Allgemein

Bei Pietät Eichenlaub

Im Altersheim

Mit einem Lieferwagen kommen der Fahrer von der Pietät Eichenlaub zum Altersheim. Er kommt am helllichten Tag, bremst scharf an der Hintertür und steigt aus. Er trägt Jeans, Turnschuhe und ein weißes T-Shirt mit dem Aufdruck „City Cracker“. In der Hand hält er ein Schreibbrett aus rotem Plastik und geht um den mittelgrauen Lieferwagen vom Typ Mercedes-Sprinter herum. Mit kraftvollen Bewegungen öffnet er die beiden Türen am Heck, sie fallen krachend in die Rasten und geben einen Blick auf das Wageninnere frei. sechs Abteile hat das Fahrzeug, drei davon sind mit Särgen bestückt und man kann deutlich die Zettel sehen, die angeben, wer in diesen Särgen liegt. In der unteren Etage liegt links auf einer Fahrtrage auch ein toter Mensch, eine Luke ist frei und aus der letzten zieht der Eichenlaub-Fahrer mit einem Handgriff krachend eine Fahrtrage hervor, die Räder klappen aus, er zieht sie hinter sich hier und lässt den offenen Wagen, mit dem Blick auf die bereits verladenen Toten einfach hinter sich.
Ein kleines Stück entfernt sitzen etwa zwei Dutzend Alte, die die warmen Sonnenstrahlen geniessen. Sie haben vollen Einblick in den offenen Lieferwagen.

Über eine Rampe kommt der Fahrer mit der Rolltrage in den Keller, das Schreibbrett liegt auf der Trage. Im Keller dieses Altenheims gibt es einen separaten Raum für die Toten. Zwei liegen da. Ein kurzer Blick auf die Totenpapiere genügt dem Mann um herauszufinden, wen er abholen muss. Geübt stellt er die Fahrtrage auf die richtige Höhe ein, dann greift er beherzt zu un mit einem kräftigen Ruck zieht der den Leichnam mitsamt dem Betttuch in das er eingewickelt ist auf die Fahrtrage.

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Wenig später schiebt der Fahrer die Trage wieder die Rampe hoch. Dann lässt er die Trage mitsamt dem Toten auf dem Hof stehen und geht noch schnell in die Verwaltung. Dort sucht er Schwester Monika, jene Schwester, die bei Eichenlaub angerufen hatte. Der drückt er in einem unbeobachteten Moment 100 Euro in die Hand, jenen Betrag, der mit ihr ausgehandelt wurde, wenn sie den Eichenlaubs mal wieder etwas zuschustert.
Die Familie der Verstorbenen weiß nichts davon, sie wohnen weit entfernt und kommen wahrscheinlich nicht so schnell dazu, einen Bestatter zu finden. Haben die Eichenlaubs aber erst einmal eine Tote geholt, sagen sie: „Ja wir wurden vom Heim gerufen.“, dann bekommen sie auch meistens den Auftrag.

Danach schiebt er die Verstorbene mit der Trage in den Wagen, wirft krachend die beiden Türen zu und wer es aus der Ferne betrachtet hat, könnte meinen, ein Paketdienst sei dagewesen. Die Alten, die näher dabei sitzen, sind entsetzt.

In der Zwischenzeit im Büro des Bestattungshauses

Die Angehörigen haben vom Heim erfahren, daß ihre verstorbene Tante bei der „Pietät Eichenlaub“ ist. Da sie von außerhalb sind und sich nicht auskennen, hatten sie sich zuerst im Telefonbuch einen anderen Bestatter herausgesucht, aber wenn die Tante schon mal bei Eichenlaub liegt, warum nicht?

Der Berater der Firma Eichenlaub, Herr Schubert, trägt einen schwarzen Anzug und hält die ganze Zeit den Kopf etwas schief. Schon als die Angehörigen, auch schon ein älteres Ehepaar, das Beratungsbüro betreten, hält er lange ihre Hände und wünscht überschwenglich „Beileid, Sie glauben ja gar nicht, wie sehr uns der schwere Verlust, den sie erlitten haben, getroffen hat, wir fühlen mit Ihnen.“

Die Leute, das Ehepaar Schmidt, sind etwas irritiert, hat der Mann die Tante etwa gekannt? Der Anblick der Särge beeindruckt sie und lässt sie still werden. Doch der nette Herr Schubert von der Pietät Eichenlaub kommt gleich zur Sache. Er folgt dem Blick der Frau, erkennt, dass sie einen Hauch länger auf einen Eichensarg geschaut hat und nimmt die Fährte sofort auf: „Das ist der König unter den Särgen“. Während er das sagt, klopft er mit der flachen Hand auf den Sarg. Herr Schmidt sucht nach einem Preisschild, er findet keins. Nur kleine Zettelchen mit den Typenbezeichnungen. K113 heisst der König unter den Särgen. Vorsichtig fragt er: „Was würde der denn kosten?“

Herr Schubert sagt: „Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Sie wollen doch bestimmt, dass der Sarg dem würdigen Anlass entspricht, oder?“

„Schon“, sagt Herr Schmidt, „aber es soll auch nicht zu teuer werden. Unsere Tante war nicht sehr vermögend, wir haben nur eine kleine Rente und das Heim hat sowieso alles aufgefressen.“

Unterdessen hat Frau Schmidt die Gelegenheit genutzt und sich einen Sarg herausgesucht, ein schmaler, schlichter Sarg, dunkel gebeizt mit einer Palmenschnitzung auf den beiden Seiten des Deckels: „Der wäre ganz hübsch.“
Herr Schubert schaut etwas angesäuert. 120 Euro kostet der im Einkauf, bei Eichenlaubs kostet er 1800, das macht nur 1680 Euro Gewinn und er bekommt 5 Prozent Provision. Der K113 würde 3.000 kosten, bei einem Einkaufspreis von 200 Euro macht das für ihn unterm Strich doch wesentlich mehr.

Bei der Pietät Eichenlaub arbeiten alle auf Provision oder auf Menge, das ist rationell und so hat jeder selbst in der Hand, wieviel am Monatsende in der Lohntüte ist. Ob die angebotenen Waren dem Wunsch der Familien entsprechen oder ob sie zweckmäßig sind, interessiert Herrn Schubert nicht. Jeder muß leben und verdienen. Außerdem gibt es einen Umsatzplan und auf dem liegt er drei Plätze hinter Herrn Kalinke, dem Top-Verkäufer bei Eichenlaub. Überhaupt ist die Firma Pietät Eichenlaub einzig und allein der Dividende ihrer Gesellschafter verpflichtet. Diese haben Geld investiert und wollen eine satte Rendite, das Schicksal der Einzelnen interessiert da niemanden.

Wenn die also jetzt den preiswerten Sarg nehmen, dann ginge ihm die schöne Provision flöten. Warum wollen die überhaupt so einen einfachen Sarg? Hoffentlich wollen die nicht auch noch eine Feuerbestattung! Aber erst einmal kümmert er sich um den Sarg, da hat er so seine Methode. Er sagt: „Eine gute Wahl“, und fügt dann hinzu: „das ist der Sozialsarg, der Armensarg sozusagen, der wird viel genommen, wenn wir irgendwo einen Penner aus der Hecke ziehen.“

Die Schmidts weichen zurück, nein, das wollen sie jetzt auch wieder nicht, nicht den Sozialsarg! Aber vielleicht ist ja bei den anderen ausgestellten Särgen etwas dabei. Doch Herr Schubert deutet wieder auf den K113: „Also bleibt es doch bei dem K113, nicht wahr?“

Herr Schmidt will sich nicht so schnell entscheiden und geht zu einem anderen schlichten Modell: „Was kostet der denn?“
Der Mann von der Firma Eichenlaub erkennt, daß er jetzt noch einen Gang zulegen muss. Das Spielchen kennt er schon und er weiß wie er mit solchen schwierigen Kunden fertig wird. Bloß niemals voreilig den Sargpreis nennen, das schreckt die Leute oft ab und dann sparen sie bei den anderen Sachen. Außerdem steht der Kunde jetzt wieder vor einem von zwei günstigen Särgen und da muß er ihn weglotsen.

„Schauen Sie mal hier“, sagt er deshalb und zeigt auf einen Kiefernsarg, der rötlich gebeizt ist und einen Hauch von Mahagoni ausstrahlt. Im Herstellerkatalog heisst es: Schlichter Kiefernsarg, mahagonifarben gebeizt, günstig im Preis, edel in der Optik. Der Einkaufspreis für die Eichenlaubs liegt bei unter 200 Euro, aber das sagt Herr Schubert den Schmidts natürlich nicht, sondern er sagt: „Mahagoni! Das hier ist mal ganz was Edles, das wäre Ihrer Tante angemessen.“

Herr Schmidt sagt: „Meine Tante war eine ganz einfach Frau, wir wollen da nichts Teures.“

„Ach, Sie haben Ihre Tante nicht gemocht?“

„Doch schon, sogar sehr.“

„Ja, dann sollten Sie das auch durch die Wahl eines würdigen Sarges zum Ausdruck bringen.“

Die Schmidts wollen noch etwas sagen, doch Herr Schubert stellt unvermittelt die Frage: „Erd oder Feuer?“

„Wie bitte?“, möchte Frau Schmidt wissen.

„Ja ob die Frau verbrannt werden soll.“

„Nein, meine Tante wollte keinesfalls verbrannt werden.“

Herr Schubert beginnt zu rechnen. Vom Ergebnis seiner Rechnung hängt ab, ob er es beim Wunsch der Angehörigen bewenden lässt oder ob er ihnen eine Feuerbestattung einredet. Aber wenn die beim mahagonifarbenen Sarg bleiben, macht er seinen Schnitt, sonst muss er noch eine Urne mitverkaufen. Oft nehmen die Leute ja einfache Verbrennungssärge, dann macht er bei der Urne seinen Schnitt. Wenn die auch eine von den günstigen Urnen wollen, redet er denen die Feuerbestattung einfach aus. Intern nennen das die Eichenlaub-Berater „vom-Feuer-wegquatschen“.
Auf einmal ist er nicht mehr so sicher, ob die auch beim mahagonifarbenen Sarg bleiben, wenn er ihnen später sagt, daß der 3.800 Euro kostet, springen die vielleicht noch ab, also geht er auf Nummer Sicher und biegt die Leute auf eine Feuerbestattung um.

„Bedenken Sie bitte, daß bei einer Erdbestattung alleine das Grab 8.000 Euro kostet, ein Urnengrab kostet nur 900 Euro.“

Damit haben die Schmidts nicht gerechnet. Im Grunde ist das was Schubert sagt auch Quatsch. Er hat Äpfel mit Birnen verglichen und einfach den teuersten Preis für ein großes Familiengrab dem Preis für das kleinste Urnengrab gegenübergestellt. Herr Schmidt schaut seine Frau an, sie nickt, offenbar haben die beiden vorher schon darüber gesprochen. Dann sagt er zu Herrn Schubert: „Ich glaube, eine Feuerbestattung wäre auch nicht schlecht.“

Schubert notiert etwas auf seinem Schreibbrett und wendet sich unverzüglich dem Regal mit den Urnen zu: „Dann brauchen wir noch eine Urne.“ Dabei stellt er sich geschickt vor den Teil mit den preiswerteren Urnen und macht eine ausladende Bewegung über die teuren Modelle und sagt: „Ich möchte Ihnen ja nichts aufschwatzen, bitte wählen Sie frei aus!“
Während Frau Schmidt an den Urnen entlanggeht, läuft Herr Schmidt noch einmal zu den Särgen. Frau Schmidt entscheidet sich für eine Stahlblechurne in Blau. Der Einkaufspreis liegt bei 12,50 Euro, Herr Schubert notiert „Blech Blau 200 Euro“.
Ohne mit den Schmidts darüber zu sprechen notiert er außerdem „Decke und Kissen, mittlere Ausführung, 129 Euro“.

Doch dann sagt Her Schmidt: „Wissen Sie, wenn es eine Feuerbestattung wird, nehmen wir diesen Sarg hier“. Dabei deutet er auf das ganz preiswerte Verbrennungsmodell hinten in der Ecke. Da bleibt für Herrn Schubert fast gar keine Provision mehr übrig. Umbiegen heisst es! Schnell sagt er: „Ihre Tante war Atheistin, Kommunistin? Oder hat sie sich das Leben genommen?“

„Wie bitte?“, fragt Frau Schmidt entsetzt und Herr Schmidt fügt hinzu: „Meine Tante war katholisch und ist ganz friedlich eingeschlafen.“

„Ja dann kommt natürlich eine unchristliche Feuerbestattung nicht in Frage, das lehnen ja viele Pfarrer heute immer noch ab“, sagt Herr Schubert schnell.
Das wollen die Schmidts natürlich nicht und so einigt man sich dann doch auf eine Erdbestattung. Die Grabpreise spricht Herr Schubert nicht mehr an, denn an den Gräbern verdient die Pietät Eichenlaub nichts. Auf seinem Schreibbrett ändert er das F für Feuer in ein E für Erd und macht aus der mittleren Ausführung bei Decke und Kissen noch eine „gehobene Ausführung“ für 299 Euro.

Damit ist für Herrn Schubert der Verkauf erledigt und jetzt erst dürfen die Schmidts sich das erste Mal nebenan im Beratungsbüro hinsetzen. Hier fragt Schubert in Windeseile die erforderlichen Daten ab und erledigt noch die Nebenbeiverkäufe. Dabei berät er die Familie nicht, sagt ihnen nicht, auf was zu achten ist, was notwendig ist und was man auch einsparen könnte, sondern setzt ihnen die Dinge einfach zur Entscheidung vor. Dabei lässt er ihnen nicht die Wahl zwischen Ja und Nein, sondern immer nur zwischen Variante A und Variante B.

Bis zu diesem Zeitpunkt hat er keinen einzigen Preis genannt. Auf seinem Schreibbrett hat er schon 9.000 Euro zusammen, ohne Grab, aber das wissen die Schmidts nicht. Sie werden die Endsumme das erste Mal erst 14 Tage nach der Beerdigung erfahren. Nur der Form halber, angeblich für das Standesamt, soll Herr Schmidt eine Vollmacht unterschreiben. Daß er damit auch den Auftrag verbindlich anerkennt und bestätigt, die Kostenaufstellung erhalten zu haben, erkennt der alte Mann nicht.

Der Fortgang

Unmittelbar danach tippen fleissige Finger im Büro den Auftrag in die EDV. Für die Männer im technischen Bereich ist nur eine Information wichtig: offen oder zu.
Sie sehen, daß Tante Schmidt nicht offen aufgebahrt wird, also ist der Rest ein Kinderspiel. Aus einem Sack wird eine dicke Lage Kleintierstreu in den Sarg gepackt, keine 10 Sekunden später liegt Tante Schmidt im Sarg. Genauso wie sie im Heim abgeholt wurde, eingewickelt in ein Bettlaken. Dass sie eine verschmutze Windel trägt und ihre Hände nicht gefaltet wurden, interessiert niemanden. Die Positionen Sarginnenausstattung, Decke und Kissen, sowie den Rosenkranz für die gefalteten Hände interessiert hier unten im Keller niemanden. Der Sarg wird zugeschraubt.

Morgen wird man den Sarg mit vier anderen im Transporter zum Friedhof fahren. Auf der Rechnung wird allerdings stehen: „Würdevoller Transport in unserem Mercedes-Bestattungswagen 327 Euro.“ Diese Rechnungsposition wird insgesamt zweimal auftauchen. Denn einmal wird die Tante vom Heim zum Bestattungshaus gefahren und dann von dort zum Friedhof.

Insgesamt hat man sich keine 10 Minuten mit der toten Tante beschäftigt und die Beratung der Schmidts hat 22 Minuten gedauert.

siehe auch: Frau Müller ist tot

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(©si)