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london

Ich sitze, die letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres genießend, vor einem Kaffeehaus und schlürfe gemütlich eine Brandbohnenheißschale.
Es gibt ja für einen Autor nichts Schöneres, als unbehelligt im Schutze einer Tageszeitung Leute zu beobachten, ihnen zuzuhören und dabei Ideen zu sammeln.
Der geschäftsführende Kaffeeausschenker ist, das sollte ich noch erwähnen, von englischer Herkunft und hat es auch nach 30 Jahres nicht geschafft, die deutsche Sprache auch nur halbwegs zu erlernen.
Das macht aber nichts, sein Breutish klingt sehr niedlich und seine tiefe Stimme und sein herzerfrischendes Lachen machen sprachliche Defizite wett.

Wie sich das aber für einen Elisabethanischen gehört, hat er seine Lokalität mit allerlei britischen Devotionalien geschmückt und so ist es kein Wunder, daß neben den Gedecken kleine, hübsche Servietten mit verschiedenen typisch englischen Motiven liegen.

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So weit, so gut, der Engländer kann aus dieser Geschichte verschwinden, er trägt zum weiteren Ablauf nichts bei.

Das tut allerdings Herr Muschugrusch. Ich weiß nicht, wie er wirklich heißt, aber der etwa 50jährige nimmt mit einem „Deffisch?“ einfach neben mir Platz, lupft kurz seine Schirmmütze und stellt sich offenbar vor, ich verstehe aber nur „Muschugrusch“.

Deffisch, däffisch oder därfisch, das ist die im hiesigen, etwas breitmäulig vorgetragenen weichen Dialekt die Entsprechung für „Darf ich?“.
Der Mann in der beigen Popelinejacke hat also offensichtlich die Absicht, neben mir sitzen zu bleiben. Auch so eine seltsame Angewohnheit der hiesigen Eingeborenen, die ihren kreisförmigen Stammbaum ja über Generationen hinweg vom Tabakbauern oder Flußfischer weiterentwickelt haben. Du betrittst eine Gaststätte, vielleicht noch in Begleitung deiner Allerliebsten oder eines Geschäftsfreundes. Du möchtest mit deinem Gegenüber ungestört sprechen, vielleicht sogar erotische Gespräche führen (wobei hier die Allerliebste eher in Frage kommt, als meine Geschäftsfreunde, aber man weiß ja nie …).
Deshalb wählst du einen Tisch aus, der abseits von den wenigen anderen Gästen liegt.
Nun kannst du langsam von zehn rückwärts zählen.
Du bist noch nicht bei drei angekommen, da betritt immer ein Eingeborener, manchmal auch im paarweisen Doppel, die Gaststätte. Und nach kurzem Umherschauen setzen sich diese Leute immer, aber wirklich immer genau an den Tisch, der deinem am nächsten liegt. Und diese Leute beginnen sich sofort zu unterhalten und zwar in einer Lautstärke, mit der sich ihre Vorfahren früher von Flußufer zu Flußufer verständigt haben.

Nun gut, Herr Muschugrusch kramt seinerseits auch eine Zeitung hervor, somit scheint er sich wenigstens nicht mit mir unterhalten zu wollen. Sein Glück und mein Glück. Ich kann nämlich auch unwirsch werden, aber sowas von!

Bei meiner zweiten Tasse des Braunaufgusses sehe ich Herr Muschugruschs Zeigefinger am rechten Rand meines Sichtfeldes. Dann tippt er mit diesem auf den Tisch und macht irgendwelche Geräusche. Es klingt wie „Gnasch kanasch musch musch“.
Ich nicke nur freundlich, nippe an meinem Kaffee und will weiterlesen.
Doch der Mann bringt sich in tödliche Gefahr, als er mich am Ärmel zupft.

„Do!“, sagt er und meint „da“. Dabei deutet er auf die Serviette mit Londoner Motiven.
Ich nicke und quäle mir die Entgegnung „Nett, nicht wahr?“ hervor.
Er freut sich, daß ich mich in so üppiger Weise gesprächsbereit zeige, grinst und meint: „Des do, des is’ London, do isses schää!“, dann strahlt er mich nickend an.
Aha, er findet also London schön.
Nur weil es vielleicht sowieso die letzten Worte sein würden, die der Störenfried in seinem Leben noch hören würde, entgegne ich: „Ja, London ist sehr schön. Ich war schon zweimal da.“

Nun sagt er, nachdem er tief Luft geholt hat: „Isch war noch net do. Isch war überhaupt noch net in Amerika. Eines Tages will isch do ämol hi’. Do soll’s ja schää sein. Dann fahr isch nach London, New York und San Francisco. Wenn man schunn ämol in Amerika is’ donn soll man aach alles besuche‘.“

Ja, so ist Herr Muschugrusch dem Tod also noch einmal von der Schippe gesprungen und hat stattdessen Eingang in diese Geschichte gefunden.
Und was lernen wir daraus?

London ist nicht nur der Name einer öffentlichen Bedürfnisanstalt in Uppsala, sondern liegt auch in Amerika und zwar ganz oft.

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    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 1. Dezember 2015 | Revision: 11. Dezember 2015

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    Chris
    9 Jahre zuvor

    …da braucht er nicht nach Amerika zu fliegen – Kalifornien liegt in Holstein!

    Berlin und Augsburg sind ganz in der Nähe zu finden!

    Und wenn er von meiner Stadt München nicht genug kriegen kann – die gibt es noch zweimal mehr in Deutschland – einmal davon einen kurzen Spaziergang von Prag entfernt…

    SilkeKrümel
    Reply to  Chris
    9 Jahre zuvor

    . . . und in Nordfriesland auf Eiderstedt ist sogar die ganze „Welt“ zu finden . . . da muss man dann auch nicht mehr herumreisen@Chris:

    bickerdyke
    9 Jahre zuvor

    Das heisst „Derffisch?“! Mit „r“. Macht ohne doch überhaupt keinen Sinn, sondern kann man allenfalls mit dem „Debbisch“ verwechseln, der aber normalerweise auf dem Boden liegt.

    Leo
    Reply to  bickerdyke
    9 Jahre zuvor

    @bickerdyke:
    Also weeschd, isch bin koi Monnemer, aber ich möchte meinen, dass dort dieses „r“ ganz schön weich und halbverschluckt daherkommt, man es ergo eigentlich gar nicht schreiben „darf“..;o)))
    (ich find Monnemerisch toll!)

    LG, die Leo.

    bickerdyke
    Reply to  Leo
    9 Jahre zuvor

    @Leo:
    Stimmt. es wird auch nicht wirklich ausgesprochen, aber es sorgt dafür, das aus dem „e“ mehr so ein „ä“ wird. „Däfisch?“

    Mad Scientist
    Reply to  Leo
    9 Jahre zuvor

    @Leo: Das „r“ wird vokalisiert, also mehr zum „a“ hin ausgesprochen. So ungefähr wie „deaffisch“.

    Des iss schun richtisch so, do in der Kurpalz schwetze mir halt so. Dodefür sinn mir a einzischartisch, also mehr einzisch wie artisch. Odder halt blos oannerschter.

    bickerdyke
    Reply to  Mad Scientist
    9 Jahre zuvor

    @Mad Scientist: Ach, wir „vokalisieren“? Garned gwussd dass mir des kaenne.

    Mad Scientist
    Reply to  bickerdyke
    9 Jahre zuvor

    @bickerdyke: Des muss mer noch net emol @bickerdyke: net lerne, des macht mer audomadisch. Awwer es is doch schäh, wenn mer wees, was mer do macht.

    http://www.duden.de/rechtschreibung/vokalisieren

    Hajo
    Reply to  Mad Scientist
    9 Jahre zuvor

    @Mad Scientist: wenn wir schon mal beim Ausscheiden kleiner getrockneter Früchte sind:
    muss es nicht eher „dodefer“ heissen (wobei ich mir – als Frankfurter (natürlich dem richtigen Frankfurt, dem am Main 😉 ) – nicht so sicher bin, ob es ein „e“, eher ein „ö“ oder gar ein sehr weich gesprochenes „ä“ ist).
    Ich habe den Dialekt immer genossen, da ich ihn überwiegend verstehen konnte
    … im Gegensatz zu der Mundart, die einige Kilometer südöstlich Mannheims gesprochen wird 😀

    Leo
    Reply to  Hajo
    9 Jahre zuvor

    @Hajo:
    Vielleicht können wir uns auf folgendes einigen:
    Dialekte lassen sich nur bedingt bis gar nicht schriftlich – öh, welches Wort jetzt? – darstellen? Zumindest wer den Dialekt beherrscht findet sowas immer komisch..;o)

    Grüße von einer die schwätzt unn ned babbld..;o))

    P.S.: Badenerin, nicht Schwäbin

    Hajo
    Reply to  Leo
    9 Jahre zuvor

    @Leo: einverstanden!
    aber: „Badenerin, nicht Schwäbin“, dann bist Du jedenfalls eine Ausnahme in einem Bundesland, in dem die Menschen alles können
    .. ausser Hochdeutsch 😀
    Grüsse zurück!
    Hajo

    Leo
    Reply to  Hajo
    9 Jahre zuvor

    @Hajo:
    Hat jemand behauptet, ich könnte Hochdeutsch??? *g*

    LG, Leo.

    Hajo
    Reply to  Leo
    9 Jahre zuvor

    @Leo: aber Du schreibst zumindest recht „verständlich“ 😀
    Herzliche Grüsse in den Süden
    Hajo

    Hajo
    Reply to  Peter Wilhelm
    9 Jahre zuvor

    @Peter Wilhelm: Aber lieber Peter, es will Dir doch keiner „an die unteren Extremitäten urinieren“ 😉
    Ist doch alles gut, so wie Du’s schreibst. Du hast einen sehr interessanten Schreibstil und die Interpretation von „Fremdsprachen“ ist Deine eigene Sache, in die Dir niemand reinreden darf (und sicherlich auch will).
    Liebe Grüsse
    Hajo

    Leo
    Reply to  Peter Wilhelm
    9 Jahre zuvor

    @Peter Wilhelm:
    Kann leider unten nicht antworten (kein Button da?!)…
    Egal, ich muss es tun – BEHARNT!!!!!! *ggg*
    Danke, der Tag wird doch noch irgendwie gut.

    Leogruß.

    Leo
    Reply to  Leo
    9 Jahre zuvor

    @Leo:

    Hmmm – es hat doch geklappt?
    Technik die begeistert, mir egal, wie’s funktioniert, hauptsach des duud.

    LG, Leo.

    Leo
    Reply to  Peter Wilhelm
    9 Jahre zuvor

    @Peter Wilhelm:
    Ich kannte mal jemanden aus Hochdeutschland, der war tottraurig,
    dass er nicht zum Dialekt fähig war..;o)))
    Aber machen wir uns nichts vor –
    es sterben immer mehr Dialekte und sogar ganze Sprachen aus.
    Das ist in der Tat traurig.
    (Naja, nicht für alle Dialekte und nicht für alle, die sie anhören müssen..;o)

    Grüßle! Leo.

    Hajo
    Reply to  Leo
    9 Jahre zuvor

    @Leo: Ich denke mal, es ist für jeden Dialekt traurig, wenn er aussterben sollte, sogar für so in Verruf geratene wie dem Sächsischen oder auch gewissen sütdeuteschen Mundarten 😉
    Bei mir habe ich bemerkt, dass ich mich recht leicht anpassen kann, d.h., wenn ich irgendwo auf einer Baustelle bin, passe ich mich (zumindest in Ansätzen) dem dort gebräuchlichen Sprachgebrauch an.
    Bei ausländischen Kunden jedoch ist ein halbwegs vorhandenes Hochdeutsch doch eher hilfreich.
    Übrigens: das gilt nicht unbedingt in anderen Ländern, so hatte ich z.G. auf den beiden Europa vorgelagerten Inseln ganz andere Erfahrungen gesammelt. Andere Länder, andere Sitten.

    twincats
    9 Jahre zuvor

    Das erinnert mich soan:
    Mailand oder Madrid, egal, Hauptsache Italien!
    (O-Ton Andreas Möller, ehemals Fußballprofi, zu seinen Wechselabsichten)

    twl
    9 Jahre zuvor

    Vor einigen Jahren wurde das Pfälzerische mal, noch vor Sächsisch, zum „unerrotischsten Dialekt“ gewählt. Zu Recht. 😀
    Monnemerisch finde ich als (zumindest für den Nichteingeweihten) Anwandlung davon ebenso attraktiv- gar nicht… Und ja, für die Pfälzer klingen die hessischen Dialekte vermutlich kein Stück besser. So ist es halt.

    melancholia
    9 Jahre zuvor
    A scheene Leich
    Reply to  melancholia
    9 Jahre zuvor

    @melancholia: Auch ein Venedig gibt es in Kärnten, wenn auch ein Kleines!

    Bina
    9 Jahre zuvor

    A propos heißen:
    Die englischen Königinnen – sowohl die erste als auch die zweite dieser Art – hießen Elizabeth.
    Dementsprechend heißt es nicht „Elisabethanisch“, sondern „Elizabethanisch“.
    Rein historisch ist damit übrigens die Epoche der ersten dieser beiden Königinnen gemeint.




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