Branche/Kommune

12 Leichen auf kriminellen Abwegen

Es sei ja angeblich ein im Ehrenkodex der Branche fest verankertes Gebot der Pietät, in einem Bestattungsfahrzeug nicht mehr als vier Personen zu transportieren, werden manche Großkopferten der Bestattungsbranche jetzt meinen.
Jetzt, das ist der Zeitpunkt an dem im nahe Berlin gelegenen Hoppegarten in einem Gewerbegebiet mehrere Mercedes-Sprinter-Transporter gestohlen und wohl nach Polen gebracht worden sind, wovon einer Särge mit zwölf Leichen enthielt.
Die sollten in Meißen eingeäschert werden, wodurch der Bestatter an jeder Einäscherung „satte“ 29 Euro gespart hätte. 29 Euro bei jeder Leiche, das sind bei zwölf Leichen schon 348 Euro, da lohnen sogar die 200 Kilometer Fahrt nach Meißen.

Nur, ist das pietätlos? Müssen sich die Bestatter, die dort einäschern lassen, den Vorwurf gefallen lassen, sie seien „geizig“ oder „geldgeil“, wie es jetzt zu lesen war?

Wo fängt denn bitteschön die Pietätlosigkeit an? Wenn man nur einen Toten im Wagen fährt, dann ist das pietätvoll. Sind es zwei, dann ist das auch noch okay. Sind es vier, denn so viele passen in bessere Bestattungswagen größerer Bauart bequem hinein, ist das auch noch pietätvoll.

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Wenn es sechs oder acht sind, denn auch dafür bieten die Hersteller entsprechende Bestattungswagen an, dann wäre das ja auch noch pietätvoll. Aber warum sind dann 12 Leichen auf einmal so einen Aufreger wert?
Da fahren LKWs mit 40 Leichen und mehr regelmäßig für die Pietät Eichenlaub ins Ausland um dort einäschern zu lassen.

Die für Bestatter geltende Richtlinie DIN EN 15017 schreibt:

„In Form, Farbe und Erscheinungsbild muß das Transportmittel dem allgemeinen Pietätsempfinden entsprechen. Es muß sich um ein Transportmittel handeln, das speziell für den Zweck der Überführung von Verstorbenen hergerichtet ist. Mit einem Bestattungskraftwagen wird in der Regel nur ein Sarg befördert.“

Was denn also nun? Nur ein Sarg? Und ist ein weißer Sprinter-Lieferwagen ein Fahrzeug, das in Farbe, Form und Erscheinungsbild den allgemeinen Pietätsempfinden entspricht?

Den jetzt so viel beschworenen Ehrenkodex gibt es schlicht und ergreifend nicht! Das würde ja voraussetzen, daß Bestatter ein gemeinsames Vorgehen irgendwie verabredet hätten und sich auf die Einhaltung bestimmter Dinge geeinigt hätten, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Da gönnt der eine dem anderen das Schwarze unterm Fingernagel nicht und es tobt ein Preiskampf in den Großstädten, der nur eines zum Ziel hat, die Kleinen kaputt zu machen und den lukrativen 2-Millarden-Markt auf möglichst wenige Großanbieter zu konzentrieren!

Ich würde mich bei diesen Betrachtungen und der Bewertung, ob das nun pietätvoll ist oder nicht, nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Es sind nicht die Bestatter, die kleine Familienbetriebe unterhalten und sich auf diese Weise eine goldene Nase verdienen wollen (an 29 Euro!), sondern es sind dies die großen Bestatter, die aufgrund der hohen Sterbefallzahlen, die sie bearbeiten, auch aus einer Einzelmarge von 29 Euro (abzüglich den Kosten für das jetzt bestohlene Transportunternehmen) eine sich übers Jahr rechnende Gesamtmarge machen können. Und es sind auch die Bestatter, die mit den vermeintlich so niedrigen Angeboten im Internet um Kunden buhlen.

Es ist auch müßig, jetzt das arme alte Mütterlein und die Hartz-IV-Empfänger als vermeintliche Opfer herbei zu zitieren. Die Konzerne, die massenhaft Leichen durch die ganze Republik kutschieren und um 29 Euro oder weniger schachern, die machen keinen Unterschied zwischen dem toten Opa vom Hartz-IV-Empfänger aus Marzahn und dem Herrn Kommerzienrat aus der Postdamer Vorstadtvilla. Es zählt die Masse, die Menge und nicht das Einzelschicksal.
Wo bleibt eigentlich der Respekt vor dem toten Menschen?

Ehrenkodex! Wenn ich das schon lese! So ein Hirnbrei!

Leid tut es mir für die zwölf Familien, die jetzt ihre Trauerfeiern und Beerdigungen absagen und verschieben müssen, weil das Objekt des Bestattens, nämlich die Leiche, geklaut worden ist.
Den Dieben kann man nur raten, den betreffenden Wagen einfach irgendwo abzustellen und anonym die Polizei zu verständigen, damit dieses grauenvolle Ereignis endlich einen würdevollen Abschluss finden kann.

Bild: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Communards_in_their_Coffins.jpg

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