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Die Dunkelkrank- und Offenheit

<a href="https://pixabay.com/users/whoismargot/">whoismargot</a> / Pixabay

Tja, da habe ich also vor ein paar Tagen geschrieben, dass ich krank bin.
Es ist eine Depressionserkrankung. Ich schilderte auch ansatzweise die Auswirkungen.

Dafür habe ich viel Zuspruch erhalten, von Betroffenen und Nichtbetroffenen.
Es gab auch eine Welle der -man muss es schon fast so nennen- Anteilnahme.

So viele liebe und aufmunternde Mails habe ich schon lange nicht mehr bekommen.
Besonders beeindruckt hat mich der Brief von Florian. Da setzt sich jemand hin und schreibt mir einen richtigen Brief per Post.
Ist auch schon lange her, dass ich einen Brief bekommen habe, der nicht in einem grauen Fensterumschlag steckte oder von Conrad-Elektronik kommt.

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Florian und natürlich auch viele andere haben mir konkrete Hilfe angeboten, manche hatten gute Ratschläge und Vorschläge zur Therapie.

Vielen, vielen Dank dafür! Ich bin beeindruckt und beschämt.

Doch eins muß ich konkretisieren und genauer darstellen.

Fast alle schreiben, wie sehr sie meinen Mut bewundern, mit dieser Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Das sehe ich vollkommen anders und will gar nicht die Vorbildfunktion einnehmen, die mir einige da zusprechen.

Eine Depressionskrankheit ist genauso eine Krankheit wie Grippe, Ischias, Bluthochdruck, Krebs, Multiple Sklerose, Diabetes oder Alzheimer.
Und wenn einer Ischias hat oder Bluthochdruck, dann tut er sich doch auch nicht schwer damit, davon zu erzählen.

Bei einer Depression scheint das anders zu sein.
Weil eine Depression meist keine körperlich sichtbare Ursache hat und nicht von Humpeln, Schnupfen und Gipsverbänden begleitet ist, sieht man diese Krankheit nicht. Aber man sieht auch Bluthochdruck nicht.
Weshalb also halten viele offenbar mit der Depressions-Diagnose hinterm Berg?

Meiner Meinung und Erfahrung nach liegt das daran, dass der Begriff Depression ein sehr weites Feld von Erkrankungen, Symptomen und Ursachen umfasst.
Außerdem wird das Wort auch viel zu freizügig verwendet.

Das ist in etwa so, wie bei der Grippe.
Hier in der Gegend haben die Leute alle im Winter „die Gripp'“. Gemeint sind grippale Infekte.
Grippal meint hier grippeähnlich.

Eine richtige Grippe, die Influenza, ist eine durchaus ernstzunehmende und oft todbringende Krankheit.

Du kannst also eine echte Influenza haben und lange flach liegen, mit echt schweren Auswirkungen, und trotzdem wird Dich niemand erst nehmen, weil ja alle die Gripp‘ haben. Kommt ’ne Woche, bleibt ’ne Woche und geht ’ne Woche, muss man durch, hat jeder.

Und so ist das auch mit der Depression.
„Boah, was bin ich heute wieder depressiv“, sagen manche, wenn es ihnen mal nicht so gut geht. Depressiv steht hier für traurig, schlecht gelaunt oder wenn einen irgendwas „runterzieht“. „Wenn ich auf den Friedhof gehe, krieg ich Depressionen“. Das ist auch so ein Satz.
Ich verstehe, was die Leute sagen wollen, sie haben die Depri-Gripp‘.

Aber mit einer echten Depression hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Doch genauso, wie jeder die Gripp‘ hat und weiß, dass das nichts Schlimmes ist, so denkt auch jeder, dass „etwas depri drauf sein“ nichts Schlimmes ist.
„Trink mal abends Fencheltee“ oder „Haste schon Vitamin D genommen“ oder „Mir hilft da immer ein Schnaps“, das sind die gutgemeinten Ratschläge von Freunden gewesen.

Es wird also deutlich, dass die anderen gar nicht wissen, was Du eigentlich hast. Sie denken, das ist so irgendwas mit schlechter Laune.

Nun passiert aber eine Depression im Kopf. Genau mein Fachgebiet. Den Scheiß hab ich studiert.
Nur ist eben eine Depression nicht so eine Erkrankung wie Ischias. Bei Ischias gibt es ein paar Standardverfahren, die jeder Arzt beherrscht, dann bekommt man das in den Griff.

Bei Depressionen ist ja meist noch nicht einmal die Ursache klar, die Auswirkungen sind von Mensch zu Mensch verschieden und die Ausprägung ist immer ganz unterschiedlich stark. Und wenn schon die Ärzte oft nur an den Symptomen herumdoktern können, wie soll dann der Betroffene eine korrekte Erklärung abgeben können.

Außerdem ist es ja auch so: Wenn man was im Kopf hat, steht man mit Geisteskranken, die in die Klapse müssen, auf einer Stufe.

Du hast also was, von denen niemand was versteht.
Du hast eine Krankheit, die niemand um Dich herum ernst nimmt.
Du hast eine Krankheit, die Du nicht erklären kannst.
Du hast eine Sache, die leicht als Idiotie mißverstanden wird.
Du hast eine Krankheit, die jeder schon mal hatte und mit Fencheltee behandelt.

Kein Wunder also, dass die Betroffenen nicht (gerne) darüber reden.
Sie haben einfach Angst, in irgendeine Psycho-Schublade gesteckt zu werden und sinnlose Behandlungsempfehlungen zu bekommen.

Mir geht das in allen oben genannten Punkten auch so.

Aber das ist eben so. Für mich ist das kein Grund, nicht darüber zu sprechen und zu schreiben.
Vielleicht habe ich so die Möglichkeit, den anderen erklären zu können, dass ich eben nicht nur die Gripp‘ habe, sondern was echt Schlimmes.

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