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Olugulade -22-

„Sie haben ja nun mal gar keine Ahnung!“ keifte mich die Birnbaumer-Nüsselschweif an, während Daniel zu meiner Frau lief.
„Wissen Sie was Sie sind?“ fragte ich die Birnbaumer und sie schnitt mir das Wort ab: „Ja, ich bin die Einzige, die hier Verantwortung übernimmt und Flagge zeigt. Das alles hier dient ja einem höheren Ziel, wovon Sie ja offensichtlich überhaupt keine Ahnung haben. Wissen Sie eigentlich, wieviele Menschen jeden Tag in Afrika sterben?“

„Sie sind so eine impertinente Hohldommel, Sie linksgedrehte Knopfleiste, Sie!“ rief ich und fuchtelte ihr mit den Händen vor dem Gesicht herum. Später sagte Sandy mir, es habe ausgesehen, als ob ich der Nüsselbirne den Hals umdrehen wollte. Und ja, innerhalb von Sekunden standen wenigstens zehn Leute um uns herum, während ich von der Birnbaumer nichts anderes wissen wollte, als was ihr denn einfiele, so einen Zinnober zu veranstalten, während wir alle darauf warten, endlich die Beisetzung der Urne durchführen zu können.
Den Leute war es egal, um was es ging, Hauptsache da war was los.

Und natürlich kam auch das grün-weiße Auto unserer Ordnungshut, fuhr erst einmal vorbei, drehte dann an der Einfahrt zum Pfarrhaus und blieb auf dem Kirchplatz stehen. Langsam und umständlich ihre Mütze aufsetzend, so als täten sie das zum ersten Mal und nicht Dutzende von Malen jeden Tag, näherten sich die Beamten und wenn ich ehrlich bin, ihre Gesichter sprachen Bände, Bände leerer Seiten…

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Wer denn verantwortlich sei für diesen Menschenauflauf, wollten sie wissen und dann deutete einer auf Frau Brüsselschweifs Plakat: „Wem gehört das Ding denn da? Es hat Beschwerden gegeben, Sie dürfen hier doch vor der Kirche nicht einfach einen Infostand aufbauen.“

Ich war viel zu aufgeregt und in mir lief ein Film ab, in dem ich mir vorstellte, was man mit der Dicken alles anstellen könnte und auf welche Weise man sie möglichst schmerzhaft ins Jenseits befördern könnte. Da bekam das Wort ‚Menschenauflauf‘ eine ganz andere Bedeutung und auf einmal hatte ich ein Bild vor Augen, das mir heute noch, wenn ich mal daran denke, noch ein Lachen entlockt. Die Nüsselschweif nackt auf einem Riesentablett, Petersilie in den Ohren, einen Apfel im dampfenden Maul und rund um die Hüften einen schönen Berg Kartoffelpüree…

„Was gibt es denn da zu lachen?“ wollte der andere Beamte wissen, der sich offensichtlich von mir verscheißert fühlte. Nur mit Mühe gelang es meiner Frau, ihn davon zu überzeugen, daß ich ihn nicht gemeint haben könnte und daß wir jetzt alle zu einer Beerdigung müßten.
Jussip nickte heftig, schürzte die Lippen und sagte „Amen!“

„Also alle, die jetzt hier mit der Demonstration nichts zu tun haben, verschwinden jetzt hier!“

Man glaubt nicht, wie schnell wir, mitsamt Daniel, im Auto saßen und wegfuhren. Zurück blieben die Nüsselschweif, zwei leere Bände und zwei Handvoll Neugieriger.
Vor uns lag die Beisetzung der Urne des Herrn Olugulade.

Gemeinsam liefen wir zum Friedhof. Vornweg meine Frau, Pastor Brentzinger und ich, dahinter Frau Olugulade mit den beiden Kindern und daran schloss sich die kleine Trauergesellschaft an. Der Weg ist nicht weit und der Friedhofswärter sah uns schon kommen. Er hatte sich inzwischen für eine Kombination aus grauer Uniformhose und grüner Arbeitsjacke entschieden und bis wir bei ihm waren, hatte er sich einen grauen Kittel übergezogen und seine amtliche Schirmmütze aufgesetzt. Die Urne mit der Asche des Verstorbenen hielt er unter dem Arm, als würde er ein Ferkel zu Markte tragen.
Ich schaute ihn an, zog die Augenbrauen hoch und gab ihm ein kleines Zeichen. Wenigstens etwas gab er sich dann Mühe und drückte die Urne nunmehr mit beiden Händen vor die Brust. Wir warteten noch einen kleinen Moment, bis sich der alte Herr Pastor umgezogen hatte. Er war kürzlich pensioniert worden und blieb nur noch einige Monate in unserer Gemeinde, dann zog er zu seiner Schwester aufs Land.
Schon vor Tagen hatte er von sich aus angefragt, ob er die Urnenbeisetzung übernehmen solle und den ganzen Vormittag auf unseren Anruf gewartet. Jetzt war er schon etwas schläfrig, aber guter Dinge.

Der Friedhofsverwalter ging mit der Urne vor der Brust neben Pfarrer Brentzinger vor uns her und wir anderen folgten ihnen. Der Weg bis zum Grab an der Mauer war nicht sehr lang, aber der Friedhofswärter bog zweimal unnötig ab, dadurch standen wir dann aber alle schön in Reih‘ und Glied, als die kurze Zeremonie begann.

Wir vom Bestattungshaus hielten uns im Hintergrund, am Grab standen die wenigen Leute, die gekommen waren und der Pfarrer betete, sprach der Familie in einer kurzen Ansprache Trost aus und dann kam der Moment, in dem der Friedhofsverwalter die Urne in das kleine Loch gleiten ließ.
Frau Olugulade schluchzte auf und die Frauen neben ihr hatten ihre liebe Mühe, sie etwas zu beruhigen. Daniel stand da und drehte verlegen sein Nelkensträußchen in den Händen. Ich trat vor, gab ihm einen kleinen Stupser und nickte in Richtung Grab. Er verstand es, ging die paar Schritte, schaute neugierig in das Loch und dann legte er die Nelken daneben.

Das war sie, die Urnenbeisetzung des Herrn Olugulade, schmucklos, kurz und kalt, wäre da nicht Jussip gewesen.
Er begann erst zu summen, dann sang er mit voller tiefer Stimme ein Lied in einer Sprache, die ich nicht kenne. Langsam, ergriffen und mit geschlossenen Augen sang er Strophe um Strophe. Im wahrsten Sinne des Wortes war außer dem Gesang nur Totenstille.
Als er fertig war, wischten sich alle ein paar Tränen aus den Augen.

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