Rainer Hildebrandt war Widerstandskämpfer gegen Hitler, Publizist und Gründer des Mauermuseums.
Am 9. Januar ist er verstorben. Seine Urne wurde bislang nicht beigesetzt.
Man mag denken, der 9. Januar sei ja noch nicht so lange her, aber es war der 9. Januar 2004.
Die Witwe des Verstorbenen hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den letzten Wunsch ihres Mannes zu erfüllen. Und der klingt zunächst sehr bescheiden:
Rainer Hildebrandt wollte gerne neben einem Freund bestattet werden.
Dieser Freund ist Albrecht Haushofer. Albrecht Georg Haushofer (* 7. Januar 1903 in München; † 23. April 1945 in Berlin; Pseudonyme: Jürgen Dax, Jörg Werdenfels) war ein deutscher Geograph, Diplomat, Schriftsteller und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Die SS erschoss Haushofer in den letzten Kriegstagen am 23. April 1945.
Haushofer wurde auf dem Kriegsgräber-Friedhof in Berlin-Alt-Moabit bestattet. Dort liegen über 350 Opfer des Zweiten Weltkriegs.
Allerdings werden seit 1952 auf diesem Friedhof keine Bestattungen mehr durchgeführt.
Nun streiten sich die Witwe und der Senat seit 12 Jahren um den letzten Beisetzungsort für Hildebrandt.
Es ist nicht so, daß sich der Senat und die zuständigen Stellen nicht mit dem Fall beschäftigt hätten. Die Akte soll inzwischen sehr dick sein.
Doch der Senat befindet sich in einer Zwickmühle. Einerseits ist der Friedhof seit 64 Jahren für weitere Beisetzungen geschlossen, andererseits paßt Hildebrandt nach Ansicht der Behörden dort auch nicht hin: Hildebrandt ist kein Kriegsopfer, passt deshalb dort auch nicht hin.
Einige Politiker, so der CDU-Generalsekretär Kai Wegner, unterstützen die Witwe:
„Rainer Hildebrandt hat mit seinem lebenslangen Einsatz für Freiheit und Demokratie Großartiges für Berlin geleistet. Er hat es verdient, seinem letzten Wunsch entsprechend beigesetzt zu werden. Das ist eine Frage der Pietät und des Anstandes.“
So bleibt also Urne Nr. 173.126 weiter im Pappkarton im Regal des Krematoriums stehen.
Aus Pietätsgründen verzichtete der Senat aber bisher darauf, die Lagergebühren von rund 3.000 € zu kassieren und die Urne zwangsbestatten zu lassen.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: berlin, Rainer Hildebrandt
Da fragt man sich, warum die Behörde nicht einfach mit der einfachen Frage: „Wem schadet oder nützt es?“ an die Sache geht: Es schadet: keinem – es nützt: allen Beteiligten. Es würde keine weitere Arbeitskraft auf den Fall „verschwendet“, der Mann bekäme seine letzte Ruhe und er und seine Angehörigen bekommen den letzten Wunsch erfüllt.
Uns Unbeteiligten kann doch völlig egal sein, wo jemand bestattet wird, oder? Es besteht schlicht kein öffentliches Interesse, jemanden an der Beisetzung dort zu hindern.
@Kathrin: So einfach ticken Behörden nicht.
@Kathrin: Ach, irgendein Arschloch das klagt würd sich bestimmt finden lassen.
@Kathrin, so sehe ich das auch! Und mit einer Begründung der Friedhofsverwaltung: „Einzelfallentscheidung und einmalige Ausnahmegenemigung“ kann man weitere Bestattungen auf diesen Friedhof wohl verhindern. Ist ja manchmal in Deutschland so: Was der bekommt, will ich auch haben. 😉
Sehe ich tatsächlich anders.
Wenn irgendjemand sich wünscht, auf dem Fernsehturm bestattet zu werden, geht das nunmal auch nicht. Wenn jetzt einer die Ausnahmegenehmigung bekommt, ist die Tür offen für andere, oder man kann weitere Vorschriften aushebeln, je nach Fall.
Ich finde es tatsächlich eher etwas verbohrt, dass die Witwe das nicht akzeptieren kann, denn die Regeln sind eigentlich klar und ich sehe jetzt nicht, dass der Verstorbene ungerecht behandelt wird, weil diese Regeln befolgt werden. Es liegt im Wesen des Wunsches, dass nicht jeder erfüllt werden kann.
Für Widerstandskämpfer gegen den Faschismus sollte es schon eine Ausnahmeregelung geben aber da nach 1945 die alten Pgs dank Adenauer nahtlos weiter wurschteln durften hat man wohl gerade deshalb etwas dagegen
@Georg: Ich glaube kaum, daß die braune Vergangenheit der Beamten, die vor Generationen tätig waren, etwas mit dieser Entscheidung zu tun hat. Ich sehe auch die Einbindung ehemaliger Nazis in die behördlichen und politischen Strukturen des Nachkriegsdeutschlands anders. Man darf davon ausgehen, daß der größte Teil der deutschen Bevölkerung sich zum Nationalsozialismus bekannt hat. Entweder aktiv durch Parteimitgliedschaft oder durch Wegsehen und Tolerieren. Wenn nun eine große politische Gesamtstruktur zusammenbricht und neu aufgebaut werden muß, bleibt dem Nachfolgesystem gar nichts anderes übrig, als auf erfahren -aber belastete- Personen aus den vorherigen Strukturen zurückzugreifen. Ein guter Postbeamter, der Nazi war, wird ja nicht allein dadurch zu einem schlechten Postbeamten. Auch Erdogan wird sich so verhalten müssen. Ja, er kann 40.000 Lehrer entlassen. Aber es wird nicht über Nacht 40.000 neue und in seinen Augen unbelastete Lehrer geben. Also wird er die Spreu vom Weizen trennen lassen und die meisten wiedereinstellen müssen. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, lassen wir mal dahingestellt, aber es geht gar nicht anders. Das war im Übrigen auch von den Alliierten… Weiterlesen »
Ich sollte noch ergänzend erwähnen, daß man seitens des Senats einen Kompromiß vorgeschlagen hatte. Man wollte den in Rede stehenden Friedhof um einen kleinen neuen Teil erweitern, damit die Urne dort beigesetzt werden kann.
Diesen Vorschlag lehnte die Witwe ab.
@Peter Wilhelm:
Das wäre ja auch nur in der Nähe aber nicht neben seinem ermordeten Freund ……
@Georg: Ja, er war ein verdienter Bürger, aber wenn auf dem Stadtfriedhof Sprockdehövel-Süd links und rechts die nächsten sechs Reihen belegt sind, geht es ja auch nicht.
Ich bleibe dabei, es ist nunmal nicht jeder Wunsch erfüllbar, und Gemeinden müssen fair bleiben. Mit der Alternative der Erweiterung hätten man weiteren Leuten entsprechen können, ansonsten hätte es eine „unfaire“ Ausnahmeregelung gegeben.
Warum die Stadt noch kompromissbereiter sein soll, wo es die Witwe nicht ist, sehe ich nicht.
Wenn ich mir die Zahlen so angucke, komme ich zu der Erkenntnis, dass Rainer Hildebrandt es hätte wissen können, dass sein letzter Wille unerfüllbar ist.
(Wenn ich an einem bestimmten Ort bestattet werden will, würde ich mich ZU LEBZEITEN informieren, ob das geht).
Deswegen hält sich mein Mitleid mit ihm und der Witwe in Grenzen …
@riepichiep:
Das dachte ich auch beim Lesen.
Und es gab ja auch einen Kompromissvorschlag, den ich auch gar nicht so schlecht finde. Was war denn dagegen einzuwenden? Daß es nur in der Nähe und nicht direkt neben dem Grab war, wie Georg schreibt?
12 Jahre Streit deswegen finde ich auf jeden Fall eine ziemliche Ressourcenverschwendung.
Alles zusammengenommen finde ich am ehesten das Verhalten der Witwe wenig anständig und nicht das des Senats.
Mein Gott, wem tuts denn weh, wenn da fix noch mal ein kleines Loch gebuddelt wird?
„Wenn ich mir die Zahlen so angucke, komme ich zu der Erkenntnis, dass Rainer Hildebrandt es hätte wissen können, dass sein letzter Wille unerfüllbar ist. Deswegen hält sich mein Mitleid mit ihm und der Witwe in Grenzen …“
Nee, Leute. Echt nicht. Hier stur auf Vorschriften, Regelungen und Paragraphen zu verweisen, ist kleinlich, bürokratisch und vor allem herzlos. Ja, ja, ich weiß – da könnte ja jeder kommen… Es kommt aber nicht jeder. Auf einem Friedhof, der in den 1880ern für Neubelegungen geschlossen worden war und auf dem bereits bestehende Bestattungsrechte noch bis 1930 genutzt werden konnten, habe ich einen Grabstein aus den 50er Jahren gesehen. Davon geht die Welt nicht unter.
Bei einem Harz vier Empfänger würde man über eine Zwangsbestattung keine fünf Minuten nachdenken!!
@Josef:
…was ebenfalls eher dafür spricht, dass die Behörde durchaus einen Kompromiss eingehen wollte, „in Anerkennung der Lebensleistung“ Herrn Hildebrandts.
Die auf Dauer einfachste und in meinen Augen beste Lösung, den Bestattungszwang für Urnen aufheben, der Witwe selbige aushändigen und dann darf sie damit glücklich werden und sehr vielen anderen ist auch geholfen und keiner hat Schaden davon…
Nach 12 Jahren sollte ja keine Trauerfeier mehr nötig sein. Wenn es also wirklich nur um die Sache geht. Abend , Spaten, Blümchen. Feddich!