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Bescheidene Karriere

Herr Waldemar Nypav ist Sachbearbeiter beim städtischen Friedhofsamt. Im Grunde ist Herr Nypav ein unauffälliger Kerl, der im ersten Stock des Amtes die Akten der Weltkriegstoten von A-K verwaltet und das Oberkommando über die Kriegsopfergedenkstätte auf dem Hauptfriedhof hat. Her Nypav ist 47 Jahre alt, wohnt bei seiner Mutter und ist notorischer Verfechter des Retro-Retro-Looks, trägt also sozusagen die Sachen seines Großvaters auf, die aber -dank des unermüdlichen Einsatzes seiner werten Frau Mutter- stets ordentlich geflickt, gebügelt und gestärkt sind. Der großvater ist früh verstorben und hatte, so argumentiert seine Mutter, ja nie Zeit, die Sachen wirklich aufzutragen: „Die sind ja noch wie neu.“

In der Abteilung, in der Herr Nypav arbeitet, ist er der einzige Junggeselle, der einzige Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel und selbstverständlich auch der Einzige, der sich sein Essen in einer Butterbrotdose aus Blech von zu Hause mitbringt, während seine Kollegen „Mahlzeit!“ rufend an seiner offenen Bürotür vorbei in die amtseigene Kantine gehen.
Besonders sein Kollege Harry Flottmann hat es auf den unscheinbaren Mann abgesehen und bleibt gerne mal an der Bürotür stehen, um Nypav etwas hochzunehmen. Flottmann ist Fahrer eines Abschleppwagens (rotes 3er BMW Cabrio) und kutschiert -wovon seine Frau nichts wissen darf- gerne mal das eine oder andere „Bürohäschen“ nach Hause. Solche Einzelgänger und Außenseiter wie Nypav sind die Opfer, die solche Hawaiihemdenträger mit Goldkettchen brauchen, um zusätzlich testosterongeschwängerte Duftmarken setzen zu können. Allein schon mit der Frage: „Na, heute Abend Lust auf Skat?“ kann er Waldemar Nypav in Verlegenheit bringen, denn das einzige Kartenspiel was dieser beherrscht ist „UNO“ und das spielt er besonders gerne um ein Stück von österlichen Schokohasen mit seiner Mutter, abends wenn nur schlimme Filme im Fernsehen kommen.

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Nypav quittierte diese Anspielungen und auch die übrigen Lästereien über seine Kleidung, seinen gescheitelten Pomade-Haarschnitt und die aus dem Nachlass von Heinz Erhardt zu stammen scheinende Hornbrille nur mit einem breiten Grinsen, das aber nur der Hilflosigkeit entsprang, denn nur nach Außen spielte Nypav den geduldigen Idioten, innerlich kochte es in ihm seit Jahren.

Eines Tages, so sagte er sich immer wieder, würde seine große Stunde kommen und dann würde er es denen einmal so richtig zeigen. In seinen geheimsten Phantasien sah er sich auf dem Sessel des Amtsleiters und war endlich derjenige, der den anderen mal sagt, wo es langgeht.
Zum Amtsleiter, das muß man einfach realistisch sehen, würde Nypav es nie bringen. Denn da dieser Posten mit dem des Betriebsleiters des kommunalen Eigenbetriebes Friedhöfe und Krematorium verbunden ist, wird der jeweilige Amtsinhaber -trotz europaweiter Ausschreibung- immer irgendwo aus den hervorstehenden Fasern des kommunalen Parteienfilzes hervorgekämmt. Immer nach dem Motto: Bei uns spielt das Parteibuch keine Rolle, Hauptsache Du bist in der SPD.

Nypav wählt gar nicht. Wenn eine Wahl ansteht, bestellt seine Mutti Briefwahlunterlagen und macht das alles, auch für ihn gleich mit. Mutti kümmert sich sowieso um alles.

Der Tag an dem Nypav seinen gehässigen Kollegen endlich mal zeigen konnte, was in ihm steckt, der sollte schneller kommen, als man es angesichts der äußerlichen Harmlosigkeit des Mannes hätte träumen lassen. Es wurde nämlich im Friedhofsamt eine Richtlinie umgesetzt, die innerhalb städtischer Gebäude das Rauchen verbietet. Nypav ist ohnehin notorischer Nichtraucher und häufiger Benutzer von Fichtennadelraumspray, das er immer dann zur Anwendung brachte, wenn man wieder Tabakqualm in seine Amtsstube wehte.
Er war im ganzen Amt der Einzige, der das Rauchverbot begrüßte. Alle anderen verzogen ihre Gesichter und richteten hinterm Haus eine notdürftige Freiluftrauchstelle ein.

Nypav hatte sich doch so gefreut, daß denen endlich mal was verboten worden ist und hatte kein Verständnis dafür, daß die nun ständig ihre Arbeitszeit unterbrachen um für wenigstens eine Viertelstunde mehrmals täglich eine zusätzliche Pause einzulegen. Deshalb verfasste er eine Eingabe an den Gesamtpersonalrat und fragte an, ob er denn nun als Nichtraucher analog zum Verhalten seiner rauchenden Kollegen mehrmals täglich am Automaten im Erdgeschoss eine Kaffeepause einlegen dürfe.
Natürlich wurde diese Anfrage abschlägig beantwortet, hatte aber zur Folge, daß ein Zeiterfassungssystem eingeführt wurde (32.000 Euro) mit dem die Absenzen der Raucher sekundengenau erfasst werden können. „Die entstehenden Ausfallzeiten sind nachzuarbeiten!“

Es folgten zwei weitere Beschwerden, eine an den Oberbürgermeister gerichtet und eine an den Sicherheitsbeauftragten der Stadtverwaltung. Nypav drängte darin auf die Bereitstellung geeigneten Löschmaterials, da sich in der Nähe des Freiluftraucherplatzes eine durchaus als brennbar zu bezeichnende Holzverkleidung befindet.
Kurzerhand, vor allem um weiteren Anfragen aus dem Weg zu gehen, ernannte der Oberbürgermeister in Absprache mit dem Sicherheits- und Brandschutzbeauftragten Herrn Waldemar Nypav zum „Beauftragten für eine rauchfreie Stadtverwaltung (Abt. Friedhofsamt)“.

Nypav ließ sich das auf ein Schild drucken und montierte es an seiner Bürotür. Das wiederum hatte zur Folge, daß nun jeder der eine Zigarette rauchen ging, kurz an der Tür innehielt und in Nypavs Büro hineinrief: „Waldemar, ich geh eine rauchen!“ Das geschah so an die 120 mal pro Tag, was Nypav dadurch quittierte, daß er forthin seine Bürotür geschlossen hielt und noch mehr in die Einsamkeit seiner Kriegstoten von A-K getrieben wurde.

Da aber alle anderen nacharbeiten mußten und Nypav somit jeden Tag deutlich früher Feierabend hatte als seine Kollegen, verabschiedete er sich stets schon kurz nach drei, indem er seinen Hut aufsetzte, sich Opas Schal um den Hals wickelte und seinen hellbeigen Popelinemantel anzog. Noch ein Blick auf die Schuhe, schnell mal mit dem Läppchen drübergewischt und dann Beeilung, sonst fährt Linie 12 ohne ihn ab.

Kaum hatte jedoch der Rauchfrei-Beauftragte das Haus verlassen, steckte sich jeder Kollege zuerst einmal eine Zigarette an. Es wurde gepafft was das Zeug hält und natürlich stank der ganze Verwaltungspalast am anderen Morgen nach abgestandenem Tabakrauch, was logischerweise der fichtennadelgestählten Nase des Waldemar Nypav nicht entgehen konnte. In hartnäckigen, peinlichen Befragungen versuchte er zwar mit aller seinem Amt innewohnenden Majestät die Übeltäter dingfest zu machen, doch stritt natürlich jeder ab, an den Rauchorgien in irgendeiner Weise beteiligt zu sein.

Waldemar Nypav beantragte daraufhin den Einbau einer Kamera- und Aufzeichnungsanlage, um das Treiben in der Zeit seiner Abwesenheit verfolgen zu können. Natürlich wurde dieser Antrag nicht genehmigt, schon allein mit dem Hinweis auf das Persönlichkeits- und Datenschutzrecht.

„Mensch, Nypav“, sprach Harry Flottmann seinen Kollegen an: „Das ist doch Deine Chance! Demnächst wird doch der Datenschutzbeauftragte gewählt, bewirb Dich doch! Dann könntest Du alle Deine Pläne vielleicht doch noch verwirklichen.“

Lange haderte Nypav mit sich und seine Mutter beschied dann, daß das der Karriere ihres Sohnes nur förderlich sein könnte und so trat der Einzelgänger bei der Wahl gegen die einzige Gegenkandidatin Frau Isolde Brömmerhausen-Kuhlenzeusler vom Wasserwirtschaftsamt an. Nicht zuletzt dem gutgefüllten Telefonbüchlein von Harry Flottmann war es zu verdanken, daß Nypav mit großem Abstand als Sieger aus der Wahl hervorging.

Drei Tage später kamen seine Kollegen und halfen ihm beim Packen, denn eines hatte Nypav übersehen: Der Datenschutzbeauftragte des Gesamtpersonalrats hat seinen Dienstsitz im rückwärtigen Gebäude des städtischen Rechenzentrums. „Tröste Dich, da raucht sowieso keiner.“

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#bescheidene #karriere

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