Frau Schäfer kam zu uns, um ihren Mann bestatten zu lassen. Eine einfache Frau und eine sehr liebenswürdige Kundin, die sich gerne und dankbar in unsere Hände begab.
Nun komme ich aus dem an Westfalen grenzenden letzten Zipfel des Rheinlands und spreche ein leicht gefärbtes Hochdeutsch1.
In den letzten 32 Jahren habe ich es gelernt, auch so zu sprechen, wie die Hiesigen es tun und vor allem ist es mir geglückt insofern einen erweiterten Zugang zum hiesigen Dialekt zu finden, als daß ich sogar meine Frau, die Allerliebste, allmählich (verbal) zu verstehen beginne.
Die frischgebackene Witwe zeichnete sich durch einen besonders heftigen Gebrauch des hiesigen Dialekts aus. Es ist dies ein badisch-kurpfälzischer Mischmasch, in dem -je nach Herkunftsort- auch schon mal nasale Klänge des Hessischen untergemischt sein können. Wie dem auch sei, das Geschwätz der Alten offenbarte sich mir nur als ein gekauderwelschtes Haschu-Muschu-Kannschu-Gebabbel.
Und wie redselig sie war! Offenbar fehlte ihr der verstorbene „Schorsch“ als Entgegennehmer ihres andauernden Wortschwalls und so hatte sie mich ins Visier genommen, um mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Ohren vollzumuscheln.
„Awwa wärklisch, hasch musch misch am mosch kapoll sie, odda?“
Mein ganzes Innerstes war jedesmal kurz davor, einfach „Hä?“ zu rufen, aber die mir innewohnende Höflichkeit und der Respekt vor dem Alter ließen daraus ein artiges, verstehendes Nicken werden. Wenn ich antwortete, dann unverbindlich oder mit ebenfalls unverständlichen mehrsilbigen Wortimitationen. Das reichte ihr als Antwort und schon feuerte sie die nächste Salve „Haschu muschu ämol als kanschu“ hinterher.
„Chef“, sagte Sandy zu mir, „Die Frau ist ja auch vor allem deshalb so schwer zu verstehen, weil die unten keine Zähne drin hat.“
Manchmal, aber wirklich nur manchmal, wenn ich schon von des Tages Plag’ und Müh’ ziemlich ermattet und von dem sowieso latent um mich schwirrenden Geschwätz meiner weiblichen Angestellten in Gehirnatrophie befindlich war, ja dann gelang es irgendeiner Windung im untersten fischigen Teil meines Stammhirns aus den Geräuschen der Frau Schäfer auch etwas Sinnhaftes zu entschlüsseln.
So bekam ich mit, als sie mir erzählte, wie sparsam sie doch sei. Ich gebe es so gut es geht auf Hochdeutsch wieder.
„Ei, wann isch bade will, dann muß ich den Kohleboiler im Bad anheize’. des is ja so viel Arbeit! Und wann ich dann heiß’ Wasser hab, ja dann weich ich da zuerst mei’ Wäsch’ ein. Und weil da ja dann schon Waschpulver drin ist im Wasser, tu ich anschließend in dem Wasser noch ausgiebig baden. Ja und dann, dann schwenk ich mit dem Wasser noch den Flur raus, denn putze’ muß ich ja auch einmal die Woch.
Aber den Rest vom Wasser tu ich auch nicht fort, da spül ich noch die ganze Woche das Klo mit runter.“
Jau.
Nun hatten wir den verstorbenen Gatten der Frau Schäfer, der an den anstrengenden Unterhaltungen mit seiner Witwe aus verständlichen Gründen nicht teilnehmen konnte, worüber er vielleicht sogar ganz froh war, was wir aber nicht abschließend wissen können, in einem unserer Kühlräume aufgebahrt.
Zwei Tage lang waren dem Hingeblichenen die Verbalattacken seiner Frau erspart geblieben, dann endlich hatte sie sich ein Herz gefasst und verkündete, nun ihrem „Schorsch“ den abschließenden letzten Besuch zuteil werden zu lassen.
Ich hatte wieder nichts davon verstanden, interpretierte aber einfach mal fröhlich drauf los und schien ihren Willen doch richtig aufgefasst zu haben.
Eine gute Viertelstunde blieb Frau Schäfer völlig ungestört bei ihrem Gatten, dann kam sie aus der Aufbahrungskabine heraus, lächelte mich an, schob mit der Hand ihren Unterkiefer zurecht und meinte, diesmal sogar verständlich: „Heb isch es doch gewusst, dass der Schorsch wieder mei’ Zähne im Maul gehabt hat!“
1 Wie man so sagt.
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Wie stell ich jetzt bloss mein Kopfkino wieder ab…?
@Klabauterin: das hab ich mich eben auch gefragt *schüttel
WÄÄÄÄÄÄHHHH *schüttelundgrins
@Klabauterin: Ich frage mich das auch…
Beim letzten Absatz sind mir vor lauter Lachen fast die Zähne aus dem Maul gefallen. 🙂
…vorher schnell am Ärmel abgeputzt und rein damit…..bähhh…
Als stolzer, seit gestern 79 jähriger Vollprothesenträger, habe ich aufs Ende gehofft…
Gewiehert habe ich aber trotzdem, als es endlich kam.
Nein – heraus gefallen sind mir meine Beißerchen dennoch dabei nicht.
Um diese Uhrzeit waren sie nämlich, wie jeden Abend, längst in Ihrem Nachtbad.
@Kenntkeinenschmerz: Daff muffte if jepft wirkliff nift wiffen!
Sag ich doch, dass es kein Leichengift gibt…..
Die hemdsärmelige Art kann man doch irgendwie bewundern…
Die wichtigste Frage:
Wer hat denn damals deinen Außenspiegel bezahlt, den die Drehleiter abgerissen hat? 😀
Ansonsten bin ich immer wieder fasziniert davon, wie sehr einen das Leben abbrühen kann.
Ob ich im Alter auch so eiskalt die Zähne aus dem Mund meiner verstorbenen Gattin nehmen und mir selber ins Kaugebälk schieben werde?
@Bernd das Brot: Ja sicher werden Sie das, Vollprothesen sind teuer….
@Rita-Eva Neeser:
Ich glaube auch nicht ernsthaft, dass ich damit ein Problem hätte. Speichel werde ich zu diesem Zeitpunkt hoffentlich eh schon genug mit ihr ausgetauscht haben.
Aber zum gegenwertigen Zeitpunkt kann ich’s mir irgendwie nicht so recht vorstellen 😀
@Bernd das Brot: Den Spiegel hat die Gemeindeverwaltung bezahlt. Mir wurde erklärt, dass solche Fahrzeuge, wie auch viele Busse und Bahnen gar nicht explizit versichert seien, sondern die anfallenden Schäden aus dem großen Topf bezahlt werden.
@Bernd das Brot:
Naja, wenn man ein Großteil seines Lebens mit jemandem verbringt (50 Jahre und mehr) kommt man garantiert mit vielen Körperflüssigkeiten des anderen in Berührung, nicht nur mit Speichel. Da dürfte die Hemmschwelle beim Lebenspartner deutlich niedriger sein, als natürlich bei fremden Menschen. @Peter Wilhelm:
@Peter Wilhelm:
Hast im Endeffekt also einen Teil deiner Steuern wiederbekommen. Auch gut 🙂
Was für eine amüsante und doch anrührende Gescchichte.
Werden Gebisse nicht vom Bestatter entfernt? Im Boden will man die Dinger ja sicher nicht haben.
@Name (benötigt): Nein, sie werden sogar eingesetzt und wo keines vorhanden ist, wird ein sogenannter Mundfüller, ein entsprechendes Kunststoffteil, als Ersatz eingesetzt. Gerade bei der offenen Aufbahrung möchte man nicht, daß die Mundpartie stark eingefallen wirkt.
Durch die Erschlaffung auch der Gesichtsmuskulatur sieht der Verstorbene ohnehin befremdlich aus. Viele Menschen haben sie niemals, auch ihren Angehörigen gegenüber, ohne ihr Gebiß gezeigt. So würde ein fehlendes Gebiss ein stark verändertes Aussehen bewirken und die Angehörigen verstören.
Zwar wird ein Gebiß kaum in Erdreich vergehen, jedoch stellt es auch keine Umweltbelastung dar. Etwas, das für den Zweck geschaffen wurde, von Menschen im Mund getragen zu werden dürfte weitestgehend bodenunschädlich sein. Von jedem Verstorbenen bleibt auch nach langer Liegezeit in der Erde ein gewisser „unverdaulicher“ Rest übrig. Dafür sind Friedhöfe da.
@Peter Wilhelm:
Das kann ich so bestätigen. Kunststoffgebisse buddelt man nach 30 Jahren aus und die Dinger sehen aus als wären sie neu. Theoretisch könnte man die sofort wieder verwenden.
Wir haben die allerdings immer wieder brav vergraben, ausser sie hatten Wertstoffanhaftungen. 😉
Unwerbig sei an der Stelle auf die drei Filmchen der Sparkasse auf Youtube verwiesen: Verstehen ist einfach. (In der Suche „sparkasse verstehen“ eingeben). Sehr unterhaltsam.
https://youtu.be/akDHE2vxHyk
https://youtu.be/Mnx38iHP63c
https://youtu.be/kFtFla4SIBg
Eine Unterhaltung der beiden zu Lebzeiten stelle ich mir etwas….umständlich…vor. 😮
Aber es sprach ja wohl auch da nur sie…
@DL2MCD:
Das ist doch in jeder Ehe nach mehr oder weniger vielen Jahren so 😉
@DL2MCD:
Er wird doch wahrscheinlich auch eigene Zähne gehabt und dazu geneigt haben, beide zu verwechseln =)
ist das geil!!!!
https://youtu.be/RtU7WOdfH8M
War das die Frau Zehnbauer?
@MSG:
Ach ja, die Frau Zehnbauer https://www.youtube.com/watch?v=HJwsmTqzTvs
Wat hebb wi lacht 🙂
Da darf das hier auch nicht fehlen: https://www.youtube.com/watch?v=aoqORos_1WA