Tja, da habe ich also vor ein paar Tagen geschrieben, dass ich krank bin.
Es ist eine Depressionserkrankung. Ich schilderte auch ansatzweise die Auswirkungen.
Dafür habe ich viel Zuspruch erhalten, von Betroffenen und Nichtbetroffenen.
Es gab auch eine Welle der -man muss es schon fast so nennen- Anteilnahme.
So viele liebe und aufmunternde Mails habe ich schon lange nicht mehr bekommen.
Besonders beeindruckt hat mich der Brief von Florian. Da setzt sich jemand hin und schreibt mir einen richtigen Brief per Post.
Ist auch schon lange her, dass ich einen Brief bekommen habe, der nicht in einem grauen Fensterumschlag steckte oder von Conrad-Elektronik kommt.
Florian und natürlich auch viele andere haben mir konkrete Hilfe angeboten, manche hatten gute Ratschläge und Vorschläge zur Therapie.
Vielen, vielen Dank dafür! Ich bin beeindruckt und beschämt.
Doch eins muß ich konkretisieren und genauer darstellen.
Fast alle schreiben, wie sehr sie meinen Mut bewundern, mit dieser Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen.
Das sehe ich vollkommen anders und will gar nicht die Vorbildfunktion einnehmen, die mir einige da zusprechen.
Eine Depressionskrankheit ist genauso eine Krankheit wie Grippe, Ischias, Bluthochdruck, Krebs, Multiple Sklerose, Diabetes oder Alzheimer.
Und wenn einer Ischias hat oder Bluthochdruck, dann tut er sich doch auch nicht schwer damit, davon zu erzählen.
Bei einer Depression scheint das anders zu sein.
Weil eine Depression meist keine körperlich sichtbare Ursache hat und nicht von Humpeln, Schnupfen und Gipsverbänden begleitet ist, sieht man diese Krankheit nicht. Aber man sieht auch Bluthochdruck nicht.
Weshalb also halten viele offenbar mit der Depressions-Diagnose hinterm Berg?
Meiner Meinung und Erfahrung nach liegt das daran, dass der Begriff Depression ein sehr weites Feld von Erkrankungen, Symptomen und Ursachen umfasst.
Außerdem wird das Wort auch viel zu freizügig verwendet.
Das ist in etwa so, wie bei der Grippe.
Hier in der Gegend haben die Leute alle im Winter „die Gripp'“. Gemeint sind grippale Infekte.
Grippal meint hier grippeähnlich.
Eine richtige Grippe, die Influenza, ist eine durchaus ernstzunehmende und oft todbringende Krankheit.
Du kannst also eine echte Influenza haben und lange flach liegen, mit echt schweren Auswirkungen, und trotzdem wird Dich niemand erst nehmen, weil ja alle die Gripp‘ haben. Kommt ’ne Woche, bleibt ’ne Woche und geht ’ne Woche, muss man durch, hat jeder.
Und so ist das auch mit der Depression.
„Boah, was bin ich heute wieder depressiv“, sagen manche, wenn es ihnen mal nicht so gut geht. Depressiv steht hier für traurig, schlecht gelaunt oder wenn einen irgendwas „runterzieht“. „Wenn ich auf den Friedhof gehe, krieg ich Depressionen“. Das ist auch so ein Satz.
Ich verstehe, was die Leute sagen wollen, sie haben die Depri-Gripp‘.
Aber mit einer echten Depression hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Doch genauso, wie jeder die Gripp‘ hat und weiß, dass das nichts Schlimmes ist, so denkt auch jeder, dass „etwas depri drauf sein“ nichts Schlimmes ist.
„Trink mal abends Fencheltee“ oder „Haste schon Vitamin D genommen“ oder „Mir hilft da immer ein Schnaps“, das sind die gutgemeinten Ratschläge von Freunden gewesen.
Es wird also deutlich, dass die anderen gar nicht wissen, was Du eigentlich hast. Sie denken, das ist so irgendwas mit schlechter Laune.
Nun passiert aber eine Depression im Kopf. Genau mein Fachgebiet. Den Scheiß hab ich studiert.
Nur ist eben eine Depression nicht so eine Erkrankung wie Ischias. Bei Ischias gibt es ein paar Standardverfahren, die jeder Arzt beherrscht, dann bekommt man das in den Griff.
Bei Depressionen ist ja meist noch nicht einmal die Ursache klar, die Auswirkungen sind von Mensch zu Mensch verschieden und die Ausprägung ist immer ganz unterschiedlich stark. Und wenn schon die Ärzte oft nur an den Symptomen herumdoktern können, wie soll dann der Betroffene eine korrekte Erklärung abgeben können.
Außerdem ist es ja auch so: Wenn man was im Kopf hat, steht man mit Geisteskranken, die in die Klapse müssen, auf einer Stufe.
Du hast also was, von denen niemand was versteht.
Du hast eine Krankheit, die niemand um Dich herum ernst nimmt.
Du hast eine Krankheit, die Du nicht erklären kannst.
Du hast eine Sache, die leicht als Idiotie mißverstanden wird.
Du hast eine Krankheit, die jeder schon mal hatte und mit Fencheltee behandelt.
Kein Wunder also, dass die Betroffenen nicht (gerne) darüber reden.
Sie haben einfach Angst, in irgendeine Psycho-Schublade gesteckt zu werden und sinnlose Behandlungsempfehlungen zu bekommen.
Mir geht das in allen oben genannten Punkten auch so.
Aber das ist eben so. Für mich ist das kein Grund, nicht darüber zu sprechen und zu schreiben.
Vielleicht habe ich so die Möglichkeit, den anderen erklären zu können, dass ich eben nicht nur die Gripp‘ habe, sondern was echt Schlimmes.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Du hast es auf dem Punkt gebracht. Seitdem ich einen echten Burnout hatte, tun auch immer alle so als sei ich nur faul, müde und nicht belastbar. Meine Depressionen, die immer mit einhergehen, sind auch nur eingebildet. Ich solle einfach mal positiv denken. Danke, dass du es nochmals auf den Punkt gebracht hast.
Alles Gute!
@Claudia:
Hallo,
bevor es dazu kommt, gibt es Vorzeichen, Warnungen des Körpers. Nur hören die wenigsten darauf. Tut mir leid, aber wenn jemand Burnout hat, trägt er eine Mitverantwortung.
@Katty: Ist das so?
Lieber Peter,
dieses finstere Tal hab ich auch durchschritten (und schreite dort auch immer mal wieder herum), begleitet von Magersucht, Bulimie, SSV und Panikattacken. Das alles sind Krankheiten, die alle nur abtun („Mädel, iss doch mal was, kann doch nicht so schwer sein!“) als „Phase“. Blöd nur, wenn man an dieser „Phase“ verrecken kann… Ich wünsch Dir alles, alles Gute! Fühl Dich ferngeknuddelt (echten Körperkontakt schaffe ich nur in seltenen Fällen) <3
Dabei ist es ja grad das drüber reden, was – auch – hilft.
Und ja, mit Nierensteinen geht man zum Urologen, mit Herzklabuster zum zuständigen Arzt, dem Kardiologen. Für jeden Krebs gibt es einen Spezialisten, und den aufzusuchen ist völlig selbstverständlich, all das hab ich in der Vergangenheit auch ohne Zögern getan.
Aber erzähl mal, dass Du mit einer Depression mit Krankheitwert beim zuständigen Facharzt, dem Psychiater, warst …
Warum gucken da eigentlich – nicht alle aber immer noch sehr viele – erstmal ziemlich bedröppelt als hätte man ihnen grad eröffnet, dass man nicht mehr zurechnungsfähig ist?
Einer unserer gemeinsamen Bekannten spricht von seinem „Irrenarzt“. Ich tue das inzwischen auch gelegentlich. Das bringt die Menschen erst zum Nachdenken und dann auch schon mal zum Lachen. Und das ist gut so.
Ich kenne diese Probleme nur zu genüge. Meine Diagnose lautet ; Fibromyalgie. Letzte Woche war ich bei meinem Zahnarzt. Da er wissen musste welche Medikamente ich einnehme, und er darauf hin fragte: Welche Krankheit ich denn habe? Ich erwiderte Fibromyalgie! Darauf hin lachte er und sagte mir frech ins Gesicht:Das ist keine Krankheit……
Ich habe mir nur gedacht, als Arzt hätte ich eine andere Reaktion erwartet!!
Wenn manch einer wüsste, welche Qualen man mit dieser Krankheit durchmacht!!!
Ich bin jetzt nicht so diejenige, die wohlgesetzte einfühlsame Worte findet, deshalb habe ich auch nicht geschafft, bei deinem „Outing“ einen Kommentar zu hinterlassen.
Aber ich muss jetzt doch mal sagen, dass ich schon finde, dass Mut dazu gehört, an die Öffentlichkeit zu treten. (Vielleicht bin ich auch einfach nur ein Feigling.)
Aktuell ist an meinem Arbeitsplatz wohl auch gerade die „Katze aus dem Sack“ – ich bin zur Zeit wegen meiner Depression krank geschrieben.
Das finde ich schon relativ furchtbar, weil man die typischen Reaktionen auf psychische Erkrankungen eben kennt. Nur ließ es sich nicht vermeiden und ich muss da jetzt durch. Wenigstens weiß es nicht das ganze Dorf.
Aber deine Blogleser hätten ja nichts von deiner Erkrankung mitbekommen, wenn du es nicht selbst thematisiert hättest. Also Hut ab. Auch wenn du es nicht einsehen willst: du bist mutig. Und du bekommst den ganzen Mist auch wieder in den Griff.
Ich glaube (und da mag ich mich vielleicht irren) dass viele sich das einfach nicht vorstellen können.
Grippe, Herzkasper, Reizdarm oder was auch immer kann sich jeder irgendwie vorstellen. Da ist die ungefähre Stelle und so tut es weh.
Was im Kopf von Menschen mit Depressionen vorgeht kann sich keiner vorstellen der das nie hatte. Außer vielleicht dass die Leute meinen man wäre langanhaltend traurig.
Deshalb ist es auch so wichtig, dass von den Betroffenen darüber gesprochen wird. Und deshalb bin ich dankbar dafür dass du es für uns in Worte fasst.
Ich wünsche dir die nötige Kraft deinen Weg durch diese Depression zu finden.
LG Tanja
Ich glaube, das „größte Problem“ an der Krankheit Depression ist, daß sie irgendwie irrational ist. Bluthochdruck, die Gripp‘, verstauchter Fuß, das können wir alle sehen oder zumindest „messen“, das ist eine konkrete Sache. Eine Depression kann sich so vielfältig äußern, und ist ähnlich einer Phobie für nicht-betroffene Leute nicht nachvollziehbar – wie Du ja selber schreibst, so nen „Depri-Tag“ hat man auch als „normaler“ Mensch mal, da mummelt man sich ein und kommt wieder drüber hinweg.
Ich habe jemanden mit Depressionen im Bekanntenkreis, und ich fühle mich hilflos, wenn er davon erzählt, da ich eben weiß, daß weder Fencheltee noch kalte Kompressen helfen.
@Henning:
Kürzlich im Bildungs-TV gehört:
Wer sich fragt „habe ich Grippe oder bin ich nur erkältet?“, der ist nur erkältet; bei einer Grippe fragt man sich das nicht, da liegt man flach.
Kann man schon auf Erkrankungen des Gemütes übertragen…
Heutzutage gibt es ja leider viele Personen, die auch bei sehr greifbaren, handfesten Krankheiten meinen mit einfachem Zusammenreißen, Esoterik-Klimbim und „richtiger“ Einstellung ginge alles wie von Zauberhand weg.
Da ist eine Depression gerade zu eine Einladung, alles mögliche Doofe zu empfehlen, weil es sie von außen nicht so präsent ist, wie Psoriasis oder Parkinson..nur als Beispiel.
Ich wünsche Ihnen alles Gute.
Heutzutage gibt es ja leider viele Personen, die auch bei sehr greifbaren, handfesten Krankheiten meinen mit einfachem Zusammenreißen, Esoterik-Klimbim und „richtiger“ Einstellung ginge alles wie von Zauberhand weg.
Da ist eine Depression gerade zu eine Einladung, alles mögliche Doofe zu empfehlen, weil es sie von außen nicht so präsent ist, wie Psoriasis oder Parkinson..nur als Beispiel.
Ich wünsche Ihnen alles Gute.
Ich glaube, das kommt von einer Überforderung gerade von Menschen, die mit psychischen Krankheiten noch nie in Kontakt gekommen sind. Wenn man Fencheltee empfehlen kann, hat man wenigstens etwas getan, wo man eigentlich gar nichts tun kann ausser zuhören. Und sie wissen oft zu wenig darüber. Unter dem Hashtag #notjustsad wird auf Twitter aber kräftig Aufklärungsarbeit betrieben. Und was dort horrend zum Vorschein kommt ist, dass in Deutschland die Suche nach einem Therapieplatz Monate dauern kann, wenn man nicht gerade gut betucht ist (hier in der Schweiz hatte ich innerhalb einer Woche einen Termin).
Nach zehn Jahren Therapie kann ich sagen: Therapie kann das Leben verändern. Und am Anfang hatte ich das Gefühl «ist doch nicht so schlimm, kann ich doch selber» – heute kann ich sagen: ich hätte es niemals alleine geschafft und meine Therapeutin hat mir unzählige Male den Arsch gerettet.