Frag doch den Undertaker

Frau Müller ist tot – Tag 2

Der große Bestattungswagen wird mit drei Särgen beladen, die Männer werden eine große Tour durch die ganze Stadt fahren. Ein Sarg kommt auf den Waldfriedhof, einer kommt ins städtische Krematorium und der Sarg mit Frau Müller muß auf den Südfriedhof gebracht werden.
Kein Kundenkontakt, niemand der sich daran stören könnte, also fahren die Bestatter ökonomisch und rationell mehrere Verstorbene auf einmal. Unseriöse Bestatter berechnen dann in alle drei Fällen den kompletten Fahrservice als Einzelleistung, wir rechnen für solche Stadtfahrten nur eine Pauschale ab.

Zuerst werden die anderen beiden Särge weggebracht, dann wird der Südfriedhof angesteuert. Der Friedhofsangestellte lümmelt sich bei einem Butterbrot und Kaffee aus der Thermoskanne in seinem Büro herum und liest die B-Zeitung. Er lehnt sich in seinem Stuhl weit nach hinten, greift einen Schlüssel vom Schlüsselbrett, das er so gerade eben mit den Fingerspitzen erreicht und wirft ihn uns zu: „Nummer drei, da könnt ihr sie reinstellen. Ist die offen?“

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Die Frage des Friedhofsverwalters bezieht sich auf die Aufbahrung. Die Fahrer schauen kurz auf ihren Laufzettel, ja da ist ein Kreuz bei „Aufbahrung“, sie geben dem Verwalter einen Durchschlag und nicken ihm zu.

Rückwärts rangiert einer der Fahrer den Wagen in die Durchfahrt des Friedhofs, der andere weist ihn ein und hält eilige Rentnerinnen zurück, die sich mit Schäufelchen und Gießkanne noch eben schnell an dem Auto vobeidrücken wollen.
Der eine Fahrer öffnet die Heckklappe, der andere schließt Leichenkammer Nummer drei auf und zieht den Sargwagen heraus und schiebt ihn hinter den Bestattungswagen.

Eine Stunde zuvor hatten sie den Sarg aus dem Kühlraum gezogen, es hatte sich etwas Kondenswasser auf dem Holz niedergeschlagen und sie haben den Sarg mit etwas Putzwolle trockengerieben. Jetzt in einem der wenigen Momente da der Sarg im Sonnenlicht zu sehen ist, sehen die Männer noch ein paar Fussel von der Putzwolle und -noch schlimmer- einen kleinen hellen Kratzer an der Seite des Sarges. Das muß beim Ausladen der anderen Särge passiert sein.

Sie ziehen den Sarg aus dem Wagen, so weit bis er gerade noch auf der Ladekante steht, dann greifen sie die Holzleiste, die den oberen Abschluss des Unterkastens bildet und wuchten den Sarg aus dem Wagen auf den Sargwagen des Friedhofs. Das geht auf den Rücken, da braucht man Kraft in den Armen.

Der Beifahrer schiebt den Sarg mit Frau Müller in „Nummer drei“, der Kollege fährt den Bestattungswagen aus der Durchfahrt, damit die Rentnerinnen ihrem geschäftigen Treiben endlich nachgehen können. Eine ist neugierig, folgt dem Beifahrer auf dem Fuß und kann gar nicht abwarten, bis er endlich den Zettel mit dem Namen der Verstorbenen an die Zellentür macht; sie will unbedingt wissen, wer da in welchem Alter gestorben ist.

Der Fahrer bringt vom Wagen den Universalkoffer mit. In ihm sind die wichtigsten Schminkutensilien, ein paar Werkzeuge und so allerlei Dinge, die unterwegs dringend gebraucht werden könnten.
Die Alte ist weg, der Sargdeckel wird abgenommen und vorsichtig hochkant an die Wand gestellt. Einer der Männer holt ein Sortiment mit Holzfarbstiften aus dem Koffer und beseitigt den Kratzer, füllt ihn mit einem Wachsstück etwas auf und poliert die Stelle mit einem weichen Lappen, bis nichts mehr zu sehen ist.
Sein Kollege staubt nochmals den Deckel ab und kontrolliert, ob an Sarg, Deckel und Zellentür übereinstimmende Laufzettel hängen; bloß keine Verwechslungen!

Die Nacht in der Kühlzelle hat auch die Haut von Frau Müller etwas klamm werden lassen, ein ganz leichtes Abpudern mit einem neutralen Hautpuder hilft. Der Universalkoffer enthält alle möglichen Schminkutensilien, fast alles teure Theaterschminke oder spezielle Leichenschminke aus England, das ganz billige Zeug aus dem Drogeriemarkt hilft bei Toten nicht besonders gut, es hält nicht immer.
Etwas ist der Kopf der Toten zur Seite gekippt, wohl durch die Erschütterungen beim Transport. Die Männer richten das und ziehen die Decke, die bislang um die Beine und Füße der Verstorbenen geschlungen war, hervor und breiten sie über dem Sarg aus. Ein Stück Pappe, auf die Beine gelegt, unterstützt die Decke und gibt ihr ein glatteres Aussehen.
Die Männer sind zufrieden, Frau Müller liegt sauber und ordentlich im Sarg.
Später am Tag wird noch der Gärtner kommen und eine dünne, grüne Girlande rund um den Sarg anbringen, ein Sträußchen Blumen in die Hände der Verstorbenen geben und ein paar Blütenblätter auf die Decke streuen.

Kurz vor der Trauerfeier, noch bevor die Angehörigen kommen werden, um die Verstorbene zu besuchen, werden die Männer nochmals bei Frau Müller vorbei schauen, um sicher zu stellen, daß sie immer noch gut aussieht.
Manchmal liegen so alte Mütterchen eine ganze Woche brav in ihrem Sarg, ohne sich zu verändern und manches mal ist schon nach einem Tag die Verwesung so heftig im Gange, daß Verfärbungen der Haut auftreten, die beseitigt werden müssen.

Inzwischen im Büro

Gemeinsam mit den Papieren anderer Verstorbener sind die Sterbepapiere von Frau Müller zum Standesamt gebracht worden. Bis zum frühen Nachmittag wird die Standesbeamtin die Sterbeurkunden ausgestellt haben, dann erst kann nämlich bestattet oder eingeäschert werden.
Die Bürodamen telefonieren mit dem Pfarrer, dem Gärtner, dem Friedhofsamt, bestellen den Organisten und ordern alles was für die Trauerfeier benötigt wird.
Einiges davon hatten sie schon am Vortag erledigt, bei manchem muß nachtelefoniert werden.

Mitarbeiterin Sandy richtet einen Karton mit Tüchern, Kerzen und Dekoartikeln. Sie weiß, daß nur eine Handvoll Leute zur Trauerfeier kommen wird, möchte aber trotzdem die Trauerhalle noch ein wenig dekorieren. Die städtischen Trauerhallen sind kalt und karg, außer ein paar künstlichen Lorbeerbäumchen gibt es da nichts.

Die Angehörigen kommen noch einmal vorbei.
Es gibt keinen Grund dafür, die Bestellung ist aufgegeben, alles geht seinen Gang. Doch die Leute möchten einfach nochmal kommen, sicher gehen, daß alles richtig gemacht wird und ich merke, daß sie Angst haben und unsicher sind.
Sie bekommen Tee und Gebäck, ich zeige ihnen geduldig noch einmal den Sarg und die Urne und erkläre nochmals Schritt für Schritt was bisher passiert ist, wo ihre Verwandte jetzt ist uns was wir mit ihr gemacht haben.
Es ist das Wichtigste für den Bestatter, daß er immer die richtigen Worte findet, sein eigenes Befinden hintenan stellen kann und erspürt, was die Menschen, die sich ihm anvertraut haben, nun benötigen.
Der eine braucht mal den sprichwörtlichen „Tritt in den Hintern“, der andere will mal lieb in den Arm genommen werden und wieder andere wollen einfach nur jemanden haben, dem sie mal alles erzählen können.

Diese Leute haben Bilder mitgebracht, erzählen von lang zurückliegenden Familienfesten und wollen eigentlich nur eine Stunde herumbringen, bis um 16 Uhr der Pfarrer zu ihnen nach Hause kommt.
Noch einmal wollen sie sicherheitshalber den Sarg sehen, nicken zufrieden, der sieht immer noch so aus wie gestern, das beruhigt sie.

„Wenn irgendwas ist, rufen Sie uns einfach an!“

Das sage ich immer, aber die werden nicht anrufen, die sind nett, nur etwas verängstigt. Sie sind aber froh, daß ich ihnen nochmals alles erklärt habe, jetzt haben die Vorgänge nichts Geheimnisvolles mehr an sich.
Sie gehen nach Hause, der Pfarrer wird bald kommen und mit ihnen über die Verstorbene sprechen.
Später wird er dann daraus eine Trauerrede „komponieren“.

Nur noch 18 Stunden bis zur Trauerfeier.


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Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 25. Mai 2010 | Revision: 29. Juni 2012

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8 Kommentare
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Sascha
14 Jahre zuvor

Wow, das hat aber gedauert 😉 Kann es sein, daß der „Tag 1“ von 2007 ist ?

Vielen Dank für die Fortsetzung !

Matthias
14 Jahre zuvor

Tatsache, und erst jetzt fiel mir auf, dass dort von einem Volvo die Rede ist. War das schon immer so? Kommt mir jetzt im Nachhinein komisch vor, aber: Volvo for life… and beyond 😉

14 Jahre zuvor

Vielen lieben Dank für die Fortsetzung!
Kommt der dritte Teil dann 2013? 😉

Rudibee
14 Jahre zuvor

@1+3: Was sind schon drei Jahre in Relation zur Ewigkeit?

Thomas
14 Jahre zuvor

Frau Müller ist doch aus den 2.Buch.
Ich hab’s da gelesen als Beispielleiche um das allgemeine Prozedere durchzuspielen.

14 Jahre zuvor

@Thomas: Genau so ist es.

JohnB
14 Jahre zuvor

@3 Kann ja nicht, 2012 ist doch Weltuntergang:-)

Tobias
9 Jahre zuvor

Da ja gerade die ganzen Cliffhanger aufgearbeitet werden, fehlt hier nicht noch was? Der Spannungsbogen ist zwar überschaubar, aber vielleicht ist ja der dritte Tag bei der geplanten Veröffentlichung 2013 auch in der Software hängengeblieben 😉




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