Geschichten

Lady in Red

Eine Reinigungsfachkraft

Büroräume müssen saubergehalten werden. In gewissem Rahmen müssen das die Angestellten in meinem Bestattungshaus selbst machen. Beispielsweise ihre Schreibtische und ihre Monitore putzen und die Papierkörbe leeren.

Auch in der kleinen Kaffeeküche muss jeder mithelfen, die Sauberkeit zu bewahren. Dort sähe es sonst innerhalb kürzester Zeit aus, wie auf einem Schlachtfeld. Den Rest übernimmt eine Putzfrau. In unserem Fall war das Frau Siebenhals, die aber nach 12 Jahren in Ruhestand gegangen ist. Ein Zettel vorne im Schaukasten an der Straße hat aber ausgereicht, eine neue junge Fachkraft aus dem Bereich der Flurreinigung anzulocken.

Eine Reinigungskraft für unser Bestattungshaus muss nicht viele Bedingungen erfüllen. Natürlich muss sie gründlich reinigen können und verschwiegen sein. Es geht ja nicht, dass das, was bei uns an persönlichen Schicksalen der Angehörigen und Verstorbenen bekannt wird, nach außen getragen wird. Mich interessiert weniger, ob die Putzfrau effizient und besonders schnell arbeitet. Meinetwegen soll sie lieber ein Stündchen mehr arbeiten, und dafür ist dann nachher auch alles wirklich sauber und aufgeräumt.

Werbung

Die wichtigste Eigenschaft einer solchen Angestellten ist aber für mich, dass ich sie nicht bemerke.
Das mag man jetzt nicht falsch verstehen. Ich habe immer ein offenes Ohr und ausreichend Zeit für meine Leute und bin auch gerne mal für ein Gespräch abseits vom geschäftlichen Geschehen zu haben. Aber so im gesamten betrieblichen Ablauf will ich das Reinigungspersonal, wozu ja auch der Fensterputzer, Herr Klemm, und Herr Mörsenbürger, der Desinfektor, gehören, nicht als störend empfinden. Es muss zum richtigen Zeitpunkt einfach alles in Ordnung sein und das Personal soll nicht, wenn zum Beispiel gerade eine Trauerfeier in unserem Haus ansteht, mit dem Putzwagen durch die Halle fahren müssen.

Frau Siebenhals kam jeden Freitag einmal kurz in mein Büro, setzte sich aus Gewohnheit in den bequemen Sessel in der Ecke und erbat sich eine Zigarette. Zwanzig Minuten lang unterhielten wir uns über ihren Schrebergarten, ihren arbeitsscheuen Mann, ihren Hund oder die Enkelkinder. Das war für Frau Siebenhals der Abschluss der Arbeitswoche, aber auch die einzige Gelegenheit, bei der ich sie wahrgenommen habe. Einmal abgesehen von ihrer Angewohnheit, in vermeintlich unbeobachteten Momenten ständig mit sich selbst zu reden, hat sie ihre Arbeit diskret, still und ohne die anderen zu stören erledigt.

Nun haben sich auf unseren Aushang hin zwei Damen beworben. Ich hätte auch einen Mann genommen, das wäre mir egal gewesen. Aber die beiden Frauen waren die vorerst einzigen Bewerberinnen. Die erste Dame kam aus Portugal und sprach kaum Deutsch. Das war aber nicht der Grund, weshalb ich sie nicht eingestellt habe, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie nur montags zwei Stunden am frühen Morgen Zeit hatte. Wir suchten aber jemanden, der täglich zwei Stunden arbeiten würde.

Die zweite Frau war eine junge Frau direkt aus der Nachbarschaft. Eine schlanke Person mit ganz kurzen blonden Haaren. Monika Pilz hieß sie. Sie war freundlich, aufgeschlossen und machte den Eindruck, etwas von der Sache zu verstehen. Ich zeigte ihr den Betrieb und schon nach kurzer Zeit wurden wir uns einig.

„War ja klar, dass Du die nimmst“, meinte Sandy grinsend, und auf meinen fragenden Gesichtsausdruck hin ergänzte sie: „So scharf wie die Braut aussieht!“

Nun liegen meinem Büro zwei Türen gegenüber. Die eine führt in das Büro der Damen, die andere in den kleinen Abstellraum, in dem wir die Putzmaterialien, das Papier und die Druckerpatronen aufbewahren.
An der Innenseite der Tür gibt es ein paar Haken, da hängen die Kittel der Putzfrau dran.

Wir leben hier ja im süddeutschen Teil der Republik. Hier ist aber noch nicht Schwaben oder gar Bayern, wo noch mehr Menschen mit komischen Angewohnheiten und Eigenheiten leben. Hier lebt man im Dreiländereck zwischen Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz und auch die bayerische Grenze ist nicht weit. Die Leute sprechen den breiten und weichen Kurpfälzer Dialekt und haben die Angewohnheiten und Eigenheiten vieler benachbarter Regionen und durchziehender Völker adaptiert. In einem dieser Völker muss das Kitteltragen eine besondere Rolle gespielt haben.

Meine frühesten Erinnerungen an diese Gegend hier reichen nunmehr 56 Jahre zurück. Und ich erinnere mich daran, wie seltsam und befremdlich es auf mich gewirkt hat, Frauen in dicken Wollsocken, mit geblümtem Küchenkittel und Kopftuch, mit zwei Milchkannen aus Blech am Lenker auf dem Fahrrad fahren zu sehen. Ich kannte aus meiner Heimatstadt Essen überhaupt keine Frauen, die Fahrrad fuhren. Und ich kannte auch keine Frauen, die im Küchenkittel auf die Straße gegangen wären.

Meine Mutter war sowieso keine Kittelträgerin, sondern bevorzugte eine Küchenschürze zum Umbinden. Unsere Frau Siebenhals1 hatte immer einen bunten Kittel getragen und meine Allerliebste hatte ihr jedes Jahr einen schönen neuen geschenkt. Der hing jetzt, neben zwei, drei Ersatzkitteln, an den Haken an besagter Tür, direkt gegenüber meines Büros.

Es ist Montagmorgen, ich bin mal wieder der Erste im Büro, da höre ich das Knirschen eines Schlüssels in unserer Eingangstür und die Neue, Frau Monika Pilz, kommt zur Arbeit. „Ich hab’ gedacht, ich fang’ früh an, dann bin ich den anderen aus den Füßen, wenn sie kommen. Bleibt es dabei, wie Sie und Sandy mir das erklärt haben?“

„Machen Sie es so, wie Sie es für richtig halten, wenn wir dann noch irgendwas geändert haben wollen, sagen wir Ihnen das einfach. Fangen Sie am besten im großen Büro an, so wie Sie sagen, bevor die anderen kommen. Und wenn irgendwas ist oder falls Sie Fragen haben, kommen Sie einfach her.“

Sie lächelt mir eins jener Lächeln zu, die im Herzen eines Mannes den Nerv treffen, der den sofortigen Ausstoß von Glückshormonen zur Folge hat. Meine Güte, was hat der Liebe Gott doch für hübsche Wesen wachsen lassen, die so schön lächeln können.
Ich bin ja schließlich auch nur ein Mann, der nicht aus seiner Haut raus kann. Ich habe meiner Allerliebsten Treue geschworen, ihr aber nie versprochen, nicht auch Freude am Anblick anderer Frauen zu haben. Und diese Freude am Anblick von Frauen ist nicht, wie uns Alice Schwarzer und andere Feministinnen weismachen wollen, eine schlechte Angewohnheit oder gar Ausdruck perverser Neigungen, sondern ein evolutionär bedingtes, archetypisches Verhalten, das der Erhaltung der Art dient.

Rein sachlich betrachtet sind Brüste ja im Grunde genommen nur Fettbommel mit Drüsengewebe und ein Hintern ist der Ansatz der Laufmuskulatur und ein fettgefülltes Sitzpolster. Dass Männer das attraktiv finden und ihre Augen nicht von Titten und Ärschen wenden können, ist ihnen seit hunderttausenden von Jahren in die Wiege gelegt worden. Die mit den dicksten Hupen gaben die meiste Milch und waren bei der Partnerwahl zu bevorzugen, weil sie potentiellem Nachwuchs eine bessere Überlebenschance boten. So kann vieles, das wir heute zu den sexuellen Reizen zählen und was uns heute isoliert als besonders attraktive Geschlechtsmerkmale verkauft wird, auf den reinen Überlebenstrieb unserer höhlenbewohnenden Ahnen zurückgeführt werden.

Mit anderen Worten: Männer können gar nicht anders, als hinzugucken, wenn ihnen Brüste, Beine und Popos gezeigt werden. Noch bevor der Mann überhaupt eine Chance hat, zu verstehen, was da passiert, hat er schon geguckt und das geil gefunden.
Wie man dann damit umgeht, nun das kann je nach Kultur ganz unterschiedlich sein, und das kann man auch lernen und anwenden. Aber gegen das Gucken kannste gar nichts machen.

Und an diesem Morgen wurde der Neandertaler in mir geweckt.

Monika Pilz steht bei geöffneter Tür in dem kleinen Abstellraum und zieht sich bis auf die Unterwäsche aus. Fröhlich, leise vor sich hinsummend, steht sie da in roter Spitzenunterwäsche und hängt ihre Klamotten an einen der Haken. Dann zieht sie einen recht kurzen, weißen und etwas durchscheinenden Kittel und Flipflops an.

Ich hüstele verlegen, will ihr auf diese Weise mitteilen, dass ich sie sehen kann, wahrscheinlich hat sie nur vergessen, die Tür zu schließen, doch sie winkt mir nur fröhlich zu, und ruft übern Gang: „Ich kauf’ nachher mal Gummihandschuhe in small, die vorherige Putzfrau hatte wohl sehr große Hände.“ Und schon ist sie mit dem Putzwagen im Büro nebenan verschwunden.

So läuft sie dann an diesem frühen Morgen mehrfach an meiner Bürotür vorbei, kommt kurz herein, um meinen Papierkorb zu leeren, und ich sehe nichts anderes als diese schlanke Frau, deren rote Unterwäsche sich aufreizend unter dem weißen Kittelchen abzeichnet.

Nein, ich entwickelte keine bösen Phantasien, dafür finde ich meine Allerliebste viel zu toll und dafür habe ich auch viel zu viel Angst vor ihr. Aber ich gestehe, dass ich immer wieder hingeschaut habe und das gerne.

Eine Dreiviertelstunde später kommen die Frauen, zuerst Frau Büser, die zunächst mal Kaffee für alle macht. Dann kommen Antonia und Sandy. Während Antonia nur wahrnimmt, dass die Neue da ist, lehnt sich Sandy an den Türrahmen meines Büros, deutet mit dem Daumen über die Schulter und meint: „Scharfes Teil, die Kleine.“ Ich tue so, als ob ich nicht wüsste, was sie meint, und Sandy grinst nur. „Dass mir da keine Klagen kommen.“
Ich versuche, das ahnungsloseste Gesicht zu machen, das ich machen kann. Doch Sandy leckt sich über die Lippen und sagt: „Ach, mal sehen, vielleicht mach‘ ich mir die klar.“

Es sind zwei Wochen vergangen und mir fällt auf, dass eine Veränderung im Betrieb stattgefunden hat. Genauer gesagt, sind es mehrere Veränderungen. Zuallererst fällt auf, dass es überall nach frischen Blüten und Zitrone duftet und nicht mehr nach Ammoniak und Chlor, wie das früher war, wenn Frau Siebenhals durchgewischt hat. Zum anderen finde ich, dass es deutlich sauberer und aufgeräumter ist, seit Monika, wie wir sie inzwischen alle nennen, das macht. Nix gegen Frau Siebenhals, aber Monika arbeitet einfach gründlicher, flotter und nimmt auch die besseren Putzmittel und Utensilien.
Und mir fällt auf, dass in den Zeiten, in denen Monika anwesend ist, ein ungeheurer Betrieb auf immer genau der Etage herrscht, wo sie gerade arbeitet. Die Männer aus der Werkstatt haben auf einmal alle was auf unserer Etage zu tun, und sogar die Lieferanten, die sonst alles unten abwickeln, kommen jetzt persönlich ins Büro hoch, um die Lieferscheine bei Frau Büser abzeichnen zu lassen.
Und noch etwas hat sich verändert: Sandy ist von der eher eleganten Bürokluft wieder zu ihrem Gothic-Style zurückgekehrt, kurzes Lederröckchen, Netzstrümpfe und dicke schwarze kurze Lackstiefel.

„Chef, wir müssen reden!“ Das sind Frau Büsers Worte, nachdem sie einmal mehr mit harschen Worten die Männer in den Keller zurückgejagt und Sandy mit einem Stapel Unterlagen auf die Tour zu den Standesämtern fortgeschickt hatte.

„Was gibt`s denn?“

„So geht das nicht weiter. Diese junge Frau verdreht hier allen den Kopf.“

„Wer, Antonia?“

„Ach, kommen Sie, Chef, Sie wissen ganz genau, wen ich meine. Die Neue, die Monika.“

„Macht sie nicht richtig sauber? Ich muss ehrlich sagen, dass mir ihre Arbeit sehr gut gefällt. Die ist sehr gründlich, immer gut gelaunt, und alle scheinen sie zu mögen.“

„Das ist es ja: Die mögen die alle zu viel. Gucken Sie sich doch mal an, wie die herumläuft.“

„Ist da irgendetwas Besonderes dabei? Die trägt einen Arbeitskittel, das ist doch für Putzfrauen ganz normal“, heuchele ich und gebe mich diesbezüglich ahnungslos.

„Chef, wie lange arbeite ich jetzt für Sie? Wie lange kennen wir uns? Machen Sie mir doch nichts vor. Das junge Ding ist superhübsch und sie trägt diesen, äh, diesen Kittel.“

„Frau Siebenhals hat doch aber auch immer einen Kittel getragen.“

„Ja, aber die war 67 Jahre alt und der Kittel war genauso alt und vor allem aus dunklem, geblümten Stoff, durch den man nicht durchgucken konnte.“

„Frau Büser, ich muss Ihnen aber jetzt mal sagen, dass ich noch nie das Bedürfnis hatte, durch Frau Siebenhals‘ Kittel durchzugucken.“

„Ja, nee, ist klar, deshalb steht ja da hinten auch die kleine Superman-Figur auf dem Regal. Ich weiß doch, dass ihr Männer am liebsten alle den Röntgenblick hättet. Ihr würdet mich und die Siebenhals bestimmt nicht röntgen, aber so junge Dinger, wie die Sandy und jetzt die Monika, die würdet ihr doch den ganzen Tag bestrahlen und anschauen, geben Sie es doch zu!“

Ich schüttele nur langsam mein Haupt und schaue sie dann fragend an.

Frau Büser seufzt: „Mensch, kommen Sie, Sie wissen genau, was ich meine, oder?“

„Ja, ich geb’s zu.“

„Was jetzt?“

„Dass ich ein Fan von Superman bin. Ich würde gerne fliegen können.“

„Arsc…., äh, uhm, Achso….“

„Nein, ich gebe auch zu, dass ich weiß, was Sie meinen, liebe Frau Büser. Aber, was soll ich denn machen? Soll ich Monika zu mir ins Büro bestellen und sagen: Ziehen Sie sich bitte einen längeren Kittel an, damit man ihre langen Beine nicht so sehen kann? Soll ich ihr sagen: Tragen Sie bitte Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen, damit Ihre Füße bedeckt sind? Soll ich zu ihr sagen: Ziehen Sie sich einen dunklen Kittel aus blickdichtem Stoff an! Soll ich das alles zu ihr sagen?“

„Na also, wir verstehen uns ja doch!“

„Nö, nö, nö, so haben wir nicht gewettet! Ich habe Sie nur gefragt, ob ich alles das zu ihr sagen soll; ich habe nicht gesagt, dass ich das alles auch sagen werde. Wenn ich richtig orientiert bin, sind Sie nämlich für die Personalfragen rund um Putzfrauen, Bürohilfen, Fensterputzer und Dekorateure zuständig.“

„Das ist ja das Schlimme!“

„Was?“

„Das mit dem Fensterputzer.“

„Was ist mit dem, kommt der jetzt auch im durchsichtigen Kittel?“

„Nein, der kommt gar nicht mehr. Der hat Rücken und fällt für mehr als ein halbes Jahr aus, und danach will er nur noch in seinem Heimatort arbeiten.“

„Ja und? Dann nehmen wir einen anderen.“

„Ja, aber Monika hat gesagt, dass sie das gerne mit übernimmt.“

„Ja, das ist doch klasse.“

„Nein, ist es nicht. Was meinen Sie, was passiert, wenn die auch noch anfängt, auf eine Leiter zu steigen?“

„Ich muss über alles das erst mal nachdenken.“

Eine Stunde später steht Manni in meinem Büro. „Chef, ich komme im Auftrag von die alle.“

„Von denen allen.“

„Ja, mein‘ ich doch, ich bin bloß etwas aufgeregt.“

„Was regt Dich so auf, Manni?“

„Ich persönlich bin ja gar nicht soooo aufgeregt, nur ein bißchen, ich bin ja gut verheiratet und habe drei Kinder. Aber die anderen.“

„Raus mit der Sprache, was ist mit denen?“

„Die drohen mit Streik und Sabotage, wenn die Monika den Wollmantel anziehen muss.“

„Was denn für einen Wollmantel?“

„Die Frau Büser hat gesagt, wenn wir nicht im Keller bleiben, klemmt sie uns die Eier im Bürolocher ein und Monika muss künftig einen Wollmantel tragen.“

„Wir haben also seit einigen Wochen eine neue Putzfrau. Die ist jung und sieht toll aus. Und weil sie einen weißen Kittel trägt, der etwas ihre schwarze oder rote Unterwäsche durchscheinen lässt, dreht ihr alle durch?“

„Wir haben doch sonst nichts. Unser Alltag da unten im Keller und auf den Friedhöfen ist doch nicht gerade bunt und lustig. Da ist so was doch eine tolle Abwechslung. Verstehen Sie das nicht falsch! Keiner will der was tun. Aber sie sieht doch so schön aus.“

Es ist gegen 11 Uhr, Monika ist schon nach Hause gegangen, da kommt Sandy von ihren Besorgungen zurück und begehrt, mich zu sprechen. Normalerweise würde man da bei mir klopfen und außer Sandy müsste jeder auch erst Frau Büser fragen, ob der Chef Zeit hat. Sandy kommt aber einfach rein, setzt sich auf den Chesterfield-Sessel im Eck, schlägt die unendlich langen Netzstrumpfbeine übereinander und steckt sich eine Zigarette an. „Und nun?“

Dieses Verhalten, nein, die Tolerierung dieses Verhaltens, hat sich die junge Deutsch-Amerikanerin durch Fleiß, Kompetenz und absolute Loyalität erarbeitet. Was Sandy darf, das darf kein anderer. Sie ist nicht nur eine Angestellte, sondern sie ist eine Erscheinung.

„Was?“, frage ich.

„Stimmt es, dass Monika jetzt so einen langen schwarzen Judenmantel und ein Kopftuch anziehen muss?“

„Wer erzählt denn so einen Scheiß“

„Alle.“

„Ich habe gar nichts darüber gesagt. Einige finden es gut, wie sie herumläuft, und einige finden es nicht so gut.“

„Ja, ja, diese Einige, die das nicht so gut findet, ist Frau Büser.“

„Aber nicht, weil sie Monika nicht mag oder weil ihr das vielleicht nicht gefällt, sondern weil sie sich Sorgen um den betrieblichen Frieden macht.“

„So friedlich, wie im Moment, war es hier schon lange nicht mehr.“

Auch wieder wahr. Was soll ich machen? Ich bin ratlos. Und wenn ich ratlos bin, war es bisher immer eine gute Idee, die Allerliebste um Rat zu fragen.
Aber wie mache ich das? Ich kann ja schlecht zu ihr hingehen und sagen: „Liebes Eheweib, unsere Putzfrau sieht so toll aus und läuft in aufreizender Kleidung herum, sodass alle geil sind.“

Den ganzen Tag überlege ich mir kluge Formulierungen, wie ich der Allerliebsten das Thema näherbringen kann, ohne selbst in den Verdacht zu geraten, ein sabbernder Lüstling zu sein. Abends sage ich dann zu ihr: „Du hör mal, unsere Putzfrau sieht so toll aus und läuft in aufreizender Kleidung herum, sodass alle geil sind.“

„Ist mir auch aufgefallen. Wie gut, dass Du gegen so etwas immun bist.“ Der Sarkasmus ist nicht zu überhören.

„Und nun?“

Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder Du erhitzt ein Schwert über offenem Feuer, bis es rotglühend ist, und blendest alle betroffenen Glotzer, oder aber Du redest mit diesem hübschen Frollein.“

Am nächsten Morgen wiederholt sich die Szene, die sich schon so oft gegenüber abgespielt hat. Monika zieht sich bis auf die Unterwäsche aus und zieht sich dann ihren Kittel über. Ich winke ihr zu, zu mir zu kommen.

Ich weiß nicht recht, wie ich beginnen soll, kriege dann aber doch die Kurve. Ich erkläre der Blonden, was sich da abspielt. „Vermutlich wissen Sie gar nicht, welche Wirkung Sie auf die anderen haben.“

„Aber natürlich weiß ich das. Weshalb sollte ich den alten Männern denn die kleine Freude nicht gönnen. Wissen Sie, mir wird immer so schnell heiß und ich mag keine langen, dicken Kittel tragen, wie die alten Frauen. Aber wenn Sie möchten, kann ich mich ja mal nach ’nem Kittel umsehen, der nicht so dünn ist.“

Sie sei stolz auf ihre gute Figur und sie habe nichts zu verstecken. Außerdem mache sie nichts anderes, als ihrer Arbeit nachzugehen. Wenn dann andere in ihrem Kopf Ideen entwickeln, sei das doch letztlich nicht wirklich ihr Problem…

Es kommt der nächste Tag.

Ich komme etwas später runter ins Büro und in der Halle begegnet mir Frau Siebenhals‘ Geist. Es ist Monika, die dicke Arbeitsschuhe trägt, aus denen oben graue Wollsocken herausragen. Dazu trägt sie einen grauen, langen Hausmeisterkittel, ebenfalls in Grau.
Um den Kopf hat sie sich ein dunkelblaues Kopftuch mit Maiglöckchenmuster gebunden. Mit schweren Schritten und laut ächzend schiebt sie den Putzwagen vor sich her, und aus einem kleinen Abspielgerät am Schiebegriff dudelt „Marmor, Stein und Eisen bricht“ in Endlosschleife.

Zwar hatte das Gelaufe und Gerenne der Mitarbeiter inzwischen etwas nachgelassen, aber von diesem Moment an, veränderte sich alles. Zunächst stieß Monikas Aufzug auf große Verwunderung. Dann folgte eine Phase des gemeinsamen Lachens. Und schließlich kaufte sich Monika ein paar Kittel, die nicht ganz so durchscheinend waren. Man sah immer noch die Unterwäsche darunter, das ist eben so mit grünen, schwarzen und roten Dessous unter weißem Nylon. Aber die neuen Kittel milderten das etwas ab und sie waren auch ein kleines bisschen länger.

Doch nachdem Monika einmal im Siebenhals’schen Aufzug gearbeitet hatte, war jedem in der Firma klar geworden, dass man es mit dem Gaffen übertrieben hatte. Man gaffte immer noch, aber irgendwie kehrte eine gewisse Normalität ein, und der bei uns herrschende gegenseitige Respekt gewann wieder Oberhand.

Bildquellen:

  • monika_800x500: Peter Wilhelm KI

Fußnoten:

  1. Kenner kennen den Ursprung dieses Namens; eine Reminiszenz an Wolf Schmidt (zurück)

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#Kittel #Putzfrau #rote Dessous #Sandy

Lesezeit ca.: 23 Minuten | Tippfehler melden


Das Bestatterweblog informiert und unterhält – ganz ohne Google- oder Amazon-Werbung

1,4 Millionen Besucher im Jahr, aber nur etwa 15 spenden. Dabei kostet der Betrieb rund 20.000 € jährlich. Wurde Dir hier schon geholfen? Hattest Du etwas zu lachen? Dann sei eine der seltenen Ausnahmen und gib etwas zurück. Schon 5 € – der Preis einer Tasse Kaffee – helfen weiter. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)