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Der so aussieht wie wer

„Na? Jetzt gucken Sie doch mal ganz genau!“

Ich schaue mir Herrn Wörpel an, er wendet sich ins Halbprofil, reckt die Nase und will wissen: „Und? Erkannt?“

Nein, ich erkenne sie nicht, die angebliche Ähnlichkeit zu „dem wo ganz berühmt ist“.

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Als Bestatter lernst du hunderte, wenn nicht tausende von Leuten kennen, manche vergisst man sofort wieder, andere bleiben in Erinnerung. Ich habe die Gabe, mir Gesichter und dazugehörige Namen ganz gut merken zu können, dafür erinnere ich mich immer ganz schlecht an Daten und Ereignisse. Also Historisches und Bedeutsames, das kenne ich und weiß ich, aber so was wie das Datum meiner Einschulung oder wann ich den Führerschein gemacht habe, das kann ich höchstens an irgendwelchen anderen Erinnerungen festmachen und zurückrechnen.

Bei Herrn Wörpel habe ich den Fehler gemacht, die vage Vermutung zu äußern, er käme mir irgendwie bekannt vor.

Und es ist keine Koketterie, wenn der Bestatter fragt, ob man sich nicht eventuell kennt, denn wenn der Kunde tatsächlich vor Jahren schon mal da war, dann hat man bereits eine Akte, kann alles Mögliche nachschlagen und erspart sich unter Umständen viel Arbeit und Nachfragerei.

Aber Meister Wörpel kümmert sich das erste Mal in seinem Leben um eine Bestattung, nimmt das auch noch sehr locker, da die angeheiratete Großtante, die da das Zeitliche gesegnet hat, kinder- aber nicht mittellos gewesen ist und ihm Beträchtliches zu vermachen vermochte. Die alte Dame hat er ewig nicht gesehen, bis sie vor einem Jahr ins Heim gekommen ist und seitdem hatte er sie wöchentlich mit Obstkörbchen und Blümchen bedacht, sie ab und zu zum Friseur und auch einmal in den Zoo gefahren und sich so den Status als potentieller Alleinerbe gesichert.
Warum auch nicht?

„Und? Hat’s jetzt geklickt?“

Nein, es hat immer noch nicht geklickt. Wörpel hatte, als ich ihn darauf ansprach, er käme mir bekannt vor, gesagt: „Das geht mir immer so, ich seh‘ doch so aus wie DER.“

„Wie wer?“

„Na überlegen Sie doch mal!“

Doch so sehr ich auch überlegte und schaute, mir fiel partout niemand ein, der aussieht wie Wörpel, außer eben Wörpel selbst.

„Das müssen Sie doch aber sehen, DER ist ganz bekannt. Ich sach nur Fernsehen…“

Herr Wörpel hält sich die rechte Hand vor den Mund und hinter dr Hand klingt seine Stimme dumpf hervor:

„Jetzt! Gucken Sie mal jetzt und denken Sie sich den Mund mal weg! Na?“

„Immer noch nicht“, gebe ich zu.

„Moment mal, und jetzt?“ Wörpel hat sich mit der Linken Hand die Haare nach hinten gedrückt und rollt mit den Augen: „So, jetzt mal ohne Haare, also nur hier vorne, die müssen Sie sich wegdenken… Früher hatte ER mal mehr Haare.“

Müßte ich Herrn Wörpel beschreiben, könnte ich sagen, daß er aussieht wie eine Mischung aus Franz Beckenbauer und Franz-Josef Strauß. Aber selbst die zur Beschreibung herbeigezogenen Prominenten reichen nicht aus, um ihn wirklich zu beschreiben, die Nase hat er eindeutig von Inge Meysel und die wird er ja wohl kaum meinen, denn er spricht ja immer von IHM.

Er nimmt die Hände vom Kopf und klatscht mit der flachen Hand auf den Tisch: „Na los! Strengen Sie sich doch mal an. Mensch, andere Leute sprechen mich auf der Straße an, ob ich nicht wer Berühmtes bin.“

„Da kann ich mich anstrengen wie ich will, ich komme beim besten Willen nicht drauf“, sage ich und um ihn nicht zu brüskieren, füge ich hinzu: „Aber tatsächlich, Sie haben da so was Berühmtes an sich.“

„Ne, stimmt, odder?

„Ja ja, gewiss.“

„Und?“

„Ich weiß es nicht.“

„Gut, dann sag‘ ich’s jetzt.“

„Meinetwegen, bin schon ganz gespannt.“

„Aber dann nicht lachen, ja?“

„Bestimmt nicht!“

„Wirklich nicht?“

„Nein, Ehrenwort.“

Er wendet sich ab, sodaß ich sein Gesicht nicht sehen kann, fasst in die Anzugtasche und fummelt an irgendwas herum.
Eine Sekunde später dreht er sich zu mir um und hat eine Sonnenbrille auf und mir schießt es durch den Kopf, ich weiß es in dieser Sekunde und sage ganz spontan: „Wolfgang Sauer!“

Enttäuscht nimmt er die Brille ab und es liegt entsetztes Erstaunen in seiner Stimme als er fragt: „Wer ist das denn?“

„Ein ganz berühmter Schlagersänger.“

„Kenn‘ ich nicht.“

Ich versuche abzuschätzen, wie alt Herr Wörpel ist und komme mir mal wieder ganz fürchterlich alt vor. Immerhin lebt Wolfgang Sauer noch…

„Jetzt gucken Sie aber nochmal!“ Wieder setzt er die Sonnenbrille auf, bleckt dabei die Zähne und hält sich mit der einen Hand die Haare aus der Stirn.

Ich winke mit beiden Händen ab, schüttele energisch den Kopf und sage: „Schluß damit! Spannen Sie mich nicht weiter auf die Folter. Bitte!“

Er holt tief Luft und schaut sich um, so als wolle er sicherstellen, daß ihn kein anderer hören kann und sagt mit gesenkter Stimme zu mir: „Stevie Wonder.“

Ich glaube, ich saß minutenlang mit offenem Mund da. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

„Sti… Sti…“, stammele ich und Herr Wörpel nickt begeistert, dreht und wendet sich und freut sich sichtlich, daß nun auch ich ganz spontan die verblüffende Ähnlichkeit zwischen seinem bärtigen bajuwarischen Quadratschädel und dem schwarzen amerikanischen Sänger entdeckt habe.

Nun ja, sind wir mal ehrlich, eher sieht ein leerer Bierkasten aus wie Claudia Schiffer, als daß dieser Mann auch nur im Entferntesten eine Ähnlichkeit mit Stevie Wonder hat. Aber offensichtlich glaubt er das ganz fest und ist auch noch fürchterlich(erweise) stolz darauf. Was soll ich also sagen?

Ich sage: „Verblüffend!“

„Nicht wahr?“

„Sicher.“

Unterm Tisch presse ich mit aller Kraft meine Fingernägel in die schmale Fuge, die mein Übergewicht rund um meine Kniescheiben gelassen hat, ich will mir selbst Schmerzen zufügen, ich brauche diesen Schmerz, sonst breche ich so laut und lang anhaltend in Gelächter aus, daß es den Mann beleidigen würde.

Trotzdem will es mir die Atemorgane hochglucksen und ich muß alle Energie aufbringen, um meine Gesichtszüge in halbwegs erschlafftem Zustand zu halten.

„Jetzt wo Sie’s sagen“, sage ich und beschließe, mich sofort krampfhaft meinen Papieren zuzuwenden, sonst bekomme ich doch noch einen Lachkrampf. Und wenn ich mal einen Lachanfall bekomme, dann heißt das, daß sich deutlich über hundert Kilo Mensch auf dem Boden herumkringeln.

Während ich mit starrem Blick mein Formular betrachte und mich bemühe an irgendetwas Schlimmes zu denken, zum Beispiel an Alice Schwarzer, um den Gedanken an Stevie Wonder aus dem Kopf zu bekommen, nimmt Wörpel seine Sonnenbrille ab und schaut mich nachdenklich an.

„Wenn ich mir Sie aber so anschaue, hm, irgendwie haben Sie was von…“ Er stockt.

Hoffentlich sagt der jetzt nicht Lassie oder Sponge-Bob!

„Nee, mal jetzt im Ernst, wenn ich es nicht besser wüßte…, Sie sehen eigentlich genau aus wie Roger Whittaker!“

Hm, hätte schlimmer kommen können!

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(©si)