Frag doch den Undertaker

Katja, der Goldfisch -I-

Wenn ich im weißgekachelten Versorgungsraum stehe und mir den Verstorbenen betrachte, der nun hergerichtet werden soll, dann sehe ich in der Regel alte Leute und muß immer wieder feststellen, daß das was das Alter mit den meisten von uns macht, nicht besonders schön ist.
Daß diese Menschen tot sind, das gehört zu meinem Beruf, das kann mich nicht mehr schockieren.
„Ihr müßt doch diesen Leib verwandeln“, das ist unser Wahlspruch und wie immer geben wir unser Bestes, um aus einem von Alter und Krankheit gezeichneten Leichnam einen gut anschaubaren und vorzeigbaren Menschen zu machen, der Würde und Frieden ausstrahlt.
„A scheene Leich'“ möchten wir haben, die Angehörigen wollen ihren Verstorbenen am Liebsten so sehen, wie sie ihn vor Krankheit und Tod in Erinnerung hatten. Also machen wir sie schön; und die meisten haben es auch nötig.

Dabei macht die Kleidung schon viel aus…

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… denn abgesehen von einigen Prachtexemplaren sind die allermeisten Menschen angezogen viel schöner als nackt.
Eine Binsenwahrheit, die -so würde ich es gerne als Wunsch äußern- auch die meisten Lebenden, gerade jetzt wo die ersten Sonnenstrahlen auf der Haut pieksen, beherzigen sollten. Nicht alles was einem da die lieben Mitmenschen so an nackter Haut und nackten Körperteilen präsentieren, ist wirklich schön und es wird auch nicht schöner, wenn man sich auf seinen fettschwulstigen Bratarsch vom 50-Euro-Kirmes-Tätowierer einen krummen Egel nageln lässt, der nur nach ausführlicher Erklärung als Seepferdchen zu erkennen ist.

Aber die junge Frau, die heute vor mir liegt, ist wirklich schön und sie hat einen wunderschönen japanischen Goldfisch auf ihren Oberschenkel eintätowieren lassen.
Schade, das ist immer einer meiner Gedanken, schade… So ein junger Mensch, so ein schöner Mensch, was für eine Verschwendung…

Manchmal fragen mich Leute, was ein Bestatter wohl empfinden mag, wenn da eine sehr schöne, junge Frau vor ihm liegt. Ich habe Augen um zu sehen und das was ich sehe, das sehe ich auch, selbstverständlich registriert man, ob es sich um ein knochiges altes Mütterchen oder eine ansehnliche jüngere Person handelt. Aber es ist ein toter Mensch, eine Leiche und da kann ich keinen wie immer gearteten Reiz empfinden. Auch für meine Leute kann ich da die Hand ins Feuer legen, keiner würde da mehr drüber nachdenken, als es fachlich und sachlich notwendig ist.

Im Laufe der Jahre hat man ja schon einmal die eine oder andere Geschichte gehört und es gibt kaum eine Stadt in der nicht irgendeine Geschichte umgeht, es habe da am Friedhof oder Krematorium oder in der Pathologie mal einen gegeben, der habe immer…
In den seltensten Fällen ist da was dran. Das ist so wie mit der Ziege mit den drei Köpfen, die immer nur irgendwo im tiefsten Kaukasus entdeckt worden sein soll.

Katja heißt sie, ist gerade einmal 27 Jahre alt geworden und gestern Nacht im Haus ihres Vaters auf den eigenen, nur umgehängten, langen Bademantel getreten, ins Stolpern geraten und kopfüber die Treppe hinuntergefallen.
Sie hat sich das Genick gebrochen, ansonsten zeigt ihr Körper keine Verletzungen. Allenfalls an den Knien und am Becken ist etwas zu sehen, aber ich kann nicht beurteilen, ob das vom Sturz kommt oder schon Leichenflecken sind.
Je nachdem wie sie gelegen hat, und sie hat über eine Stunde da gelegen, können Leichenflecken ja an allen möglichen und unmöglichen Stellen auftreten. Nackt wie sie war haben wir sie geholt und seitdem liegt sie bei uns in der Kühlung. In einigen Minuten wird sie abgeholt und ins rechtsmedizinische Institut gebracht. Deshalb können wir auch nichts an ihr herrichten, alles muß so bleiben wie es ist.
Den Auftrag zur Bestattung werden wir bekommen, der Vater hat noch in der Nacht seinen Besuch bei uns angekündigt und sich noch am Ort des Geschehens eine Visitenkarte geben lassen.
Wenn er es sich nicht doch noch anders überlegt, dann müßte er in einer halben Stunde kommen.

——

Es ist manchmal ganz komisch. Da kommen die merkwürdigsten Leute, machen beim Bestatter den allergrößten Wirbel und man hat recht schnell das Gefühl, daß die noch jede Menge Ärger bringen werden. Und dann, dann kommt nix.
Auch gut.

Aber andersherum gibt es das auch.
Katjas Vater, Herr Bültgens, ist ein ganz ruhiger und freundlicher Mann. Ganz bescheiden sitzt er auf der Vorderkante des Stuhls, sagt immer wieder bittesehr und dankeschön, lächelt dankbar bei jeder Handreichung und gibt sich sehr zurückhaltend.
Wenn seine Tochter von der Staatsanwaltschaft freigegeben worden ist, soll sie noch einmal aufgebahrt werden, damit er von ihr Abschied nehmen kann. Danach kommt der Sarg gleich ins Krematorium und wird eingeäschert. Später wird es dann eine Trauerfeier mit der Urne in der Trauerhalle des Friedhofs geben.
„Geht das?“ fragt er mit weit aufgerissenen Augen und als ich beruhigend nicke, hat er vor Dankbarkeit Tränen in den Augen.

Daß ich ausgerechnet mit ihm noch jede Menge Ärger haben würde, das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

Katja ist nur 27 Jahre alt geworden, war unverheiratet und hat als Sekretärin in einem großen Autohaus gearbeitet.
Soviel hatte ich schon am Abend ihres Todes von der Kripo erfahren.
Herr Bültgens schüttelt aber den Kopf, als ich auf dem Bogen für das Standesamt ‚ledig‘ ankreuzen will.
„So ganz richtig ist das nicht. Also ich meine, wirklich verheiratet ist Katja nicht, aber sie hat einen Partner…“
Er stockt, dreht verlegen ein Taschentuch zwischen den Fingern, schaut dann auf und atmet einmal tief durch, so als müsse er erst Kraft schöpfen, bevor er fortfahren kann. „Sie hat ’ne Freundin als Frau.“

„Nun, war Ihre Tochter mit dieser Frau verheiratet, also verpartnert wie man das heute so nennt, oder lebten sie nur so zusammen?“

„Nur so. Also schon wie ein Ehepaar, aber ohne Stempel.“

„Dann ist Ihre Tochter aber im Sinne des Gesetzes trotzdem ledig.“

„Ja.“

Ich mache mein Kreuz bei ‚ledig‘ und erkundige mich: „Wie sieht es denn aus? Wurde die Lebensgefährtin Ihrer Tochter schon benachrichtigt? Kommt sie her? Hat sie etwas zur Bestattung beizutragen?“

Diese Fragen stelle ich Herrn Bültgens, um ihm die Chance zu geben, einerseits darüber zu sprechen und andererseits, um zu verhindern, daß hinterher eine völlig aufgelöste Lebensgefährtin hier hereinrauscht und ein Mordstheater veranstaltet, weil sie in die Planung der Bestattung nicht einbezogen wurde.

„Die heißt Dagmar und hat mir das alles überlassen. Sie kommt auch zum offenen Sarg und zur Trauerfeier.“

Mehr sagt er zu dem Thema nicht. Immerhin weiß die Lebensgefährtin Bescheid und offenbar haben die beiden auch schon über alles gesprochen, das könnte die Sache einfacher machen.

Am Nachmittag des selben Tages kommt Katja wieder zurück zu uns. Das Konkurrenzunternehmen das derzeit die Überführungen für die Staatsanwaltschaft durchführt, bringt den Leichnam, drückt uns die Freigabe von Staatsanwalt Dr. Knobelmann in die Hand und weg sind sie wieder, die Gesellen im grauen Hausmeisterkittel.
Durch eine Obduktion wird ein Leichnam nicht schöner, aber es gibt auch nichts was wir nicht kaschieren könnten.
Sandy wird sich darum kümmern, daß Katja gut aussieht.

Eine gute Stunde arbeitet Sandy an der Verstorbenen, schminkt sie nur dezent, kämmt ihre Haare so, daß die Frisur aussieht wie auf dem Foto das Herr Bültgens uns da gelassen hat und kleidet Katja in ein blassblaues, leichtes Sommerkleidchen.
Wenig später ist der helle, schlichte Buchensarg in einer unserer Aufbahrungszellen und Manni ist gerade dabei, die Zwischenwand herunterzulassen, da kommt Frau Büser. „Manni, Kommando zurück, mach die Lämpchen und Kerzen an, da kommt noch Besuch für Frau Bültgens.“

Und tatsächlich, da ist noch jemand gekommen.
Mit wehendem Mantel rauscht ein gutgekleideter Herr in unsere Halle. „Mein Name ist Bauer, Hugo Bauer von der Firma Auto Bauer, ich bin der Lebensgefährte von Katja Bültgens.“

———-

Es ist ja immer das Leben, das die spannendsten Geschichten schreibt. (…)
Wir waren auf den Vater und die Lebensgefährtin vorbereitet und wußten, daß also kein Ehemann und keine Kinderschar zum Abschiednehmen kommen würde, sondern eben eine Dagmar.
Kaum hatten wir das aber verinnerlicht, da taucht nun Hugo Bauer, Chef des größten Autohauses der Stadt, bei uns auf und erklärte in theatralischer Dramatik, Katja sei seine Lebensgefährtin, seine Freundin gewesen.

Ja was denn nun?

Klar, man hat sowas auch schon öfters erlebt und zwischen der einen und der anderen sexuellen Orientierung gibt es viele Spielarten, Schwankungen und Schwankende.
Aber ganz offensichtlich, und das stellte sich gleich am nächsten Tag heraus, schienen sowohl Dagmar als auch Herr Bauer die Verstorbene einzig als Lebensgefährtin zu beanspruchen.

———-

Nach seinem durchaus divenhaften Auftritt bei uns, war Herr Bauer, der Chef des Autohauses, zu mir ins Büro gekommen und wollte nun „alles mal fix selbst in die Hand nehmen“.
Hugo Bauer stelle man sich vor als Mann von beinahe 70 Jahren, der aussieht wie ein 50er, kräftiges, gut geschnittenes graumeliertes Haar hat und in einem maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug steckt. Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Robert Redford und wenn er einen aus seinen strahlend blauen Augen anschaut und seine makellosen weißen Zähne blitzen läßt, dann hat der großgewachsene, schlanke Mann durchaus einen gewinnenden Charme.
Höflich ist er, Benehmen hat er, aber seine Sprache ist geprägt vom derben Dialekt der hiesigen Gegend.

Geld scheint für ihn keine Rolle zu spielen und als es um eine Frage ging, der behördliche Bestimmungen im Wege standen, zückte er sein winziges Handy, klappte es auf und telefonierte mal eben mit dem Oberbürgermeister persönlich, duzte ihn jovial und keine 30 Sekunden später war das möglich, was vorher noch verboten war.

Also Katja sei seine Lebensgefährtin gewesen, das sei ja wohl sonnenklar, schließlich habe die Jahr und Tag für ihn gearbeitet und seit über fünf Jahren sei man ein Paar gewesen, habe sehr viel Zeit miteinander verbracht und es habe keinen Urlaub gegeben, in den Katja ihn nicht begleitet hätte.
Er sei eindeutig der Mann von Katja, wenngleich man natürlich nicht verheiratet gewesen sei, das habe er schon zweimal hinter sich gebracht und für den missratenen Sprößling aus der zweiten Ehe müsse er heute noch bezahlen.

Als er gegangen war, schwankten wir und konnten uns nicht entscheiden, ob das nun ein arroganter Großkotz oder ein an und für sich ganz netter Mann ist.

Ganz anders kam Dagmar daher. Schniefend, mit total verheulten Augen und schluchzend präsentierte sich sie als das personifizierte Häufchen Elend.
Nun hat man ja, vor allem wenn man als Schreiberling auch versucht die Erwartungshaltung seiner Zuhörer und Leser zu befriedigen, immer eine riesengroße Kiste mit Klischees, aus der man sich hemmungslos bedienen kann.
Aber in diesem Fall kann ich der äußert weiblichen Katja keine burschenhafte Lesbe als Partnerin zugesellen.
Oft wird das ja bei der Schilderung von lesbischen Paaren so dargestellt -und entstammt ja auch der Wirklichkeit-, daß eine der beiden eher das zierliche Mädchen ist, während die andere in klobigen Bergarbeiterschuhen, Männerjeans und Baumfällerhemd daherkommt. (…)

Daß es nicht so ist, dafür lieferte Dagmar den denkbar besten Beweis, sie war sowas von zart, mädchenhaft und wenn ich ganz ehrlich bin: sie hätte in jungen Jahren durchaus in mein Beuteschema gepasst.

Über eine Stunde hat sie Katja beweint und es dauerte weitere dreißig Minuten, bis sie bei Kaffee, einem Himbeergeist und einer ganzen Packung Schnieftücher wieder soweit wiederhergestellt war, daß sie ohne zu schluchzen sprechen konnte.

Noch einmal gluckste ein Schluchzen ihre Kehle hoch, dann schluckte sie, atmete tief durch und wischte noch einmal mit dem Papiertuch über ihre Augen, dann sagte sie: „Der hat die totgemacht!“

——–

Da sitzt man dann da als Bestatter und ich gebe zu, daß mir vor Erstaunen der Mund eine Sekunde lang offenstand. Nun weiß ich aus Erfahrung, daß eine solche Anschuldigung oft ausgesprochen wird, meist vorschnell und meist ohne Grundlage. Jeder ist traurig über den Verlust und manch einer sucht die Schuld an diesem Verlust bei irgendeinem Familienmitglied. Da streiten sich die Angehörigen auch schon mal handgreiflich über die Frage, ob nun die eine Tochter den Vater gut genug gepflegt habe, wo er doch bei der anderen Tochter viel besser untergebracht gewesen wäre. Die Wörter Erbschleicherei und Entsorgung hört man da besonders oft.
Es ist aber an diesen Vorwürfen so gut wie nie etwas dran.

Ich muß jetzt Radek in die Geschichte einführen. Radek ist Tscheche und lebt seit Ewigkeiten in Deutschland. In seine Heimat kann er nicht zurück, weil er sich dort vor über vierzig Jahren mal was hat zu Schulden kommen lassen. Zwar ist jeder davon überzeugt, daß das kein Grund sei und seine Tat auch lange verjährt ist, aber er hat Angst davor, im Knast zu landen.
Da hat Radek es vorgezogen, lieber hier in Deutschland Autos zu klauen und diese nach Italien zu bringen, bis er dann dafür hier bei uns ins Gefängnis mußte.
Das ist nun aber auch schon viele Jahre her und nur noch die üblichen drei Punkte in der Daumenbeuge künden von diesen Zeiten.

Seitdem lebt Radek mit Maria zusammen, heiraten kann er nicht, angeblich gibt es auch in Tschechien noch eine Frau, der er regelmäßig und das seit vierzig Jahren, jeden Monat 200 Euro schickt.
Radek arbeitet als freischaffender Tagelöhner und hat diverse Auftraggeber, für die er als Faktotum alle möglichen Aufgaben erledigt. Dem Metzger macht er mittags das Schlachthaus und die Wurstküche sauber, frühmorgens fegt er Dreck, Laub oder Schnee für eine ganze Reihe von Geschäftsleuten und nachmittags fährt er Laborberichte und Proben von den Ärzten zu den Labors. Irgendwas arbeitet Radek immer und es gibt wohl kaum jemanden, den ich kenne, dessen Handy so oft klingelt wie sein abgegriffenes und verkratztes Nokia von 1999.

Radek kennt man gar nicht anders, als in einer grünen Latzhose, die er aus einem Altkleidercontainer gezogen hat und deren Aufdruck auf dem Brustlatz ihn als Mitarbeiter des städtischen Grünflächenamtes ausweist, während die stolz getragene ehemals blaue Kappe auf seinem Kopf vorne ein Abzeichen der Polizeigewerkschaft hat.
Vermutlich glauben viele Leute, Radek sei irgendwie in offizieller Mission unterwegs, was ihn aber auch nicht stört, denn so hat er Zutritt zu allen möglichen Einrichtungen, was seinen mannigfaltigen Erledigungen nur zu Gute kommt.
Immer hat er eine Filterlose im Mundwinkel, weshalb er nur aus dem anderen Mundwinkel spricht und sein Deutsch hat sich in den letzten vierzig Jahren nicht wesentlich verbessert. Man muß schon ganz viel Phantasie haben, um ihn überhaupt zu verstehen. Ich werde ihn im Folgenden angepasst übersetzen, denn Radek ist derjenige, der sich bei Hugo Bauer bestens auskennt und uns die ganze Geschichte erzählen kann.

———

Radek fegt bei der Gemüsefrau den Hof und ist ihr eine wichtige Quelle für alle möglichen neuen Gerüchte, die die dicke Schwanztante Schwatztante schon auf dem Weg vom Hof in ihren Laden um 300% Dramatik anreichert, um sie dann brühwarm ihrer viktualiensüchtigen Kundschaft mit auf den Weg zu geben.

Wir hatten ja schon ein paarmal das Vergnügen mit ihr und ihren Geschichten. Man muß sie schon ziemlich gut kennen und ganz genau zuhören, um aus dem Geschwalle den rudimentären Kern der Wahrheit herausfiltern zu können. Und dabei ist das was ihr als Grundlage dient, nämlich zum Beispiels Radeks Erzählungen, auch schon mit erzählerischem Ausdenken angereichert.

Immerhin fällt die Gemüsefrau als verwässernde Zwischenstufe weg, als Radek am nächsten Tag zu uns kommt.
Er soll alle Autos hochbocken, die Winterreifen abmachen und die Sommerreifen montieren. Das macht er schon seit vielen Jahren, ohne besonderen Auftrag, irgendwann war er einfach da, half zunächst dem damaligen Manni und irgendwann war das dann einfach abgemacht, daß Radek sich um unsere Reifen kümmerte. So als ob er dafür eingestellt sei, kommt er hin und wieder, schaut sich die Autos an und wenn irgendwas mit den Reifen ist, dann kümmert er sich darum.

Vermutlich hat er alle seine Stellen so bekommen, auf einmal war er da und weil er gut und zuverlässig ist, erkennt jeder seine Vorzüge und weil er billig arbeitet, lässt man ihn auch wiederkommen. Dafür braucht man sich auch nicht mit dem Betriebsrat herumschlagen, wenn man Radek irgendwann mal wieder wegschickt.
Und das Tolle: Radek hat dafür sogar ein Gewerbe angemeldet, als Hausmeisterdienst, und schreibt einem richtig ausgefüllte und abgestempelte Rechnungen aus einem Zweckform-Rechnungsbuch.

Zu seiner Bezahlung verlangt er, das heißt er macht es einfach, daß er sich eine oder zwei Tassen Kaffee nehmen darf und in aller Ruhe zwei bis zwölf Zigaretten pafft und die neuesten Geschichten aus dem Stadtteil zum Besten gibt. „Hab ich kein Büro, hab ich kein Geschäft, muß ich hier Pause mache.“

Das Wörtchen „hab“ ist in seinem schlechten Deutsch von besonderer Bedeutung, man wird das jetzt sehen:

„Hab der Bauer jetzt ein Problem weniger. Der hab ja die Katja in sein Betrieb eingestellt als Telefonistin. Er hab sie zuerst gar nicht beachtet, weil der hab ja die Sonja gehabt und mit der hab er zusammengelebt.“

Dann aber habe ihm eben diese Sonja, und das ist schon Jahre her, einen Laufpass gegeben und der alte, aber begehrte Junggeselle, hatte seine Aufmerksamkeit auf die junge Telefonistin Katja gelenkt. Die hat er beinahe ein Jahr lang umschwärmt, sie zur Chefsekretärin und seiner persönlichen Assistentin befördert, sie mit Geschenken überhäuft und sich so ins Herz der jungen Frau geschlichen.

„Nein, der hab die nicht bloß mit Geld gekauft, dafür ist der zu schlau und auf andere Seite auch wieder zu doof. Der hab jede Menge Romantik gemacht, kannste Dir nicht vorstellen, was der alles gemacht hab. Einmal hab der den ganzen Weg von Straßenrand bis zum Hauseingang von Katja mit roten Rosenblättern und über zweihundert Kerzen geschmückt als er die abgeholt hab. Der hab schon Romantik, ja die hab er.“

Sehr schnell war Bauer klar geworden, daß seine Angebetete in einer festen lesbischen Beziehung lebte, aber er hatte in Dagmar, der Lebensgefährtin von Katja, keine Konkurrenz gesehen. Bei allem weltmännischen Auftreten ist Bauer tief in seinem Inneren genau das, was sein Name widerspiegelt: ein Bauer.
Er soll mal gesagt haben: „Lesbisch ist sowas wie eine Krankheit, die hatte bloß noch nie einen richtigen Mann, wenn die mal richtig rangenommen wird, dann wir die schnell sehen, daß #### nicht das Einzige ist und daß richtiger Sex mit einem richtigen Mann auf für sie das Wahre ist.“

Jaja, das glauben ja viele. Jetzt ist es aber so, daß Katja und Dagmar nicht gerade eine problemlose Beziehung führten und beinahe jeden Tag stritten, zankten und sich fetzten. Zumindest einmal in der Woche hatten die beiden sich wieder so gezickt, daß Katja wutentbrannt ihre Jacke und Handtasche schnappte und die gemeinsame Wohnung verließ. Sie fuhr dann zum „Beelzebub“, einer kleinen, verrauchten Bierkneipe am anderen Ende der Stadt und zischte dort ein Pils nach dem anderen. Und wenn sie dann mehr als genug hatte, dann klingelte sie oft mitten in der Nacht ausgerechnet bei ihrem Chef Hugo Bauer Sturm.
Ja und der in dieser Hinsicht einfach gestrickte Mann sah das natürlich als Zeichen und Beweis für seine Theorie, daß man Lesben heilen kann, denn immer landeten die beiden dann im Bett.

Drei, vier Tage blieb Katja dann bei Bauer, fuhr mit ihm morgens in den Betrieb und ging nach Feierabend auch mit ihm wieder weg. Für die Mitarbeiter des Autohauses war es klar: Die Katja ist die Freundin vom Chef.
Dafür sprach ja auch zum Beispiel, daß er ihr ein nagelneues Cabriolet tunen und aufmotzen ließ, bevor er es ihr schenkte.

Aber nach spätestens einer Woche war der Zauber jedesmal wieder vorbei und Katja kehrte zu Dagmar zurück.
Bauer war natürlich der Auffassung, daß Katja inzwischen „geheilt“ sei und konnte mit dem Wechselbad der Gefühle seiner Freundin nichts anfangen. Er vermutete vielmehr, daß Katja in diesen Wochen, in denen sie nicht bei ihm lebte, sich mit anderen Männern traf. Also tat er alles was man sich nur vorstellen kann.
Tage- und nächtelang fuhr er heimlich hinter ihr her, stand Stunden um Stunden vor irgendwelchen Kneipen und beobachtete die junge Frau mit einem Fernglas. Sogar ein Nachtsichtgerät aus NVA-Beständen hatte sich Hugo Bauer besorgt, um seiner Freundin besser nachspionieren zu können.
Aber damit nicht genug! Sogar einen Peilsender besorgte er sich und brachte den heimlich am Auto seiner Angebeteten an.
Jetzt ist es aber so, daß man mit so einem Peilsender und dem dazugehörigen Empfänger auch umgehen können muß, sonst hat man zwar die teure Technik, findet aber trotzdem niemanden. Hugo Bauer konnte es nicht. Deshalb hatte er Radek gebeten, der sonst nur den Hof des Autohauses Bauer fegte und hin und wieder ein paar gut erhaltene Altreifen holte, sich ganz der Beschattung von Katja zu widmen.

Und genau deshalb weiß Radek so gut Bescheid.

——

Radek erzählt, daß Katja im Grunde nur dann bei Bauer aufgetaucht war, wenn sie sich vorher bei einem Zug durch bestimmte Gaststätten ordentlich einen hinter die Binde gegossen hatte und daß das nur vorgekommen sein, wenn sie sich zuvor mit ihrer Freundin Dagmar heftig gestritten hatte.

„Die hab nur dann der Bauer besucht, wenn sie hab Krach mit die Freundin und um der ein auszuwischen“, sagt Radek mit der Erfahrung eines Mannes, der schon alles gemacht und erlebt hat und der zwölf Jahre Knasterfahrung aufzuweisen hat.

Am Anfang war es so, daß Bauer Radek auf dem Handy anrief und ihn losschickte, hinter Katja herzulaufen oder herzufahren. „Ich will genau wissen, wo die hingeht, auf die Sekunde genau, auf den Meter genau!“

Doch viel Interessantes konnte Radek seinem Chef nicht berichten, denn die Abläufe waren immer die selben.
Katja stand morgens auf, fuhr ins Bauer’sche Autohaus, tat dort ihren Dienst und fuhr am späten Nachmittag wieder in die Wohnung, in der sie mit Dagmar lebte.

Radek weiß gar nicht mehr, wieviel Nächte er sich im Auto vor diesem Haus um die Ohren geschlagen hat und er gibt unumwunden zu: „Meist Zeit hab geschlafen, kann doch nicht 24 Stunden um Uhr aufpasse, oder? Aber is‘ nix passiert. Katja hab auch geschlafen, in Wohnung ist immer ganz früh Licht ausgemacht.“

Nur ab und zu, Radek vermutet, daß es vorher Streit mit Dagmar gegeben hatte, kam Katja gegen 22 Uhr aus dem Haus und zog durch die Kneipen, um dann -wir hatten es schon- schließlich bei Bauer zu landen. Für sie vielleicht eine Rache an der lesbischen Freundin, ein Ausbruch aus dem für sie Normalen; für Bauer eine Eroberung sondersgleichen. Er der große Auto-Bauer „bekehrt“ eine schöne Lesbe, allein mit seinem Charme, mit seiner Männlichkeit.

Doch diese Abläufe, die Radek Bauer auch so berichtete, wollte Bauer einfach nicht glauben.
„Die macht‘s bestimmt mit anderen Männern, wenn sie in den Kneipen ist. Die MUSS sich noch mit irgendwem treffen, die hat da jemanden, das spüre ich doch.“

„Der hab kranke Eifersucht“, sagt Radek lakonisch dazu, winkt ab und schiebt seine Kappe in den Nacken, fischt hinterm Ohr eine schonmal angerauchte, aber erloschene Filterlose hervor, leckt nochmals am Papier und zündet sich die Kippe dann umständlich an. „Nix hab die gemacht, die war nur arbeiten, bei die Dagmar und bei Bauer, ja eben und hab ab und zu in Kneipe was gesoffen.“

Das aber sei eben in letzter Zeit sehr häufig der Fall gewesen, sodaß Radek zu dem Schluss gekommen war, Katja sei eine heimliche Säuferin. Bauer interessierte das nicht, ihm war es egal, daß Katja nur noch überdreht und unverständlich reden konnte, wenn sie zu ihm kam, Hauptsache sie kam überhaupt und blieb über Nacht.

Überall sah er aber Gelegenheiten, die Katja angeblich auch wahrnahm, um ihn zu betrügen. „Wenn die zur Zulassungsstelle fährt, dann sind alle in einer halben Stunde wieder zurück, nur Katja braucht über eine Stunde. Die treibt sich doch herum! Ab morgen probieren wir was Neues! Ich habe ein GPS-Gerät, das die Routen aufzeichnet, wo sie sich herumtreibt. Das bringst Du im Kofferraum an und holst es mir abends immer. Dann werden wir ja sehen.“

Nichts sah der gute Herr Bauer, gar nichts. Denn die kreuz und quer über der Stadtkarte liegenden Tracking-Linien waren für ihn so verwirrend, daß er nicht erkennen konnte, ob Katja nun nur die vorgesehenen Wege gefahren war oder ob sie tatsächlich irgendwelche Abstecher gemacht hatte.
Egal, für ihn war das der Beweis, daß sie sich herumtrieb und womöglich mit anderen Männern traf.

Von da an lauerte Bauer an strategisch günstigen Punkten auf Katja und beobachtete sie selbst mit einem Fernglas.
Wenn er ihr einen Auftrag gab, sorgte er dafür, daß sie erst zwanzig Minuten später losfahren konnte und richtete es so ein, daß er selbst vor ihr am Ziel war, wo er sich versteckte um zu schauen, was sie da machen würde.
Wenn Katja also irgendwohin fuhr, hatte sie ein GPS-Gerät im Kofferraum, Radek folgte ihr in immer anderen Fahrzeugen aus dem Hause Auto-Bauer und am Zielort lauerte schon Herr Bauer persönlich.

„Wir hab das besser gemacht wie der Stasi“, lacht Radek, nimmt sich eine meiner Zigaretten, bricht den Filter ab und steckt sie sich hinters Ohr.

Nun kann ich mir nicht vorstellen, daß sich Radek und Herr Bauer bei ihrer Überwachungsaktion besonders geschickt angestellt haben, aber das muß man auch normalerweise nicht. Denn anders als es uns in Filmen immer weisgemacht wird, schaut niemand wirklich in den Rückspiegel, um nachzuschauen ob ihm seit 2 Kilometern ein blauer Opel folgt… Wer nicht damit rechnet, daß er beobachtet wird, dem fällt auch nicht auf, daß da jemand lauert, verfolgt und observiert.
Dennoch ist es fast ein Wunder, daß Katja das alles nicht aufgefallen ist, denn zeitweilig hatte Bauer noch einen Privatdetektiv zusätzlich auf Katja angesetzt. Der aber hatte seine Arbeit nach nur einer Woche ebenso ergebnislos wie teuer eingestellt, weil er unter diesen Bedingungen nicht arbeiten konnte. Entweder würde Bauer ihm die Observation überlassen oder es selbst machen, beides geht nicht.

Bauers Geschenke an Katja wurden immer größer. Erst waren es kleine Schmuckstücke, mal eine Handtasche, mal ein Halstuch, dann wurden es Kleider, Mäntel, teure Uhren und Halsketten und schließlich ein Auto.
Dafür ließ sich Katja überreden, mit Bauer zu Autoausstellung, zum Automobilsalon und schließlich auch in sein Wochenendhaus auf Rügen zu fahren.

Wenn Katja bei ihm war, wenn er die Kontrolle über sie hatte, dann war Bauer glücklich, dann war für ihn die Welt in Ordnung. Und wenn Katja sich seinem Zugriff entzog, dann gestattete er das auch jedes Mal großzügig, er sei doch nicht eifersüchtig, er doch nicht! Doch kaum war Katja weg, müssen ungeheure Zweifel in diesem Mann genagt haben. „Der hab dann rumgelaufen in sein Büro, wie Tiger in Käfig, immer auf und ab, immer alle zwei Minuten auf Handy geguckt. Alle zehn Minuten hab der SMS an Katja geschickt und wenn dann kein Antwort kam, ist der ausgeflippt. Entweder hab der dann mich angerufen und ist dann zu mir gefahren gekommen, damit er selbst gucken kann, was Katja macht oder er hab in der Firma rumgebrüllt und mit jedem Streit angefangen.“

Aus Bauers Sicht war Katja seine feste Freundin. Jede Minute des Tages wollte er sie unter Kontrolle haben und er bildete sich wohl ein, daß Katja die Frau sei, mit der er den Rest seines Lebens verbringen könnte.
Katja muß das wohl ganz anders gesehen haben. Sie lebte mit Dagmar und arbeitete bloß für Bauer. Daß sie ab und zu mit ihm auf Geschäftsreise ging oder ihn als Sekretärin mal in sein Wochenendhaus begleitete, das waren für sie kleine Eskapaden, aber doch nicht so zu verstehen, daß Bauer irgendwelche Ansprüche daraus ableiten konnte.

„Die hab nicht mit dem gespielt. Die hab das gar nicht kapiert, daß der sie ganz haben wollte. Die hab einfach ihren Spaß gehabt und der alte Bock hab sich eingebildet, die schöne Katja wär‘ sein ganzes Frau.“

Schließlich besorgte Bauer von irgendwoher ein Nachtsichtgerät und ein Abhörgerät.
So saß Radek also nachts mit seinem um die Stirn geschnallten Superfernglas vor Dagmars und Katjas Wohnung und sah nichts weiter als schemenhafte Gestalten hinter den Vorhängen. Die Wanze hatte er in Katja Handtasche platziert und da die junge Frau diese wohl im Flur der Wohnung bei der Garderobe abzustellen pflegte, war außer gelegentlichen Wortfetzen über die Kopfhörer in Radeks Auto nichts zu hören.

„Hab nur Arbeit gemacht. Mußtu abpassen wann Du an Handtasche kannst, mußt Du Batterie wechseln, dann hab die am nächsten Tag andere Tasche dabei und Du mußt warten bis sie wieder die richtige mitbringt. Die muß mich schon für blöd gehalten haben, so oft kam ich in die ihr Büro.“

So hätte das Spiel noch ewig lang weitergehen können und es ging insgesamt vielleicht 6 bis 8 Monate so, doch dann änderte sich mit einem Mal alles schlagartig.

„Da hab der Bauer ein Fehler gemacht! Soll doch zufrieden sein, der alte Bock, daß er so ein hübsche Frau zum XXXX hat, was will eine alte Mann mehr? Aber der hab besitzen wollen, hab die immer mehr wollen. Und dann hat er dem großen Fehler gemacht, der die Katastrophe gemacht hat.“


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Ich erteile Auskünfte ausschließlich aufgrund meiner Erfahrung und erbringe keine Rechts-, Steuer- und Medizinberatung.

Lesezeit ca.: 34 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 22. Dezember 2010 | Revision: 9. Juni 2012

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7 Kommentare
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idriel
13 Jahre zuvor

Ja was passiert denn nun? *hmpf*, ich hätte das „alles“ lieber nicht nochmal lesen sollen, jetzt ist die Spannung wieder so gross 😉

Kirstin
13 Jahre zuvor

DAS war definitiv gelogen mit dem „Alles“ 🙁
Mensch Tom und das bei meinen schwachen Nerven grade.

Avarion
13 Jahre zuvor

Hier ist das Ende. Oben steht „Alles“ düber 😛

Krischan
13 Jahre zuvor

Im Werbeartikel steht recht eindeutig „bevor es an Weihnachten den Rest gibt“. Samstag, Kinder, könnt’s was geben *summ*.

Christians Ex
13 Jahre zuvor

Toll. Ich acker mich hier begierig durch und hanger doch wieder an so eine Cliff!

turtle of doom
13 Jahre zuvor

Schnüff..

simop
13 Jahre zuvor

Stimmt… Jetzt hänge ich hier wieder an meiner Klippe und beiße auf meinen Zehennägeln ‚rum vor Spannung (die Fingernägel gehen nicht – die daran befestigten Finger benötige ich zum Festhalten…)




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