„Machen Sie das noch mit den Hörgeräten?“, will Herr Schröder wissen. Ja, das mache ich noch. Seit ich vor etlichen Jahren selbst Hörgeräte bekam, habe ich angefangen, von überversorgten Deutschen nicht mehr benötigte Hörgeräte einzusammeln, um sie armen Menschen auf der ganzen Welt zur Verfügung zu stellen.
In manchen Wochen kommen über 100 Päckchen mit gebrauchten Hörsystemen hier an. Viele Schwerhörige haben etliche davon in der Schublade liegen, weil sie alle paar Jahre auf Kosten der Krankenkasse neue bekommen. Bei manchen ist der Träger auch verstorben und die Familie ist froh, dass die guten Stücke noch irgendwo eine Verwendung finden. Auf diese Weise habe ich schon Tausende von Geräten nach Afrika, Nepal, Gaza, Brasilien und viele andere arme Regionen weitergeben können.
„Ich bin ganz begeistert von Ihrer Aktion“, sagt Herr Schröder und nippt an seinem Espresso. „Ah“, denke ich, „daher weht der Wind!“. Der Mann hat auch Verbindungen in irgendein Land auf dieser Welt und möchte, dass ich auch seiner Hilfsaktion Hörgeräte zur Verfügung stelle.
Solche Menschen kommen immer mal wieder auf mich zu und ich bin froh darüber. Ich kann nicht mehr reisen und für die Hilfe vor Ort bin ich auf solche Organisationen angewiesen.
Doch ganz schnell wechselt er das Thema. „Mögen Sie Südamerika?“
Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll. Mehr noch als Afrika ist Südamerika für mich ein schwarzer Kontinent über den ich kaum wirklich etwas weiß. Doch ich muss auch gar nichts sagen. Der Mann im Tweed-Anzug macht eine wegwischende Handbewegung: „Kein Problem, ich lade Sie ein. Fliegen Sie mit mir nach Bogota. Ich zahle Ihnen alles, Flug, Unterkunft in einer atemberaubenden Villa und wir können auch zwei, drei Monate bleiben.“
„Bogota liegt in Kolumbien, nicht wahr? Was soll ich da?“
„Sie sollen gar nichts. Sie sollen sich entspannen, die herrliche Landschaft genießen, das glasklare Wasser, die schönen Strände und vor allem das herrliche Essen. Ihnen wird es an nichts fehlen.“
„Das hört sich prima an, aber weshalb wollen Sie das machen?“
„Das ist ganz einfach. Meine Aktion sammelt Herzschrittmacher. Und Sie sind ein exzellenter Branchenkenner mit hervorragenden Kontakten. Bestatter entnehmen doch den Verstorbenen immer die Herzschrittmacher und das ist doch eine ungeheure Verschwendung vor dem Herrn. Die Geräte haben oft noch eine Restlaufzeit von bis zu 10 Jahren und werden einfach entsorgt.“
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Natürlich könnten gebrauchte Herzschrittmacher in armen Regionen der Welt auch noch bedürftigen, kranken Menschen helfen. Aber es gibt da ein paar Aspekte, die ich Herrn Schröder sagen möchte. Doch ich komme nicht dazu. Er fährt fort: „Meine Kontaktpersonen legen sehr viel Wert auf Diskretion. Es geht darum, dass Sie Kontakt zu Bestattern aufnehmen und diese bitten, die entnommenen Herzschrittmacher für uns bereitzustellen. Ein Kurier würde sie noch am selben Tag abholen. Der Bestatter bekommt 1.000 Euro bar auf die Hand, ohne Fragen, ohne Probleme.“
„Und dann?“
„Die Geräte gehen sofort nach Kolumbien und werden dort nach intensiver Überprüfung einem herzkranken Menschen eingesetzt.“
„Aber die sind doch schon gebraucht und die Batterielebensdauer ist dann nur noch begrenzt.“
„Wissen Sie, wenn Sie einen Herzschrittmacher in der Brust haben, dessen Batterie in sagen wir etwa einem Jahr abläuft, dann ist es Ihnen egal, wo ein Ersatzgerät herstammt, was es kostet und ob es nur noch zwei, drei Jahre Laufzeit hat, Hauptsache man bleibt am Leben.“
„Und weshalb gehen die Betroffenen nicht einfach ins Krankenhaus?“
Herr Schröder ordert noch zwei Espresso und unterhält sich etwas umständlich mit dem Kellner über verschiedene Grappa-Sorten, dann erst wendet er sich wieder mir zu: „Sehen Sie, es gibt da Gründe.“
„Was für Gründe?“
„Nun sagen wir es mal so: Die betroffenen Herren konnten sich zwar vor einigen Jahren noch in den USA Herzschrittmacher einsetzen lassen, aber seitdem hat sich da einiges geändert.“
„Ich verstehe nicht ganz.“
„Nun denn, die Herren sind sozusagen keine Freunde der USA mehr und, äh, würden, äh, in den USA auf behördlichen Widerstand stoßen.“
„Um was geht es hier? Drogenbosse?“
„Ach, um Himmels willen, was sagen Sie denn da? Geschäftsleute, erfolgreiche Geschäftsleute. Männer, die sich in den USA Feinde gemacht haben und nun nicht mehr so ohne weiteres überall hinfliegen können.“
„Also doch Drogenbosse?“
„Nein. Diese Liga bedienen wir nicht, weil die so viel Geld haben, dass die sich Spezialisten aus den USA mitsamt neuer Herzschrittmacher einfliegen lassen können.“ Er macht eine Pause und beschreibt mit der flachen Hand eine waagerechte Bewegung in der Luft. „So eine Etage tiefer. Männer, und es handelt sich nur um Männer, die nicht zu den ganz großen gehören, die beim FBI auf der Liste stehen, die aber genug Gründe haben, in den USA und in anderen Ländern mit Problemen rechnen zu müssen. Außerdem sind sie herzkrank und können oft auch gar nicht mehr so beschwerliche Reisen unternehmen, Sie verstehen?“
Ich erkenne, welches unmoralische Angebot mir dieser feine Herr in seiner distinguierten Art gerade macht. Es scheint also in Kolumbien eine ganze Reihe von Männern mit Herzerkrankungen zu geben, die dringend auf funktionsfähige Herzschrittmacher angewiesen sind. Ihre vorhandenen Geräte laufen allmählich ab und müssen bald ausgetauscht werden. Auf dem herkömmlichen Weg kommen sie aber nicht an Ersatz und suchen deshalb nach Wegen, sich mit gebrauchten Geräten wenigstens ein paar Jahre erkaufen zu können.
Doch das Ganze hat einen Haken.
Tatsächlich mussten früher die Herzschrittmacher aus den Verstorbenen entnommen werden. Diese würden während der Kremation explodieren und es würden giftige Dämpfe freigesetzt.
Deshalb gehörte es zu den Aufgaben der Bestatter, die Herzschrittmacher mittels eines gekonnten kleinen Schnitts zu entnehmen. Viele haben da ja falsche Vorstellungen und glauben, die Geräte säßen tief im Körper am Herzen.
In Wirklichkeit sitzen Herzschrittmacher zumeist unterhalb des Schlüsselbeins vorne auf der Brust direkt unter der Haut. Die Geräte landen dann im Müll.
Doch das war einmal.
Mittlerweile kommen die Krematorien mit den Herzschrittmachern klar und sie werden nicht mehr entnommen. Sie werden mit eingeäschert und die Hitze zerstört sie komplett. Die Reste landen dann da, wo auch Nägel, Schrauben und andere Teile aus dem Körper des Verstorbenen landen. Laut höchstrichterlichem Urteil müssten die verschmorten Klumpen in der Urne landen, praktischer- und pragmatischerweise werden sie aber oft genug einfach weggeworfen.
Ich bin gerade dabei, diese Gedanken zu ordnen, da holt mich Herr Schröder in die Realität zurück: „Hier!“ Er hält einen Stapel 200-Euro-Scheine in der Hand. „Völlig unverbindlich, ohne Verpflichtung, für Ihre Unkosten.“
Ich weiß nicht, wie es Euch in einer solchen Situation gehen würde. Ich habe instinktiv zugegriffen und bin erstaunt, wie dick das Bündel ist. Heute schätze ich, dass es drei- bis viertausend Euro waren.
„Das ist für Ihre Unkosten, damit Sie darüber nachdenken und damit ich Ihr Interesse wachhalten kann. Sie können noch viel mehr davon bekommen, viel mehr!“
Mein Herz klopft und ich merke, wie mein eigener Herzschrittmacher, ich trage nämlich auch einen, einen Augenblick lang nicht mitkommt. Ich lege das Geld auf den Tisch und stelle das Gestell mit Essig und Öl als Beschwerung darauf.
„Hören Sie, Herr Schröder“, beginne ich und erzähle ihm alles, was es über Bestatter, Herzschrittmacher und Krematorien zu sagen gibt. Er zieht die Augenbrauen hoch. Manches scheint ihm neu zu sein.
Er überlegt kurz, schmunzelt und mit einem jovialen Unterton meint er etwas leiser: „Nun, das ist dann also nur eine Frage des Preises. Die Bestatter müssten also so viel bekommen, dass sie sich motiviert sehen, die Herzschrittmacher trotzdem zu entnehmen, bevor sie die Leichen ins Krematorium bringen.“
Ich schüttele den Kopf. „Sehen Sie, es ist eine Sache, einen aufgrund von Vorschriften entnommenen Herzschrittmacher nicht wegzuwerfen und beispielsweise an Sie weiterzugeben, oder einem Leichnam völlig ohne zwingenden Grund und entgegen dem Willen der Angehörigen Teile zu entnehmen. Das eine wäre vielleicht eine Art Veruntreuung und das andere ist Leichenschändung.“
„Sie sind doch ein gebildeter Mann mit philosophischem Abschluss. Ich hätte so etwas wie Skrupel oder moralisierende Bedenken bei Ihnen nicht erwartet. Sie sind doch ein Mann der Aufklärung, des Humanismus, jemand, der weiter denkt, als die übrige Bevölkerung.“
„Das sind keine moralisierenden Bedenken, sondern moralische.“
„Kommen Sie mit mir nach Bogota! Ich bin mir sicher, dass mein Partner, Señor Alvaro, Sie überzeugen kann. Sie werden eine so tolle Zeit haben. Nehmen Sie Ihre Frau mit! Ich kümmere mich um alles.“ Er nimmt die Stellage mit dem Essig und dem Öl von dem Geldstapel und schiebt ihn mir halb unter meine Serviette: „Wie dem auch sei, das gehört Ihnen, als kleine Anerkennung, dass Sie sich mit mir getroffen haben. Und es ist noch so viel mehr für Sie drin.“
Wenig später stehen wir auf dem Parkplatz des italienischen Restaurants und Herr Schröder lässt nicht locker. Doch meine Entscheidung ist längst gefallen, sie fiel schon, als er die Worte „erfolgreiche Geschäftsleute“ gesagt hatte.
Arme Menschen ohne Chancen, das sind die, denen ich helfen mag.
Ich verspreche ihm, über alles nachzudenken, wir schütteln uns die Hand, er bleibt sehr höflich und hat die Absicht, mich in den nächsten Tagen anzurufen.
Während ich ins Auto steige, sehe ich, wie er zum Tisch zurückkehrt und das Geld unter der Serviette an sich nimmt.
Er hat mich nicht angerufen.
Diese Geschichte hat sich 2018 exakt so zugetragen.
Episodenliste:
- herr-schoreder-2: Peter Wilhelm
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Herzschrittmacher, Kolumbien
Na vielleicht hat der Tweed Mann danach die Bestatterketten abgeklappert und ist auf mehr Interesse gestoßen, und dann gibts wieder Leute mit zu viel Schwarz-Bergeld in der Schublade.
Wenn du es nicht tust, tut es ein anderer…
Und können reiche Geschäftsleute nicht auch etwas länger leben?