Frag doch den Undertaker

Mullbinde um den Kopf der Leiche, was soll das?

Samstag ist meine über alles geliebte Oma verstorben.Als ich noch mal ins Krankenhaus bin,sah ich sie,mit einer Binde das Kinnhoch gebunden,und der Mund war unnatürlich zu und wie aufgefüllt.Kann es sein das nach geholfen wurde? Ich finde das so schrecklich.Zumal sie anscheinend in den frühen Morgenstunden verstorben ist.Aber Bescheid bekamen wir erst Vormittag um 11.00. Im vorraus danke für deine Antwort.

Ja, das ist so eine Sache mit dem Mund. Die Kiefermuskulatur hält ihn normalerweise für uns recht mühelos geschlossen, wenn wir das wollen. Ist ein Mensch allerdings verstorben, haben diese Muskeln keine Kraft mehr und oft steht der Mund bei Toten fast schon unnatürlich weit offen. Das ist kein sehr schöner Anblick.
Deshalb versuchen Bestatter, den Mund zu verschließen, damit weiterhin der Eindruck einer schlafenden (entschlafenen) Person erweckt wird, die Frieden ausstrahlt und keinen Schrecken hat.

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Zum Verschließen des Mundes gibt es ganz unterschiedliche Methoden, deren Anwendung unter Bestattern auch kontrovers diskutiert wird. Die einen werten das erzielte Ergebnis höher, während die anderen bestimmte Methoden für unnatürlich halten.
Eine sehr gute Möglichkeit ist das Legen einer so genannten ligatur, bei der mit einer Nadel ein Faden so in das Lippenbändchen und eine korrespondierende Stelle am Unterkiefer eingestochen, dann verknotet und zugezogen wird, daß nach dem Legen dieser ligatur ein sehr natürliches Ergebnis erzielt wird.
Viele stören sich jedoch an dem Gedanken, daß da mit Nadel und Faden gearbeitet wird, jedoch gebe ich zu bedenken, daß manche Verstorbene ohnehin seziert und wieder zugenäht worden sind und daß Verstorbene doch nun wirklich nichts mehr spüren.
Der Faden ist, wenn es richtig gemacht wird, nicht mehr sichtbar und das Ergebnis ist wirklich überzeugend, weil die Zähne aufeinanderliegen und der Mund aussieht, wie zu Lebzeiten.
Vor allem in Amerika gehört dieses Verfahren, von dem es mehrere Varianten gibt, zum absoluten Standard.

Sehr weit verbreitet ist auch die Verwendung von Lippenkleber. Das ist im Grunde nichts anderes als Sekundenkleber, der vorsichtig auf die Lippen aufgebracht wird. Dann werden die Lippen aufeinandergepresst und der Mund ist ebenfalls geschlossen.
Diese Methode hat den Vorteil, daß hierfür keinerlei besondere Fähigkeiten notwendig sind und sie sehr schnell zu realisieren ist. Der Nachteil allerdings liegt darin, daß nichts den Unterkiefer oben hält. Der kann sich nach Lösen der Totenstarre nach unten bewegen, bis die zusammengeklebten Lippen es verhindern und das gibt dem Verstorbenen ein sehr unnatürlich wirkendes Aussehen.
Bestatter empfinden das Ergebnis zumeist als gut, was daran liegt, daß sie nicht wissen wie der Verstorbene zu Lebzeiten genau ausgesehen hat, während Angehörige den Effekt oft für nicht gelungen halten.
Weiterhin kann es sein, daß der schmale Streifen Sekundenkleber mit etwas Lippenhaut gedehnt wird, was dann aussieht, als habe der Verstorbene einen weißlichen Belag zwischen den Lippen.

Eine andere Methode kommt ohne den direkten Verschluss des Mundes aus. Hierbei wird das Kinn des Verstorbenen durch eine durchsichtige Kunststoffstütze hochgehalten, die unter dem Totenhemd auf der Brust liegt und das Kinn fast nicht sichtbar stützt.
Die Ergebnisse können in einem Fall sehr gut sein und im nächsten Fall miserabel.

Erleichtert werden alle diese Arbeiten dadurch, daß die Personen die unmittelbar nach dem Eintritt des Todes Zugang zum Verstorbenen haben, dem Toten das Kinn mit einer gepolsterten Mullbinde nach oben binden.
Das sieht oft im ersten Moment etwas merkwürdig aus, vor allem wenn das Gebiss des Toten fehlt.
Ist die Totenstarre aber eingetreten, kann die Binde entfernt werden und der Mund bleibt trotzdem zu und man kann auf andere Maßnahmen weitestgehend verzichten.
Wohlgemerkt: Diese Maßnahmen müssen bestenfalls schon lange vor dem Eintreffen des Bestatters durchgeführt werden, denn je früher sie vorgenommen werden, umso wirksamer sind sie. Es geht z.B. auch, daß man ein zusammengerolltes Handtuch unter dem Kinn auf die Brust legt.
In Krankenhäusern und in Pflegediensten ist das Personal meistens auf diese Tipps hin geschult und mancher alte Doktor der den Totenschein ausstellt, macht das auch einfach von sich aus.

Jedoch hat diese Methode den Nachteil, daß der Mund nicht unbedingt auf Dauer zu bleibt.
Da kann es dann schon mal vorkommen, das der Tote im Beisein der Angehörigen das Kinn herunterklappt.

Die Version mit der Mullbinde hat aber zwei weitere Nachteile, die ich noch anfügen muss. Einmal ist es so, daß sich durch die um den Kopf gewickelte Binde möglicherweise ein Bild ergibt, daß einer würdigen Abschiednahme am Sterbebett etwas entgegensteht. Und dann können durch eine zu feste Bindung auch unerwünschte Abdrücke an Kinn und Wangen entstehen, die später nur äußerst schwer weg zu bekommen sind, wenn überhaupt.
Daß Abdrücke von einer Kinnbinde mit Strangulationsmerkmalen verwechselt werden könnten, ist ein Ammenmärchen und gehört in den Bereich der urbanen Legenden. Jeder Gerichtsmediziner, der solche Merkmale für Würgemale hält, sollte sich sofort sein Studiengeld zurückzahlen lassen und am besten kein kik als Verkäufer anfangen oder noch besser: Werbespots für kik drehen.
Damit es aber keine unerwünschten Abdrücke gibt, sollten folgende Hinweise beherzigt werden:
Kinn und Wangen, sowie die Schläfen sind mit etwas Watte abzupolstern, es dürfen sich keine Falten bilden, das Gesicht darf nicht verschoben werden. Eine ausgezogene, also nicht flexibel nachgebende Mull- oder sonstige Binde wird nun von Kinn vor den Ohren vorbei bis über den Kopf gelegt und über dem Kopf etwas stramm gezogen und verknotet.
Legt man mehrere Lagen der Binden um den Kopf, muss man darauf achten, dass die unteren Lagen wiederum ganz flach liegen und keine Falten werfen.

Dennoch: Diese Maßnahme kann die spätere Arbeit des Bestatters erleichtern, sie kann aber auch die Arbeit erschweren. Im besten Fall bleibt der Sarg sowieso zu und dann hat man sich durch die Binde jeden weiteren Mundverschluss gespart und alles ist gut, denn etwaige Abdrücke der Bindung stören ja auch niemanden.
Im ungünstigsten Fall kommt es aber zu Druckflecken, nicht entfernbaren Falten und einer ungewollten Schiefstellung des Mundes.

Zu berücksichtigen ist auch stets das Einsetzen des Gebisses. Das sollte möglichst vor dem Binden erfolgen, damit die Mundpartie ein natürliches Aussehen hat.

Keinesfalls sollten Angehörige selbst den Mund mit Sekundenkleber verschließen oder ähnliche Experimente durchführen! Eventuell später notwendig werdende Arbeiten am Mund (Schminken, Mundfüllung, Einsetzen des Gebisses etc.) werden dadurch erschwert).

Wenn keine Aufbahrung gewünscht wird, reicht eine Kinnstütze, finde ich.
Hat man es mit einem vorversorgten Toten zu tun, der eine Mullbinde trug, so probiert man, ob es ohne Maßnahmen oder in Ergänzung mit der Kinnstütze (von denen es auch viele Ausführungen gibt) geht.

Die anderen Methoden werden nach Bedarf angewandt und gehören eher zu den Maßnahmen, bei denen es reicht, daß man weiß, daß es so etwas grundsätzlich gibt, man aber als Angehöriger im Einzelfall Näheres nicht wissen muss.
Die Menschen neigen dazu, solche Themen zu dramatisieren und entwickeln dann ganz viele Gedanken dazu.
Deshalb finde ich es besser, dieses Fachwissen hier zwar zu teilen, aber im Einzelfall den Angehörigen nicht im Einzelnen auf die Nase zu binden.
Letztendlich wollen die Leute eine „schöne Leiche“ und um die hin zu bekommen, bedarf es vieler Kunstgriffe, die sie nicht alle kennen müssen, finde ich.

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