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Batmans Schwester

Da steht man im neunten Stock und bugsiert die Trage mit dem Verstorbenen möglichst würdevoll durch die viel zu enge Wohnungstüre. Auf dem Gang draußen stehen etwa fünfzehn Personen mit Zigaretten und Bierflaschen in den Händen und diskutieren über unsere Arbeit. Die wenigsten der Umstehenden dürften sich allerdings vom Begriff Arbeit jemals durch persönliche Anschauung ein Bild verschafft haben.

Wir bewahren Distanz und Würde, stören uns nicht weiter an den Leuten, auch wenn ich drei von ihnen mit meinem Kreuz beiseite schieben muß. Sie lassen das widerspruchslos geschehen.
Als wir endlich ganz auf dem Gang sind, wird hinter uns die Wohnungstür wieder geschlossen. Frau Reeder will nicht, daß die Nachbarn in die Wohnung schauen können – ist auch besser so.
Obwohl: Geschlossen ist hier ein nicht ganz zutreffender Ausdruck, Frau Reeder kann die Tür nur noch anlehnen und stellt von innen einen leeren Bierkasten davor, damit sie zu bleibt. Dieser Bierkasten dürfte im Übrigen, abgesehen vom üblichen Media-Markt-Gerümpel an Unterhaltungselektronik das wertvollste Einrichtungsstück in der ganzen Wohnung sein.

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Frau Reeder ist an die 45 Jahre alt und lebt in der Zweizimmerwohnung mit ihrer Tochter und deren Freund, sowie der sechsmonatigen Enkelin. Abzuholen war ein Freund der Familie, der hin und wieder dort übernachtete und dieses Mal dort verstorben ist. Das Herz.

Doch ein Umstand tritt ein, der uns mitsamt des verstorbenen Übernachtungsgastes wieder den Rückzug in die Reedersche Wohnung antreten läßt. Zwei Wohnungen weiter geht die Tür auf, eine volle Bierflasche klatscht an die Wand, schäumt sich klirrend zu Boden und es folgt ein kleiner, schwarzhaariger Mann in einem Tiger-Tanga. Wer zuerst die Bierflasche und dann das Männlein auf den Gang geworfen hat, zeigt sich wenige Sekunden später, es ist eine massige Frau von etwa 50 Jahren, deren üppige Brüste und Hüften nur sehr unzureichend von einem fast durchsichtigen, gelben Negligé verhüllt werden.
Im Grunde wird da gar nichts verhüllt, muß man sagen, denn eigentlich weht das Kleidungsstück mehr so am Halse hängend hinter der Frau her. Sie sieht ein wenig aus wie ein aufgeblasener, nackter Batman mit gelbem Cape.

„Du Wi***, Du impot*** Drecks***…“

Sie kreischt den Kleinen an und es ist ihrer Stimme anzuhören, daß sie eine ganze Menge getrunken haben muß. Der Kleine schiebt sich an der biernassen Wand hoch und tritt der Frau mal eben kurz in den adipösen Wulst, sie holt nur einmal kurz aus und haut dem Zwerg mit der flachen Hand von oben auf den Kopf, woraufhin der die Augen verdreht und nunmehr unter Ausnutzung der natürlichen Schmierkraft des Bieres wieder an der Wand herunterrutscht.

Die versammelte Nachbarschaft gröhlt, die Stimmung ist eindeutig auf der Seite von Batmans Schwester.

Wir gehen mit der Trage in die Wohnung zurück und beraten uns.

„Habt’er watt vergessen?“ will Frau Reeder wissen und ihr „Schwiegersohn“ ist inzwischen aus dem Koma erwacht, steht -sich am Gemächt kratzend- mit verstrubbelten Haaren da und will wissen, was wir bringen.

„Die tun nix bringen, die hol’n dem Willi.“

„Ach, is‘ der krank?“

„Nee, der is´kaputt.“

Vor uns im Gang die Elite des deutschen Sozialhilfeadels, hinter uns der Vorstand der Berufstrinker… Wohin?

Der Sackkratzer ist zu benebelt, um Bedeutung und Tragweite der Vokabel „kaputt“ zu begreifen und sagt nur: „Na, Hauptsache datt wird wieder…“ und verzieht sich wieder nach irgendwo.

Draußen auf dem Flur klatscht und klirrt es, vermutlich sind Zwerg und Batman in die zweite Runde gegangen, wir bleiben wo wir sind, schauen uns ratlos an und in dem Moment kommt der strubbelige Sackkratzer wieder, scheint inzwischen das Wort „kaputt“ kapiert zu haben, deutet auf die Trage mit dem abgedeckten Verstorbenen und fragt Frau Reeder: „Kann ich dann auf die Couch? Datt Melanie schnarcht so.“
Frau Reeder nickt, der Kratzer leckt sich die Lippen, grinst ein hilfloses Grinsen, ihm ist das alles zu hoch und legt sich, ohne sich zuzudecken, auf die Couch, auf der Minuten zuvor noch der tote Willi gelegen hat. Die Gummihandschuhe des längst verschwundenen Arztes und gewisse Eintrübungen auf der Couch stören ihn nicht.

Auf dem Gang ist es still geworden, wir wagen einen Blick – niemand mehr da, denen ist langweilig geworden nachdem der Zwerg und seine Batman-Frau wohl auch wieder in ihrer Wohnung verschwunden sind.
Langsam gehen wir in Richtung Aufzug, aus der Wohnung der Batman-Schwester hört man laute Liebesgeräusche, Versöhnung ist angesagt und uns schaudert es…

Der Aufzug macht „Kling“, die Tür geht auf, heraus kommt ein Mann in blauem Jogginganzug mit einer Plastiktüte in der Flaschen klirren. Er tritt etwas beiseite, guckt uns zu und meint: „Datt wollt‘ ich aber auch nich‘ machen.“

Wir machen das gerne.

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