Wie werden Verstorbene eigentlich gekühlt? Werden sie eingefroren? Und was passiert mit ihnen dabei?
Diese Fragen beschäftigen mehrere Fragesteller. Eine Anfrage habe ich herausgepickt. Es ist die von Franziska:
Sehr geehrter Herr Wilhelm,
Seit vielen Jahren schon lese ich Ihren Blog mit großem Interesse und habe auch schon vieles daraus gelernt. Nun ist mir neulich eine Frage zur Kühlung von Verstorbenen gekommen, für die ich bisher noch keine sinnvolle Antwort finden konnte, die mich aber seitdem nicht ganz loslässt.
Verstorbene werden ja gekühlt (bei welcher genauen Temperatur eigentlich?), um den Verwesungsprozess hinauszuzögern. Nun sind ja auch bei kühleren Temperaturen diese Prozesse noch nicht ganz gestoppt, die Selbstzersetzung vermutlich sowieso nicht, aber auch Bakterien und andere Mikroorganismen können ja durchaus noch aktiv sein. Dabei ist mir nicht klar, ob z.B. die gleichen Prozesse und Mikroorganismen einfach weniger aktiv sind, oder ob sich dann zunächst solche durchsetzen, die mit den niedrigen Temperaturen besser zurecht kommen.
Meine Frage ist also: Vergehen gekühlte Verstorbene genau so wie ungekühlte, nur eben langsamer? Oder unterscheidet sich der Zersetzungsprozess, läuft anders ab?
Ich denke mir, dass der Prozess sowieso bei jedem Verstorbenen etwas anders verläuft, je nach Vorgeschichte, Medikation, individuellem Mikrobiom und Physiologie, aber vielleicht gibt es ja eine erkennbare Tendenz über die Zeit Ihrer Erfahrung als Bestatter.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir eine Antwort auf diese, wohl sehr spezielle, Frage geben könnten!
Viele Grüße, und vielen Dank für die geduldige Beantwortung aller möglichen Leserfragen im Blog!
Franziska
Du hast mit allem, das Du vermutest, völlig recht.
Grundsätzlich ist ein Verstorbener ab dem Zeitpunkt seines Todes der Verwesung und Zersetzung ausgesetzt.
Diese beginnt langsam, aber recht unmittelbar nach dem Stillstand des Kreislaufs.
Vereinfacht kann man sagen, daß unser Körper von Milliarden von Bakterien besiedelt ist, innen wie außen.
Solange wir leben, ist unser Vitalsystem in der Lage, mit diesen Mikroorganismen in Koexistenz zu leben.
Teilweise benötigen wir diese auch zum Leben, teilweise dulden wir sie einfach.
Daß sie Schäden verursachen können, sieht man, wenn man an einer oberflächlichen Hautverletzung eine Entzündung bekommt. Hierfür sind u.U. genau die Bakterien verantwortlich, die sonst vom Körper in Schach gehalten werden.
Sie nutzen aber auch jede Schwäche, hier beispielsweise eine Verletzung oder eine Schwächung des Immunsystems usw. schamlos aus.
Stirbt ein Mensch, kann sein Körper nicht mehr gegen diese Bakterien ankommen. Sie beginnen den Körper von innen heraus zu zersetzen.
Vor allem, weil unser Körper noch sämtliche Flüssigkeiten und den Damrinhalt enthält, haben sie recht leichtes Spiel.
Wie bei jedem anderen Fleisch auch, kann die Tätigkeit der Organismen verlangsamt werden, wenn man den Körper kühl lagert.
Der Zersetzungsprozess geht trotzdem weiter, aber eben sehr verlangsamt.
Bestatter lagern die Verstorbenen bei 4-8°C (Plusgrade). Es ist also in etwa die gleiche Temperatur wie im heimischen Kühlschrank.
Auf diese Weise gekühlt kann ein Verstorbener sagen wir bis max. 14 Tage aufbewahrt werden.
Wie lange er „frisch“ bleibt hängt aber, genau wie Du vermutest, von der persönlichen Konsistenz und der Krankengeschichte des Toten ab.
Ich persönlich habe festgestellt, daß magere Personen und solche, die kurz vor dem Tod intensiv Medikamente bekommen haben (insbesondere Chemotherapie), nicht so schnell vergehen, wie dickere Menschen.
Da die Zersetzung von innen heraus geschieht, ist äußerlich hiervon recht lange nichts zu sehen. Als erstes Merkmal würde man die zunehmende Geruchsentwicklung wahrnehmen können.
Das Ende der möglichen Aufbewahrungsdauer ist dann erreicht, wenn es zu einem verstärkten Flüssigkeitsaustritt aus dem Körper kommt.
Ein Einfrieren eines Leichnams ist bei Bestattern im Allgemeinen nicht üblich. Es wird aber in wichtigen Fällen, etwa in der Rechtsmedizin mitunter gemacht.
Auch in anderen Ländern ist ein Einfrieren üblich. Beispielsweise habe ich das in Kanada gesehen. Dort wurden Verstorbene, die im Winter verstarben, bis ins Frühjahr eingefroren, weil im Winter auf kleineren Friedhöfen aufgrund des gefrorenen Bodens keine Bestattungen möglich sind. Auf größeren Friedhöfen hingegen gibt es gasbetriebene Auftauhilfen für den Boden.
Das Einfrieren eines Verstorbenen verbietet sich im Bestatteralltag aus folgendem Grund:
Beim Einfrieren, so wie es uns möglich ist (in der Industrie kennt man das Schockgefrieren, das ist etwas anderes), entstehen in den Zellen aus der Zellflüssigkeit und aus der Flüssigkeit die sich im Gewebe frei befindet, nadelspitze Eiskristalle. Diese durchbohren ganz fein die Zellstruktur.
Wird der Körper dann wieder aufgetaut, verfällt er rasant. Bakterien und zerstörte Zellen führen zu einer schnell einfallenden Struktur und zu einem schnellen Flüssigkeitsaustritt.
Grundsätzlich verlangsamen die allermeisten hier in Rede stehenden Mikroorganismen ihre Tätigkeit bei Kälte.
Solche, die in einem kühlen Milieu besser zurecht kommen, gibt es auch, aber die sind so in der Minderzahl, daß eine Kühlung einen in diesem Sinne positiven Effekt hat.
Die Kühlung von Verstorbenen geschieht auf unterschiedliche Weise.
Auf vielen Friedhöfen gibt es gar keine Kühlaggregate. Dort verlässt man sich auf die Bauweise der Leichenzellen. Dicke Wände, kleine Fenster sollen Kühle bringen und halten.
Im Sommer kommt es aber dennoch zu Problemen.
Besser ist es, wenn eine Kühlanlage vorhanden ist. Bei modernen Leichenhallen ist das inzwischen Standard.
Wo sich das nicht lohnt, weil etwa in kleineren Ortschaften nicht so viele Verstorbene anfallen, gibt es auch kleinere Kühlzellen.
Diese werden auch von Bestattern genutzt.
Es gibt diese Kühlhäuser für zwei Verstorbene, für vier usw.
Eines der größten unterhält die Firma Grieneisen in Berlin, wo über hundert Verstorbene gelagert werden können.
Hierbei spielt es keine Rolle, ob das ein modular aufgebautes Kühlhaus oder ein mit Kühlaggregat ausgestatteter Raum ist.
Für ganz geringen Bedarf gibt es auch Lösungen, bei denen nur ein Sarg gekühlt wird.
Stichwort: Schneewittchensarg
Inzwischen werden aber auch Lösungen angeboten, bei denen der Verstorbene auf einem Kühlpad liegt.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Bakterien, verstorbene, verstorbenen
…da geht schon was mit „kaltstellen“. Als meine Schwiegermutter verstarb, musste eine Tochter „unbedingt“ in den schon „lange gebuchten“ Urlaub…
Das sie die Zusatzkosten (es handelte sich um eine Erdbestattung) für das etwa dreiwöchige Kaltstellen übernahm, konnte sie sich (leider) durchsetzen.
Ich als Bestatter kühle Verstorbene bei 2,2 Grad. Bei Bedarf, wie Insektenbefall, fortgeschrittene Autolyse und längerer Aufbewahrung können wir auch bei -5,5 Grad C tiefkühlen.
Ich merke, dass gerade Personen, die eine Chemotherapie bekommen haben, oder Cortison, trotz Kühlung bedeutend schneller „ein Düftchen“ entwickeln. Korpulente Verstorbene verhalten sich von der Duftentwicklung nicht anders, als deutlich schlankere Verstorbene.