Geschichten

Katja, der Goldfisch -VI-

So ein Sarg kann ja nicht einfach verschwinden und selbst von der Leiche, würde man sie vorher verbrennen, bliebe noch ein gutes Häuflein übrig, das man erst einmal an dem Dicken an der Tür vorbei schaffen müßte.
Wir nehmen ja alle an, daß der Dicke nichts mitbekommt, weil ihm alles scheißegal ist, weil er seinen städtischen Posten aber sowas von sicher hat und weil er Bestatter grundsätzlich für das letzte Pack hält.

Ich schrieb ja schon ein paar Mal darüber, daß es in dieser Stadt einen städtischen Bestattungsdienst gibt, der genau das gleiche macht, wie ein Bestattungsunternehmen. Früher einmal Teil der Behörde, ist er heute ebenso ein Wirtschaftsunternehmen, wie andere Bestatter auch. Nur eben, daß der „Dienst“ die gesamte Friedhofslogistik völlig selbstverständlich und größtenteils kostenlos nutzen kann. Selbstverständlich wird er bei der Vergabe von Beerdigungsterminen bevorzugt und genauso selbstverständlich haben seine Mitarbeiter Schlüssel nicht nur für die Friedhöfe, die haben wir auch, sondern auch für die Kühlhalle des Krematoriums und die ganzen Trauerhallen auf allen Vorortfriedhöfen.

Während wir immer auf das Wohl und Wehe der örtlichen Quallen angewiesen sind, tippen die Herren in den grauen Arbeitskitteln und Schirmmützen einfach kurz an dieselbe und schließen sich selbst auf.

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Und der ganze städtische Filz arbeitet sich zu. Das heißt man schiebt sich zum Beispiel Aufträge zu. Die ganzen städtischen Altersheime und das große städtische Krankenhaus geben an die Angehörigen von Verstorbenen grundsätzlich nur die Nummer vom städtischen Bestattungsdienst heraus. Sprechen die Angehörigen von einem herkömmlichen Bestatter, tut man völlig überrascht und schüttelt entsetzt den Kopf.

Im Krematorium stehen fertige Urnen? Wir müssen dann dorthin, diese abholen und zum jeweiligen Friedhof bringen.
Die „Städtischen“ haben es da einfacher, da fährt sowieso jeden Tag ein Amtskurier von der Behörde „Abfallwirtschaft“ von Dienststelle zu Dienststelle um die Post zu verteilen und der nimmt die Urnen einfach im Kofferraum mit.
Das läuft, das ist ein eingespieltes und gut geöltes System, in dem wir privaten, gewerblichen Bestatter nur Sand im Getriebe sind, die man nicht will, die man am liebsten rausekeln würde und denen man Steine in den Weg legt, wo man nur kann.

Vor diesem Hintergrund muß man das auch sehen, daß der Dicke am Krema so unfreundlich und unbeweglich ist. Aufgrund einer Anweisung vom Friedhofsdirektor DARF er gar nicht beim Ausladen helfen, damit die privaten Bestatter immer zu zweit fahren müssen, das macht denen mehr Arbeit, kostet mehr Geld und verteuert ja letztendlich auch die Fahrten und somit die ganze Bestattung.
Kommt jedoch der große graue Lieferwagen vom städtischen Bestattungsinstitut, dann sitzt da nur ein dürres Männlein drin, der lediglich die Papiere übergibt und alles ins Buch einträgt und der Dicke und ein Ofenmann springen wie junge Gazellen, um die vier bis sechs Särge förmlich aus dem Lieferwagen zu reißen.

Ja ja, das Leben ist ungerecht…

Aber das und Ähnliches habe ich ja schon oft genug erzählt und es soll auch nur am Rande hier eine Rolle spielen und denjenigen Nahrung geben, die jetzt schon innerlich schreien: Tom, komm endlich zur Sache, ich will wissen, was mit Katjas Sarg passiert ist!

Wir wissen es nicht!

Der Dicke hat seinen Amtsleiter verständigt, der wiederum hat es an die schöne Silke weitergeleitet und die schöne Silke ist so ziemlich das Giftigste und Gemeinste, was auf Gottes Erden außer der Puffotter herumkreucht.
Silke Kalverskämpchen ist Mitarbeiterin des Friedhofsamtes und in Person die Ortspolizeibehörde dort.
Ich hatte das schon mal erklärt: Grüne, jetzt blaue, Polizei ist Länderpolizei und daneben hat auch jede Stadt gewisse kommunale Polizeiaufgaben, die zum Beispiel dafür verantwortlich sind, daß in den Garagen immer das Rauchen polizeilich verboten ist. Verboten ist es von der Ortspolizei, die in diesem Fall nicht uniformiert ist und ihren Dienst vom Schreibtisch aus versieht. Frau Kalverskämpchen ist für die Beschlagnahme der Leichen von Obdachlosen zuständig, ordnet Bestattungen von Amts wegen an und ist ganz groß im Setzen von unerfüllbaren Fristen.
Was die kühle, blonde Hexe mir schon für gemeine Briefe und Faxe geschickt hat, nur um uns das Leben schwer zu machen, das geht auf keine Kuhhaut.
Ich rufe sie dann immer an, lasse meine sonore und an und für sich doch recht wohlklingende Stimme ertönen und versuche, um im Bild zu bleiben, die Kuh vom Eis zu kriegen. Doch ich habe noch nie jemanden erlebt, der so rotzfrech und schnippisch ist, wie diese ungef***te Gewitterziege.

„Wenn Sie das nicht können und Ihr Unternehmen nicht leistungsfähig genug ist, dann sollten Sie sich vielleicht ein anderes Gewerbe suchen“, lautete einmal ihre Antwort als ich ihr erklärte, daß ein Verstorbener nur versehentlich auf dem Waldfriedhof gelandet war, weil die Angehörigen es sich kurzfristig anders überlegt hatten.
Die hatten nämlich bei der Auftragsvergabe gesagt, der Mann solle eben auf diesen Waldfriedhof, wohin wir ihn dann auch brachten; und dann überlegten sie es sich innerhalb einer Stunde anders und wollten den Toten lieber doch im Familiengrab der Schwiegermutter auf dem Westfriedhof haben. Manni fuhr los, lud ihn wieder ein und bracht ihn eben zum Westfriedhof. Dabei wurde er von der dortigen Qualle beobachtet, die sogleich Schlimmes witterte und sofort bei Frau Kalverkämpchens anrief.
Man glaubte, wir hätten uns Kühlkosten sparen wollen und deshalb den Toten einfach in irgendeiner freien Kühlzelle eines Friedhofs zwischengelagert.
Das wäre damals beinahe vor Gericht gegangen, weil ich mich weigerte, die Kostennote der Ortspolizeibehörde über 600 Euro für die „außergewöhnliche Inanspruchnahme einer städtischen Einrichtung“ zu bezahlen.
Irgendwann knickte die Schöne, die gleichzeitig auch das Biest ist, dann endlich ein. Sie bekam Schiss, weil unser Anwalt auf zwei A4-Seiten ihre Inkompetenz anhand von geeigneten Beispielen herausstellte; und bevor sie diesen Brief -was bei Klageerhebung notwendig gewesen wäre- einem anderen Amt weiterleiten mußte, stellte sie das Verfahren sang- und klanglos ein.

Ich schreibe das alles, damit man versteht, warum es so schwierig ist, mit den „Städtischen“ umzugehen. Die sind natürlich nicht alle so. Diejenigen, mit denen wir täglich zu tun haben, sind uns in der Regel gut Freund und wir helfen uns gegenseitig. Die durch tatkräftige Hilfe und Duldung, wir durch die bekannten rechteckigen Überzeugungshilfen.
Die anderen aber lassen uns auflaufen, wo sie nur können und da ist es natürlich Wasser auf die Mühlen derer, die uns nicht wohlgesonnen sind, wenn ausgerechnet einer „unserer“ Särge fehlt.
Es fehlt aber keiner unserer Särge, denn aus unserem Sarg ist deren Sarg geworden, spätestens in dem Moment, in dem die Krema-Qualle ihren Namenszug auf den Ablieferungsschein geschmiert hatte.
Ab da war Katja Bültgens mitsamt Sarg, Kleidung und Sargausstattung in den Besitz bzw. die Obhut der Stadt übergegangen und somit müssen die auch den Beweis führen, wo der Sarg geblieben ist.

Das sieht Frau Silke Klaverskämpchen naturgemäß anders. „Das ist ja mal wieder typisch für Sie“, beginnt sie das Telefonat mit mir und droht mir mit Ordnungsgeld, Polizei (also jetzt mal der richtigen) und der Kripo. „Ich mache Ihnen die Hölle heiß, das können Sie mir glauben, das alles können Sie morgen in der Zeitung lesen. Eine Leiche verloren…, sowas hatten wir ja noch nie…., wo kämen wir da denn hin…., typisch für die Bestatter…, ja das ist typisch.“

„Sie haben was vergessen“, unterbreche ich ihren Redefluss und sie fragt zurück: „Was denn?“
„Die Gestapo! Wenn Sie uns schon die Polizei und auch noch die Kripo auf den Hals hetzen wollen, dann vergessen Sie bitte nicht die Gestapo, die Stasi und den Mossad.“

„Sie, das mit dem Mossad das war jetzt eine Beleidigung, oder?“

„Das können Sie nehmen, wie sie wollen, Frau Kalverskämpchen, aber es ist definitiv so, daß Ihr die Leiche mitsamt Sarg verloren habt. Wir haben sie abgeliefert und haben den entsprechenden Beleg und die eidesstattlichen Erklärungen der Fahrer hier.“

Die Formulierung „eidesstattliche Erklärung“ scheint bei ihr irgendwie Wirkung zu zeigen, offenbar glaubt sie, wir seien irgendwie schon auf dem Amtswege weiter als sie vorangeschritten und hat nun wieder Angst, daß ihre rotzige Art auffliegt und thematisiert werden könnte.

„Na ja, zumindest haben Sie eine, wenn auch nur moralische Verpflichtung Ihrem Kunden gegenüber, dabei mitzuwirken, daß wir den Sarg wiederfinden können“, formuliert sie dann geschwind und ich stimme ihr unumwunden zu.
Insgeheim stelle ich mir vor, wie die wohl ohne Bekleidung aussehen könnte, eine Hübsche ist es ja und ich bin ja auch bloß ein Mann und so im Kopf vorstellen ist ja erlaubt.

Im Krematorium wird eine dringende Inventur angeordnet und alle Särge und Leichen durchgezählt. Es kommt nichts dabei heraus.

Kaum ist das Gespräch mit der frechen Silke beendet, die in meiner kurzfristigen innerköpflichen Vorstellung schwarze Strapse, Taucherflossen und einen Knebel trägt, kommt Frau Büser in mein Büro und raunt mir zu, draußen in der Halle sitze Herr Bültgens.

Boah und was gemein, ich cliffhangere nun und sage nur, daß er mir dann doch einiges zu beichten hatte.

Soll ich so gemein sein?
Nein:

Herr Bültgens ist ein Häufchen Elend, sitzt klappernd und zähneknirschend auf der vorderen Kante des Ledersofas in der Halle und schnieft heulend in ein Taschentuch. Vor ihm auf dem Boden steht eine oben zusammengedrehte Plastiktüte von C&A.
Er blickt nur kurz auf, als er mich kommen hört und seufzt laut auf, dann weint er wieder wie ein Schlosshund.

„Was haben wir denn da?“ frage ich und bereue im selben Moment, daß mir nur eine so dämliche Frage eingefallen ist. Er guckt kurz hoch und sagt mit weinerlicher Stimme: „Ach hören Sie auf, ich weiß ja, daß das alles Scheiße ist.“
„Was haben Sie denn gemacht?“ erkundige ich mich und setze mich ihm gegenüber in den Sessel.
„Nix, also wirklich nix, aber bestimmt ist das verboten!“ ruft er mehr, als das er spricht.

„Wenn man nix gemacht hat, dann kann man auch nix Verbotenes tun“, sage ich mit etwas strengem Unterton, denn ich vermute, daß er genau weiß, wo der Sarg mit seiner Tochter ist. Insgeheim male ich mir die wildesten Schreckensbilder aus, wie er nachts den Sarg aus dem Krematorium gezogen hat, wie er die Leiche irgendwo an einer „Lieblingsstelle“ vergraben hat und so weiter…

„Ich wollte sie doch nur noch einmal sehen.“

„Sie haben Ihre Tochter doch hier bei uns noch sehen können.“

„Aber ich wollte sie einmal richtig sehen, nur ich, verstehen Sie?“

„Ja, das verstehe ich. Und dann? Was haben Sie gemacht?“

„Ich bin zum Krematorium, ich bin ihren Männern hinterher gefahren…“

„Und dann?“

„Dann hab‘ ich gewartet, bis die den Sarg reinfahren und als der Mann an der Tür mal eben weggegangen ist, bin ich reingehuscht und hab mich versteckt.“

„Meine Güte, Sie haben sich im Krematorium versteckt?“

„Ja, und dann gingen ihre Männer und der Mann ist wieder ins Büro und ein anderer hat die Tür zugemacht und dann wurde es dunkel und kalt. Ich wußte doch nicht, daß das ein Kühlraum war. Aber ich hab‘ so ’ne kleine Taschenlampe am Schlüsselbund und damit hab ich dann geleuchtet. Mann, da standen so viele Särge. Manche von denen waren offen und da lagen lauter alte, tote Leute drin. Ich kann Ihnen sagen, das war fürchterlich!

So viele Leichen…., alles so knochige tote Leute…. und meine Katja war doch noch so jung, so schön, die konnte ich doch nicht bei diesen häßlichen Alten lassen.“

„Ja, und was dann?“

„Ich hab doch diesen Teddy dabei gehabt, den wollte ich ihr in den Sarg legen“, sagt Herr Bültgens und hebt die C&A-Tüte hoch. Ich bin erleichtert, wenigstens ist da nicht der Kopf oder sowas drin…

„Weiter!“ kommandiere ich, denn ich kann nicht mehr abwarten, bis er mir endlich erzählt, was er im Krematorium noch angestellt hat.

„Nichts weiter. Ich hatte den Sarg ja gut im Blick und dann hab ich ihn nach hinten gerollt, ans andere Ende von der Reihe mit den vielen Leichen, ich hatte nämlich Geräusche gehört und Angst bekommen, daß die mich entdecken.“

„Ja? Los! Und dann?“

„Dann wollte ich ihn gerade aufschrauben, da ging dann das Licht an und ich hab mich schnell wieder versteckt. Da war wohl wieder ein Leichenwagen gekommen, denn die Männer fuhren einen neuen Sarg herein und sind dann vor ins Büro, da bin ich dann lieber gleich wieder abgehauen, die Türen standen ja alle offen und gesehen hat mich keiner…“

„Sie haben den Sarg also nur weiter nach hinten geschoben?“

„Ja, da ganz hinten hin, wo die Schienen auf dem Boden sind, da war so ein bißchen grünes Licht von den Armaturen an der Wand, so Kontrollleuchten, ich mußte doch die Lampe ausmachen, weil ich beide Hände brauchte, als ich aufschrauben wollte. Aber dazu bin ich ja gar nicht gekommen und deshalb bin ich jetzt hier, ich bring‘ Ihnen jetzt den Teddy, können Sie den da reinlegen?“

„Nee, können wir nicht“, sage ich und in mir löst sich ganze Adrenalin des Tages in einen hormonellen Weichmacher und nichts als Erleichterung durchströmt meine Adern; denn in diesem Moment wußte ich, was passiert war.

Katjas Sarg hatte das Krematorium nie verlassen, weder Leiche, noch Sarg waren jemals verschwunden gewesen.
Herr Bültgens hatte den Sarg einfach vom vorderen Teil der Kühlkammer, da wo die offenen Särge für die zweite Leichenschau und die Neueinlieferungen stehen, nach hinten geschoben. Und da hinten, unter den Armaturen, wie er es nannte, da ist die Schiene für den stählernen Hubmechanismus, der die Särge von den kleinen Rollern hebt und automatisch direkt zum nächsten Ofen fährt.
Wenn mich nicht alles täuscht, dann war Katja zum Zeitpunkt unserer Suche nirgendwo anders, als im Verbrennungsofen oder schon als Asche im unteren Stockwerk.

„Beruhigen Sie sich, trinken Sie mal was“, sage ich zu Herrn Bültgens und eile in mein Büro, um das Krematorium und dann die strapsige Silke anzurufen.

Ja, ich hatte Recht! Statt einer gewissen Frau Botterklamm, die an der Reihe gewesen wäre, hatte einer der hinteren Männer den Sarg von Katja in den Ofen gefahren. Er guckt nur auf den Zettel am Sarg, da war der berühmte rote Punkt, der besagt, daß keine zweite Leichenschau erforderlich ist, alle Papiere waren vollständig und so hat er, gemäß dem Eingangsbuch, in dem Katja ja ordnungsgemäß eingetragen war, die Leiche 9811231 mit einem ebenso beschrifteten Schamottstein versehen und in den Ofen fahren lassen.
Normalerweise wäre Katja erst fast zwei Tage später an der Reihe gewesen, es ist viel zu tun, da einer der drei Öfen zu dieser Zeit gewartet wurde. Und so kam es, daß es keiner für möglich gehalten hat, daß der Sarg diesen Weg gegangen ist. Für den Quallenmann war er einfach weg und der hintere Mann hat keine Ahnung von dem, was der Dicke da vorne macht und hat einfach seine Arbeit gemacht: Roter Punkt, Papiere alle da, Nummer aus dem Buch, Stein auf den Sarg und ab ins Feuer…

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(©si)