Geschichten

Der Goldfisch -V-

Da sitzt man dann da als Bestatter und ich gebe zu, daß mir vor Erstaunen der Mund eine Sekunde lang offenstand. Nun weiß ich aus Erfahrung, daß eine solche Anschuldigung oft ausgesprochen wird, meist vorschnell und meist ohne Grundlage. Jeder ist traurig über den Verlust und manch einer sucht die Schuld an diesem Verlust bei irgendeinem Familienmitglied. Da streiten sich die Angehörigen auch schon mal handgreiflich über die Frage, ob nun die eine Tochter den Vater gut genug gepflegt habe, wo er doch bei der anderen Tochter viel besser untergebracht gewesen wäre. Die Wörter Erbschleicherei und Entsorgung hört man da besonders oft.
Es ist aber an diesen Vorwürfen so gut wie nie etwas dran.

Ich muß jetzt Radek in die Geschichte einführen. Radek ist Tscheche und lebt seit Ewigkeiten in Deutschland. In seine Heimat kann er nicht zurück, weil er sich dort vor über vierzig Jahren mal was hat zu Schulden kommen lassen. Zwar ist jeder davon überzeugt, daß das kein Grund sei und seine Tat auch lange verjährt ist, aber er hat Angst davor, im Knast zu landen.
Da hat Radek es vorgezogen, lieber hier in Deutschland Autos zu klauen und diese nach Italien zu bringen, bis er dann dafür hier bei uns ins Gefängnis mußte.
Das ist nun aber auch schon viele Jahre her und nur noch die üblichen drei Punkte in der Daumenbeuge künden von diesen Zeiten.

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Seitdem lebt Radek mit Maria zusammen, heiraten kann er nicht, angeblich gibt es auch in Tschechien noch eine Frau, der er regelmäßig und das seit vierzig Jahren, jeden Monat 200 Euro schickt.
Radek arbeitet als freischaffender Tagelöhner und hat diverse Auftraggeber, für die er als Faktotum alle möglichen Aufgaben erledigt. Dem Metzger macht er mittags das Schlachthaus und die Wurstküche sauber, frühmorgens fegt er Dreck, Lauf oder Schnee für eine ganze Reihe von Geschäftsleuten und nachmittags fährt er Laborberichte und Proben von den Ärzten zu den Labors. Irgendwas arbeitet Radek immer und es gibt wohl kaum jemanden, den ich kenne, dessen Handy so oft klingelt wie sein abgegriffenes und verkratztes Nokia von 1999.

Radek kennt man gar nicht anders, als in einer grünen Latzhose, die er aus einem Altkleidercontainer gezogen hat und deren Aufdruck auf dem Brustlatz ihn als Mitarbeiter des städtischen Grünflächenamtes ausweist, während die stolz getragene ehemals blaue Kappe auf seinem Kopf vorne ein Abzeichen der Polizeigewerkschaft hat.
Vermutlich glauben viele Leute, Radek sei irgendwie in offizieller Mission unterwegs, was ihn aber auch nicht stört, denn so hat er Zutritt zu allen möglichen Einrichtungen, was seinen mannigfaltigen Erledigungen nur zu Gute kommt.
Immer hat er eine Filterlose im Mundwinkel, weshalb er nur aus dem anderen Mundwinkel spricht und sein Deutsch hat sich in den letzten vierzig Jahren nicht wesentlich verbessert. Man muß schon ganz viel Phantasie haben, um ihn überhaupt zu verstehen. Ich werde ihn im Folgenden angepasst übersetzen, denn Radek ist derjenige, der sich bei Hugo Bauer bestens auskennt und uns die ganze Geschichte erzählen kann.

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