Kryptowährungen, Luxusimmobilien, Aktien, Risikofonds, alles das soll man kaufen, um ganz schnell reich zu werden. Angepriesen wird das von angeblich selbst ganz reichen, meist ganz jungen Leuten, die in Dubai ein steuerfreies Leben in angeblichem Luxus führen und ihre Weisheiten über die sozialen Medien unters dumme Volk zu bringen versuchen.
Ich habe für so etwas kein Geld. Ich hatte nie Geld für irgendwelche Investments dieser Art, nie! Schon gar nicht für diese riskanten Spekulationsgeschäfte, wie sie einem ständig im Fernsehen oder auf dubiosen Webseiten angepriesen werden. Und dann war da dieser eine Versuch, damals, in den späten 1990er-Jahren, als es plötzlich möglich wurde, über den heimischen Computer selbst Aktien zu kaufen.
Die Allerliebste und ich hatten 980 DM im Lotto gewonnen. Ich spiele vielleicht zweimal im Jahr Lotto. Wenn ich beim Einkaufen mal wieder auf die Allerliebste warten muss, gehe ich gerne in diesen Tabak-Lotto-Zeitschriften-Laden. So kam es, dass ich zwei, drei Reihen ausfüllte und einen Schein abgab. Und tatsächlich haben wir die besagten 980 Mark damit gewonnen. „Ab auf die AIDA, ab in die Karibik!“, scherzte die Allerliebste. Ich sagte: „Für 980 Mark binden die uns einen Strick um den Hals und ziehen uns hinter dem Schiff her.“
Wir beschlossen, mit dem Geld ins ganz große Börsengeschäft einzusteigen. Also habe ich damals 1.000 D-Mark auf ein Aktienkonto bei einer Onlinebank überwiesen, einfach nur, um zu sehen, wie das funktioniert. Es war weniger der Gedanke an schnellen Reichtum – mir ging es mehr ums Ausprobieren, ums Lernen. Mein kleines Portfolio bestand aus ein paar Medizinprodukte-Aktien, einigen Pharmawerten und zum Testen auch ein paar billigsten Pennystocks. Es war eine aufregende Zeit. Ich schaute jeden Tag nach, wie sich meine Kurse entwickelten. Für mich war das ein Spiel, ein Experiment.
Dann kam Frau Hofmeier, eine ehemalige Nachbarin, mit einer Mischung aus gespielter Entrüstung und Begeisterung in mein Büro gestapft. Sie habe, wie sie mir eröffnete, eine satte Abfindung von ihrer Firma erhalten. „Und jetzt will ich mein Geld clever anlegen – vielleicht ja bei Ihnen!“ verkündete sie feierlich. „Wenn Sie sich doch so gut mit Aktien auskennen, dann könnten Sie doch meine 10.000 Mark für mich investieren.“
„Bei mir?“ Ich war fassungslos. „Ich habe doch überhaupt nichts mit sowas am Hut. Ich kenne mich da gar nicht aus. Ich habe ein paar Kleinanleger-Aktien, wie gesagt – ein paar hundert D-Mark, nicht mehr. Und selbst die schwanken täglich wild hin und her.“
Ich zitierte ihr sogar den legendären André Kostolany: „Aktien kauft man, dann schläft man 40 Jahre – und wenn man aufwacht, ist man reich.“ Aktien sind nichts für Hektiker, schon gar nicht für Menschen mit schwachen Nerven.
Aber Frau Hofmeier ließ nicht locker. Immer wieder kam sie vorbei, redete auf mich ein, tat, als sei ich ein Wall-Street-Guru. Schließlich, um Ruhe zu haben, willigte ich ein, 1.000 D-Mark für sie zu investieren – ich kaufte exakt dieselben Aktien, die ich selbst hatte. Damit war klar: keine Sonderbehandlung, keine Verantwortung, einfach dasselbe wie bei mir. Ich wollte fair bleiben und vor allem keinerlei Verantwortung übernehmen. Noch mehr aber war mir wichtig, keinen Ärger zu bekommen.
Doch was ich mir damit eingehandelt hatte! Kaum war das Geld investiert, standen sie und ihr Esoterik-Parfüm täglich in meinem Büro. „Wie stehen meine Aktien?“, fragte sie, und kramte Räucherstäbchen hervor, das den Raum in ein Duftinferno verwandelte. Währenddessen schmolz ihr restliches Vermögen. Das hatte sie nämlich auf Anraten eines Versicherungsvertreters bei einer Bochumer Bank angelegt. Doch eine verbundene Bank ging pleite oder so, und plötzlich war der Großteil ihrer Abfindung verschwunden.
Das führte natürlich dazu, dass sie nun ganz dringend ihre 1.000 Mark zurückhaben wollte.
Meine Frau, die Allerliebste, hatte mich längst gewarnt: „Du hast doch von Aktien gar keine Ahnung. Sichere Dich ab, damit man Dir nix am Zeug flicken kann! Mach nichts mit Geld, das bringt nur Ärger. Und wenn du’s schon machst, dann leg das Geld separat zurück, damit du’s ihr jederzeit wiedergeben kannst.“
Zum Glück hatte ich genau das getan. Ich hatte einen Umschlag mit 1.000 Mark im Tresor hinterlegt, mit Quittung. Als Frau Hofmeier eines Morgens erneut ins Büro stürmte und wütend ihre Einlage zurückverlangte, legte ich ihr den Umschlag kommentarlos auf den Tisch.
Sie starrte mich an: „Wie, Sie behalten Ihre Aktien? Sie holen Ihr Geld da nicht raus?“
„Nein. Ich halte mich an Kostolany. Ich warte. Vielleicht bin ich in 30 Jahren reich.“
„Dann will ich auch warten!“
„Frau Hofmeier, ich habe das nur für Sie gemacht, um Ihnen einen Gefallen zu tun, weil Sie so gedrängt haben. Ich hatte den Eindruck, dass Sie die 1.000 Mark übrig hatten. Ich wollte Ihnen nichts Böses. Aber bitte – nehmen Sie einfach Ihr Geld zurück. Dann sind wir beide frei. Ich habe von Anfang an keine Verantwortung übernommen. Sie haben mich gedrängt.“
„Ach, jetzt wollen Sie mich rausdrängen und sich heimlich die Gewinne einstecken! Meine schöne Abfindung! Sie sind Schuld, dass ich jetzt arm bin.“
Und damit sprach sie etwas aus, vor dem mich die Allerliebste mich auch schon gewarnt hatte: „Die hat über 80.000 Mark an diesen Versicherungsvertreter bezahlt, wahrscheinlich sogar über 100.000. Und die sind jetzt erstmal weg. Aber da kriegt sie niemanden zu fassen und deshalb musst Du jetzt für diese lumpigen 1.000 Mark als Sündenbock herhalten.“
„1.000 Mark sind nicht lumpig, das weiß Du genau.“
„Ja, Schatz, aber wir haben das Geld doch gewonnen und wir haben ein Bestattungsunternehmen und auch wenn wir nicht reich sind, sind jetzt 1.000 Mark nicht gerade ein Vermögen, sondern ein Betrag, den wir verschmerzen können. Du weißt, dass ich von Aktiengeschäften gar nichts halte. Aber wenn Du da mit 1.000 Mark Spielgeld was ausprobieren willst, dann mach das. Vielleicht kommt ja was dabei raus und wir können in die Karibik fliegen, ich mag nämlich gar keine Schiffe“. Sie lacht.
Ich sage zu Frau Hofmeier: „Was ich mache, ist mein Ding. Sie können doch zur Bank gehen, mit Ihrem Sohn reden, oder selbst investieren. Ich hatte nie vor, tägliche Kontrollbesuche inklusive Duftritualen in meinem Büro zu veranstalten.“
„Dann lassen wir das Geld jetzt drin. Ich will am Gewinn beteiligt werden.“
Ein Gutes hatte es: Sie kam fortan nur noch einmal die Woche vorbei. Die Aktien schwankten. Mal stand unser gemeinsames Portfolio bei 2.900 Mark, mal stürzte es auf 1.100 Mark ab – an einem besonders dunklen Tag sogar auf 790 Mark.
„Sie ruinieren mich!“, schrie Frau Hofmeier. „Ich verliere hier mein ganzes Vermögen! Sie haben mich betrogen!“
Ich versuchte es noch einmal mit Kostolany. Doch sie war außer sich. „Sie verkaufen jetzt SOFORT alles! Und zahlen mich aus!“
Mir reichte es! Ich hatte nur was ausprobieren wollen, für mich ganz persönlich. Und jetzt auf einmal beschimpfte und beschuldigte mich diese blöde Kuh, weil ich so doof gewesen bin, und sie habe mitmachen lassen. „Sie wissen, dass ich Ihnen vor Monaten das Geld zurückgeben wollte. Ich habe Sie nicht gebeten, mitzumachen. Ich wollte das nur ausprobieren.“
„Sie haben mich in Ihre windigen Geschäfte reingezogen. Jetzt ist Schluss. Ich will mein Geld. JETZT.“
Mir kam das gerade recht, ich war das Theater mit ihr leid. Blöderweise hatte ich die 1.000 Mark aus dem Tresor inzwischen anderweitig ausgegeben. In einem Tag könnte ich ihr das Geld aber geben, ich müsste es nur bei der Bank abheben. Das sagte ich ihr auch. Doch sie schüttelte energisch den Kopf: „Nix da, ich will mein Geld jetzt, sofort, gleich hier! Wir rechnen jetzt exakt ab, was auf dem Aktienkonto ist.“
Ich drückte auf Print und druckte ihr den aktuellen Kontoauszug aus: Stand heute: 790 Mark Gesamtwert. Ihr Anteil: knapp 395 Mark. Ich gab ihr 400 – großzügig aufgerundet – und sie bestand darauf, mir 10 Mark Wechselgeld in Einmarkstücken zu geben. „Sie haben mich ausgenommen wie eine Weihnachtsgans! Ich kann mir nicht mal mehr Butter leisten! Nur noch Margarine!“
„Sie sind doch Veganerin. Sie essen doch gar keine Butter.“
„Ich meine die vegane Demeter-Butter aus dem Alnatura-Laden!“
Während sie noch über Butter philosophiert, tippe ich ein paar Zeilen auf der Schreibmaschine. „Bitte unterschreiben. Wir sind dann quitt.“
„Was steht denn da?“
„Dass Sie mir 1.000 Mark für Aktienspekulationen gegeben haben, regelmäßig alles überwacht haben und sich aus freien Stücken jetzt beim Stand von 790,- Mark dazu entscheiden, die Hälfte ausgezahlt zu bekommen und wir damit quitt sind und damit alle Ansprüche erlöschen.“
Sie unterschreibt.
Seitdem erzählt sie überall, ich hätte sie aufs Schändlichste betrogen. Mein gesamter, angeblich opulenter Reichtum – den ich bis heute vergeblich suche – beruhe einzig und allein auf den 600 Mark, die sie durch Ungeduld verloren hat.
Ich selbst bin auch nicht mit Aktien reich geworden. Einige Jahre später wollte ich mir ein anderes Auto kaufen und mir fehlte noch ein bißchen Geld, da habe ich die Aktien für 1.000 Euro verkauft. Abzüglich Gebühren hatte ich dann gut 900 Euro. Nix gewonnen, nix verloren und dank Frau Hofmeier auch die Lust am Ganzen eingebüßt.
Frau Hofmeier hatte übrigens Glück gehabt. Irgendwann bekam sie ein Schreiben, aus dem hervorging, dass der Großteil ihrer Anlage bei dieser Bochumer Gesellschaft abgesichert gewesen ist und ihr bald überwiesen werden konnte.
Ich habe nie wieder was mit Aktien gemacht. Vor allem habe ich nie wieder aus Gefälligkeit mit irgendwem ein Geldgeschäft gemacht. Aus Schaden wird man klug.
Episodenliste:
- hofmeier: Peter Wilhelm KI
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Aktien, Kostolany
Nicht umsonst sagt man „Bei Geld hört die Freundschaft auf“.
Da hätte ich ja einen schriftlichen Vertrag aufgesetzt: Das Geld kriegt sie wieder, aber frühestens in 3-4 Jahren.
Da bin ich gerade gespannt, wie sich Tesla entwickelt. Keine grundlegend neuen Produkte seit etlichen Jahren (mal vom schlecht laufenden „Wankpanzer“ abgesehen), dafür ständige Ankündigungen… und die Aktie ist mit einem KGV von 62 massiv überbewertet.