Geschichten

Ein Ei im Glas bitte!

Ein Ei im Glas das stellte für mich immer das Höchstmaß an Dekadenz dar.
Tante Brigitta hat sich so etwas im Café oder im Hotel gerne bestellt, um ihre Weltläufigkeit zu beweisen.
Eier im Glas, nun, das sind bestenfalls weichgekochte Eier, die von der Schale befreit und mit einem Löffel in einem Trinkglas serviert werden. Variationen gibt es da unzählige.
Der Vorteil: Die feinen Herrschaften müssen sich nicht mit der Gewissensfrage auseinandersetzen, ob man das Ei nun mit einem gezielten Messerhieb köpft oder ob man minutenlang darauf herumklopft, um dann die Schalenfragmente mit den Fingern von der Kuppe abzuklauben. Ich bevorzuge ja die barbarische, aber schnell und elegante Köpfung.

Nun gab das Hotel, in dem wir über Pfingsten waren, so allerlei her. Das Frühstück war richtig gut und dieses Hotel war eines der wenigen, die wirklich auch wachsweiche Eier anboten, woanders bekommt man meist nur hartgekochte Staubeier.

Ob man denn auch Eier im Glas haben könne, wollte eine dickliche Endfünfzigerin wissen. Nun, das gehöre zwar nicht zum üblichen Angebot, aber selbstverständlich könne man ihr diesen Wunsch erfüllen.
Wenig später trug der Oberkellner die zwei wachsweichen Eier im Glas herbei und stellte noch ein Schüsselchen mit gehacktem Schnittlauch daneben. Guten Appetit!

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„Ja, wie? Da ist ja keine Schale mehr drum!“

„Sie wollten doch zwei Eier im Glas, die sind dann geschält.“

„Dann war doch aber einer mit den Fingern dran!“

„Ja, unser Küchenchef. Aber bei uns ist alles ganz sauber.“

„Nee, so will ich die nicht, ich will die mit Schale.“

„Vorne am Büfett finden Sie hartgekochte und weiche Eier, nehmen Sie sich einfach so viele Sie möchten.“

„Auch im Glas?“

„Selbstverständlich, meinetwegen auch gerne im Glas; wir haben aber auch Eierbecher.“

Ich habe dann zunächst die Endfünfzigerin aus den Augen verloren, weil sich ein Mann in Riemenlatschen und einem Homer-Simpson-Fan-Hemdchen an der Kaffeemaschine zu schaffen machte.
Man bekam den Kaffee an den Tisch gebracht, allerdings konnte man sich, wenn man wollte, auch selbst Cappuccino, Latte Macchiato oder Espresso usw. vollautomatisch zubereiten lassen.
Der Latschensimpson drückt zuerst die Taste für „großen Milchkaffee mit Milchschaum“, schaut dann zu, wie die Maschine Kaffee mahlt, zischt und blubbert und erst als sie anfängt Kaffee und Milchschaum auszugeben, kommt der Tünnes auf die Idee eine Espressotasse unter zu stellen. Eine von den ganz winzigen Espressotassen …
Das Überlaufende nahm die Maschine unten auf, kein Problem. Der Sandalist schiebt die übervolle Espressotasse beiseite, drückt wieder auf „großer Milchkaffee“ und stellt sogleich zwei (!) Espressotassen bereit. Es sind ja auch zwei Düsen an der Maschine und unter jeder steht nun eine Winzlingstasse.
Die eine füllt sich mit Milchschaum, die andere mit Kaffee und beide laufen gemeinsam über. Nein, nicht zum Feind, sondern in das Auffanggefäß unterhalb des Gitters.
Genug?
Nein!
Der Typ wiederholt den Vorgang! Ihm ist aufgegangen, daß auf der einen Seite Schaum und auf der anderen Seite Kaffee aus dem Apparat kommt. Also Taste drücken, zwei Winztassen unterstellen, nachdem sie halbvoll sind schnell die beiden Tassen umwechseln und siehe da, in beiden landet etwas Milchkaffee und etwas Schaum.
Als die Tassen nun voll sind, nimmt er sie einfach weg und läßt die Maschine noch weiterlaufen. Der Behälter unter dem Auslaufgitter ist voll, die Milchplörre läuft auf den Boden.
Das hindert den Tassenvergewaltiger aber nicht daran, durch die Michkaffeelache am Boden zu stiefeln und noch ein paar Zuckerstückchen und zwei Löffel zu holen.

Ich wende mich wieder der Eiertante zu.
Sie hat sich nun zwei wachsweiche Eier mit Schale in einem Cola-Glas geholt. Sie tut den vorhin dargereichten Schnittlauch ins Glas, dann nimmt sie einen langen Saftlöffel und zerstößt die Eierschalen, Eier und das Schnittlauch zu einer weiß-gelb-grünen Pampe, die aussieht wie frisch geschissener Albatroskackdreck.

Gerade will ich fasziniert zuschauen, wie die Frau das Ei mit Schale und Schnittlauch ißt, da fällt mein Blick auf einen Engländer in grünkariertem Hemd und rotkarierter Hose, der sich vom Joghurt etwas nehmen will.
Es gibt Joghurt, Joghurt mit Zucker, Quark, Vanillequark und zahlreiche andere Varianten.
Sprachlos sehe ich, wie er aus jeder Schüssel einen Löffel voll in seine Schale baggert und dann den Löffel in den Mund steckt, abschleckt und völlig selbstverständlich wieder in die Schüssel mit der Speise steckt. Das macht er bei jeder Schüssel, die Frau hinter der Theke, eine Asiatin, sieht das, sagt etwas auf schlechtem Deutsch zu ihm, doch er versteht es nicht; sie wiederholt es auf Englisch, doch da hat er sich schon abgewandt und geht zu seinem Platz.
Flinke Hände tauschen den gesamten Joghurt und Quark aus. Dieses Mal gibt es Soßenkellen dazu, die sind zu groß, um in einen Mund zu passen.

Die Eierfrau schnattert und plappert mit russischem Akzent mit ihrer Reisebegleiterin. Tatsächlich, sie schaufelt das Glas mitsamt den Eierschalen leer. Vielleicht leidet sie an Kalkmangel?

Der Latschenkasper ist wieder da. Er will Eiswasser. Das Eiswasser gibt es, wie die anderen Getränke auch, in einem Krug. Es schwimmen Eiswürfel darin und auf die hat es der Latschige abgesehen.
Jedoch verhindern der Ausgießer und der umgebogene Rand des Kruges, daß die Eiswürfel ins Glas gelangen. Das ist Absicht, so wird in anderen Krügen das oben schwimmende Obst festgehalten. Obst gibt es ja sonst genug, das im Krug dient zur Aufhübschung und eventuell noch ein wenig zur Geschmackverbesserung.
Na gut, wenn die Eiswürfel nicht ins Latschenglas wollen, dann reckt man seine Hand nach oben, macht eine ganz spitze Hand, sodaß die ganze Hand in den Krug mit dem Eiswasser passt; dann nimmt man sich einfach eine Handvoll und befördert das Eis eben mit der Hand ins eigene Glas.
Gewaschen sind die Finger dann auch gleich.

Mit stoischer Gelassenheit wischt eine Asiatin Kaffee und Wasser vom Boden auf und der Oberkellner tauscht das Eiswasser aus.

Und ich gebe mir soviel Mühe, nicht aufzufallen und mich zu benehmen …

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(©si)