohn, der schon kurz nach der Beerdigung das geerbte Wohnhaus mit einem Baugerüst versehen ließ. Der Anbau soll mal seinen Kindern als Wohnhaus dienen und so landete sämtliches Ausstellungsmaterial in einem großen dunkelgrünen Container von „Schutt- und Bauentsorgung Günther D. Reckweg GmbH“.
Es ist nicht bekannt, daß irgendwer sich um die Exponate geschert oder den Fortfall des Museums bedauert hat.

Wie sagte doch der Vorsitzende der Vereinsgemeinschaft? „Och, dem hat’s Spaß gemacht, uns hat’s nicht geschadet, aber wenn das Museum weg ist, das merkt kein Mensch.“

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