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Aachen

Aachen liegt in Nordrhein-Westfalen, Punkt. Davon lasse ich mich nicht abbringen.

Frau Tzschürtschnitz kommt heute gegen Mittag mit ihrer Tochter zu uns, um einen Todesfall zu melden und uns den Bestattungsauftrag zu erteilen.
Verstorben ist ihr Sohn im Alter von 39 Jahren. Der liegt also jetzt im Krankenhaus in der Kühlkammer und soll bestattet werden. Kein Problem.
Sie sucht einen Sarg aus, eine Urne und wir gehen zu den Formalitäten über. Ich frage nach dem Familienstand, sie antwortet: „Nee, verheiratet war der nicht.“

„Ihr Sohn war also ledig.“

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„Nee, nee, bloß nicht verheiratet.“

Ich kreuze ‚ledig‘ an und frage: „Wo ist Ihr Sohn denn geboren worden?“

Frau Tzschürtschnitz antwortet wie aus der Pistole geschossen: „In Aachen.“

Ich will das gerade schon aufschreiben, da meldet sich die Tochter zu Wort und legt Protest ein: „Mutti, das kann doch gar nicht sein.“

Es entspinnt sich ein nicht enden wollender Dialog zwischen den beiden Frauen, der ungefähr folgende Tatsachen zum Inhalt hat:
Die Familie stammt aus der DDR, ist 1991 in den Westen gekommen und war vorher nie im Westen. Dennoch behauptet die Mutter, ihr Sohn sei in Aachen auf die Welt gekommen. Darüber geht es bestimmt 15 Minuten hin und her und schließlich mische ich mich ein und sage: „Aber Aachen liegt doch gar nicht in der DDR.“

Frau Tzschürtschnitz fährt herum, funkelt mich aus ihren wasserblauen Augen an, macht einen spöttischen Mund und sagt: „Damals gab es ja auch noch keine Postleitzahlen.“

„Was wollen Sie mir damit denn jetzt sagen“, frage ich und sie zuckt mit den Achseln und sagt: „Auf jeden Fall isser da geboren.“

Also schaue ich mal ins Ortsbuch, werfe einen Blick ins Internet und finde meine Vermutung bestätigt, es gibt auch keine Stadt mit ähnlichem Namen in der DDR und Frau Tzschürtschnitz nickt nur und meint: „Mit Doppel-A.“

„Ja, waren Sie denn irgendwann mal in Aachen, vorzugsweise am Tag der Geburt Ihres Sohnes?“ will ich wissen und Frau Tzschürtschnitz sagt: „Ja, wie denn sonst?“

„Mutti, der Heiko ist doch nicht in Aachen geboren“, beschwert sich die Tochter wieder, doch ihre Mutter fährt ihr über den Mund: „Woher willst Du das denn wissen, Du bist jünger und warst auch nicht dabei, so!“

„Also“, sage ich und lege sehr viel Geduld in meine Stimme: „Sie waren noch nie aus der DDR fort, Ihren Sohn haben Sie aber selbst in Aachen geboren, der ist nicht angenommen oder adoptiert, oder sowas.“

„Genau, in Aachen, da habe ich ihn selbst auf die Welt gebracht, 1970.“

„Gibt es denn eine Geburtsurkunde? Die haben Sie doch bestimmt.“

„Nein, die hammwer nüscht“, sagt Frau Tzschürtschnitz, verschränkt die Arme vor der Brust und macht einen Schmollmund, dann sagt sie: „Wenn ich gewusst hätte, wie man hier behandelt wird, so von oben herab….“

„Aber das stimmt doch gar nicht, Mutti, der Mann ist doch sehr nett.“

„Ja, nett isser, aber der weiß nicht wo Aachen liegt und Postleitzahlen hatten wir keine, erst später.“

Ich sage: „Ich brauche ja auch nicht die Postleitzahl, sondern den Ort. Aber warten Sie mal, ich rufe jetzt mal beim Einwohnermeldeamt an und frage nach, die wissen das.“

„Wooooher wollen diiiiiie das denn wissen?“

„Die führen doch Meldelisten und da steht mit Sicherheit auch der Geburtsort.“

„Nee, also das wird mir jetzt zu bunt, das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen“, sagt Frau Tzschürtschnitz und will aufstehen, ihre Tochter drückt sie aber auf den Stuhl zurück und nickt mir zu. Also rufe ich bei der Stadtverwaltung an und bekomme die Auskunft, daß der Sohn in Kirchheim im Ilm-Kreis (Thüringen) geboren wurde.

Schmollend nimmt die Frau das zur Kenntnis und zieht es vor, im weiteren Verlauf nur noch sehr einsilbig zu reden, ihre Tochter gibt die weiteren benötigten Auskünfte.

Muß ich das jetzt verstehen?

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#aachen

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