Menschen

Adenauer aus England

Herr Dr. Rainer Flax ist tot.
Der war noch gar nicht so alt und daß er krank gewesen wäre, davon hat man auch nie etwas gehört.
Beim Drachenfliegen am vergangenen Wochenende soll er während eines Fluges einen schweren Infarkt erlitten haben, der Flugapparat sei aber in absolut gerade Linie mit dem toten Doktor im Geschirr bis auf einen Acker in einer benachbarten Ortschaft geglitten.

Über Funk hätten ihn Freunde zu erreichen versucht, weil sie über die merkwürdige Flugbahn verwundert waren.
Als sie keine Antwort bekommen haben, sind sie dann losgefahren und haben nach ihrem Freund gesucht, ihn dann aber nur noch tot aufgefunden.

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Natürlich ermittelt da die Polizei, erst hieß es ja auch noch, der sei abgestürzt, aber auch ein arbeitsloser Arbeitsloser, der in der Nähe der Landungsstelle seine zwei handzahmen Kampfhunde spazieren geführt hatte, konnte bestätigen: „Der is ganz normal da gelandet, nur eben dann nicht aufgestanden und nich so mit den Füßen, mehr so auffem Bauch.“

Frau Lax bat mich zu sich, ein Besuch in unseren Räumen sei zu belastend für sie, am Ende seien da noch Särge zu sehen und das könne sie nun keinesfalls ertragen. Außerdem sollen während meines Besuchs noch zwei ihrer Kinder hinzustoßen, die kämen so in etwa drei bis vier Stunden.
Ja, was meint die, wie lange so eine Beratung dauert?

Zwei andere Kinder und ihre Ehepartner sind schon da, Frau Lax hat gar keine Zeit, sich um mich zu kümmern, sie sucht gerade aus einem Album ein Foto ihres Mannes heraus.

Sohn Oliver führt mich zu einem lächerlich kleinen Couchtischlein: „Sie setzen sich am Besten da hin, ich habe Ihnen schon mal einen Zettel hingelegt, so mit den wichtigsten Dingen.“

Ich setze mich und lese:

Konkordienkirche großes Hochamt
Ave Maria – Kinderchor!
Dr. Pleugers Orgel
Kutsche
Sargträger (12 Stück!!!)
Baldachine

Ich merke schon, das wird keine einfache Sache.

Sechs Pferde, unter dem geht es ja wohl gar nicht, schwarze natürlich, am besten Rappen oder noch besser ganz schwarze… Und eine Bergmannskapelle muß „Ich hat einen Kameraden“ spielen, in schwarzer Uniform, aber ganz schwarz.
Der große Adenauersarg muß es sein, in Eiche, ganz schwer, schwarz muß er sein und innen rot ausgeschlagen, goldene Griffe muß er bekommen und gibt es sowas wie goldene Zierleisten, so ringsherum.
Nein, nein, Geld spielt keine Rolle, aber schwarz muß er sein, wie die Kapelle und die Pferde.

In der Trauerhalle soll jeder Trauergast nach vorne kommen und einen Satz aus dem Lieblingslyrikband des Verstorbenen vortragen. „Das müssen Sie alles organisieren, Sie wurden uns empfohlen, Sie haben doch einen schwarzen Wagen, oder?“

Wofür? Eben wollten die doch noch eine Leichenkutsche.

Ja, erst mit dem Wagen zur Kirche, dann den Sarg reintragen und von da mit der Kutsche zum Friedhof.

Das mit dem Sarg in der Kirche gehe nicht, das erlaube das Friedhofsamt nie, da hätten wir schneller eine Abmahnung an der Backe, als man gucken kann, sage ich…

„Kein Problem, ich rufe nachher den Bürgermeister an, der kommt ja sowieso zur Beerdigung, machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Brauchen wir noch irgendeine Genehmigung?“ sagt die Witwe und wendet sich wieder dem Katalog mit den Sargausstattungen zu.

So etwa 200 Leute würden da schon kommen, für alle müsse es Stühle am Grab geben. Dort müsse nämlich das Johannesevangelium vorgelesen werden, nein, nicht ein Kapitel, das ganze.

„Wegen der Bergpredigt, die mochte mein Mann so arg.“

„Die kommt aber im Matthäusevangelium vor“, wende ich so nebenbei mal ein und die ganze Familie schaut mich ob meiner offenkundigen Blödheit mit riesengroßen und schon fast mitleidigen Augen an. Wie kann der Typ bloß so doof sein, denken sie offenbar und ein Schwiegersohn meint mit einem gönnerhaften Unterton in der Stimme: „Überlassen Sie dieses Mal die Textauswahl ruhig uns, bei so alten Omas, da mögen Sie ja mit ihren Mitteln zurecht kommen, aber mein Schwiegervater war ja nunmal wer.“

Ich bleibe aber hartnäckig, denn hinterher müßte ich dann ausbaden: „Gut, was soll ich jetzt notieren, Johannesevangelium oder Bergpredigt?“

„Johannesevangelium! Also bloß nichts anderes! Nicht, daß Sie so eine anderen Bibel haben, wo die Bergpredigt dann irgendwie so in modernem Deutsch auch bei nem anderen steht. Wir wollen das Johannesevangelium und bei den Seligspeisungen (sic!) sollen die Leute dann aufstehen. Das müssen Sie alles organisieren.“

Wir machen ja beinahe alles möglich, aber ich wende vorsichtig und nicht ohne leisen Spott ein, daß das alles auf ein mehrstündiges Training mit Generalprobe hinausliefe.
Alle nicken und sind begeistert, ja genau, das wäre toll, so müsse das sein.

Es käme auch noch Dolores Mirwanda, eine argentinische Blumenkünstlerin, die eine Art Ausdruckstanz vor dem Sarg vollführen wolle, in dessen Verlauf sie bunte Blütenblätter vor dem Sarg auf dem Boden ausstreuen würde, die von oben betrachtet, das Antlitz des Verstorbenen wiedergeben würden, so eine Art Mosaik.

Wiederum habe ich was zu meckern und weise darauf hin, daß niemand es von oben sehen könne, die Leute sitzen sogar etwas tiefer als die vordere Ebene mit dem Sarg.

„Sie machen das schon, wir verlassen uns da ganz auf Sie!“

Jetzt wollen Sie doch lieber einen Oldtimer-Leichenwagen, so aus den 50ern. „Nachher kacken die Pferde noch auf die Straße und da muß die Kutsche mit meinem Mann dann durch die Pferdeäpfel fahren.“

„Nee, einer aus den sechziger Jahren und aus Amerika, noch besser aus England…“

Der Tag der Trauerfeier ist gekommen. Herr Dr. Flax liegt in einem schwarz lackierten, einfachen Kiefernsarg in der Trauerhalle des Westfriedhofs. Dolores Mirwanda streut kein Portrait aus Blumen, sondern der Friedhofsverwalter legt einen Kranz von der Ärztekammer vor den Sarg.
Statt Kutsche oder schwarzem Daimler steht nur unser Bestattungswagen in der Einfahrt und die schwarz gekleidete Bergmannskapelle aus dem Saarland ist in Form des 70jährigen Organisten Walter Tremm-Ohlo erschienen.

Kein großer kirchlicher Aufmarsch, nur der Stadtteilpfarrer, der das Johannesevangelium in drei oder vier Versen zitiert und ansonsten eine sehr schöne und persönliche Ansprache hält.

Alles ist anders gekommen und es hat wirklich nicht am Geld gelegen. Die Familie hat ganze drei Tage hin und her disponiert, die Zeit bis zur Trauerfeier wurde immer knapper, am Ende war keine Zeit mehr, um auch nur einen Wunsch der Familie zeitgerecht berücksichtigen zu können. Sie selbst hat dann einen Punkt nach dem anderen gestrichen.

Enttäuscht? Nein, die sind kein bißchen enttäuscht, es ist am Ende dann alles ganz genau so, wie sie es haben wollten, sie sind sogar hochzufrieden.

Viele Leute sind gekommen, wenn auch keine 200 Personen und schon gar kein Oberbürgermeister, aber ein paar Stadträte, ein paar von Dr. Flax‘ studentischer Verbindung und die ziehen am Grab blank und rufen irgendwas Lateinisches.
Nein, man muss sagen, daß es eine sehr schöne und würdevolle Beerdigung war.

Wozu das ganze Theater? Das fragt man sich manchmal wirklich.

Ein paar Tage später steht Frau Flax mit zweien ihrer Kinder bei uns im Bestattungshaus, bestellt eine Danksagunganzeige in der Zeitung und meint: „Besonders gut hat uns die Bergpredigt gefallen.“

Ja dann…

Selig die Armen im Geiste.


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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 12. Oktober 2010 | Revision: 15. Juni 2012

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Neuling
13 Jahre zuvor

Amen.

Kirstin
13 Jahre zuvor

Ich muss mein Mitleid auch hier einmal an dich ausdrücken lieber TOM. Was du manchmal so aushalten musstest schon..

lya
13 Jahre zuvor

Hatte Herr Flax zwei Frauen? Frau Lax und Frau Flax, der Chelm der pöse.

Ma Rode
13 Jahre zuvor

So eine Rübennase!

Rena
13 Jahre zuvor

Die haben einen an der Waffel. Gut, dass sie selbst die Punkte gestrichen haben. Nachher hätten sie noch an Tom rumgemeckert, weil irgendwas nicht so lief, wie sie es sich eingebildet haben.

13 Jahre zuvor

Hallo da draussen,

also bei dem Satz:

„ein paar von Dr. Flax‘ studentischer Verbindung und die ziehen am Grab blank und rufen irgendwas Lateinisches.“

bin ich fast vor Lachen unter den Tisch gerutscht. Ich und
meine dreckige Fantasie =:-).

Gruss Woody

Luzie-Fehr
13 Jahre zuvor

habt ihr nicht alle mal irgendwo geschrieben …
Jedem das SEINE! … ?! „Der Herr lasse Milde über uns walten und Gnade mit seinen Hinterbliebenen haben! (Geduld die, die mit dessen Ausführung betreut werden/wurden) …
So solls sein. Und ein Bestatter wie Herr Tom wäre nicht der, der er iss, würde er das nicht auch hinbekommen haben!
Ich habe auch „Sonderwünsche“ wenns mal soweit ist. Mein gottchen, solange der Ton mit der Musik übereinkommt, soll recht sein.
Grüße von L.

Garfield
13 Jahre zuvor

Nun ja, es gibt halt doch Wünsche, die man nicht erfüllen kann. Zum Beispiel eine Bergpredigt aus dem Johannesevangelium. 🙂

Stephen
13 Jahre zuvor

@Garfield: wie du gelesen hast, hat sogar die bergpredigt aus dem Johannesevangelium geklappt 🙂

Tim
13 Jahre zuvor

Irgendwie dachte ich nach dem ersten Teil: „…und dann ist Tom schreiend aufgewacht und alles war nur ein Alptraum!“

PS:
Schön, dass Du, lieber Tom, „seelig“ auch noch mit Doppel-E schreibst!

Tzosch
13 Jahre zuvor

Der 70jährige Organist Walter Tremm-Ohlo.
Ich schmeiss mich weg 😀

Smilla
13 Jahre zuvor

„Blank ziehen“ muss noch was andere bedeuten, als wie ich es kenne. 😉

Anonym
13 Jahre zuvor

@11 Gitarre?

gute Augen. :o)

idriel
13 Jahre zuvor

„die ziehen am Grab blank “
Na Sowas!

Zero the Hero
13 Jahre zuvor

Herzinfarkt beim Drachenfliegen: da hätte Mey mit „Über den Wolken“ als Beerdigungsmusik gepaßt;)

Tom, was waren eigentlich die skurrilsten Todesarten, die Dir in Deiner Laufbahn untergekommen sind?

kall
13 Jahre zuvor

Blankziehen kommt bei den schlagenden Alten Herren in beiden Bedeutungen vor, in der einen ehr zu früher Stunde, in der anderen eher später, wenn der Pegel hoch genug ist.

Athalfain
13 Jahre zuvor

Eine „schlagende Verbindung“ hat keine Knüppel in der Hand sondern Degen oder Rappiere etc.

Und derlei Waffen zieht man blank, also aus der Scheide heraus …

*Klugscheißmodus aus*

13 Jahre zuvor

Ich glaube, da kann man lernen, wie man mit Kunden umgeht. Werde die Vorgehensweise für meine nächste Hochzeitsfeierplanung berücksichtigen. 🙂

Norbert
13 Jahre zuvor

@Konni:

[quote]für meine nächste Hochzeitsfeierplanung[/quote]

Naja, wird schon gut gehen, offenbar kennst Du dich ja aus. Die wievielte ist es denn? 😉

Wolfram
13 Jahre zuvor

Hm. Wie gut, daß da kein alter Daimler oder sowas stand… womöglich hätte der einen Rostfleck gehabt…

Da hab ich heute übrigens festgestellt, als ich hinterm Leichenwagen über den Friedhof spazieren durfte (*hust* Rußfilter oder ne verlegte Abgasanlage wären da schon angebracht), daß der ’n briefmarkengroßen Rostpickel über dem Türgriff der Heckklappe hat. Da hier immer die Familie hinterm Sarglaster hertippelt (mir wärs ja piepe), sollte man m.E. auf sowas achten…

13 Jahre zuvor

@17 (Athalfain): Darum heißen die ja auch Blankwaffen.
*auch Klugscheißmodus aus*

kall
13 Jahre zuvor

@17
hat irgendjemand von Knüppeln geredet?

13 Jahre zuvor

Da muss ich doch mal den Germanistenknüppel ziehen:
„Selig“ hat man noch nie mit 2 e geschrieben. Noch nicht mal vor der Reform der Reform der Rechtschreibreform. Da hat schon immer eines gereicht zur Seligkeit…
Seelig ist übrigens auch nicht seliger als selig, und schon gar nicht seeliger als sehlig.
Selige Grüße!

Jimmy74
13 Jahre zuvor

Wenn ich mich bei meinen früheren Suchen nicht zu dumm angestellt habe, ist das erstaunlicher Weise der erste Beitrag in dem eine Studentenverbindung auftaucht. (Und erst mal danke Tom, dass Du nicht „Burschenschaft“ geschrieben hast!) Zur Begriffklärung in den Kommentaren: Das Ding heißt „Schläger“ – ja wirklich – oder auch „Speer“. Und wird aus der Scheide heraus blank gezogen. (Jetzt bitte je nach geistiger Nähe zur Pubertät ein wenig grinsen, heimlich kichern oder schmutzig lachen!). Den Schläger/Speer für „Repräsentationszwecke“ – wie Beerdigungen, Hochzeiten und Verbindungsfeierlichkeiten – nutzen übrigens auch viele nichtschlagende Verbindungen. Die Studenten, die auf die Art die letzte Ehre erweisen sind im vollen Wichs gekleidet (bitte hier wieder den Kommentar in der obigen Klammer beachten). Und als Mitgleid zweier Studentenverbindungen habe ich auf einigen Beerdigungen chargiert (das ist der Fachbegriff, tut mir leid, dass sich hier zumindest auf Anhieb keine sexuellen Assoziationen bilden lassen). Eine dieser Beerdigungen wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Durch Zufall erfuhren wir vom Tod eines Alten Herrn (das sind diejenigen, die das Studium hinter sich haben und die… Weiterlesen »

deloz
13 Jahre zuvor

[quote]Durch Zufall erfuhren wir vom Tod eines Alten Herrn [/quote]
Das muss ja ne sehr innige (oder doch seelige 😉 ) Freundschaft gewesen sein.
[quote]
Er war Demenzbedingt seit über einem Jahrzehnt nicht mehr bei uns, wir kannten ihn nicht persönlich
[/quote]
Da ist sie wieder, die lebenslange Freundschaft.
[quote] Was das Prinzip der lebenslangen Freundschaft, das wir uns geschworen haben, bedeutet.
[/quote]
So langsam wird vielleicht auch dem Autor klar, dass hier eine gewisse Dissonanz herrscht.

Sorry fürs Off-Topic.
Aber die Sätze musst ich einfach loswerden.

Markus K.
13 Jahre zuvor

@ 25: Daumen hoch und grins;-)

überhaupt nicht be-
13 Jahre zuvor

@24 und 25:

Nunja. Man kann die lebenslange Freundschaft so verstehen – oder rund um die Uhr heucheln. Bei ~200 AH ist das anders nicht möglich. ->FAIL.

Wir werden teilweise noch von Enkeln gefragt, ob sie sich „das Haus“ mal anschauen dürften, was eine Verbindung denn sei, bekommen Fotos und „Couleur“-Gegenstände. Oder Geschichten von 80-jährigen, die zufällig „adH“ vorbeischauen und den jungen Studenten erzählen.

Wer’s nicht kennt hat leicht reden. Hat aber auch keine Ahnung, wovon.

deloz
13 Jahre zuvor

[quote]Man kann die lebenslange Freundschaft so verstehen
[/quote]
„so verstehen“, soll heissen wenn man durch zufall vom tod erfährt „chargieren“?

Und zwischen „lebenslanger Freundschaft“ und „ein Jahrzehnt“ nicht gesehen. Liegen wohl noch ein paar Zwischenschritte.
Und „rund um die Uhr heucheln“ ist für mich weder das eine noch das andere, aber vllt. ist es die „lebenslange Freundschaft“ die den Mitgliedern vorschwebt.

„Teilweise“ fragen Enkel auch nach alten Nazi-Sachen.
Ob das deswegen gleich ne gute Sache ist sei dahingestellt.

Persönlich kenn ichs nicht.
Kenn aber einige die in einer Verbindung (sowohl schlagend als auch nicht) sind.
Und für mich ist es keine Option.




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